Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.Der Streit der Fakultäten Natur eben nicht bescheiden, sondern eine Bravouralrobatin ist, wahrscheinlich Der Streit der Fakultäten .'; er alte Utermöhlen war ein prächtiger alter Bauer. Die ent¬ Der Streit der Fakultäten Natur eben nicht bescheiden, sondern eine Bravouralrobatin ist, wahrscheinlich Der Streit der Fakultäten .'; er alte Utermöhlen war ein prächtiger alter Bauer. Die ent¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0434" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219436"/> <fw type="header" place="top"> Der Streit der Fakultäten</fw><lb/> <p xml:id="ID_1289" prev="#ID_1288"> Natur eben nicht bescheiden, sondern eine Bravouralrobatin ist, wahrscheinlich<lb/> „akademisch" gescholten werden. Das kann natürlich das frische und echte Leben<lb/> in seiner Erfindung nicht gefährden und für keinen unverbildeten Leser unwirksam<lb/> machen. Der erquickliche, Walter Scott nicht nachahmende, aber an seinen gesunden<lb/> Wirklichkeitssinn gemahnende Realismus Hoffmanns läßt ein Verlangen nach<lb/> anderm, als in der Natur feiner Aufgabe liegt und als er geben will, gar<lb/> nicht aufkommen. Die klare Schlichtheit der Darstellung ist nirgends durch die<lb/> Barbarei des jüngsten Plakatstils gefährdet, der Hauch einer gewissen eignen<lb/> Freude an dem, was er erfindet und ausführt, zeichnet auch dies neueste<lb/> Werk Hans Hoffmanns aus. Ob man es gerade als einen Fortschritt über<lb/> den Roman „Der eiserne Rittmeister" hinaus wird betrachten können, wollen<lb/> wir unentschieden lassen; dem Stoff gemäß ist es freier von Reflexion und<lb/> wirkt einfacher als der Roman aus dem Jahre 1813. Geschichte lernen, wie<lb/> die deutsche Halbbildung noch immer vom historischen Roman verlangt, läßt<lb/> sich aus dem Buche „Wider den Kurfürsten" nicht, es ist auch bei dem Stück<lb/> Geschichte, das hier mitspielt, kaum der Mühe wert. Aber erfreuliches Men¬<lb/> schenleben unter unerfreulichen geschichtlichen Bedingungen erblickt, ergriffen<lb/> und uns nahegebracht zu haben, ist ein besserer Ruhm für den Dichter, als<lb/> der, die Quintessenz geschichtlicher Forschungen wiederzugeben. Auf alle Fülle<lb/> ist Hoffmanns Roman ein neuer Beweis für die Lebenskraft und das Lebeus-<lb/> recht poetischer Phantasie auch in der geächteten Form des historischen Romans.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Der Streit der Fakultäten<lb/> .'; </head><lb/> <p xml:id="ID_1290" next="#ID_1291"> er alte Utermöhlen war ein prächtiger alter Bauer. Die ent¬<lb/> legne Gegend, in der sein Dorf lag, hatte noch vieles in den<lb/> Sitten, Wirtschaftsverhältnissen und Anschauungen aus der alten<lb/> Zeit in die neue gerettet. Die Meinungen des Tages fanden<lb/> nicht so leicht ihren Weg in diese alten Sachsendörfer, und die<lb/> Leute saßen nicht dicht genug, als daß sie sich leicht zu Allerweltskerlen um¬<lb/> arbeiten, modeln und schleifen ließen. Die Kärglichkeit des Heidebodens zwang<lb/> sie zu harter Arbeit und geduldigen Abwarten des Erfolgs. Aber wenn auch<lb/> von hohen Zuckerfabrikdividenden keine Rede sein konnte, fo gab es eigentliche<lb/> Armut in diesem dünnbevölkerten Landstrich ebenso wenig. Stattliche Bauern-<lb/> Häuser zeugten von behäbigen Wohlstand, Hochzeiten, Kindtaufen und Begrüb-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0434]
Der Streit der Fakultäten
Natur eben nicht bescheiden, sondern eine Bravouralrobatin ist, wahrscheinlich
„akademisch" gescholten werden. Das kann natürlich das frische und echte Leben
in seiner Erfindung nicht gefährden und für keinen unverbildeten Leser unwirksam
machen. Der erquickliche, Walter Scott nicht nachahmende, aber an seinen gesunden
Wirklichkeitssinn gemahnende Realismus Hoffmanns läßt ein Verlangen nach
anderm, als in der Natur feiner Aufgabe liegt und als er geben will, gar
nicht aufkommen. Die klare Schlichtheit der Darstellung ist nirgends durch die
Barbarei des jüngsten Plakatstils gefährdet, der Hauch einer gewissen eignen
Freude an dem, was er erfindet und ausführt, zeichnet auch dies neueste
Werk Hans Hoffmanns aus. Ob man es gerade als einen Fortschritt über
den Roman „Der eiserne Rittmeister" hinaus wird betrachten können, wollen
wir unentschieden lassen; dem Stoff gemäß ist es freier von Reflexion und
wirkt einfacher als der Roman aus dem Jahre 1813. Geschichte lernen, wie
die deutsche Halbbildung noch immer vom historischen Roman verlangt, läßt
sich aus dem Buche „Wider den Kurfürsten" nicht, es ist auch bei dem Stück
Geschichte, das hier mitspielt, kaum der Mühe wert. Aber erfreuliches Men¬
schenleben unter unerfreulichen geschichtlichen Bedingungen erblickt, ergriffen
und uns nahegebracht zu haben, ist ein besserer Ruhm für den Dichter, als
der, die Quintessenz geschichtlicher Forschungen wiederzugeben. Auf alle Fülle
ist Hoffmanns Roman ein neuer Beweis für die Lebenskraft und das Lebeus-
recht poetischer Phantasie auch in der geächteten Form des historischen Romans.
Der Streit der Fakultäten
.';
er alte Utermöhlen war ein prächtiger alter Bauer. Die ent¬
legne Gegend, in der sein Dorf lag, hatte noch vieles in den
Sitten, Wirtschaftsverhältnissen und Anschauungen aus der alten
Zeit in die neue gerettet. Die Meinungen des Tages fanden
nicht so leicht ihren Weg in diese alten Sachsendörfer, und die
Leute saßen nicht dicht genug, als daß sie sich leicht zu Allerweltskerlen um¬
arbeiten, modeln und schleifen ließen. Die Kärglichkeit des Heidebodens zwang
sie zu harter Arbeit und geduldigen Abwarten des Erfolgs. Aber wenn auch
von hohen Zuckerfabrikdividenden keine Rede sein konnte, fo gab es eigentliche
Armut in diesem dünnbevölkerten Landstrich ebenso wenig. Stattliche Bauern-
Häuser zeugten von behäbigen Wohlstand, Hochzeiten, Kindtaufen und Begrüb-
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