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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Deutschlands wirtschaftliche Lage

Es besteht eine wahr Wut, jedwede Gelegenheit zu einer Festfeier zu erspähen.
Welche Ausgaben knüpfen sich an das alles! Diese Ausgabe" werden doch
nicht von den Reichen und Wohlhabenden allein bestritten. Sie gehen bis in
die tiefsten Schichten unsers Volks hinab.

Den Beweis aber, daß diese Ausgaben sehr wohl entbehrlich wären, führen
wir einfach mit der Thatsache, daß vor zwei Menschenaltern noch niemand
daran dachte, sie in diesem Umfange zu macheu: woher hätte man wohl das
Geld dazu nehmen sollen? Heute bezeichnet man das alles als "Bedürfnis"!
Es sind aber nur Bedürfnisse, die nur uns angewöhnt haben. Auch giebt
es noch immer Menschen genug, die an diesen Bedürfnissen nicht teilnehmen,
ohne irgend Schaden zu leiden, ja ohne vielleicht auch nur das Gefühl einer
Entbehrung zu haben. Wenn aber ein Volk solche Summen für entbehrliche
Dinge ausgiebt, so muß es ihm doch wohlgehn.

Nun wollen wir ja hoffen, daß die internationalen Verhältnisse, die uns
auf diese Stufe des Wohlstandes gebracht haben, noch lange fortbestehn. Auch
sind wir weit entfernt, behaupten zu Wollen, daß sich unser Volk nicht, so lange
es ihm gut geht, seines Wohlstandes freuen und sein Leben genießen solle.
Sind auch manche der Aufwendungen, ans die nur soeben hingewiesen haben,
von der Art, daß unser Volk besser thäte, wenn es sich statt dessen andre Güter
und Genüsse verschaffte, so wollen wir doch diesen Puukt nicht weiter ver¬
folgen. Wir knüpfen an unsre Darlegung nur die Bemerkung: man sollte
sich wenigstens bewußt bleiben, daß vou einer bei uns bestehenden Not
keine Rede sei" kann, daß vielmehr unsre ganze Lebenshaltung die natürliche"
Grundlagen, wie sie "user Land darbietet, weit überragt.

Nun weist man freilich darauf hin, daß es doch bei uns auch viele Dürftige
und Arme gebe. Mau spricht von der Arbeitsnot, bei der mitunter (und
auch gerade jetzt wieder) Tausende von Arbeitern ohne Verdienst seien. Man
redet von der Wohnungsnot, zufolge deren viele in den elendesten Räumen
ihr Haupt niederlegen. Hört man unsre Sozialdemokraten, so geht es der
Mehrzahl der Menschen, namentlich den Arbeitern, herzlich schlecht. Sie ar¬
beiten für "Hungerlöhne." Nur die Reichen und Wohlhabenden führen ein
"menschenwürdiges" Dasein. Was ist davon nun zu sagen?

Richtig ist, daß es bei uns neben der kleinen Zahl der Reichen und
Wohlhabenden und neben der großen Masse der weithin sich abstufenden
mittlern Existenzen auch viele Dürftige und Arme giebt. Der im allgemeinen
herrschende Wohlstand ist nicht gleichmäßig verteilt. Es wäre ja gewiß
besser, wenn alle in vollem Wohlstande leben könnten. So reich sind wir
aber nicht. Es ist das auch noch in keinem Lande gelungen zu erreichen.
Selbst das so viel reichere England weist dieselben Erscheinungen auf. Die
Verschiedenheit in dem Wohlstande der Einzelnen ist die unabweisliche Kehr¬
seite davon, daß wir jedem gestatten, nach Maßgabe seiner Kräfte und Fabig-


Deutschlands wirtschaftliche Lage

Es besteht eine wahr Wut, jedwede Gelegenheit zu einer Festfeier zu erspähen.
Welche Ausgaben knüpfen sich an das alles! Diese Ausgabe» werden doch
nicht von den Reichen und Wohlhabenden allein bestritten. Sie gehen bis in
die tiefsten Schichten unsers Volks hinab.

Den Beweis aber, daß diese Ausgaben sehr wohl entbehrlich wären, führen
wir einfach mit der Thatsache, daß vor zwei Menschenaltern noch niemand
daran dachte, sie in diesem Umfange zu macheu: woher hätte man wohl das
Geld dazu nehmen sollen? Heute bezeichnet man das alles als „Bedürfnis"!
Es sind aber nur Bedürfnisse, die nur uns angewöhnt haben. Auch giebt
es noch immer Menschen genug, die an diesen Bedürfnissen nicht teilnehmen,
ohne irgend Schaden zu leiden, ja ohne vielleicht auch nur das Gefühl einer
Entbehrung zu haben. Wenn aber ein Volk solche Summen für entbehrliche
Dinge ausgiebt, so muß es ihm doch wohlgehn.

Nun wollen wir ja hoffen, daß die internationalen Verhältnisse, die uns
auf diese Stufe des Wohlstandes gebracht haben, noch lange fortbestehn. Auch
sind wir weit entfernt, behaupten zu Wollen, daß sich unser Volk nicht, so lange
es ihm gut geht, seines Wohlstandes freuen und sein Leben genießen solle.
Sind auch manche der Aufwendungen, ans die nur soeben hingewiesen haben,
von der Art, daß unser Volk besser thäte, wenn es sich statt dessen andre Güter
und Genüsse verschaffte, so wollen wir doch diesen Puukt nicht weiter ver¬
folgen. Wir knüpfen an unsre Darlegung nur die Bemerkung: man sollte
sich wenigstens bewußt bleiben, daß vou einer bei uns bestehenden Not
keine Rede sei« kann, daß vielmehr unsre ganze Lebenshaltung die natürliche»
Grundlagen, wie sie »user Land darbietet, weit überragt.

Nun weist man freilich darauf hin, daß es doch bei uns auch viele Dürftige
und Arme gebe. Mau spricht von der Arbeitsnot, bei der mitunter (und
auch gerade jetzt wieder) Tausende von Arbeitern ohne Verdienst seien. Man
redet von der Wohnungsnot, zufolge deren viele in den elendesten Räumen
ihr Haupt niederlegen. Hört man unsre Sozialdemokraten, so geht es der
Mehrzahl der Menschen, namentlich den Arbeitern, herzlich schlecht. Sie ar¬
beiten für „Hungerlöhne." Nur die Reichen und Wohlhabenden führen ein
„menschenwürdiges" Dasein. Was ist davon nun zu sagen?

Richtig ist, daß es bei uns neben der kleinen Zahl der Reichen und
Wohlhabenden und neben der großen Masse der weithin sich abstufenden
mittlern Existenzen auch viele Dürftige und Arme giebt. Der im allgemeinen
herrschende Wohlstand ist nicht gleichmäßig verteilt. Es wäre ja gewiß
besser, wenn alle in vollem Wohlstande leben könnten. So reich sind wir
aber nicht. Es ist das auch noch in keinem Lande gelungen zu erreichen.
Selbst das so viel reichere England weist dieselben Erscheinungen auf. Die
Verschiedenheit in dem Wohlstande der Einzelnen ist die unabweisliche Kehr¬
seite davon, daß wir jedem gestatten, nach Maßgabe seiner Kräfte und Fabig-


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[0279] Deutschlands wirtschaftliche Lage Es besteht eine wahr Wut, jedwede Gelegenheit zu einer Festfeier zu erspähen. Welche Ausgaben knüpfen sich an das alles! Diese Ausgabe» werden doch nicht von den Reichen und Wohlhabenden allein bestritten. Sie gehen bis in die tiefsten Schichten unsers Volks hinab. Den Beweis aber, daß diese Ausgaben sehr wohl entbehrlich wären, führen wir einfach mit der Thatsache, daß vor zwei Menschenaltern noch niemand daran dachte, sie in diesem Umfange zu macheu: woher hätte man wohl das Geld dazu nehmen sollen? Heute bezeichnet man das alles als „Bedürfnis"! Es sind aber nur Bedürfnisse, die nur uns angewöhnt haben. Auch giebt es noch immer Menschen genug, die an diesen Bedürfnissen nicht teilnehmen, ohne irgend Schaden zu leiden, ja ohne vielleicht auch nur das Gefühl einer Entbehrung zu haben. Wenn aber ein Volk solche Summen für entbehrliche Dinge ausgiebt, so muß es ihm doch wohlgehn. Nun wollen wir ja hoffen, daß die internationalen Verhältnisse, die uns auf diese Stufe des Wohlstandes gebracht haben, noch lange fortbestehn. Auch sind wir weit entfernt, behaupten zu Wollen, daß sich unser Volk nicht, so lange es ihm gut geht, seines Wohlstandes freuen und sein Leben genießen solle. Sind auch manche der Aufwendungen, ans die nur soeben hingewiesen haben, von der Art, daß unser Volk besser thäte, wenn es sich statt dessen andre Güter und Genüsse verschaffte, so wollen wir doch diesen Puukt nicht weiter ver¬ folgen. Wir knüpfen an unsre Darlegung nur die Bemerkung: man sollte sich wenigstens bewußt bleiben, daß vou einer bei uns bestehenden Not keine Rede sei« kann, daß vielmehr unsre ganze Lebenshaltung die natürliche» Grundlagen, wie sie »user Land darbietet, weit überragt. Nun weist man freilich darauf hin, daß es doch bei uns auch viele Dürftige und Arme gebe. Mau spricht von der Arbeitsnot, bei der mitunter (und auch gerade jetzt wieder) Tausende von Arbeitern ohne Verdienst seien. Man redet von der Wohnungsnot, zufolge deren viele in den elendesten Räumen ihr Haupt niederlegen. Hört man unsre Sozialdemokraten, so geht es der Mehrzahl der Menschen, namentlich den Arbeitern, herzlich schlecht. Sie ar¬ beiten für „Hungerlöhne." Nur die Reichen und Wohlhabenden führen ein „menschenwürdiges" Dasein. Was ist davon nun zu sagen? Richtig ist, daß es bei uns neben der kleinen Zahl der Reichen und Wohlhabenden und neben der großen Masse der weithin sich abstufenden mittlern Existenzen auch viele Dürftige und Arme giebt. Der im allgemeinen herrschende Wohlstand ist nicht gleichmäßig verteilt. Es wäre ja gewiß besser, wenn alle in vollem Wohlstande leben könnten. So reich sind wir aber nicht. Es ist das auch noch in keinem Lande gelungen zu erreichen. Selbst das so viel reichere England weist dieselben Erscheinungen auf. Die Verschiedenheit in dem Wohlstande der Einzelnen ist die unabweisliche Kehr¬ seite davon, daß wir jedem gestatten, nach Maßgabe seiner Kräfte und Fabig-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/279>, abgerufen am 16.06.2024.