Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

reiche Buch Hiob, sind durch die Revision erst verständlich geworden. Es
wäre ungerecht, diese mühevolle und gediegne Arbeit als Flickwerk zu verur¬
teilen. Die Korrekturen schließen sich in Ton und Sprache so der Lutherschen
Übersetzung an, daß schwerlich jemand ohne weitres unterscheiden kann, wo
Luther selbst redet, und wo der Text berichtigt ist. Wie nötig oft für das
Verständnis die Berichtigung gewesen ist, zeigt z. B. Ps. 8. Luthers Über¬
setzung lautet:

Von Christi Reich, Leiden und Herrlichkeit.

1. Ein Psalm Davids, Vorzusingen auf der Gillies.

2. Herr unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen, da
man dir danket im Himmel!

3. Aus dein Munde der jungen Kinder und Säuglinge hast du eine Macht
zugerichtet, um deiner Feinde willen, daß du vertilgest den Feind und den Rach¬
gierigen.

4. Denn ich werde sehen die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und
die Sterne, die du bereitest.

5. Was ist der Mensch, daß du seiner gedenkest, und des Menschen Kind,
daß du dich seiner annimmst?

ti. Dn wirst ihn lassen eine kleine Zeit von Gott verlassen sein. Aber mit
Ehre und Schmuck wirst du ihn krönen.

7. Du wirst ihn zum Herr" machen über deiner Hände Werk; Alles hast
du unter seine Fuße gethan.

8. Schafe und Ochsen allzumal, dazu auch die wilden Tiere,

9. die Vögel unter dem Himmel, und die Fische im Meer, und was im
Meer gehet.

Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen.
In der neuen Ausgabe lautet die Überschrift des Psalms: "Gottes Große
in der Schöpfung. Des Menschensohnes Niedrigkeit und Hoheit." Und die
Verse 4--7:

4. Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne,
die du bereitet hast:

5. Was ist der Mensch, daß dn sein gedenkest, und des Menschen Kind, daß
du dich sein annimmst?

6. Du hast ihn wenig niedriger gemacht, denn Gott, und mit Ehre und
Schmuck hast du ihn gekrönet.

7. Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk; alles hast du
unter seine Füße gethan.

Durch die Berichtigung wird das herrliche Lied erst verständlich, und der
schöne Grundgedanke tritt nun deutlich hervor: Der Mensch ein Nichts im
Vergleich zu der unendlichen Schöpfung, und doch fast ein Gott durch die
Macht, die ihm über die Natur verliehen ist. Die Beziehung ans den Messias,
die Hehr. 2, 6--9 hervorgehoben wird, ist auch bei der richtigen Übersetzung
nicht ausgeschlossen.

Als die Frage der Bibelrevision zuerst zur Sprache kam, übergab Friedrich
Wilhelm der Werte dem Oberkvnsistorialrat Nitzsch den Brief eines Gutsbesitzers,


reiche Buch Hiob, sind durch die Revision erst verständlich geworden. Es
wäre ungerecht, diese mühevolle und gediegne Arbeit als Flickwerk zu verur¬
teilen. Die Korrekturen schließen sich in Ton und Sprache so der Lutherschen
Übersetzung an, daß schwerlich jemand ohne weitres unterscheiden kann, wo
Luther selbst redet, und wo der Text berichtigt ist. Wie nötig oft für das
Verständnis die Berichtigung gewesen ist, zeigt z. B. Ps. 8. Luthers Über¬
setzung lautet:

Von Christi Reich, Leiden und Herrlichkeit.

1. Ein Psalm Davids, Vorzusingen auf der Gillies.

2. Herr unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen, da
man dir danket im Himmel!

3. Aus dein Munde der jungen Kinder und Säuglinge hast du eine Macht
zugerichtet, um deiner Feinde willen, daß du vertilgest den Feind und den Rach¬
gierigen.

4. Denn ich werde sehen die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und
die Sterne, die du bereitest.

5. Was ist der Mensch, daß du seiner gedenkest, und des Menschen Kind,
daß du dich seiner annimmst?

ti. Dn wirst ihn lassen eine kleine Zeit von Gott verlassen sein. Aber mit
Ehre und Schmuck wirst du ihn krönen.

7. Du wirst ihn zum Herr» machen über deiner Hände Werk; Alles hast
du unter seine Fuße gethan.

8. Schafe und Ochsen allzumal, dazu auch die wilden Tiere,

9. die Vögel unter dem Himmel, und die Fische im Meer, und was im
Meer gehet.

Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen.
In der neuen Ausgabe lautet die Überschrift des Psalms: „Gottes Große
in der Schöpfung. Des Menschensohnes Niedrigkeit und Hoheit." Und die
Verse 4—7:

4. Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne,
die du bereitet hast:

5. Was ist der Mensch, daß dn sein gedenkest, und des Menschen Kind, daß
du dich sein annimmst?

6. Du hast ihn wenig niedriger gemacht, denn Gott, und mit Ehre und
Schmuck hast du ihn gekrönet.

7. Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk; alles hast du
unter seine Füße gethan.

Durch die Berichtigung wird das herrliche Lied erst verständlich, und der
schöne Grundgedanke tritt nun deutlich hervor: Der Mensch ein Nichts im
Vergleich zu der unendlichen Schöpfung, und doch fast ein Gott durch die
Macht, die ihm über die Natur verliehen ist. Die Beziehung ans den Messias,
die Hehr. 2, 6—9 hervorgehoben wird, ist auch bei der richtigen Übersetzung
nicht ausgeschlossen.

Als die Frage der Bibelrevision zuerst zur Sprache kam, übergab Friedrich
Wilhelm der Werte dem Oberkvnsistorialrat Nitzsch den Brief eines Gutsbesitzers,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0295" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214087"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1008" prev="#ID_1007"> reiche Buch Hiob, sind durch die Revision erst verständlich geworden. Es<lb/>
wäre ungerecht, diese mühevolle und gediegne Arbeit als Flickwerk zu verur¬<lb/>
teilen. Die Korrekturen schließen sich in Ton und Sprache so der Lutherschen<lb/>
Übersetzung an, daß schwerlich jemand ohne weitres unterscheiden kann, wo<lb/>
Luther selbst redet, und wo der Text berichtigt ist. Wie nötig oft für das<lb/>
Verständnis die Berichtigung gewesen ist, zeigt z. B. Ps. 8. Luthers Über¬<lb/>
setzung lautet:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1009"> Von Christi Reich, Leiden und Herrlichkeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1010"> 1. Ein Psalm Davids, Vorzusingen auf der Gillies.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1011"> 2. Herr unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen, da<lb/>
man dir danket im Himmel!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1012"> 3. Aus dein Munde der jungen Kinder und Säuglinge hast du eine Macht<lb/>
zugerichtet, um deiner Feinde willen, daß du vertilgest den Feind und den Rach¬<lb/>
gierigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1013"> 4. Denn ich werde sehen die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und<lb/>
die Sterne, die du bereitest.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1014"> 5. Was ist der Mensch, daß du seiner gedenkest, und des Menschen Kind,<lb/>
daß du dich seiner annimmst?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1015"> ti. Dn wirst ihn lassen eine kleine Zeit von Gott verlassen sein. Aber mit<lb/>
Ehre und Schmuck wirst du ihn krönen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1016"> 7. Du wirst ihn zum Herr» machen über deiner Hände Werk; Alles hast<lb/>
du unter seine Fuße gethan.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1017"> 8. Schafe und Ochsen allzumal, dazu auch die wilden Tiere,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1018"> 9. die Vögel unter dem Himmel, und die Fische im Meer, und was im<lb/>
Meer gehet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1019"> Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen.<lb/>
In der neuen Ausgabe lautet die Überschrift des Psalms: &#x201E;Gottes Große<lb/>
in der Schöpfung.  Des Menschensohnes Niedrigkeit und Hoheit."  Und die<lb/>
Verse 4&#x2014;7:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1020"> 4. Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne,<lb/>
die du bereitet hast:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1021"> 5. Was ist der Mensch, daß dn sein gedenkest, und des Menschen Kind, daß<lb/>
du dich sein annimmst?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1022"> 6. Du hast ihn wenig niedriger gemacht, denn Gott, und mit Ehre und<lb/>
Schmuck hast du ihn gekrönet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1023"> 7. Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk; alles hast du<lb/>
unter seine Füße gethan.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1024"> Durch die Berichtigung wird das herrliche Lied erst verständlich, und der<lb/>
schöne Grundgedanke tritt nun deutlich hervor: Der Mensch ein Nichts im<lb/>
Vergleich zu der unendlichen Schöpfung, und doch fast ein Gott durch die<lb/>
Macht, die ihm über die Natur verliehen ist. Die Beziehung ans den Messias,<lb/>
die Hehr. 2, 6&#x2014;9 hervorgehoben wird, ist auch bei der richtigen Übersetzung<lb/>
nicht ausgeschlossen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1025" next="#ID_1026"> Als die Frage der Bibelrevision zuerst zur Sprache kam, übergab Friedrich<lb/>
Wilhelm der Werte dem Oberkvnsistorialrat Nitzsch den Brief eines Gutsbesitzers,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0295] reiche Buch Hiob, sind durch die Revision erst verständlich geworden. Es wäre ungerecht, diese mühevolle und gediegne Arbeit als Flickwerk zu verur¬ teilen. Die Korrekturen schließen sich in Ton und Sprache so der Lutherschen Übersetzung an, daß schwerlich jemand ohne weitres unterscheiden kann, wo Luther selbst redet, und wo der Text berichtigt ist. Wie nötig oft für das Verständnis die Berichtigung gewesen ist, zeigt z. B. Ps. 8. Luthers Über¬ setzung lautet: Von Christi Reich, Leiden und Herrlichkeit. 1. Ein Psalm Davids, Vorzusingen auf der Gillies. 2. Herr unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen, da man dir danket im Himmel! 3. Aus dein Munde der jungen Kinder und Säuglinge hast du eine Macht zugerichtet, um deiner Feinde willen, daß du vertilgest den Feind und den Rach¬ gierigen. 4. Denn ich werde sehen die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitest. 5. Was ist der Mensch, daß du seiner gedenkest, und des Menschen Kind, daß du dich seiner annimmst? ti. Dn wirst ihn lassen eine kleine Zeit von Gott verlassen sein. Aber mit Ehre und Schmuck wirst du ihn krönen. 7. Du wirst ihn zum Herr» machen über deiner Hände Werk; Alles hast du unter seine Fuße gethan. 8. Schafe und Ochsen allzumal, dazu auch die wilden Tiere, 9. die Vögel unter dem Himmel, und die Fische im Meer, und was im Meer gehet. Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen. In der neuen Ausgabe lautet die Überschrift des Psalms: „Gottes Große in der Schöpfung. Des Menschensohnes Niedrigkeit und Hoheit." Und die Verse 4—7: 4. Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: 5. Was ist der Mensch, daß dn sein gedenkest, und des Menschen Kind, daß du dich sein annimmst? 6. Du hast ihn wenig niedriger gemacht, denn Gott, und mit Ehre und Schmuck hast du ihn gekrönet. 7. Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk; alles hast du unter seine Füße gethan. Durch die Berichtigung wird das herrliche Lied erst verständlich, und der schöne Grundgedanke tritt nun deutlich hervor: Der Mensch ein Nichts im Vergleich zu der unendlichen Schöpfung, und doch fast ein Gott durch die Macht, die ihm über die Natur verliehen ist. Die Beziehung ans den Messias, die Hehr. 2, 6—9 hervorgehoben wird, ist auch bei der richtigen Übersetzung nicht ausgeschlossen. Als die Frage der Bibelrevision zuerst zur Sprache kam, übergab Friedrich Wilhelm der Werte dem Oberkvnsistorialrat Nitzsch den Brief eines Gutsbesitzers,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/295
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/295>, abgerufen am 16.06.2024.