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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Neue historische Romane

führt durch verdoppelte Hingebung, verdoppelten Opfermut für seine armen,
von den Elementen und dem Gewaltherrn zugleich bedrängten Unterthanen,
was er an dem Priester der Ramsau verschuldet hat. Die Zusammendrängung
aller erdenklichen Frevel im Hause Wazes, der Kampf des alten bösen Ge¬
bieters mit seiner Tochter Necka und die Liebe dieser zu dem freien Fischer
Sigenot schließen zwar einige romantische UnWirklichkeiten ein, namentlich werden
die Leute zu rasch und leicht aus schweren und bedrohlichen Fährlichkeiten ge¬
rettet. Im allgemeinen aber belebt Ganghofer die Wälder, die Almen und
Einöden um die Ufer des Köuigssecs mit anschaulicher, frischer Wirklichkeit,
und es gelingt ihm, uns für das Leben und die Erlebnisse seiner Gestalten
zu erwärmen. Das Borbild, das bei historischen Romanen dieser Art, auch
wenn sie vou aller Nachahmung weit entfernt sind, unwillkürlich mitwirkt,
Scheffels "Ekkehard," wird freilich weder in der Plastik der Gestalten, noch
in dem Reichtum und Reiz der Sittenschilderung erreicht; immerhin gehört
die "Martinsklause" zu den besten Büchern der Gruppe, die sich nach und nach
um den vorbildlichen Roman gesammelt hat.

In Josef Laufs, dem Verfasser des zweiten Romans "Die Hauptmauns-
frau," lernen wir einen Erzähler kennen, der durch die Art seines Schilderns,
die kecke, mehr skizzirende als ausführende Darstellungsweise gewissen modernen
Kunstrichtungen verwandt ist, während er ans der andern Seite auch eine
Hinneigung zur Romantik verrät. Für diese letztere Seite seines Wesens ist
es bezeichnend, daß er in dem vorliegenden Roman eine halb gespenstige Figur
mitwirken läßt, von der der Leser niemals sicher weiß, ob es Meister Grielach,
der Wundarzt, oder "der Tod von Basel" sei, der im kaiserlichen Lager bei
Ingolstadt und auf der Wahlstatt waltet. Auch sonst wachen in Lauffs Dar¬
stellung Stimmungen und Phantasiezüge wieder auf, die seit Achin von Arnim,
Clemens Brentano und E. T. A. Hoffmann geschlummert haben. Sie ver¬
binden sich jedoch, wie gesagt, mit dein neuesten Realismus, dem es mehr um
Deutlichkeit, Schärfe und Stärke, als um Anmut oder erhebende Wirkung
seiner Darstellung zu thun ist.

Der Roman schildert die Geschicke der schönen Hauptmannsfrau Marthe
Pvchner, die ihr Gatte, Heinz Pochner, zu böser Stunde aus dem sichern Ulm
in das kaiserliche Lager an der Donau bescheidet, dem die Schmcilkaldner
gegenüberstehen. Frau Marthe ist von sinnberückender und sinnbethörender
Schönheit, und zu ihrem Unglück verweilt in demselben Lager ein schlimmer
Gesell, Schenk von Sperrhahn, der vom üblichen Studenten zum Lands¬
knecht und Tabernenhalter heruntergekommen ist. Er hat vor Zeiten die
schöne Baslerin angebetet, ist aber nicht von ihr erhört worden. Jetzt
verschwört und verflucht er sich, ehe er der Schonen nur ansichtig ge¬
worden ist, daß noch im Grabe Marthe Pochuer vor seinen toten, glasigen
Augen stehen, daß er mit entfleischten Händen nach ihr tasten und greisen


Neue historische Romane

führt durch verdoppelte Hingebung, verdoppelten Opfermut für seine armen,
von den Elementen und dem Gewaltherrn zugleich bedrängten Unterthanen,
was er an dem Priester der Ramsau verschuldet hat. Die Zusammendrängung
aller erdenklichen Frevel im Hause Wazes, der Kampf des alten bösen Ge¬
bieters mit seiner Tochter Necka und die Liebe dieser zu dem freien Fischer
Sigenot schließen zwar einige romantische UnWirklichkeiten ein, namentlich werden
die Leute zu rasch und leicht aus schweren und bedrohlichen Fährlichkeiten ge¬
rettet. Im allgemeinen aber belebt Ganghofer die Wälder, die Almen und
Einöden um die Ufer des Köuigssecs mit anschaulicher, frischer Wirklichkeit,
und es gelingt ihm, uns für das Leben und die Erlebnisse seiner Gestalten
zu erwärmen. Das Borbild, das bei historischen Romanen dieser Art, auch
wenn sie vou aller Nachahmung weit entfernt sind, unwillkürlich mitwirkt,
Scheffels „Ekkehard," wird freilich weder in der Plastik der Gestalten, noch
in dem Reichtum und Reiz der Sittenschilderung erreicht; immerhin gehört
die „Martinsklause" zu den besten Büchern der Gruppe, die sich nach und nach
um den vorbildlichen Roman gesammelt hat.

In Josef Laufs, dem Verfasser des zweiten Romans „Die Hauptmauns-
frau," lernen wir einen Erzähler kennen, der durch die Art seines Schilderns,
die kecke, mehr skizzirende als ausführende Darstellungsweise gewissen modernen
Kunstrichtungen verwandt ist, während er ans der andern Seite auch eine
Hinneigung zur Romantik verrät. Für diese letztere Seite seines Wesens ist
es bezeichnend, daß er in dem vorliegenden Roman eine halb gespenstige Figur
mitwirken läßt, von der der Leser niemals sicher weiß, ob es Meister Grielach,
der Wundarzt, oder „der Tod von Basel" sei, der im kaiserlichen Lager bei
Ingolstadt und auf der Wahlstatt waltet. Auch sonst wachen in Lauffs Dar¬
stellung Stimmungen und Phantasiezüge wieder auf, die seit Achin von Arnim,
Clemens Brentano und E. T. A. Hoffmann geschlummert haben. Sie ver¬
binden sich jedoch, wie gesagt, mit dein neuesten Realismus, dem es mehr um
Deutlichkeit, Schärfe und Stärke, als um Anmut oder erhebende Wirkung
seiner Darstellung zu thun ist.

Der Roman schildert die Geschicke der schönen Hauptmannsfrau Marthe
Pvchner, die ihr Gatte, Heinz Pochner, zu böser Stunde aus dem sichern Ulm
in das kaiserliche Lager an der Donau bescheidet, dem die Schmcilkaldner
gegenüberstehen. Frau Marthe ist von sinnberückender und sinnbethörender
Schönheit, und zu ihrem Unglück verweilt in demselben Lager ein schlimmer
Gesell, Schenk von Sperrhahn, der vom üblichen Studenten zum Lands¬
knecht und Tabernenhalter heruntergekommen ist. Er hat vor Zeiten die
schöne Baslerin angebetet, ist aber nicht von ihr erhört worden. Jetzt
verschwört und verflucht er sich, ehe er der Schonen nur ansichtig ge¬
worden ist, daß noch im Grabe Marthe Pochuer vor seinen toten, glasigen
Augen stehen, daß er mit entfleischten Händen nach ihr tasten und greisen


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[0430] Neue historische Romane führt durch verdoppelte Hingebung, verdoppelten Opfermut für seine armen, von den Elementen und dem Gewaltherrn zugleich bedrängten Unterthanen, was er an dem Priester der Ramsau verschuldet hat. Die Zusammendrängung aller erdenklichen Frevel im Hause Wazes, der Kampf des alten bösen Ge¬ bieters mit seiner Tochter Necka und die Liebe dieser zu dem freien Fischer Sigenot schließen zwar einige romantische UnWirklichkeiten ein, namentlich werden die Leute zu rasch und leicht aus schweren und bedrohlichen Fährlichkeiten ge¬ rettet. Im allgemeinen aber belebt Ganghofer die Wälder, die Almen und Einöden um die Ufer des Köuigssecs mit anschaulicher, frischer Wirklichkeit, und es gelingt ihm, uns für das Leben und die Erlebnisse seiner Gestalten zu erwärmen. Das Borbild, das bei historischen Romanen dieser Art, auch wenn sie vou aller Nachahmung weit entfernt sind, unwillkürlich mitwirkt, Scheffels „Ekkehard," wird freilich weder in der Plastik der Gestalten, noch in dem Reichtum und Reiz der Sittenschilderung erreicht; immerhin gehört die „Martinsklause" zu den besten Büchern der Gruppe, die sich nach und nach um den vorbildlichen Roman gesammelt hat. In Josef Laufs, dem Verfasser des zweiten Romans „Die Hauptmauns- frau," lernen wir einen Erzähler kennen, der durch die Art seines Schilderns, die kecke, mehr skizzirende als ausführende Darstellungsweise gewissen modernen Kunstrichtungen verwandt ist, während er ans der andern Seite auch eine Hinneigung zur Romantik verrät. Für diese letztere Seite seines Wesens ist es bezeichnend, daß er in dem vorliegenden Roman eine halb gespenstige Figur mitwirken läßt, von der der Leser niemals sicher weiß, ob es Meister Grielach, der Wundarzt, oder „der Tod von Basel" sei, der im kaiserlichen Lager bei Ingolstadt und auf der Wahlstatt waltet. Auch sonst wachen in Lauffs Dar¬ stellung Stimmungen und Phantasiezüge wieder auf, die seit Achin von Arnim, Clemens Brentano und E. T. A. Hoffmann geschlummert haben. Sie ver¬ binden sich jedoch, wie gesagt, mit dein neuesten Realismus, dem es mehr um Deutlichkeit, Schärfe und Stärke, als um Anmut oder erhebende Wirkung seiner Darstellung zu thun ist. Der Roman schildert die Geschicke der schönen Hauptmannsfrau Marthe Pvchner, die ihr Gatte, Heinz Pochner, zu böser Stunde aus dem sichern Ulm in das kaiserliche Lager an der Donau bescheidet, dem die Schmcilkaldner gegenüberstehen. Frau Marthe ist von sinnberückender und sinnbethörender Schönheit, und zu ihrem Unglück verweilt in demselben Lager ein schlimmer Gesell, Schenk von Sperrhahn, der vom üblichen Studenten zum Lands¬ knecht und Tabernenhalter heruntergekommen ist. Er hat vor Zeiten die schöne Baslerin angebetet, ist aber nicht von ihr erhört worden. Jetzt verschwört und verflucht er sich, ehe er der Schonen nur ansichtig ge¬ worden ist, daß noch im Grabe Marthe Pochuer vor seinen toten, glasigen Augen stehen, daß er mit entfleischten Händen nach ihr tasten und greisen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/430>, abgerufen am 26.05.2024.