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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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wenn die Vorlage auch den mit Strafe bedroht, der an öffentlichen Straßen
oder Plätzen Abbildungen oder Darstellungen ausstellt oder anschlägt, die,
ohne unzüchtig zu sein, durch gröbliche Verletzung des Scham- und Sittlich¬
keitsgefühls Ärgernis zu erregen geeignet sind. Eine solche Bestimmung würde,
da sich die Grenzen des Zulässigen nicht allgemein bestimmen lassen, zu einer
sehr verschiednen, das Rechtsbewußtsein verwirrenden Rechtsprechung führen,
und bei eiuer zu peinlichen Auffassung könnten dadurch der Kunst und dem
Kunstgewerbe die schwersten Beeinträchtigungen zugefügt werden. Wer an
solchen nicht unzüchtigen Abbildungen oder Darstellungen Ärgernis nimmt,
kann sich diesem doch durch Abwendung seiner Blicke sehr leicht entziehn.

Endlich will die Vorlage im dritten Artikel einen neuen Schweigebefehl ein¬
führen, indem sie zu dem i> 173 des Gerichtsverfassungsgesetzes in der
Fassung nach dem Gesetze vom 5. April 1888 folgenden Zusatz in Vorschlag
bringt: "So weit die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen worden ist, kann,
falls eine Gefährdung der Sittlichkeit zu besorgen ist, durch Beschluß die
öffentliche Mitteilung aus deu Verhandlungen oder aus einzelnen Teilen der¬
selben untersagt werden." Bis jetzt ist ein sogenannter Schweigebefehl durch
das erwähnte Reichsgesetz vom 5>. April 1888 eingeführt, das bestimmt: "Ist
die Öffentlichkeit wegen Gefährdung der Staatssicherheit ausgeschlossen, so
kann das Gericht den anwesenden Personen die Geheimhaltung von Thatsachen,
die durch die Verhandlung u. s. w. zu ihrer Kenntnis gelangen, zur Pflicht
machen. Der Beschluß ist in das Sitzungsprotokoll aufzunehmen. Gegen
denselben findet Beschwerde statt. Die Beschwerde hat keine ausschiebende
Wirkung."

Zu dem neuen Vorschlage der Vorlage haben jedenfalls die Mitteilungen
aus den Prozessen gegen Graf und Heinze Veranlassung gegeben, und es
wird sich auch gegen diese Neuerung nichts wesentliches einwenden lassen.
Zweckmäßig wird es aber sein, die neue Bestimmung mit der angeführten ent¬
sprechenden Bestimmung des Gesetzes vom 5. April 1888 möglichst in Überein¬
stimmung zu bringen, insbesondre wird der Beschluß ebenfalls zu protokolliren
und durch Beschwerde angreifbar zu machen sein. Der sachliche Unterschied
zwischen beiden Schweigebefehlen ist der, daß nach dem Reichsgesetze die "Ge¬
heimhaltung" zur Pflicht gemacht und damit auch eine private Mitteilung ver¬
boten werden kann, während die Vorlage nur eine öffentliche Mitteilung ver¬
hindern will; ein Zuwiderhandeln soll nnter Strafe gestellt werden. Zu er¬
wägen wäre nur noch, ob es nicht genügen würde, die Veröffentlichung dnrch
die Presse und durch sonstige Druckschriften, sowie in öffentlichen Versamm¬
lungen zu verbieten, sodaß also andre Mitteilungen, wie z. B. an offner Wirts¬
haustafel, nicht strafbar erscheinen würden.

3. Das dritte Ziel des Entwurfs ist eine Verschärfung der Strafvollziehung.
Zu diesem Zweck wird zunächst vorgeschlagen, hinter H 16 des Strafgesetzbuchs


wenn die Vorlage auch den mit Strafe bedroht, der an öffentlichen Straßen
oder Plätzen Abbildungen oder Darstellungen ausstellt oder anschlägt, die,
ohne unzüchtig zu sein, durch gröbliche Verletzung des Scham- und Sittlich¬
keitsgefühls Ärgernis zu erregen geeignet sind. Eine solche Bestimmung würde,
da sich die Grenzen des Zulässigen nicht allgemein bestimmen lassen, zu einer
sehr verschiednen, das Rechtsbewußtsein verwirrenden Rechtsprechung führen,
und bei eiuer zu peinlichen Auffassung könnten dadurch der Kunst und dem
Kunstgewerbe die schwersten Beeinträchtigungen zugefügt werden. Wer an
solchen nicht unzüchtigen Abbildungen oder Darstellungen Ärgernis nimmt,
kann sich diesem doch durch Abwendung seiner Blicke sehr leicht entziehn.

Endlich will die Vorlage im dritten Artikel einen neuen Schweigebefehl ein¬
führen, indem sie zu dem i> 173 des Gerichtsverfassungsgesetzes in der
Fassung nach dem Gesetze vom 5. April 1888 folgenden Zusatz in Vorschlag
bringt: „So weit die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen worden ist, kann,
falls eine Gefährdung der Sittlichkeit zu besorgen ist, durch Beschluß die
öffentliche Mitteilung aus deu Verhandlungen oder aus einzelnen Teilen der¬
selben untersagt werden." Bis jetzt ist ein sogenannter Schweigebefehl durch
das erwähnte Reichsgesetz vom 5>. April 1888 eingeführt, das bestimmt: „Ist
die Öffentlichkeit wegen Gefährdung der Staatssicherheit ausgeschlossen, so
kann das Gericht den anwesenden Personen die Geheimhaltung von Thatsachen,
die durch die Verhandlung u. s. w. zu ihrer Kenntnis gelangen, zur Pflicht
machen. Der Beschluß ist in das Sitzungsprotokoll aufzunehmen. Gegen
denselben findet Beschwerde statt. Die Beschwerde hat keine ausschiebende
Wirkung."

Zu dem neuen Vorschlage der Vorlage haben jedenfalls die Mitteilungen
aus den Prozessen gegen Graf und Heinze Veranlassung gegeben, und es
wird sich auch gegen diese Neuerung nichts wesentliches einwenden lassen.
Zweckmäßig wird es aber sein, die neue Bestimmung mit der angeführten ent¬
sprechenden Bestimmung des Gesetzes vom 5. April 1888 möglichst in Überein¬
stimmung zu bringen, insbesondre wird der Beschluß ebenfalls zu protokolliren
und durch Beschwerde angreifbar zu machen sein. Der sachliche Unterschied
zwischen beiden Schweigebefehlen ist der, daß nach dem Reichsgesetze die „Ge¬
heimhaltung" zur Pflicht gemacht und damit auch eine private Mitteilung ver¬
boten werden kann, während die Vorlage nur eine öffentliche Mitteilung ver¬
hindern will; ein Zuwiderhandeln soll nnter Strafe gestellt werden. Zu er¬
wägen wäre nur noch, ob es nicht genügen würde, die Veröffentlichung dnrch
die Presse und durch sonstige Druckschriften, sowie in öffentlichen Versamm¬
lungen zu verbieten, sodaß also andre Mitteilungen, wie z. B. an offner Wirts¬
haustafel, nicht strafbar erscheinen würden.

3. Das dritte Ziel des Entwurfs ist eine Verschärfung der Strafvollziehung.
Zu diesem Zweck wird zunächst vorgeschlagen, hinter H 16 des Strafgesetzbuchs


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[0079] wenn die Vorlage auch den mit Strafe bedroht, der an öffentlichen Straßen oder Plätzen Abbildungen oder Darstellungen ausstellt oder anschlägt, die, ohne unzüchtig zu sein, durch gröbliche Verletzung des Scham- und Sittlich¬ keitsgefühls Ärgernis zu erregen geeignet sind. Eine solche Bestimmung würde, da sich die Grenzen des Zulässigen nicht allgemein bestimmen lassen, zu einer sehr verschiednen, das Rechtsbewußtsein verwirrenden Rechtsprechung führen, und bei eiuer zu peinlichen Auffassung könnten dadurch der Kunst und dem Kunstgewerbe die schwersten Beeinträchtigungen zugefügt werden. Wer an solchen nicht unzüchtigen Abbildungen oder Darstellungen Ärgernis nimmt, kann sich diesem doch durch Abwendung seiner Blicke sehr leicht entziehn. Endlich will die Vorlage im dritten Artikel einen neuen Schweigebefehl ein¬ führen, indem sie zu dem i> 173 des Gerichtsverfassungsgesetzes in der Fassung nach dem Gesetze vom 5. April 1888 folgenden Zusatz in Vorschlag bringt: „So weit die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen worden ist, kann, falls eine Gefährdung der Sittlichkeit zu besorgen ist, durch Beschluß die öffentliche Mitteilung aus deu Verhandlungen oder aus einzelnen Teilen der¬ selben untersagt werden." Bis jetzt ist ein sogenannter Schweigebefehl durch das erwähnte Reichsgesetz vom 5>. April 1888 eingeführt, das bestimmt: „Ist die Öffentlichkeit wegen Gefährdung der Staatssicherheit ausgeschlossen, so kann das Gericht den anwesenden Personen die Geheimhaltung von Thatsachen, die durch die Verhandlung u. s. w. zu ihrer Kenntnis gelangen, zur Pflicht machen. Der Beschluß ist in das Sitzungsprotokoll aufzunehmen. Gegen denselben findet Beschwerde statt. Die Beschwerde hat keine ausschiebende Wirkung." Zu dem neuen Vorschlage der Vorlage haben jedenfalls die Mitteilungen aus den Prozessen gegen Graf und Heinze Veranlassung gegeben, und es wird sich auch gegen diese Neuerung nichts wesentliches einwenden lassen. Zweckmäßig wird es aber sein, die neue Bestimmung mit der angeführten ent¬ sprechenden Bestimmung des Gesetzes vom 5. April 1888 möglichst in Überein¬ stimmung zu bringen, insbesondre wird der Beschluß ebenfalls zu protokolliren und durch Beschwerde angreifbar zu machen sein. Der sachliche Unterschied zwischen beiden Schweigebefehlen ist der, daß nach dem Reichsgesetze die „Ge¬ heimhaltung" zur Pflicht gemacht und damit auch eine private Mitteilung ver¬ boten werden kann, während die Vorlage nur eine öffentliche Mitteilung ver¬ hindern will; ein Zuwiderhandeln soll nnter Strafe gestellt werden. Zu er¬ wägen wäre nur noch, ob es nicht genügen würde, die Veröffentlichung dnrch die Presse und durch sonstige Druckschriften, sowie in öffentlichen Versamm¬ lungen zu verbieten, sodaß also andre Mitteilungen, wie z. B. an offner Wirts¬ haustafel, nicht strafbar erscheinen würden. 3. Das dritte Ziel des Entwurfs ist eine Verschärfung der Strafvollziehung. Zu diesem Zweck wird zunächst vorgeschlagen, hinter H 16 des Strafgesetzbuchs

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/79>, abgerufen am 06.06.2024.