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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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testirt hat, ist ein Vorwurf zu macheu, wenn das vorliegende Werk nicht be¬
friedigt, die Schuld trägt die Halbheit der Grundsätze und die Geschäfts¬
ordnung.

Von mehr äußerlichen Veränderungen sind zu erwähnen: die Verbesse-
rung der Kapitelüberschriften und Parallelstellen, die Hervorhebung der ein¬
zelnen zusammenhängenden Abschnitte durch den Druck, die Durchführung der
neuen Orthographie und Interpunktion und das neue Register für Sach- und
Worterklärungen.

Auf eine kritische Behandlung des Grundiertes hat sich die Revision
grundsätzlich uicht eingelassen. Nur bei einzelnen Stellen hat man um der
Wahrheit willen geändert. Das ist besonders beim Neue" Testament ein be¬
dauerlicher Mangel. Im wesentlichen haben Nur dn noch immer trotz aller
Forschnngsergelmisse eines Semler, Lachmann, Grießbach und Tischendorf
den alten sehr fehlerhaften Text des Erasmus. 1863 schrieb Franz Delitzsch
einen Aufsatz, worin er die Verbesserung der Lutherbibel, besonders mit Rück¬
sicht auf den schlechten Text des Erasmus, fordert. Darin heißt es: "Soll
das auch Offenb. 1, 9 stehen bleiben, obwohl der wiederaufgefnndne Kodex
des Erasmus zeigt, daß es ans dem mißverstandnen x eines mit der Schere
durchschuittneu entstanden ist, welches besagt, daß hier nach einem
Stück Kommentar des Andreas wieder Schrifttext beginnt? Soll 21,24 anch
fernerhin gelesen werden: "und die Heiden, die da selig werden," obwohl diese
Worte nicht Johannes dem Evangelisten, sondern seinem Ausleger Andreas
dem Kappadoeier angehören?" Trotz solcher sehr berechtigten Fragen eines
hervorragenden Mitglieds der Kommission ist in diesen und in vielen andern
Stellen, wo der Erasmische Text anerkanntermaßen verdorben ist, nichts ge¬
ändert worden. Wir lesen auch in der revidirten Bibel noch Offenb. 16,,7 von
"einem anderen Engel," der, wie Delitzsch sagt, dem Kopfe des Erasmus ent¬
sprungen ist. Einzelne Stellen hat man ja berichtigt. Wie wir schon sahen,
ist die unechte Stelle I.Joh. 5,7 aus dem Texte beseitigt worden. In der
sehr bekannte" Stelle Apvstelg. 4, 12 hat man den richtigen Text dnrch Ein-
schiebung der Worte: "unter dem Himmel" wiederhergestellt. Aber 1. Timvth.
3, 16 heißt es noch immer: "Gott ist offenbaret im Fleisch," obgleich es längst
feststeht, daß das ursprüngliche zu />i"g' gefälscht ist, was bei der üblichen
Abkürzung Ac"" durch den Querstrich im 0 zu erreichen war. Der
Schluß des Vaterunsers ist geblieben, obgleich jeder Theologe weiß, daß es
ein späterer Zusatz ist. Unwillkürlich fragt man sich, warum die Kommission,
wenn sie in einzelnen und zwar auch bekannten Stellen den Text um der
Wahrheit willen berichtigte, in andern ebenso sicher unechten Stellen nichts
geändert hat.

Falsch übersetzte Stellen sind dagegen in großer Anzahl geändert worden.
Ganze Bücher, wie besonders das schwierige, aber hochpoetische und gebauten-


testirt hat, ist ein Vorwurf zu macheu, wenn das vorliegende Werk nicht be¬
friedigt, die Schuld trägt die Halbheit der Grundsätze und die Geschäfts¬
ordnung.

Von mehr äußerlichen Veränderungen sind zu erwähnen: die Verbesse-
rung der Kapitelüberschriften und Parallelstellen, die Hervorhebung der ein¬
zelnen zusammenhängenden Abschnitte durch den Druck, die Durchführung der
neuen Orthographie und Interpunktion und das neue Register für Sach- und
Worterklärungen.

Auf eine kritische Behandlung des Grundiertes hat sich die Revision
grundsätzlich uicht eingelassen. Nur bei einzelnen Stellen hat man um der
Wahrheit willen geändert. Das ist besonders beim Neue» Testament ein be¬
dauerlicher Mangel. Im wesentlichen haben Nur dn noch immer trotz aller
Forschnngsergelmisse eines Semler, Lachmann, Grießbach und Tischendorf
den alten sehr fehlerhaften Text des Erasmus. 1863 schrieb Franz Delitzsch
einen Aufsatz, worin er die Verbesserung der Lutherbibel, besonders mit Rück¬
sicht auf den schlechten Text des Erasmus, fordert. Darin heißt es: „Soll
das auch Offenb. 1, 9 stehen bleiben, obwohl der wiederaufgefnndne Kodex
des Erasmus zeigt, daß es ans dem mißverstandnen x eines mit der Schere
durchschuittneu entstanden ist, welches besagt, daß hier nach einem
Stück Kommentar des Andreas wieder Schrifttext beginnt? Soll 21,24 anch
fernerhin gelesen werden: »und die Heiden, die da selig werden,« obwohl diese
Worte nicht Johannes dem Evangelisten, sondern seinem Ausleger Andreas
dem Kappadoeier angehören?" Trotz solcher sehr berechtigten Fragen eines
hervorragenden Mitglieds der Kommission ist in diesen und in vielen andern
Stellen, wo der Erasmische Text anerkanntermaßen verdorben ist, nichts ge¬
ändert worden. Wir lesen auch in der revidirten Bibel noch Offenb. 16,,7 von
„einem anderen Engel," der, wie Delitzsch sagt, dem Kopfe des Erasmus ent¬
sprungen ist. Einzelne Stellen hat man ja berichtigt. Wie wir schon sahen,
ist die unechte Stelle I.Joh. 5,7 aus dem Texte beseitigt worden. In der
sehr bekannte» Stelle Apvstelg. 4, 12 hat man den richtigen Text dnrch Ein-
schiebung der Worte: „unter dem Himmel" wiederhergestellt. Aber 1. Timvth.
3, 16 heißt es noch immer: „Gott ist offenbaret im Fleisch," obgleich es längst
feststeht, daß das ursprüngliche zu />i»g' gefälscht ist, was bei der üblichen
Abkürzung Ac»« durch den Querstrich im 0 zu erreichen war. Der
Schluß des Vaterunsers ist geblieben, obgleich jeder Theologe weiß, daß es
ein späterer Zusatz ist. Unwillkürlich fragt man sich, warum die Kommission,
wenn sie in einzelnen und zwar auch bekannten Stellen den Text um der
Wahrheit willen berichtigte, in andern ebenso sicher unechten Stellen nichts
geändert hat.

Falsch übersetzte Stellen sind dagegen in großer Anzahl geändert worden.
Ganze Bücher, wie besonders das schwierige, aber hochpoetische und gebauten-


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[0294] testirt hat, ist ein Vorwurf zu macheu, wenn das vorliegende Werk nicht be¬ friedigt, die Schuld trägt die Halbheit der Grundsätze und die Geschäfts¬ ordnung. Von mehr äußerlichen Veränderungen sind zu erwähnen: die Verbesse- rung der Kapitelüberschriften und Parallelstellen, die Hervorhebung der ein¬ zelnen zusammenhängenden Abschnitte durch den Druck, die Durchführung der neuen Orthographie und Interpunktion und das neue Register für Sach- und Worterklärungen. Auf eine kritische Behandlung des Grundiertes hat sich die Revision grundsätzlich uicht eingelassen. Nur bei einzelnen Stellen hat man um der Wahrheit willen geändert. Das ist besonders beim Neue» Testament ein be¬ dauerlicher Mangel. Im wesentlichen haben Nur dn noch immer trotz aller Forschnngsergelmisse eines Semler, Lachmann, Grießbach und Tischendorf den alten sehr fehlerhaften Text des Erasmus. 1863 schrieb Franz Delitzsch einen Aufsatz, worin er die Verbesserung der Lutherbibel, besonders mit Rück¬ sicht auf den schlechten Text des Erasmus, fordert. Darin heißt es: „Soll das auch Offenb. 1, 9 stehen bleiben, obwohl der wiederaufgefnndne Kodex des Erasmus zeigt, daß es ans dem mißverstandnen x eines mit der Schere durchschuittneu entstanden ist, welches besagt, daß hier nach einem Stück Kommentar des Andreas wieder Schrifttext beginnt? Soll 21,24 anch fernerhin gelesen werden: »und die Heiden, die da selig werden,« obwohl diese Worte nicht Johannes dem Evangelisten, sondern seinem Ausleger Andreas dem Kappadoeier angehören?" Trotz solcher sehr berechtigten Fragen eines hervorragenden Mitglieds der Kommission ist in diesen und in vielen andern Stellen, wo der Erasmische Text anerkanntermaßen verdorben ist, nichts ge¬ ändert worden. Wir lesen auch in der revidirten Bibel noch Offenb. 16,,7 von „einem anderen Engel," der, wie Delitzsch sagt, dem Kopfe des Erasmus ent¬ sprungen ist. Einzelne Stellen hat man ja berichtigt. Wie wir schon sahen, ist die unechte Stelle I.Joh. 5,7 aus dem Texte beseitigt worden. In der sehr bekannte» Stelle Apvstelg. 4, 12 hat man den richtigen Text dnrch Ein- schiebung der Worte: „unter dem Himmel" wiederhergestellt. Aber 1. Timvth. 3, 16 heißt es noch immer: „Gott ist offenbaret im Fleisch," obgleich es längst feststeht, daß das ursprüngliche zu />i»g' gefälscht ist, was bei der üblichen Abkürzung Ac»« durch den Querstrich im 0 zu erreichen war. Der Schluß des Vaterunsers ist geblieben, obgleich jeder Theologe weiß, daß es ein späterer Zusatz ist. Unwillkürlich fragt man sich, warum die Kommission, wenn sie in einzelnen und zwar auch bekannten Stellen den Text um der Wahrheit willen berichtigte, in andern ebenso sicher unechten Stellen nichts geändert hat. Falsch übersetzte Stellen sind dagegen in großer Anzahl geändert worden. Ganze Bücher, wie besonders das schwierige, aber hochpoetische und gebauten-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/294>, abgerufen am 16.06.2024.