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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Lin Lid-Tiave-Kanal

Verbindung mit den Ostseeschiffahrtsstraßen herstellte und zugleich mit der Elbe
und dem nahen Hamburger Markt innig zusammenhing, wurde Lübeck mehr
und mehr der Ausfuhrhafen für die manufakturkräftigen westlichen und mittel¬
deutschen Lnudesteile und für die industriell nicht weniger erstarkenden Elb-
gebiete.

Aber so wichtig die Stellung der Stadt als Sammelpunkt und Ver¬
schiffungsplatz des aus dem Hinterkante zusammenströmenden Stück- und Wert¬
gutverkehrs wurde, so hat sie doch für den in neuerer Zeit sehr angewachsenen
Massengüterverkehr diese Stellung nicht ganz behaupten können. Die Verfrach¬
tung schwerer Produkte, wie sie namentlich die Industrien Sachsens und seiner
Nachbargebiete erzeugen, stellt heute immer größere Anforderungen an die Wohl¬
feilheit des Transports. Weil der Stadt eine leistungsfähige Wasserverbin¬
dung mit der Elbe fehlt, so habe" auch die Massengüter Sachsens mehr und
mehr den Umweg über Hamburg und Skagen und über Stettin nach der Ost¬
see eingeschlagen, sodaß in diesem Punkte die natürliche Aufgabe, die Handels¬
verbindung des innern Deutschlands und zunächst des Elbgebietcs mit den die
Ostsee umgebenden Ländern herzustellen, bei Lübeck mehr und mehr versagte.
Allerdings hat Lübeck wie vor Jahren so auch heute uoch im Stecknitzkanal,
dem ältesten Kanal Deutschlands, eine Wasserverbindung mit der Elbe, aber
wie wenig dieser veraltete, weil in den Größenverhültnissen des Mittelalters
gebaute Schiffahrtsweg den Anforderungen der Neuzeit zu dienen vermochte,
zeigte sich schon bei Eröffnung der Lübeck-Büchener Bahn im Jahre 1851.
Gegenüber einem Aufschwung des Bahnverkehrs, wie er sich sofort in der
Richtung Lauenburg(Büchen)-Lübeck einstellte:

1851 35690 Nettozentner 1853 203627 Nettozeuwer
185S 1416S8 " 1854 312304

sank der Transport auf dem alte" Stecknitzkanal in denselben Jahren von
75637 auf 47057 Nettvzentner. Eine in der Form andre, im Ursprung aber
doch gleiche Erscheinung ist es, wenn jetzt die Massengüter die auf Lübeck
führenden Bahnen verlassen und die weitern, aber immer noch billigern
Wasserwege: Magdeburg-Finvwlanal-Stettin und Magdeburg-Hamburg-Skageu-
Ostsee vorziehn. Hier ist also in den Verkehrszustünden an der Ostsee eine
fühlbare Lücke, die gewiß für Lübeck, aber noch sehr viel mehr für das wirt¬
schaftlich und geographisch zu ihm gehörige Hinterland von bedeutenden Wir¬
kungen ist. Es scheint uns durchaus beachtenswert, wenn der Verfasser unsrer
Schrift sagt: "Es liegt im Wesen und in den volkswirtschaftlichen Aufgaben
der heutigen Seehäfen, daß, wenn die Seestädte Maßnahmen zur Festigung
ihrer wirtschaftlichen Stellung, besonders bessere Kommunikationen mit ihrem
Hinterkante ergreifen, solche Bedürfnisse niemals ihr Nutzen allein sein können.
Die Darstellung soll zeigen, daß die Blüte unsrer seestädtischem Gemeinwesen
uicht das Produkt ihrer selbst siud, sondern daß ihr fester Wohlstand und ihre


Lin Lid-Tiave-Kanal

Verbindung mit den Ostseeschiffahrtsstraßen herstellte und zugleich mit der Elbe
und dem nahen Hamburger Markt innig zusammenhing, wurde Lübeck mehr
und mehr der Ausfuhrhafen für die manufakturkräftigen westlichen und mittel¬
deutschen Lnudesteile und für die industriell nicht weniger erstarkenden Elb-
gebiete.

Aber so wichtig die Stellung der Stadt als Sammelpunkt und Ver¬
schiffungsplatz des aus dem Hinterkante zusammenströmenden Stück- und Wert¬
gutverkehrs wurde, so hat sie doch für den in neuerer Zeit sehr angewachsenen
Massengüterverkehr diese Stellung nicht ganz behaupten können. Die Verfrach¬
tung schwerer Produkte, wie sie namentlich die Industrien Sachsens und seiner
Nachbargebiete erzeugen, stellt heute immer größere Anforderungen an die Wohl¬
feilheit des Transports. Weil der Stadt eine leistungsfähige Wasserverbin¬
dung mit der Elbe fehlt, so habe» auch die Massengüter Sachsens mehr und
mehr den Umweg über Hamburg und Skagen und über Stettin nach der Ost¬
see eingeschlagen, sodaß in diesem Punkte die natürliche Aufgabe, die Handels¬
verbindung des innern Deutschlands und zunächst des Elbgebietcs mit den die
Ostsee umgebenden Ländern herzustellen, bei Lübeck mehr und mehr versagte.
Allerdings hat Lübeck wie vor Jahren so auch heute uoch im Stecknitzkanal,
dem ältesten Kanal Deutschlands, eine Wasserverbindung mit der Elbe, aber
wie wenig dieser veraltete, weil in den Größenverhültnissen des Mittelalters
gebaute Schiffahrtsweg den Anforderungen der Neuzeit zu dienen vermochte,
zeigte sich schon bei Eröffnung der Lübeck-Büchener Bahn im Jahre 1851.
Gegenüber einem Aufschwung des Bahnverkehrs, wie er sich sofort in der
Richtung Lauenburg(Büchen)-Lübeck einstellte:

1851 35690 Nettozentner 1853 203627 Nettozeuwer
185S 1416S8 „ 1854 312304

sank der Transport auf dem alte» Stecknitzkanal in denselben Jahren von
75637 auf 47057 Nettvzentner. Eine in der Form andre, im Ursprung aber
doch gleiche Erscheinung ist es, wenn jetzt die Massengüter die auf Lübeck
führenden Bahnen verlassen und die weitern, aber immer noch billigern
Wasserwege: Magdeburg-Finvwlanal-Stettin und Magdeburg-Hamburg-Skageu-
Ostsee vorziehn. Hier ist also in den Verkehrszustünden an der Ostsee eine
fühlbare Lücke, die gewiß für Lübeck, aber noch sehr viel mehr für das wirt¬
schaftlich und geographisch zu ihm gehörige Hinterland von bedeutenden Wir¬
kungen ist. Es scheint uns durchaus beachtenswert, wenn der Verfasser unsrer
Schrift sagt: „Es liegt im Wesen und in den volkswirtschaftlichen Aufgaben
der heutigen Seehäfen, daß, wenn die Seestädte Maßnahmen zur Festigung
ihrer wirtschaftlichen Stellung, besonders bessere Kommunikationen mit ihrem
Hinterkante ergreifen, solche Bedürfnisse niemals ihr Nutzen allein sein können.
Die Darstellung soll zeigen, daß die Blüte unsrer seestädtischem Gemeinwesen
uicht das Produkt ihrer selbst siud, sondern daß ihr fester Wohlstand und ihre


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[0085] Lin Lid-Tiave-Kanal Verbindung mit den Ostseeschiffahrtsstraßen herstellte und zugleich mit der Elbe und dem nahen Hamburger Markt innig zusammenhing, wurde Lübeck mehr und mehr der Ausfuhrhafen für die manufakturkräftigen westlichen und mittel¬ deutschen Lnudesteile und für die industriell nicht weniger erstarkenden Elb- gebiete. Aber so wichtig die Stellung der Stadt als Sammelpunkt und Ver¬ schiffungsplatz des aus dem Hinterkante zusammenströmenden Stück- und Wert¬ gutverkehrs wurde, so hat sie doch für den in neuerer Zeit sehr angewachsenen Massengüterverkehr diese Stellung nicht ganz behaupten können. Die Verfrach¬ tung schwerer Produkte, wie sie namentlich die Industrien Sachsens und seiner Nachbargebiete erzeugen, stellt heute immer größere Anforderungen an die Wohl¬ feilheit des Transports. Weil der Stadt eine leistungsfähige Wasserverbin¬ dung mit der Elbe fehlt, so habe» auch die Massengüter Sachsens mehr und mehr den Umweg über Hamburg und Skagen und über Stettin nach der Ost¬ see eingeschlagen, sodaß in diesem Punkte die natürliche Aufgabe, die Handels¬ verbindung des innern Deutschlands und zunächst des Elbgebietcs mit den die Ostsee umgebenden Ländern herzustellen, bei Lübeck mehr und mehr versagte. Allerdings hat Lübeck wie vor Jahren so auch heute uoch im Stecknitzkanal, dem ältesten Kanal Deutschlands, eine Wasserverbindung mit der Elbe, aber wie wenig dieser veraltete, weil in den Größenverhültnissen des Mittelalters gebaute Schiffahrtsweg den Anforderungen der Neuzeit zu dienen vermochte, zeigte sich schon bei Eröffnung der Lübeck-Büchener Bahn im Jahre 1851. Gegenüber einem Aufschwung des Bahnverkehrs, wie er sich sofort in der Richtung Lauenburg(Büchen)-Lübeck einstellte: 1851 35690 Nettozentner 1853 203627 Nettozeuwer 185S 1416S8 „ 1854 312304 sank der Transport auf dem alte» Stecknitzkanal in denselben Jahren von 75637 auf 47057 Nettvzentner. Eine in der Form andre, im Ursprung aber doch gleiche Erscheinung ist es, wenn jetzt die Massengüter die auf Lübeck führenden Bahnen verlassen und die weitern, aber immer noch billigern Wasserwege: Magdeburg-Finvwlanal-Stettin und Magdeburg-Hamburg-Skageu- Ostsee vorziehn. Hier ist also in den Verkehrszustünden an der Ostsee eine fühlbare Lücke, die gewiß für Lübeck, aber noch sehr viel mehr für das wirt¬ schaftlich und geographisch zu ihm gehörige Hinterland von bedeutenden Wir¬ kungen ist. Es scheint uns durchaus beachtenswert, wenn der Verfasser unsrer Schrift sagt: „Es liegt im Wesen und in den volkswirtschaftlichen Aufgaben der heutigen Seehäfen, daß, wenn die Seestädte Maßnahmen zur Festigung ihrer wirtschaftlichen Stellung, besonders bessere Kommunikationen mit ihrem Hinterkante ergreifen, solche Bedürfnisse niemals ihr Nutzen allein sein können. Die Darstellung soll zeigen, daß die Blüte unsrer seestädtischem Gemeinwesen uicht das Produkt ihrer selbst siud, sondern daß ihr fester Wohlstand und ihre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/85>, abgerufen am 23.05.2024.