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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Die Geschichte von einem, der nichts durfte

de Remis sitten und Stör ein nich. Und wenn he döstig") utseiht, denn hal
em en Glas Beer!

Ick hebb em seggt, dat de Fru Gräfin de Wagens nich betaste! benlerkte
Krischan befriedigt.

Aber der Posthalter mahne die brennende Pfeife aus dem Munde: Wat
schall dat bedüdeu? Da kann he doch nix vor! Lat em tofreden, um wenn se
wedder schickt, denn spann den drüttbesten Wagen an!

De flott bannig! lachte Krischan, und dann schwieg er für den Nest
des Tages.

So war es gekommen, daß der Graf Darfich, der in seinem ganzen
Leben eigentlich niemals etwas gedurft hatte, nun doch eine Stätte gefunden
hatte, wo er freundlich aufgenommen wurde. Seine Standesgenossen vergaßen
ihn und seinen Beinamen, und selbst die andern Kleinstädter erkannten ihn kaum,
wenn er schüchternen Schrittes die Straße hinabging, um sich in die Wagen¬
remise zu begeben.

Es ist wohl möglich, daß seine Fran hin und wieder ein paar Worte
mit ihm wechselte; sie verkehrte aber so eifrig mit einigen auf dein Lande
wohnenden Verwandten, daß sie ihren Gatten fast ganz darüber vergaß. Das
war wenigstens die Ansicht derer, die das sonderbare Paar noch hin und wieder
beobachteten.

Nach einigen Jahren gehörte der Graf so vollständig zum Inventar der
Wagenremise, daß er an allem, was in ihr geschah, den lebhaftesten Anteil
nahm, so viel, wie er überhaupt zeigen konnte. Heute war nun ein großer
Tag, denu der Posthalter hatte sich zum Ankauf eines neuen Wagens ent-
schlossen! Es war allerdings keine Kutsche, sondern ein schwarzlackierter Leichen¬
wagen, der auf dem Ehrenplätze in der Remise stand; aber gerade dieser hatte
der kleinen Stadt gefehlt, und der PostHalter hoffte mit ihm ein gutes Ge¬
schäft zu machen- Er selbst stand, die kleine Pfeife im Munde und die Hände
in den Taschen, behaglich lächelnd vor seinein neuen Erwerb, und neben ihm
standen mehrere seiner Freunde. Denn in der kleinen Stadt war selbst der
Ankauf eines Leichenwagens etwas Erfreuliches. Da stand der Verantwortliche
Schriftleiter, Verleger und Drucker des städtischen Wochenblattes, der schon
im Geiste einen Artikel über diese "Errungenschaft der Neuzeit" schrieb, da
stand ein älterer Arzt, dem die schnellere Beförderung seiner Patienten nach
dem Kirchhofe auch Freude zu machen schien; und in der dunkeln Ecke befand
sich natürlich auch der Graf. Mit andächtigem Entzücke" hingen seine Augen
an dem kohlschwarzen Gefährt, das durchdringend nach Lack duftete.

Der PostHalter schlug ihm gutmütig auf die Schulter. Nu, Herr Gras,
wenn ich mit diesen Wagen Ihr Frau abholen laß, denn sagen Sie nich zu
Krischan: Weiß er, ob ich mit darf?

Die andern lachten, aber der Graf sah den Sprecher zweifelnd an. Es
dauerte immer eine Zeit, bis er selbst den harmlosesten Witz verstanden hatte,
und für den ebeu geäußerten hatte er gar kein Verständnis.

Ob ich wohl einmal mit diesem schönen Wagen fahren darf? äußerte er
Schund tern.

Nu natürlich! rief der PostHalter, herzhaft lachend, und: Ganz gewiß!
versicherte der Doktor.



") Dürftig.
Die Geschichte von einem, der nichts durfte

de Remis sitten und Stör ein nich. Und wenn he döstig") utseiht, denn hal
em en Glas Beer!

Ick hebb em seggt, dat de Fru Gräfin de Wagens nich betaste! benlerkte
Krischan befriedigt.

Aber der Posthalter mahne die brennende Pfeife aus dem Munde: Wat
schall dat bedüdeu? Da kann he doch nix vor! Lat em tofreden, um wenn se
wedder schickt, denn spann den drüttbesten Wagen an!

De flott bannig! lachte Krischan, und dann schwieg er für den Nest
des Tages.

So war es gekommen, daß der Graf Darfich, der in seinem ganzen
Leben eigentlich niemals etwas gedurft hatte, nun doch eine Stätte gefunden
hatte, wo er freundlich aufgenommen wurde. Seine Standesgenossen vergaßen
ihn und seinen Beinamen, und selbst die andern Kleinstädter erkannten ihn kaum,
wenn er schüchternen Schrittes die Straße hinabging, um sich in die Wagen¬
remise zu begeben.

Es ist wohl möglich, daß seine Fran hin und wieder ein paar Worte
mit ihm wechselte; sie verkehrte aber so eifrig mit einigen auf dein Lande
wohnenden Verwandten, daß sie ihren Gatten fast ganz darüber vergaß. Das
war wenigstens die Ansicht derer, die das sonderbare Paar noch hin und wieder
beobachteten.

Nach einigen Jahren gehörte der Graf so vollständig zum Inventar der
Wagenremise, daß er an allem, was in ihr geschah, den lebhaftesten Anteil
nahm, so viel, wie er überhaupt zeigen konnte. Heute war nun ein großer
Tag, denu der Posthalter hatte sich zum Ankauf eines neuen Wagens ent-
schlossen! Es war allerdings keine Kutsche, sondern ein schwarzlackierter Leichen¬
wagen, der auf dem Ehrenplätze in der Remise stand; aber gerade dieser hatte
der kleinen Stadt gefehlt, und der PostHalter hoffte mit ihm ein gutes Ge¬
schäft zu machen- Er selbst stand, die kleine Pfeife im Munde und die Hände
in den Taschen, behaglich lächelnd vor seinein neuen Erwerb, und neben ihm
standen mehrere seiner Freunde. Denn in der kleinen Stadt war selbst der
Ankauf eines Leichenwagens etwas Erfreuliches. Da stand der Verantwortliche
Schriftleiter, Verleger und Drucker des städtischen Wochenblattes, der schon
im Geiste einen Artikel über diese „Errungenschaft der Neuzeit" schrieb, da
stand ein älterer Arzt, dem die schnellere Beförderung seiner Patienten nach
dem Kirchhofe auch Freude zu machen schien; und in der dunkeln Ecke befand
sich natürlich auch der Graf. Mit andächtigem Entzücke« hingen seine Augen
an dem kohlschwarzen Gefährt, das durchdringend nach Lack duftete.

Der PostHalter schlug ihm gutmütig auf die Schulter. Nu, Herr Gras,
wenn ich mit diesen Wagen Ihr Frau abholen laß, denn sagen Sie nich zu
Krischan: Weiß er, ob ich mit darf?

Die andern lachten, aber der Graf sah den Sprecher zweifelnd an. Es
dauerte immer eine Zeit, bis er selbst den harmlosesten Witz verstanden hatte,
und für den ebeu geäußerten hatte er gar kein Verständnis.

Ob ich wohl einmal mit diesem schönen Wagen fahren darf? äußerte er
Schund tern.

Nu natürlich! rief der PostHalter, herzhaft lachend, und: Ganz gewiß!
versicherte der Doktor.



») Dürftig.
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[0262] Die Geschichte von einem, der nichts durfte de Remis sitten und Stör ein nich. Und wenn he döstig") utseiht, denn hal em en Glas Beer! Ick hebb em seggt, dat de Fru Gräfin de Wagens nich betaste! benlerkte Krischan befriedigt. Aber der Posthalter mahne die brennende Pfeife aus dem Munde: Wat schall dat bedüdeu? Da kann he doch nix vor! Lat em tofreden, um wenn se wedder schickt, denn spann den drüttbesten Wagen an! De flott bannig! lachte Krischan, und dann schwieg er für den Nest des Tages. So war es gekommen, daß der Graf Darfich, der in seinem ganzen Leben eigentlich niemals etwas gedurft hatte, nun doch eine Stätte gefunden hatte, wo er freundlich aufgenommen wurde. Seine Standesgenossen vergaßen ihn und seinen Beinamen, und selbst die andern Kleinstädter erkannten ihn kaum, wenn er schüchternen Schrittes die Straße hinabging, um sich in die Wagen¬ remise zu begeben. Es ist wohl möglich, daß seine Fran hin und wieder ein paar Worte mit ihm wechselte; sie verkehrte aber so eifrig mit einigen auf dein Lande wohnenden Verwandten, daß sie ihren Gatten fast ganz darüber vergaß. Das war wenigstens die Ansicht derer, die das sonderbare Paar noch hin und wieder beobachteten. Nach einigen Jahren gehörte der Graf so vollständig zum Inventar der Wagenremise, daß er an allem, was in ihr geschah, den lebhaftesten Anteil nahm, so viel, wie er überhaupt zeigen konnte. Heute war nun ein großer Tag, denu der Posthalter hatte sich zum Ankauf eines neuen Wagens ent- schlossen! Es war allerdings keine Kutsche, sondern ein schwarzlackierter Leichen¬ wagen, der auf dem Ehrenplätze in der Remise stand; aber gerade dieser hatte der kleinen Stadt gefehlt, und der PostHalter hoffte mit ihm ein gutes Ge¬ schäft zu machen- Er selbst stand, die kleine Pfeife im Munde und die Hände in den Taschen, behaglich lächelnd vor seinein neuen Erwerb, und neben ihm standen mehrere seiner Freunde. Denn in der kleinen Stadt war selbst der Ankauf eines Leichenwagens etwas Erfreuliches. Da stand der Verantwortliche Schriftleiter, Verleger und Drucker des städtischen Wochenblattes, der schon im Geiste einen Artikel über diese „Errungenschaft der Neuzeit" schrieb, da stand ein älterer Arzt, dem die schnellere Beförderung seiner Patienten nach dem Kirchhofe auch Freude zu machen schien; und in der dunkeln Ecke befand sich natürlich auch der Graf. Mit andächtigem Entzücke« hingen seine Augen an dem kohlschwarzen Gefährt, das durchdringend nach Lack duftete. Der PostHalter schlug ihm gutmütig auf die Schulter. Nu, Herr Gras, wenn ich mit diesen Wagen Ihr Frau abholen laß, denn sagen Sie nich zu Krischan: Weiß er, ob ich mit darf? Die andern lachten, aber der Graf sah den Sprecher zweifelnd an. Es dauerte immer eine Zeit, bis er selbst den harmlosesten Witz verstanden hatte, und für den ebeu geäußerten hatte er gar kein Verständnis. Ob ich wohl einmal mit diesem schönen Wagen fahren darf? äußerte er Schund tern. Nu natürlich! rief der PostHalter, herzhaft lachend, und: Ganz gewiß! versicherte der Doktor. ») Dürftig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/262>, abgerufen am 16.06.2024.