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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Bibelrevisio" und Bibelübersetzung

5, 4--10 enthält die Worte: "Denn drei'sind, die da zeugen im Himmel:
der Vater, das Wort und der heilige Geist, und diese drei sind eins." Jeder
Theologe weiß, daß diese Stelle unecht ist, und daß sie anch gegen Luthers
Willen in unsre deutsche Bibel gekommen ist. Die Stelle ist aber nicht un¬
wichtig, keine Stelle im Neuen Testament enthält so klar das Dogma von
der Dreieinigkeit. Wird nicht der Laie, um dessen Seelenfrieden man besorgt
ist, erst recht irre werden, wenn er zufällig von einem Wissenden belehrt wird,
daß hier eine Fälschung vorliegt? Und wird sein Vertrauen zu einer Kirche,
die ihm das geflissentlich verschwiegen hat, nicht erschüttert werden? Mit
Recht ist diese Stelle in der revidirten Ausgabe aus dem Text entfernt worden.

Die berühmte Stelle Hiob 19, 25--26 lautet bei Luther: "Aber ich
weiß, daß mein Erlöser lebet, und er wird mich hernach aus der Erde auf¬
erwecken. Und werde darnach mit dieser meiner Haut umgeben werden, und
werde in meinem Fleisch Gott sehen." Was muß der Laie deuten, wenn er
diese Worte hört oder liest? Muß er nicht meinen, daß hier eine "Auferstehung
des Fleisches" im eigentlichsten Sinne verkündet werde? Wird er nicht in dieser
Ansicht durch fromme Kirchenlieder, in denen diese Worte widerklingen, be¬
stärkt werden, besonders, da auch im dritten Artikel des Glaubensbekenntnisses
von einer Auferstehung des Fleisches die Rede ist? Und doch konnte ihm diese
Verwirrung erspart bleiben. Die Bibel lehrt keine Auferstehung des Fleisches,
souderu eine Auferstehung in einem neuen Leibe (1. Kor. 15)), die Stelle im
dritten Artikel müßte nach Luthers Ansicht eigentlich Auferstehung des Leibes
heißen, und die Stelle im Buche Hiob, die mau um der Laien willen un¬
verändert lasten möchte, sagt im Grundtext genau das Gegenteil von Luthers
Übersetzung. Sie lautet jetzt: "Aber ich weiß, daß mein Erlöser lebet; und als
der letzte wird er über dem Staube sich erheben. Und nachdem diese meine
Haut zerschlage" ist, werde ich ohne mein Fleisch Gott sehen." Wohl bricht
sich auch hier die Hoffnung auf ein jenseitiges Leben Bahn, aber dieses Leben
wird nicht als ein Leben im Fleisch, souderu als ein Leben außerhalb des
Fleisches gedacht. Nicht die Verwirrung also ist zu fürchten, die aus der
Verbesserung der Lutherbibel hervorgehen könnte, sondern die Verwirrung, die
schon lange in der Kirche besteht und immer größere Fortschritte machen wird,
solange man die Gemeinden künstlich auf dem Standpunkte des sechzehnten
und siebzehnten Jahrhunderters zu erhalten und von den sichern und allge¬
mein anerkannten Ergebnissen der Wissenschaft auszuschließen sucht. Die Wahr¬
heit über alles! ist die Losung der evangelischen Kirche. Ob es praktisch ist,
sie mitzuteilen, wird sich finden. Die Kirche hat die Wahrheit zu verkünden
und den Erfolg Gott zu überlasten.

Verwerfen die einen die Revision, weil überhaupt "korrigirt" worden ist,
so die andern, weil zu wenig geändert worden ist. Manche verlangen nicht
eine Verbesserung der alten Lutherbibel, sondern eine ganz neue Übersetzung.


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Bibelrevisio» und Bibelübersetzung

5, 4—10 enthält die Worte: „Denn drei'sind, die da zeugen im Himmel:
der Vater, das Wort und der heilige Geist, und diese drei sind eins." Jeder
Theologe weiß, daß diese Stelle unecht ist, und daß sie anch gegen Luthers
Willen in unsre deutsche Bibel gekommen ist. Die Stelle ist aber nicht un¬
wichtig, keine Stelle im Neuen Testament enthält so klar das Dogma von
der Dreieinigkeit. Wird nicht der Laie, um dessen Seelenfrieden man besorgt
ist, erst recht irre werden, wenn er zufällig von einem Wissenden belehrt wird,
daß hier eine Fälschung vorliegt? Und wird sein Vertrauen zu einer Kirche,
die ihm das geflissentlich verschwiegen hat, nicht erschüttert werden? Mit
Recht ist diese Stelle in der revidirten Ausgabe aus dem Text entfernt worden.

Die berühmte Stelle Hiob 19, 25—26 lautet bei Luther: „Aber ich
weiß, daß mein Erlöser lebet, und er wird mich hernach aus der Erde auf¬
erwecken. Und werde darnach mit dieser meiner Haut umgeben werden, und
werde in meinem Fleisch Gott sehen." Was muß der Laie deuten, wenn er
diese Worte hört oder liest? Muß er nicht meinen, daß hier eine „Auferstehung
des Fleisches" im eigentlichsten Sinne verkündet werde? Wird er nicht in dieser
Ansicht durch fromme Kirchenlieder, in denen diese Worte widerklingen, be¬
stärkt werden, besonders, da auch im dritten Artikel des Glaubensbekenntnisses
von einer Auferstehung des Fleisches die Rede ist? Und doch konnte ihm diese
Verwirrung erspart bleiben. Die Bibel lehrt keine Auferstehung des Fleisches,
souderu eine Auferstehung in einem neuen Leibe (1. Kor. 15)), die Stelle im
dritten Artikel müßte nach Luthers Ansicht eigentlich Auferstehung des Leibes
heißen, und die Stelle im Buche Hiob, die mau um der Laien willen un¬
verändert lasten möchte, sagt im Grundtext genau das Gegenteil von Luthers
Übersetzung. Sie lautet jetzt: „Aber ich weiß, daß mein Erlöser lebet; und als
der letzte wird er über dem Staube sich erheben. Und nachdem diese meine
Haut zerschlage» ist, werde ich ohne mein Fleisch Gott sehen." Wohl bricht
sich auch hier die Hoffnung auf ein jenseitiges Leben Bahn, aber dieses Leben
wird nicht als ein Leben im Fleisch, souderu als ein Leben außerhalb des
Fleisches gedacht. Nicht die Verwirrung also ist zu fürchten, die aus der
Verbesserung der Lutherbibel hervorgehen könnte, sondern die Verwirrung, die
schon lange in der Kirche besteht und immer größere Fortschritte machen wird,
solange man die Gemeinden künstlich auf dem Standpunkte des sechzehnten
und siebzehnten Jahrhunderters zu erhalten und von den sichern und allge¬
mein anerkannten Ergebnissen der Wissenschaft auszuschließen sucht. Die Wahr¬
heit über alles! ist die Losung der evangelischen Kirche. Ob es praktisch ist,
sie mitzuteilen, wird sich finden. Die Kirche hat die Wahrheit zu verkünden
und den Erfolg Gott zu überlasten.

Verwerfen die einen die Revision, weil überhaupt „korrigirt" worden ist,
so die andern, weil zu wenig geändert worden ist. Manche verlangen nicht
eine Verbesserung der alten Lutherbibel, sondern eine ganz neue Übersetzung.


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[0291] Bibelrevisio» und Bibelübersetzung 5, 4—10 enthält die Worte: „Denn drei'sind, die da zeugen im Himmel: der Vater, das Wort und der heilige Geist, und diese drei sind eins." Jeder Theologe weiß, daß diese Stelle unecht ist, und daß sie anch gegen Luthers Willen in unsre deutsche Bibel gekommen ist. Die Stelle ist aber nicht un¬ wichtig, keine Stelle im Neuen Testament enthält so klar das Dogma von der Dreieinigkeit. Wird nicht der Laie, um dessen Seelenfrieden man besorgt ist, erst recht irre werden, wenn er zufällig von einem Wissenden belehrt wird, daß hier eine Fälschung vorliegt? Und wird sein Vertrauen zu einer Kirche, die ihm das geflissentlich verschwiegen hat, nicht erschüttert werden? Mit Recht ist diese Stelle in der revidirten Ausgabe aus dem Text entfernt worden. Die berühmte Stelle Hiob 19, 25—26 lautet bei Luther: „Aber ich weiß, daß mein Erlöser lebet, und er wird mich hernach aus der Erde auf¬ erwecken. Und werde darnach mit dieser meiner Haut umgeben werden, und werde in meinem Fleisch Gott sehen." Was muß der Laie deuten, wenn er diese Worte hört oder liest? Muß er nicht meinen, daß hier eine „Auferstehung des Fleisches" im eigentlichsten Sinne verkündet werde? Wird er nicht in dieser Ansicht durch fromme Kirchenlieder, in denen diese Worte widerklingen, be¬ stärkt werden, besonders, da auch im dritten Artikel des Glaubensbekenntnisses von einer Auferstehung des Fleisches die Rede ist? Und doch konnte ihm diese Verwirrung erspart bleiben. Die Bibel lehrt keine Auferstehung des Fleisches, souderu eine Auferstehung in einem neuen Leibe (1. Kor. 15)), die Stelle im dritten Artikel müßte nach Luthers Ansicht eigentlich Auferstehung des Leibes heißen, und die Stelle im Buche Hiob, die mau um der Laien willen un¬ verändert lasten möchte, sagt im Grundtext genau das Gegenteil von Luthers Übersetzung. Sie lautet jetzt: „Aber ich weiß, daß mein Erlöser lebet; und als der letzte wird er über dem Staube sich erheben. Und nachdem diese meine Haut zerschlage» ist, werde ich ohne mein Fleisch Gott sehen." Wohl bricht sich auch hier die Hoffnung auf ein jenseitiges Leben Bahn, aber dieses Leben wird nicht als ein Leben im Fleisch, souderu als ein Leben außerhalb des Fleisches gedacht. Nicht die Verwirrung also ist zu fürchten, die aus der Verbesserung der Lutherbibel hervorgehen könnte, sondern die Verwirrung, die schon lange in der Kirche besteht und immer größere Fortschritte machen wird, solange man die Gemeinden künstlich auf dem Standpunkte des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderters zu erhalten und von den sichern und allge¬ mein anerkannten Ergebnissen der Wissenschaft auszuschließen sucht. Die Wahr¬ heit über alles! ist die Losung der evangelischen Kirche. Ob es praktisch ist, sie mitzuteilen, wird sich finden. Die Kirche hat die Wahrheit zu verkünden und den Erfolg Gott zu überlasten. Verwerfen die einen die Revision, weil überhaupt „korrigirt" worden ist, so die andern, weil zu wenig geändert worden ist. Manche verlangen nicht eine Verbesserung der alten Lutherbibel, sondern eine ganz neue Übersetzung. Äwuzbmen 1 3<!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/291>, abgerufen am 16.06.2024.