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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Neue historische Romane

Hunderts malt. Der Hauch katholischer Überzeugung, der die Darstellung der
Mißerfolge des schmalkaldischen Buudesheeres an der Donau und der De¬
mütigung Kurfürst Johann Friedrichs durch Kaiser Karl den Fünften erfüllt,
macht sich in den übrigen Teilen der Geschichte nicht allzusehr geltend. Das
Ganze zeigt unzweifelhaft Talent und eine Darstellungskraft, die freilich Blei¬
bendes, künstlerisch Vollendetes erst schaffen dann wird, wenn sie die Skizzen-
bravour und die gelegentliche Neigung zu einem Stil, der sich in lauter Ab¬
sätzen und Wiederansätzen bewegt, glücklich überwunden haben wird.

Wenn wir dem Roman "Wider den Kurfürsten" von Hans Hoffmann
vor der "Martinsklause" und der "Hauptmannsfrau" den Preis zuerkennen,
so beruht dies auf der lebendigen Mitempfindung für die Phantasie und die
Bildkraft, die in diesem Roman zu Tage treten. Der historische Stoff, der
Hintergrund und Untergrund der Handlung ist einer poetischen Belebung durch¬
aus ungünstig. Die Belagerung der Stadt Stettin durch den Großen Kur¬
fürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg in den Jahren 1.677 und 1678
ist ein Stück Geschichte aus der Zeit der jämmerlichsten Zerrissenheit Deutsch¬
lands. Der westfälische Friede hatte den größten und besten Teil des alten
Herzogtums Pommern an das siegreiche Schweden gegeben und dem näher
berechtigten Brandenburg nur ein Stück Hinterpommern zugebracht. Das Ziel
der politischen Schachzüge und der kriegerischen Anstrengungen des Großen
Kurfürsten war die Erwerbung Pommerns, seit der Schlacht von Fehrbellin
sah der tapfere Fürst das Ziel nahe winken und setzte zunächst alle Kraft an
die Eroberung von Stettin. Hier aber begegnete ihm nicht nur der Wider¬
stand einer tapfern schwedischen Besatzung, sondern auch der entschlossene
Waffentrotz der deutscheu Bürgerschaft. Die alte Hauptstadt der Pommern¬
herzöge hatte sich nicht leicht darein gefunden, eine schwedische Provinzialstadt
zu sein, aber sie hatte sich darein gefunden; aus den Tagen der pommerschen
Selbständigkeit war der alte freundnachbarliche Haß gegen die Brandenburger
zurückgeblieben, der jahrhundertelang Deutsche wider Deutsche in die Waffen
brachte. So wurde die Eroberung Stettins eine schwere Sache. Ja was
für die Geschicke der Stadt und daneben für die dem heutigen Dichter ge¬
stellte Aufgabe schlimmer lag: die endliche Besitznahme Stettins dnrch Friedrich
Wilhelm war eine ganz vorübergehende. Schon im Jahre 1679 mußte er
seine Eroberungen wieder fahren lassen, dn die Übermacht Ludwigs XIV. für
Schwede" eintrat. Stettin blieb auf ein weiteres Menschenalter schwedisch,
und erst am Ende des großen nordischen Krieges unter Friedrich Wilhelm I.
wurde es eine preußische Stadt.

Unter diesen Umständen muß jeder Dichter darauf verzichten, Begeisterung
und tiefere Teilnahme für den politischen Hintergrund und den großen Zu¬
sammenhang der geschichtlichen Begebenheiten zu erwecken, in den seine Hand¬
lungen und seine erfundnen Gestalten verflochten sind. Das Motiv, das Hoff-


Neue historische Romane

Hunderts malt. Der Hauch katholischer Überzeugung, der die Darstellung der
Mißerfolge des schmalkaldischen Buudesheeres an der Donau und der De¬
mütigung Kurfürst Johann Friedrichs durch Kaiser Karl den Fünften erfüllt,
macht sich in den übrigen Teilen der Geschichte nicht allzusehr geltend. Das
Ganze zeigt unzweifelhaft Talent und eine Darstellungskraft, die freilich Blei¬
bendes, künstlerisch Vollendetes erst schaffen dann wird, wenn sie die Skizzen-
bravour und die gelegentliche Neigung zu einem Stil, der sich in lauter Ab¬
sätzen und Wiederansätzen bewegt, glücklich überwunden haben wird.

Wenn wir dem Roman „Wider den Kurfürsten" von Hans Hoffmann
vor der „Martinsklause" und der „Hauptmannsfrau" den Preis zuerkennen,
so beruht dies auf der lebendigen Mitempfindung für die Phantasie und die
Bildkraft, die in diesem Roman zu Tage treten. Der historische Stoff, der
Hintergrund und Untergrund der Handlung ist einer poetischen Belebung durch¬
aus ungünstig. Die Belagerung der Stadt Stettin durch den Großen Kur¬
fürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg in den Jahren 1.677 und 1678
ist ein Stück Geschichte aus der Zeit der jämmerlichsten Zerrissenheit Deutsch¬
lands. Der westfälische Friede hatte den größten und besten Teil des alten
Herzogtums Pommern an das siegreiche Schweden gegeben und dem näher
berechtigten Brandenburg nur ein Stück Hinterpommern zugebracht. Das Ziel
der politischen Schachzüge und der kriegerischen Anstrengungen des Großen
Kurfürsten war die Erwerbung Pommerns, seit der Schlacht von Fehrbellin
sah der tapfere Fürst das Ziel nahe winken und setzte zunächst alle Kraft an
die Eroberung von Stettin. Hier aber begegnete ihm nicht nur der Wider¬
stand einer tapfern schwedischen Besatzung, sondern auch der entschlossene
Waffentrotz der deutscheu Bürgerschaft. Die alte Hauptstadt der Pommern¬
herzöge hatte sich nicht leicht darein gefunden, eine schwedische Provinzialstadt
zu sein, aber sie hatte sich darein gefunden; aus den Tagen der pommerschen
Selbständigkeit war der alte freundnachbarliche Haß gegen die Brandenburger
zurückgeblieben, der jahrhundertelang Deutsche wider Deutsche in die Waffen
brachte. So wurde die Eroberung Stettins eine schwere Sache. Ja was
für die Geschicke der Stadt und daneben für die dem heutigen Dichter ge¬
stellte Aufgabe schlimmer lag: die endliche Besitznahme Stettins dnrch Friedrich
Wilhelm war eine ganz vorübergehende. Schon im Jahre 1679 mußte er
seine Eroberungen wieder fahren lassen, dn die Übermacht Ludwigs XIV. für
Schwede» eintrat. Stettin blieb auf ein weiteres Menschenalter schwedisch,
und erst am Ende des großen nordischen Krieges unter Friedrich Wilhelm I.
wurde es eine preußische Stadt.

Unter diesen Umständen muß jeder Dichter darauf verzichten, Begeisterung
und tiefere Teilnahme für den politischen Hintergrund und den großen Zu¬
sammenhang der geschichtlichen Begebenheiten zu erwecken, in den seine Hand¬
lungen und seine erfundnen Gestalten verflochten sind. Das Motiv, das Hoff-


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[0432] Neue historische Romane Hunderts malt. Der Hauch katholischer Überzeugung, der die Darstellung der Mißerfolge des schmalkaldischen Buudesheeres an der Donau und der De¬ mütigung Kurfürst Johann Friedrichs durch Kaiser Karl den Fünften erfüllt, macht sich in den übrigen Teilen der Geschichte nicht allzusehr geltend. Das Ganze zeigt unzweifelhaft Talent und eine Darstellungskraft, die freilich Blei¬ bendes, künstlerisch Vollendetes erst schaffen dann wird, wenn sie die Skizzen- bravour und die gelegentliche Neigung zu einem Stil, der sich in lauter Ab¬ sätzen und Wiederansätzen bewegt, glücklich überwunden haben wird. Wenn wir dem Roman „Wider den Kurfürsten" von Hans Hoffmann vor der „Martinsklause" und der „Hauptmannsfrau" den Preis zuerkennen, so beruht dies auf der lebendigen Mitempfindung für die Phantasie und die Bildkraft, die in diesem Roman zu Tage treten. Der historische Stoff, der Hintergrund und Untergrund der Handlung ist einer poetischen Belebung durch¬ aus ungünstig. Die Belagerung der Stadt Stettin durch den Großen Kur¬ fürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg in den Jahren 1.677 und 1678 ist ein Stück Geschichte aus der Zeit der jämmerlichsten Zerrissenheit Deutsch¬ lands. Der westfälische Friede hatte den größten und besten Teil des alten Herzogtums Pommern an das siegreiche Schweden gegeben und dem näher berechtigten Brandenburg nur ein Stück Hinterpommern zugebracht. Das Ziel der politischen Schachzüge und der kriegerischen Anstrengungen des Großen Kurfürsten war die Erwerbung Pommerns, seit der Schlacht von Fehrbellin sah der tapfere Fürst das Ziel nahe winken und setzte zunächst alle Kraft an die Eroberung von Stettin. Hier aber begegnete ihm nicht nur der Wider¬ stand einer tapfern schwedischen Besatzung, sondern auch der entschlossene Waffentrotz der deutscheu Bürgerschaft. Die alte Hauptstadt der Pommern¬ herzöge hatte sich nicht leicht darein gefunden, eine schwedische Provinzialstadt zu sein, aber sie hatte sich darein gefunden; aus den Tagen der pommerschen Selbständigkeit war der alte freundnachbarliche Haß gegen die Brandenburger zurückgeblieben, der jahrhundertelang Deutsche wider Deutsche in die Waffen brachte. So wurde die Eroberung Stettins eine schwere Sache. Ja was für die Geschicke der Stadt und daneben für die dem heutigen Dichter ge¬ stellte Aufgabe schlimmer lag: die endliche Besitznahme Stettins dnrch Friedrich Wilhelm war eine ganz vorübergehende. Schon im Jahre 1679 mußte er seine Eroberungen wieder fahren lassen, dn die Übermacht Ludwigs XIV. für Schwede» eintrat. Stettin blieb auf ein weiteres Menschenalter schwedisch, und erst am Ende des großen nordischen Krieges unter Friedrich Wilhelm I. wurde es eine preußische Stadt. Unter diesen Umständen muß jeder Dichter darauf verzichten, Begeisterung und tiefere Teilnahme für den politischen Hintergrund und den großen Zu¬ sammenhang der geschichtlichen Begebenheiten zu erwecken, in den seine Hand¬ lungen und seine erfundnen Gestalten verflochten sind. Das Motiv, das Hoff-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/432>, abgerufen am 27.05.2024.