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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Zur Würdigung der gegenwärtigen Runstbestrebungen

scheint, nach der Meinung des Hellenen in den Olympos emporgestiegen war,
um die Anschauung des Zeus zu gewinnen? Und bei diesem Zeusbilde, bei
der Pallas Athene und den gesamten Bildwerken des Parthenons, wie bei
allen, gleich diesen, tief aus der Volksreligion entsprossenen Kunstwerken sollte
sich der Heitere nichts haben denken können? sollte er nur die "reine Form"
genossen haben? Wenn die Athener und die athenischen Frauen im heiligen
Festzuge auf die Burg zur Parthenos wallfahrteten, sollten sie da nur die
schöne Form des Antlitzes und der Bekleidung des Götterbildes bewundert und
nicht im Aufschwünge von Geist und Gemüt, durchglüht von der Vorstellung
der großen Göttin, Gebete und Opfer zu ihr emporgesandt, sollten sie sich
dabei wirklich nichts gedacht, nichts empfunden haben? Der "Genuß an der
reinen Form" ist eine moderne Verirrung, die darin zu wurzeln scheint, daß
gewisse Künstler ihren Werken nur Form, aber keinen oder nur geringen und
unbedeutenden Gehalt geben können.

Zu diesen gehört mit einer bestimmten Gruppe seiner Arbeiten auch Herr
Begas. So vorzüglich er in der Technik, wie in der Erfassung und Wieder¬
gabe des Charakteristischen ist, so wenig genügt er doch da, wo das Ideale
verlangt oder auch nur gestreift wird. Wenn er dort meist ins Schwarze
trifft -- man denke nur an die meisterhafte Büste Adolf Menzels --, so schießt
er hier fast regelmäßig weit daneben. Die weiblichen Gestalten am Sockel des
Schillerdenkmals in Berlin sind hohle, vom lebenden Modell entlehnte Masken,
und der "langweilige, humorlose" Professor oben darauf alles andre, nur kein
Schiller. Über dieses und andre altere Werke des Künstlers, namentlich die
große Gruppe auf der Börse in Berlin, habe ich mich schon früher ausführlich
ausgesprochen") und will es hier nicht wiederholen. Wie ich vor zwanzig
und dreißig Jahren über Begas dachte, genan so denke ich über sein neuestes großes
Werk, den Brunnen auf dem Schloßplatze in Berlin: treffliches Machwerk und
geistige Armut. Ist doch schou der ganze Gedanke des Aufbaues entlehnt!
Brunnen solcher Anordnung giebt es ans frühern Zeiten genug, aber alle
bauen sich unvergleichlich besser auf. Ich will nur auf den von Rafael
Donner 1739 hergestellten Brunnen auf dem neuen Markte in Wien hinweisen:
er ist ein treffendes Beispiel. Und nun das stilistische Gepräge, die Be¬
seelung -- wie traurig sieht es da aus! Der angebliche Neptun, der oben
auf dem wunderlich aufgetürmten Mitleiden im fortwährenden Strahlenbade
sitzt, ist doch wahrlich nicht der "Herr der Fluten," nein, ein ganz gewöhn¬
licher Wasserrüpel ist er. Freilich hält er zu seiner Kennzeichnung einen rie-



*) Zuerst in einigen Berliner Zeitungen, namentlich der Nationalzeitung, in der da-
mnligen Augsburger Allgemeinen Zeitung und dann in meinen "Deutschen Kunststudien"
(Hannover, 1868, S. 231 u. ff.), über das Schillerdenkmal insbesondre in der Wochenschrift
"Im neuen Reich" (1 1373, S. 259 u. ff.).
Zur Würdigung der gegenwärtigen Runstbestrebungen

scheint, nach der Meinung des Hellenen in den Olympos emporgestiegen war,
um die Anschauung des Zeus zu gewinnen? Und bei diesem Zeusbilde, bei
der Pallas Athene und den gesamten Bildwerken des Parthenons, wie bei
allen, gleich diesen, tief aus der Volksreligion entsprossenen Kunstwerken sollte
sich der Heitere nichts haben denken können? sollte er nur die „reine Form"
genossen haben? Wenn die Athener und die athenischen Frauen im heiligen
Festzuge auf die Burg zur Parthenos wallfahrteten, sollten sie da nur die
schöne Form des Antlitzes und der Bekleidung des Götterbildes bewundert und
nicht im Aufschwünge von Geist und Gemüt, durchglüht von der Vorstellung
der großen Göttin, Gebete und Opfer zu ihr emporgesandt, sollten sie sich
dabei wirklich nichts gedacht, nichts empfunden haben? Der „Genuß an der
reinen Form" ist eine moderne Verirrung, die darin zu wurzeln scheint, daß
gewisse Künstler ihren Werken nur Form, aber keinen oder nur geringen und
unbedeutenden Gehalt geben können.

Zu diesen gehört mit einer bestimmten Gruppe seiner Arbeiten auch Herr
Begas. So vorzüglich er in der Technik, wie in der Erfassung und Wieder¬
gabe des Charakteristischen ist, so wenig genügt er doch da, wo das Ideale
verlangt oder auch nur gestreift wird. Wenn er dort meist ins Schwarze
trifft — man denke nur an die meisterhafte Büste Adolf Menzels —, so schießt
er hier fast regelmäßig weit daneben. Die weiblichen Gestalten am Sockel des
Schillerdenkmals in Berlin sind hohle, vom lebenden Modell entlehnte Masken,
und der „langweilige, humorlose" Professor oben darauf alles andre, nur kein
Schiller. Über dieses und andre altere Werke des Künstlers, namentlich die
große Gruppe auf der Börse in Berlin, habe ich mich schon früher ausführlich
ausgesprochen") und will es hier nicht wiederholen. Wie ich vor zwanzig
und dreißig Jahren über Begas dachte, genan so denke ich über sein neuestes großes
Werk, den Brunnen auf dem Schloßplatze in Berlin: treffliches Machwerk und
geistige Armut. Ist doch schou der ganze Gedanke des Aufbaues entlehnt!
Brunnen solcher Anordnung giebt es ans frühern Zeiten genug, aber alle
bauen sich unvergleichlich besser auf. Ich will nur auf den von Rafael
Donner 1739 hergestellten Brunnen auf dem neuen Markte in Wien hinweisen:
er ist ein treffendes Beispiel. Und nun das stilistische Gepräge, die Be¬
seelung — wie traurig sieht es da aus! Der angebliche Neptun, der oben
auf dem wunderlich aufgetürmten Mitleiden im fortwährenden Strahlenbade
sitzt, ist doch wahrlich nicht der „Herr der Fluten," nein, ein ganz gewöhn¬
licher Wasserrüpel ist er. Freilich hält er zu seiner Kennzeichnung einen rie-



*) Zuerst in einigen Berliner Zeitungen, namentlich der Nationalzeitung, in der da-
mnligen Augsburger Allgemeinen Zeitung und dann in meinen „Deutschen Kunststudien"
(Hannover, 1868, S. 231 u. ff.), über das Schillerdenkmal insbesondre in der Wochenschrift
„Im neuen Reich" (1 1373, S. 259 u. ff.).
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[0188] Zur Würdigung der gegenwärtigen Runstbestrebungen scheint, nach der Meinung des Hellenen in den Olympos emporgestiegen war, um die Anschauung des Zeus zu gewinnen? Und bei diesem Zeusbilde, bei der Pallas Athene und den gesamten Bildwerken des Parthenons, wie bei allen, gleich diesen, tief aus der Volksreligion entsprossenen Kunstwerken sollte sich der Heitere nichts haben denken können? sollte er nur die „reine Form" genossen haben? Wenn die Athener und die athenischen Frauen im heiligen Festzuge auf die Burg zur Parthenos wallfahrteten, sollten sie da nur die schöne Form des Antlitzes und der Bekleidung des Götterbildes bewundert und nicht im Aufschwünge von Geist und Gemüt, durchglüht von der Vorstellung der großen Göttin, Gebete und Opfer zu ihr emporgesandt, sollten sie sich dabei wirklich nichts gedacht, nichts empfunden haben? Der „Genuß an der reinen Form" ist eine moderne Verirrung, die darin zu wurzeln scheint, daß gewisse Künstler ihren Werken nur Form, aber keinen oder nur geringen und unbedeutenden Gehalt geben können. Zu diesen gehört mit einer bestimmten Gruppe seiner Arbeiten auch Herr Begas. So vorzüglich er in der Technik, wie in der Erfassung und Wieder¬ gabe des Charakteristischen ist, so wenig genügt er doch da, wo das Ideale verlangt oder auch nur gestreift wird. Wenn er dort meist ins Schwarze trifft — man denke nur an die meisterhafte Büste Adolf Menzels —, so schießt er hier fast regelmäßig weit daneben. Die weiblichen Gestalten am Sockel des Schillerdenkmals in Berlin sind hohle, vom lebenden Modell entlehnte Masken, und der „langweilige, humorlose" Professor oben darauf alles andre, nur kein Schiller. Über dieses und andre altere Werke des Künstlers, namentlich die große Gruppe auf der Börse in Berlin, habe ich mich schon früher ausführlich ausgesprochen") und will es hier nicht wiederholen. Wie ich vor zwanzig und dreißig Jahren über Begas dachte, genan so denke ich über sein neuestes großes Werk, den Brunnen auf dem Schloßplatze in Berlin: treffliches Machwerk und geistige Armut. Ist doch schou der ganze Gedanke des Aufbaues entlehnt! Brunnen solcher Anordnung giebt es ans frühern Zeiten genug, aber alle bauen sich unvergleichlich besser auf. Ich will nur auf den von Rafael Donner 1739 hergestellten Brunnen auf dem neuen Markte in Wien hinweisen: er ist ein treffendes Beispiel. Und nun das stilistische Gepräge, die Be¬ seelung — wie traurig sieht es da aus! Der angebliche Neptun, der oben auf dem wunderlich aufgetürmten Mitleiden im fortwährenden Strahlenbade sitzt, ist doch wahrlich nicht der „Herr der Fluten," nein, ein ganz gewöhn¬ licher Wasserrüpel ist er. Freilich hält er zu seiner Kennzeichnung einen rie- *) Zuerst in einigen Berliner Zeitungen, namentlich der Nationalzeitung, in der da- mnligen Augsburger Allgemeinen Zeitung und dann in meinen „Deutschen Kunststudien" (Hannover, 1868, S. 231 u. ff.), über das Schillerdenkmal insbesondre in der Wochenschrift „Im neuen Reich" (1 1373, S. 259 u. ff.).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/188>, abgerufen am 23.05.2024.