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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Bibelrevision und Bibelübersetzung

"Es ist, schrieb de Lagarde in, Jahre 1885, ein starkes Stück, 1857 bis 1883
Luthers Bibel für verbessernngssähig zu halten. Sie ist, von unserm Stand¬
punkte ans gesehen, vollständig unbrauchbar, und wenn sie vollständig un¬
brauchbar ist, kann es niemandem gelingen, sie in einzelnen Versen zu ver¬
bessern." In Bremen und Karlsruhe wurde 1884 in Versammlungen von
Geistlichen die Probebibel einer scharfen Kritik unterzogen und die Revision
für ungenügend befunden. Pastor I). Schwalb in Bremen erklärte aber nicht
bloß die Revision für ungenügend, sondern die Bibel selbst wegen der vielen
anstößigen Stellen für ungeeignet zum Gebrauch in Schule und Haus. Er
forderte eine von allen Steinen des Anstoßes vollkommen freie Halts- und
Schulbibel.

In diesem Punkte hätte nun mich von der Revision mehr gethan werden
können, Schule und Halts wären ihr sicher dankbar gewesen, wenn sie die
Bibel von anstößigen Ausdrücken, soweit es der Sinn zuließ, befreit hätte.
Einiges ist ja geändert worden. So findet sich z. B. in der neuen Bibel das
sonst häufig vorkommende Wort Sekel nicht mehr, weil es in Württemberg
eine anstößige Nebenbedeutung haben soll. Diese Rücksicht scheint sogar über¬
trieben zu sein; es giebt viele unschuldige Wörter, in denen ein unreiner
Sinn Anklänge an vbseöue Begriffe finden kann. Dagegen hat man an sehr
vielen Stellen ein Wort, das in anständiger Gesellschaft niemand über die
Lippen bringt, ganz ohne Not unverändert gelassen. Die Bibel stellt häusig
den Abfall von Jehovn uuter dem Bilde des Ehebruchs dar. Luther ge¬
braucht dabei einen sehr groben Ausdruck in der Übersetzung, der nicht einmal
als eine treffende Verdeutschung zu bezeichnen ist. "Wider Gott düren" ist
nicht nur ein häßlicher, sondern auch ein uudeutscher Ausdruck. Das hätte sich
doch leicht ändern lassen. Manche schone Bibelstelle, wie z.B. der herrliche
Ps. 73, wird dadurch entstellt.

Wenn dies aber auch zu bedauern ist, so geht doch die Forderung des
erwähnten Kritikers zu weit. Eine von allen Steinen des Anstoßes voll¬
kommen freie Haus- und Schulbibel zu schaffen, war nicht die Aufgabe der
Revision. Ob eine besondre Schulbibel wünschenswert sei oder nicht, ist eine
Frage für sich. Hier handelt es sich um die Bibel selbst, nicht um einen
Auszug aus der Bibel. Wenn man aber nicht bloß die Übersetzung, sondern
die Bibel selbst verbessern will, so liegt die Befürchtung nahe, daß man schlie߬
lich ein von der Bibel ganz verschiednes Buch herstellen werde. Man nimmt
an Stellen Anstoß, die dem sittlichen Geschmack widersprechen, warum uicht
auch an solchen, die dein religiösen Geschmack, dem modernen Zeitbewußtsein
widersprechen? Die Wundergeschichten der Bibel widersprechen den Natur¬
gesetzen -- dürfen sie in einem Schulbuche stehn bleibe"? Der strenge, eifer¬
süchtige Gott des alten Bundes, der die Heiden haßt und ausrotten läßt,
widerspricht ilnsrer Vorstellung von Gott, die alttestamentlichen Frommen ent-


Bibelrevision und Bibelübersetzung

„Es ist, schrieb de Lagarde in, Jahre 1885, ein starkes Stück, 1857 bis 1883
Luthers Bibel für verbessernngssähig zu halten. Sie ist, von unserm Stand¬
punkte ans gesehen, vollständig unbrauchbar, und wenn sie vollständig un¬
brauchbar ist, kann es niemandem gelingen, sie in einzelnen Versen zu ver¬
bessern." In Bremen und Karlsruhe wurde 1884 in Versammlungen von
Geistlichen die Probebibel einer scharfen Kritik unterzogen und die Revision
für ungenügend befunden. Pastor I). Schwalb in Bremen erklärte aber nicht
bloß die Revision für ungenügend, sondern die Bibel selbst wegen der vielen
anstößigen Stellen für ungeeignet zum Gebrauch in Schule und Haus. Er
forderte eine von allen Steinen des Anstoßes vollkommen freie Halts- und
Schulbibel.

In diesem Punkte hätte nun mich von der Revision mehr gethan werden
können, Schule und Halts wären ihr sicher dankbar gewesen, wenn sie die
Bibel von anstößigen Ausdrücken, soweit es der Sinn zuließ, befreit hätte.
Einiges ist ja geändert worden. So findet sich z. B. in der neuen Bibel das
sonst häufig vorkommende Wort Sekel nicht mehr, weil es in Württemberg
eine anstößige Nebenbedeutung haben soll. Diese Rücksicht scheint sogar über¬
trieben zu sein; es giebt viele unschuldige Wörter, in denen ein unreiner
Sinn Anklänge an vbseöue Begriffe finden kann. Dagegen hat man an sehr
vielen Stellen ein Wort, das in anständiger Gesellschaft niemand über die
Lippen bringt, ganz ohne Not unverändert gelassen. Die Bibel stellt häusig
den Abfall von Jehovn uuter dem Bilde des Ehebruchs dar. Luther ge¬
braucht dabei einen sehr groben Ausdruck in der Übersetzung, der nicht einmal
als eine treffende Verdeutschung zu bezeichnen ist. „Wider Gott düren" ist
nicht nur ein häßlicher, sondern auch ein uudeutscher Ausdruck. Das hätte sich
doch leicht ändern lassen. Manche schone Bibelstelle, wie z.B. der herrliche
Ps. 73, wird dadurch entstellt.

Wenn dies aber auch zu bedauern ist, so geht doch die Forderung des
erwähnten Kritikers zu weit. Eine von allen Steinen des Anstoßes voll¬
kommen freie Haus- und Schulbibel zu schaffen, war nicht die Aufgabe der
Revision. Ob eine besondre Schulbibel wünschenswert sei oder nicht, ist eine
Frage für sich. Hier handelt es sich um die Bibel selbst, nicht um einen
Auszug aus der Bibel. Wenn man aber nicht bloß die Übersetzung, sondern
die Bibel selbst verbessern will, so liegt die Befürchtung nahe, daß man schlie߬
lich ein von der Bibel ganz verschiednes Buch herstellen werde. Man nimmt
an Stellen Anstoß, die dem sittlichen Geschmack widersprechen, warum uicht
auch an solchen, die dein religiösen Geschmack, dem modernen Zeitbewußtsein
widersprechen? Die Wundergeschichten der Bibel widersprechen den Natur¬
gesetzen — dürfen sie in einem Schulbuche stehn bleibe»? Der strenge, eifer¬
süchtige Gott des alten Bundes, der die Heiden haßt und ausrotten läßt,
widerspricht ilnsrer Vorstellung von Gott, die alttestamentlichen Frommen ent-


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[0292] Bibelrevision und Bibelübersetzung „Es ist, schrieb de Lagarde in, Jahre 1885, ein starkes Stück, 1857 bis 1883 Luthers Bibel für verbessernngssähig zu halten. Sie ist, von unserm Stand¬ punkte ans gesehen, vollständig unbrauchbar, und wenn sie vollständig un¬ brauchbar ist, kann es niemandem gelingen, sie in einzelnen Versen zu ver¬ bessern." In Bremen und Karlsruhe wurde 1884 in Versammlungen von Geistlichen die Probebibel einer scharfen Kritik unterzogen und die Revision für ungenügend befunden. Pastor I). Schwalb in Bremen erklärte aber nicht bloß die Revision für ungenügend, sondern die Bibel selbst wegen der vielen anstößigen Stellen für ungeeignet zum Gebrauch in Schule und Haus. Er forderte eine von allen Steinen des Anstoßes vollkommen freie Halts- und Schulbibel. In diesem Punkte hätte nun mich von der Revision mehr gethan werden können, Schule und Halts wären ihr sicher dankbar gewesen, wenn sie die Bibel von anstößigen Ausdrücken, soweit es der Sinn zuließ, befreit hätte. Einiges ist ja geändert worden. So findet sich z. B. in der neuen Bibel das sonst häufig vorkommende Wort Sekel nicht mehr, weil es in Württemberg eine anstößige Nebenbedeutung haben soll. Diese Rücksicht scheint sogar über¬ trieben zu sein; es giebt viele unschuldige Wörter, in denen ein unreiner Sinn Anklänge an vbseöue Begriffe finden kann. Dagegen hat man an sehr vielen Stellen ein Wort, das in anständiger Gesellschaft niemand über die Lippen bringt, ganz ohne Not unverändert gelassen. Die Bibel stellt häusig den Abfall von Jehovn uuter dem Bilde des Ehebruchs dar. Luther ge¬ braucht dabei einen sehr groben Ausdruck in der Übersetzung, der nicht einmal als eine treffende Verdeutschung zu bezeichnen ist. „Wider Gott düren" ist nicht nur ein häßlicher, sondern auch ein uudeutscher Ausdruck. Das hätte sich doch leicht ändern lassen. Manche schone Bibelstelle, wie z.B. der herrliche Ps. 73, wird dadurch entstellt. Wenn dies aber auch zu bedauern ist, so geht doch die Forderung des erwähnten Kritikers zu weit. Eine von allen Steinen des Anstoßes voll¬ kommen freie Haus- und Schulbibel zu schaffen, war nicht die Aufgabe der Revision. Ob eine besondre Schulbibel wünschenswert sei oder nicht, ist eine Frage für sich. Hier handelt es sich um die Bibel selbst, nicht um einen Auszug aus der Bibel. Wenn man aber nicht bloß die Übersetzung, sondern die Bibel selbst verbessern will, so liegt die Befürchtung nahe, daß man schlie߬ lich ein von der Bibel ganz verschiednes Buch herstellen werde. Man nimmt an Stellen Anstoß, die dem sittlichen Geschmack widersprechen, warum uicht auch an solchen, die dein religiösen Geschmack, dem modernen Zeitbewußtsein widersprechen? Die Wundergeschichten der Bibel widersprechen den Natur¬ gesetzen — dürfen sie in einem Schulbuche stehn bleibe»? Der strenge, eifer¬ süchtige Gott des alten Bundes, der die Heiden haßt und ausrotten läßt, widerspricht ilnsrer Vorstellung von Gott, die alttestamentlichen Frommen ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/292>, abgerufen am 16.06.2024.