Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Noch ein U?ort über Irrsinnserklärung

von vornherein auf den kostspieligen Prozeßweg verwiesen. Es wäre damit
den Beteiligten eine unendliche Wohlthat entzogen und einem Prozeßunfug
ohnegleichen das freie Feld eröffnet.

Eine weitere Änderung würde darin liegen, daß, wenn die Sache zweifel¬
haft ist und deshalb streitig wird, an die Stelle der drei Instanzen, die
zu beschreiten jetzt den Beteiligten offensteht, die eine Instanz der Land¬
gerichtskammer träte, diese allerdings vermehrt durch vier Laien. Ist nun
diese Beigabe von einigen Laien in erster Instanz wirklich so bedeutungsvoll,
daß sie die jetzt gewährte Möglichkeit, höhere Instanzen zu beschreiten, voll¬
kommen ersetzte ?

Um hierin klarer zu sehen, will ich darzulegen suchen, um was es sich
in jenen streitigen Fällen in Wahrheit zu handeln pflegt. Da wir zum Glück
"och keine amerikanischen Zustände in Deutschland haben, so halte ich es für
ganz undenkbar, daß ein völlig gesunder Mensch vor Gericht gestellt und für
irrsinnig erklärt würde. Selbst der Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit,
der ja als Einzelrichter entscheidet und vielleicht Einflüssen zugänglich wäre,
würde nicht leicht ans so etwas verfallen. Spricht er die Entmündigung aus,
so wird immer wenigstens einiger scheinbare Grund dafür vorliegen. In
solchen Fällen wird um die Anfechtungsklage erhoben werden; und dann kann
es für das Gericht mehr oder minder zweifelhaft werden, ob diese Entmün-
digung gerechtfertigt sei oder nicht. Geistesgesundheit und Geisteskrankheit
scheiden sich nicht wie Öl und Wasser. Es giebt Zwischenzustände von
mancherlei Art. Der unglückliche König Ludwig von Baiern war allen Um¬
stünden nach schon jahrelang geistig gestört, ehe er sein tragisches Ende fand.
Es ist gewiß sehr zweckmäßig, wenn das Gericht in solchen Fällen den als
Irren bezeichneten vor sich kommen läßt, ihn sich ansieht und ihn anhört.
Aber man würde sich täuschen, wenn man glaubte, daß darnach allein schon
immer mit Sicherheit entschieden werden könnte. Der Mann kann in seinem
gewöhnlichen Verhalten ganz vernünftig erscheinen und doch unzweifelhaft
irrsinnig sein. Es ließen sich schlagende Beispiele dafür anführen. Mit¬
unter sind solche Dinge aktenmüßig nachweisbar. Meistens aber wird das
Gericht in solchen Füllen auf das Zeugnis von Auskunftspersonen, insbesondre
von Ärzten, die den Mann längere Zeit beobachtet haben, angewiesen sein.
Denn das Geeicht selbst, zumal ein Kolleg, kam doch solche längere Beob¬
achtungen nicht vornehmen. Daß diese Entscheidungen oft sehr schwierig sind,
ist unzweifelhaft. Den Gerichten könnte es nur willkommen sein, wenn sie
ihnen abgenommen würden.

So werden im allgemeinen die Fülle liegen, wo eine wirkliche Entschei¬
dung zu geben ist. Nun ist ja der Gedanke, Laien in noch größerm Maße
als bisher an der Rechtsprechung teilnehmen zu lassen, schon vielfach erörtert
worden. Ich selbst bin durchaus kein Geguer der Schöffengerichte und würde


Noch ein U?ort über Irrsinnserklärung

von vornherein auf den kostspieligen Prozeßweg verwiesen. Es wäre damit
den Beteiligten eine unendliche Wohlthat entzogen und einem Prozeßunfug
ohnegleichen das freie Feld eröffnet.

Eine weitere Änderung würde darin liegen, daß, wenn die Sache zweifel¬
haft ist und deshalb streitig wird, an die Stelle der drei Instanzen, die
zu beschreiten jetzt den Beteiligten offensteht, die eine Instanz der Land¬
gerichtskammer träte, diese allerdings vermehrt durch vier Laien. Ist nun
diese Beigabe von einigen Laien in erster Instanz wirklich so bedeutungsvoll,
daß sie die jetzt gewährte Möglichkeit, höhere Instanzen zu beschreiten, voll¬
kommen ersetzte ?

Um hierin klarer zu sehen, will ich darzulegen suchen, um was es sich
in jenen streitigen Fällen in Wahrheit zu handeln pflegt. Da wir zum Glück
»och keine amerikanischen Zustände in Deutschland haben, so halte ich es für
ganz undenkbar, daß ein völlig gesunder Mensch vor Gericht gestellt und für
irrsinnig erklärt würde. Selbst der Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit,
der ja als Einzelrichter entscheidet und vielleicht Einflüssen zugänglich wäre,
würde nicht leicht ans so etwas verfallen. Spricht er die Entmündigung aus,
so wird immer wenigstens einiger scheinbare Grund dafür vorliegen. In
solchen Fällen wird um die Anfechtungsklage erhoben werden; und dann kann
es für das Gericht mehr oder minder zweifelhaft werden, ob diese Entmün-
digung gerechtfertigt sei oder nicht. Geistesgesundheit und Geisteskrankheit
scheiden sich nicht wie Öl und Wasser. Es giebt Zwischenzustände von
mancherlei Art. Der unglückliche König Ludwig von Baiern war allen Um¬
stünden nach schon jahrelang geistig gestört, ehe er sein tragisches Ende fand.
Es ist gewiß sehr zweckmäßig, wenn das Gericht in solchen Fällen den als
Irren bezeichneten vor sich kommen läßt, ihn sich ansieht und ihn anhört.
Aber man würde sich täuschen, wenn man glaubte, daß darnach allein schon
immer mit Sicherheit entschieden werden könnte. Der Mann kann in seinem
gewöhnlichen Verhalten ganz vernünftig erscheinen und doch unzweifelhaft
irrsinnig sein. Es ließen sich schlagende Beispiele dafür anführen. Mit¬
unter sind solche Dinge aktenmüßig nachweisbar. Meistens aber wird das
Gericht in solchen Füllen auf das Zeugnis von Auskunftspersonen, insbesondre
von Ärzten, die den Mann längere Zeit beobachtet haben, angewiesen sein.
Denn das Geeicht selbst, zumal ein Kolleg, kam doch solche längere Beob¬
achtungen nicht vornehmen. Daß diese Entscheidungen oft sehr schwierig sind,
ist unzweifelhaft. Den Gerichten könnte es nur willkommen sein, wenn sie
ihnen abgenommen würden.

So werden im allgemeinen die Fülle liegen, wo eine wirkliche Entschei¬
dung zu geben ist. Nun ist ja der Gedanke, Laien in noch größerm Maße
als bisher an der Rechtsprechung teilnehmen zu lassen, schon vielfach erörtert
worden. Ich selbst bin durchaus kein Geguer der Schöffengerichte und würde


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0415" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219417"/>
          <fw type="header" place="top"> Noch ein U?ort über Irrsinnserklärung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1251" prev="#ID_1250"> von vornherein auf den kostspieligen Prozeßweg verwiesen. Es wäre damit<lb/>
den Beteiligten eine unendliche Wohlthat entzogen und einem Prozeßunfug<lb/>
ohnegleichen das freie Feld eröffnet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1252"> Eine weitere Änderung würde darin liegen, daß, wenn die Sache zweifel¬<lb/>
haft ist und deshalb streitig wird, an die Stelle der drei Instanzen, die<lb/>
zu beschreiten jetzt den Beteiligten offensteht, die eine Instanz der Land¬<lb/>
gerichtskammer träte, diese allerdings vermehrt durch vier Laien. Ist nun<lb/>
diese Beigabe von einigen Laien in erster Instanz wirklich so bedeutungsvoll,<lb/>
daß sie die jetzt gewährte Möglichkeit, höhere Instanzen zu beschreiten, voll¬<lb/>
kommen ersetzte ?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1253"> Um hierin klarer zu sehen, will ich darzulegen suchen, um was es sich<lb/>
in jenen streitigen Fällen in Wahrheit zu handeln pflegt. Da wir zum Glück<lb/>
»och keine amerikanischen Zustände in Deutschland haben, so halte ich es für<lb/>
ganz undenkbar, daß ein völlig gesunder Mensch vor Gericht gestellt und für<lb/>
irrsinnig erklärt würde. Selbst der Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit,<lb/>
der ja als Einzelrichter entscheidet und vielleicht Einflüssen zugänglich wäre,<lb/>
würde nicht leicht ans so etwas verfallen. Spricht er die Entmündigung aus,<lb/>
so wird immer wenigstens einiger scheinbare Grund dafür vorliegen. In<lb/>
solchen Fällen wird um die Anfechtungsklage erhoben werden; und dann kann<lb/>
es für das Gericht mehr oder minder zweifelhaft werden, ob diese Entmün-<lb/>
digung gerechtfertigt sei oder nicht. Geistesgesundheit und Geisteskrankheit<lb/>
scheiden sich nicht wie Öl und Wasser. Es giebt Zwischenzustände von<lb/>
mancherlei Art. Der unglückliche König Ludwig von Baiern war allen Um¬<lb/>
stünden nach schon jahrelang geistig gestört, ehe er sein tragisches Ende fand.<lb/>
Es ist gewiß sehr zweckmäßig, wenn das Gericht in solchen Fällen den als<lb/>
Irren bezeichneten vor sich kommen läßt, ihn sich ansieht und ihn anhört.<lb/>
Aber man würde sich täuschen, wenn man glaubte, daß darnach allein schon<lb/>
immer mit Sicherheit entschieden werden könnte. Der Mann kann in seinem<lb/>
gewöhnlichen Verhalten ganz vernünftig erscheinen und doch unzweifelhaft<lb/>
irrsinnig sein. Es ließen sich schlagende Beispiele dafür anführen. Mit¬<lb/>
unter sind solche Dinge aktenmüßig nachweisbar. Meistens aber wird das<lb/>
Gericht in solchen Füllen auf das Zeugnis von Auskunftspersonen, insbesondre<lb/>
von Ärzten, die den Mann längere Zeit beobachtet haben, angewiesen sein.<lb/>
Denn das Geeicht selbst, zumal ein Kolleg, kam doch solche längere Beob¬<lb/>
achtungen nicht vornehmen. Daß diese Entscheidungen oft sehr schwierig sind,<lb/>
ist unzweifelhaft. Den Gerichten könnte es nur willkommen sein, wenn sie<lb/>
ihnen abgenommen würden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1254" next="#ID_1255"> So werden im allgemeinen die Fülle liegen, wo eine wirkliche Entschei¬<lb/>
dung zu geben ist. Nun ist ja der Gedanke, Laien in noch größerm Maße<lb/>
als bisher an der Rechtsprechung teilnehmen zu lassen, schon vielfach erörtert<lb/>
worden. Ich selbst bin durchaus kein Geguer der Schöffengerichte und würde</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0415] Noch ein U?ort über Irrsinnserklärung von vornherein auf den kostspieligen Prozeßweg verwiesen. Es wäre damit den Beteiligten eine unendliche Wohlthat entzogen und einem Prozeßunfug ohnegleichen das freie Feld eröffnet. Eine weitere Änderung würde darin liegen, daß, wenn die Sache zweifel¬ haft ist und deshalb streitig wird, an die Stelle der drei Instanzen, die zu beschreiten jetzt den Beteiligten offensteht, die eine Instanz der Land¬ gerichtskammer träte, diese allerdings vermehrt durch vier Laien. Ist nun diese Beigabe von einigen Laien in erster Instanz wirklich so bedeutungsvoll, daß sie die jetzt gewährte Möglichkeit, höhere Instanzen zu beschreiten, voll¬ kommen ersetzte ? Um hierin klarer zu sehen, will ich darzulegen suchen, um was es sich in jenen streitigen Fällen in Wahrheit zu handeln pflegt. Da wir zum Glück »och keine amerikanischen Zustände in Deutschland haben, so halte ich es für ganz undenkbar, daß ein völlig gesunder Mensch vor Gericht gestellt und für irrsinnig erklärt würde. Selbst der Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit, der ja als Einzelrichter entscheidet und vielleicht Einflüssen zugänglich wäre, würde nicht leicht ans so etwas verfallen. Spricht er die Entmündigung aus, so wird immer wenigstens einiger scheinbare Grund dafür vorliegen. In solchen Fällen wird um die Anfechtungsklage erhoben werden; und dann kann es für das Gericht mehr oder minder zweifelhaft werden, ob diese Entmün- digung gerechtfertigt sei oder nicht. Geistesgesundheit und Geisteskrankheit scheiden sich nicht wie Öl und Wasser. Es giebt Zwischenzustände von mancherlei Art. Der unglückliche König Ludwig von Baiern war allen Um¬ stünden nach schon jahrelang geistig gestört, ehe er sein tragisches Ende fand. Es ist gewiß sehr zweckmäßig, wenn das Gericht in solchen Fällen den als Irren bezeichneten vor sich kommen läßt, ihn sich ansieht und ihn anhört. Aber man würde sich täuschen, wenn man glaubte, daß darnach allein schon immer mit Sicherheit entschieden werden könnte. Der Mann kann in seinem gewöhnlichen Verhalten ganz vernünftig erscheinen und doch unzweifelhaft irrsinnig sein. Es ließen sich schlagende Beispiele dafür anführen. Mit¬ unter sind solche Dinge aktenmüßig nachweisbar. Meistens aber wird das Gericht in solchen Füllen auf das Zeugnis von Auskunftspersonen, insbesondre von Ärzten, die den Mann längere Zeit beobachtet haben, angewiesen sein. Denn das Geeicht selbst, zumal ein Kolleg, kam doch solche längere Beob¬ achtungen nicht vornehmen. Daß diese Entscheidungen oft sehr schwierig sind, ist unzweifelhaft. Den Gerichten könnte es nur willkommen sein, wenn sie ihnen abgenommen würden. So werden im allgemeinen die Fülle liegen, wo eine wirkliche Entschei¬ dung zu geben ist. Nun ist ja der Gedanke, Laien in noch größerm Maße als bisher an der Rechtsprechung teilnehmen zu lassen, schon vielfach erörtert worden. Ich selbst bin durchaus kein Geguer der Schöffengerichte und würde

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/415
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/415>, abgerufen am 23.05.2024.