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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Neue historische Romane

werde. Unglückliche Umstände kommen seiner wilden Leidenschaft zu Hilfe,
auf einer Waldwiese an der Donau vergewaltigt der schnöde Gesell die schöne
bewußtlos gewordne Frau. Und die gleichen unglücklichen Umstände werfen
den Verdacht dieser Gewaltthat auf den Fähnrich Wendelin, denselben, der
treu und ehrbar die Hciuptmannsfrau von Ulm nach Ingolstadt geleitet hat.
Heinz und Marthe selbst glauben an die Schuld des armen jungen Mannes,
keiner denkt an den schlimmen Schenken in der Tciberne zum Kandlspiesz.
Wendelin wird nach Landsknechtsbrauch vor das Gericht seines Regiments
gestellt und stirbt zwischen den Spießen seiner Kameraden. Heinz Pochner
aber, der doch weiß, daß sein Weib schuldlos ist, und der sie im tiefsten Leid
mehr als zuvor liebt, scheidet sich nenn Monate später in Eger von Marthe,
als diese sich weigert, sich von dem Kinde zu trennen, dem sie das Leben ge¬
geben hat. Umsonst fleht sie den gereizten Hauptmann an, Barmherzigkeit zu
üben, er kann das Leid und die Bitterkeit der jüngsten Zeit nicht soweit über¬
winden, ihrem Gefühl gerecht zu werden. Während er mit dem Heere des
Kaisers nach Norden und zur Mühlberger Schlacht zieht, kehrt die unglück¬
liche Marthe mit ihrer kleinen Ursel nach Ulm zurück. Auf dieser Reise stellt
sich ihr der schurkische Schenk von Sperrhahn als ihr ehemaliger Verehrer dar,
sie ahnt nicht, daß der anscheinend redlich um sie Besorgte zugleich ihr Ver¬
derber und der Zerstörer ihres ehelichen Glücks ist, obschon sie einen geheimen
tiefen Widerwillen gegen ihn hat. Der tritt denn auch in Ulm zu Tage, wo
Schenk von Sperrhahn wohlbestallter Kirchenmeister wird und um Frau Marthe
wirbt, nachdem er ihr gemeldet hat, beiß ihr Gatte in der Mühlberger Schlacht
gefallen sei. Sie glaubt ihm nicht, sie widersteht ihm, als er ihr in rasender
Erbitterung enthüllt, daß er der Frevler im Lager vor Ingolstadt und der
Vater ihres Kindes sei. Die ärmste Frnn sieht bei dieser Enthüllung in ihm
nur den Mörder ihres Glücks und des armen, unschuldigen Wendelin. In
dem Ringkampfe zwischen beiden, zu dem es un" kommt, stürzt Schenk von
Sperrhahn kopfüber durch eine Lücke des Münsterturms von Ulm, wo die
Szene vor sich geht, zwischen den Glocken in die Tiefe. Auch hier ist der
gespenstige Meister Grielach beteiligt, aus seinem Munde glaubt der Frevler
den Zuruf "Sturze!" vernommen zu haben. Zu allen Erschütterungen gesellt
sich für Frau Marthe die Sorge um ihr Kind, das in den Weihnachtstagen
erkrankt und stirbt. Da kommt Heinz Pochner, der inzwischen von seinen bei
Mühlberg empfangner Wunden genesen ist, nach Ulm, um sein Weib und die
Vergebung seines Weibes für die rauhe und harte Trennung in Eger zu suchen.
In ihrem Leid ist Marthe nur zu sehr zur Versöhnung geneigt, und mit der
Wiedervereinigung des schönen und stattlichen Paares schließt der Roman.

Der Wert der Dichtung liegt weniger in der Erfindung und Charakteristik,
als in den Schilderungen, in den lebendigen Farben, mit denen Laufs Land¬
schaften, Gefechte, das Lagerleben und die Kriegsbrauche des sechzehnten Jahr-


Neue historische Romane

werde. Unglückliche Umstände kommen seiner wilden Leidenschaft zu Hilfe,
auf einer Waldwiese an der Donau vergewaltigt der schnöde Gesell die schöne
bewußtlos gewordne Frau. Und die gleichen unglücklichen Umstände werfen
den Verdacht dieser Gewaltthat auf den Fähnrich Wendelin, denselben, der
treu und ehrbar die Hciuptmannsfrau von Ulm nach Ingolstadt geleitet hat.
Heinz und Marthe selbst glauben an die Schuld des armen jungen Mannes,
keiner denkt an den schlimmen Schenken in der Tciberne zum Kandlspiesz.
Wendelin wird nach Landsknechtsbrauch vor das Gericht seines Regiments
gestellt und stirbt zwischen den Spießen seiner Kameraden. Heinz Pochner
aber, der doch weiß, daß sein Weib schuldlos ist, und der sie im tiefsten Leid
mehr als zuvor liebt, scheidet sich nenn Monate später in Eger von Marthe,
als diese sich weigert, sich von dem Kinde zu trennen, dem sie das Leben ge¬
geben hat. Umsonst fleht sie den gereizten Hauptmann an, Barmherzigkeit zu
üben, er kann das Leid und die Bitterkeit der jüngsten Zeit nicht soweit über¬
winden, ihrem Gefühl gerecht zu werden. Während er mit dem Heere des
Kaisers nach Norden und zur Mühlberger Schlacht zieht, kehrt die unglück¬
liche Marthe mit ihrer kleinen Ursel nach Ulm zurück. Auf dieser Reise stellt
sich ihr der schurkische Schenk von Sperrhahn als ihr ehemaliger Verehrer dar,
sie ahnt nicht, daß der anscheinend redlich um sie Besorgte zugleich ihr Ver¬
derber und der Zerstörer ihres ehelichen Glücks ist, obschon sie einen geheimen
tiefen Widerwillen gegen ihn hat. Der tritt denn auch in Ulm zu Tage, wo
Schenk von Sperrhahn wohlbestallter Kirchenmeister wird und um Frau Marthe
wirbt, nachdem er ihr gemeldet hat, beiß ihr Gatte in der Mühlberger Schlacht
gefallen sei. Sie glaubt ihm nicht, sie widersteht ihm, als er ihr in rasender
Erbitterung enthüllt, daß er der Frevler im Lager vor Ingolstadt und der
Vater ihres Kindes sei. Die ärmste Frnn sieht bei dieser Enthüllung in ihm
nur den Mörder ihres Glücks und des armen, unschuldigen Wendelin. In
dem Ringkampfe zwischen beiden, zu dem es un» kommt, stürzt Schenk von
Sperrhahn kopfüber durch eine Lücke des Münsterturms von Ulm, wo die
Szene vor sich geht, zwischen den Glocken in die Tiefe. Auch hier ist der
gespenstige Meister Grielach beteiligt, aus seinem Munde glaubt der Frevler
den Zuruf „Sturze!" vernommen zu haben. Zu allen Erschütterungen gesellt
sich für Frau Marthe die Sorge um ihr Kind, das in den Weihnachtstagen
erkrankt und stirbt. Da kommt Heinz Pochner, der inzwischen von seinen bei
Mühlberg empfangner Wunden genesen ist, nach Ulm, um sein Weib und die
Vergebung seines Weibes für die rauhe und harte Trennung in Eger zu suchen.
In ihrem Leid ist Marthe nur zu sehr zur Versöhnung geneigt, und mit der
Wiedervereinigung des schönen und stattlichen Paares schließt der Roman.

Der Wert der Dichtung liegt weniger in der Erfindung und Charakteristik,
als in den Schilderungen, in den lebendigen Farben, mit denen Laufs Land¬
schaften, Gefechte, das Lagerleben und die Kriegsbrauche des sechzehnten Jahr-


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[0431] Neue historische Romane werde. Unglückliche Umstände kommen seiner wilden Leidenschaft zu Hilfe, auf einer Waldwiese an der Donau vergewaltigt der schnöde Gesell die schöne bewußtlos gewordne Frau. Und die gleichen unglücklichen Umstände werfen den Verdacht dieser Gewaltthat auf den Fähnrich Wendelin, denselben, der treu und ehrbar die Hciuptmannsfrau von Ulm nach Ingolstadt geleitet hat. Heinz und Marthe selbst glauben an die Schuld des armen jungen Mannes, keiner denkt an den schlimmen Schenken in der Tciberne zum Kandlspiesz. Wendelin wird nach Landsknechtsbrauch vor das Gericht seines Regiments gestellt und stirbt zwischen den Spießen seiner Kameraden. Heinz Pochner aber, der doch weiß, daß sein Weib schuldlos ist, und der sie im tiefsten Leid mehr als zuvor liebt, scheidet sich nenn Monate später in Eger von Marthe, als diese sich weigert, sich von dem Kinde zu trennen, dem sie das Leben ge¬ geben hat. Umsonst fleht sie den gereizten Hauptmann an, Barmherzigkeit zu üben, er kann das Leid und die Bitterkeit der jüngsten Zeit nicht soweit über¬ winden, ihrem Gefühl gerecht zu werden. Während er mit dem Heere des Kaisers nach Norden und zur Mühlberger Schlacht zieht, kehrt die unglück¬ liche Marthe mit ihrer kleinen Ursel nach Ulm zurück. Auf dieser Reise stellt sich ihr der schurkische Schenk von Sperrhahn als ihr ehemaliger Verehrer dar, sie ahnt nicht, daß der anscheinend redlich um sie Besorgte zugleich ihr Ver¬ derber und der Zerstörer ihres ehelichen Glücks ist, obschon sie einen geheimen tiefen Widerwillen gegen ihn hat. Der tritt denn auch in Ulm zu Tage, wo Schenk von Sperrhahn wohlbestallter Kirchenmeister wird und um Frau Marthe wirbt, nachdem er ihr gemeldet hat, beiß ihr Gatte in der Mühlberger Schlacht gefallen sei. Sie glaubt ihm nicht, sie widersteht ihm, als er ihr in rasender Erbitterung enthüllt, daß er der Frevler im Lager vor Ingolstadt und der Vater ihres Kindes sei. Die ärmste Frnn sieht bei dieser Enthüllung in ihm nur den Mörder ihres Glücks und des armen, unschuldigen Wendelin. In dem Ringkampfe zwischen beiden, zu dem es un» kommt, stürzt Schenk von Sperrhahn kopfüber durch eine Lücke des Münsterturms von Ulm, wo die Szene vor sich geht, zwischen den Glocken in die Tiefe. Auch hier ist der gespenstige Meister Grielach beteiligt, aus seinem Munde glaubt der Frevler den Zuruf „Sturze!" vernommen zu haben. Zu allen Erschütterungen gesellt sich für Frau Marthe die Sorge um ihr Kind, das in den Weihnachtstagen erkrankt und stirbt. Da kommt Heinz Pochner, der inzwischen von seinen bei Mühlberg empfangner Wunden genesen ist, nach Ulm, um sein Weib und die Vergebung seines Weibes für die rauhe und harte Trennung in Eger zu suchen. In ihrem Leid ist Marthe nur zu sehr zur Versöhnung geneigt, und mit der Wiedervereinigung des schönen und stattlichen Paares schließt der Roman. Der Wert der Dichtung liegt weniger in der Erfindung und Charakteristik, als in den Schilderungen, in den lebendigen Farben, mit denen Laufs Land¬ schaften, Gefechte, das Lagerleben und die Kriegsbrauche des sechzehnten Jahr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/431>, abgerufen am 17.06.2024.