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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Neue Novellen

weisen, wird dadurch i" die Arme dieser Assuntci Dotti getrieben und würde
um ihretwillen sein Weib Benedetta (dieselbe Frau, der zuliebe er den Eiser-
suchtsmord ans seine Seele geladen hat) vergiften, wenn ihn nicht sein jüngerer
Bruder Camillo, der bis dahin mit abgöttischer Verehrung zu ihm aufgeschaut
hat, richtete, d. h. nach einer furchtbaren Szene zwischen beiden Brüdern, gleich¬
falls erschösse. Eine Ausnahme in diese" düstern Vorgängen bildet nur die
Novelle "Die Gattensucherin," die sogar einen leichten Anflug von Humor
hat. Freilich setzt auch diese Geschichte damit ein, daß der Verlobte der schönen
Attilia Gianelli aus Torretta, Pilade Lnnfranchi, bei einem Streite, der mit
dem Messer zum Austrag gebracht wird, sein Messer etwas zu tief in die
Brust eines seiner Trinkkumpane senkt, sodaß dieser das Aufstehen vergißt, und
Pilade gewärtig sein muß, wegen Totschlags zum Bagno verurteilt zu werden.
Da ihm der Sinn darnach gar nicht steht, so geht er "nach altem Väterbranch
lieber in die Berge,",d. h. unter die Brigcinten. Attilia fährt fort, sich als
seine Braut zu betrachten und alle andern Bewerber, zu denen die stattlichsten
Burschen des Dorfes gehören, mit Hohn abzuweisen. Unter diesen Bewerbern
befindet sich auch der Fischer Severo Todi, der eines Tages der trotzigen
Schönen den Vorschlag macht, sie zu Lanfrcmchi zu geleiten, der wahrschein¬
lich bei der Bande des Leone verweile. Attilia geht auf diesen Vorschlag ein
und tritt mit Severo die eigentümliche Wanderung in das Innere der Insel
an, auf der sich in lebendig geschilderten Abenteuern Severo als der Mann
erweist, der der Liebe des besten Mädchens wert ist. Von Schritt zu Schritt
merkt Attilia, daß ihre Neigung zu Severo wächst, am Ende ist sie es, die
vor dem Ziel die Umkehr fordert und sich dem Fischer verlobt. Wie es zu
dieser Entscheidung kommt, zeigt sich, daß Severo Todi nicht ganz so uneigen¬
nützig gewesen ist, als es bei Beginn des seltsamen Abenteuers schien. Er hat
nämlich, ehe er Attilia den Vorschlag der Wanderung zu deu Vriganteu
machte, Pilade Lanfrcmchi selbst an Bord eines nach Valparaiso gehenden
Dampfers gerudert und darauf gerechnet, daß Attilia, wenn sie Pilade nicht
mehr vorfände, lieber ihn, Severo, zum Manne nehmen, als mit Schimpf
und Spott bedeckt nach Torretta heimkehren würde. Glückselig, daß ihm sein
Plan so über alles Erwarten gelungen ist, geleitet der Pfiffige die bezähmte
Widerspenstige nach Torretta. An frischer Gegenständlichkeit steht diese Novelle
den tragischen Geschichten des Bandes nicht nach, und sie giebt uns zugleich
die tröstliche Gewißheit, daß das sizilianische Dorfleben nicht völlig in Mord
und Selbstmord und düstern Gewaltsamkeiten aufgeht.

Auf deutscheu Boden zurück, aber aus der Gegenwart in vergangne Tage
(ins sechste, zwölfte und siebzehnte Jahrhundert n. Chr.) versetzen uns die drei
Erzählungen, die Wilhelm Jansen als Chiemgaunovellen (Weimar, Emil
Felder, 1895) vereinigt hat. In der phantasievollen, skizzenhaften Manier,
die ein breites Licht ans einen Vorgang, eine Psychologische Wandlung fallen


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weisen, wird dadurch i» die Arme dieser Assuntci Dotti getrieben und würde
um ihretwillen sein Weib Benedetta (dieselbe Frau, der zuliebe er den Eiser-
suchtsmord ans seine Seele geladen hat) vergiften, wenn ihn nicht sein jüngerer
Bruder Camillo, der bis dahin mit abgöttischer Verehrung zu ihm aufgeschaut
hat, richtete, d. h. nach einer furchtbaren Szene zwischen beiden Brüdern, gleich¬
falls erschösse. Eine Ausnahme in diese» düstern Vorgängen bildet nur die
Novelle „Die Gattensucherin," die sogar einen leichten Anflug von Humor
hat. Freilich setzt auch diese Geschichte damit ein, daß der Verlobte der schönen
Attilia Gianelli aus Torretta, Pilade Lnnfranchi, bei einem Streite, der mit
dem Messer zum Austrag gebracht wird, sein Messer etwas zu tief in die
Brust eines seiner Trinkkumpane senkt, sodaß dieser das Aufstehen vergißt, und
Pilade gewärtig sein muß, wegen Totschlags zum Bagno verurteilt zu werden.
Da ihm der Sinn darnach gar nicht steht, so geht er „nach altem Väterbranch
lieber in die Berge,",d. h. unter die Brigcinten. Attilia fährt fort, sich als
seine Braut zu betrachten und alle andern Bewerber, zu denen die stattlichsten
Burschen des Dorfes gehören, mit Hohn abzuweisen. Unter diesen Bewerbern
befindet sich auch der Fischer Severo Todi, der eines Tages der trotzigen
Schönen den Vorschlag macht, sie zu Lanfrcmchi zu geleiten, der wahrschein¬
lich bei der Bande des Leone verweile. Attilia geht auf diesen Vorschlag ein
und tritt mit Severo die eigentümliche Wanderung in das Innere der Insel
an, auf der sich in lebendig geschilderten Abenteuern Severo als der Mann
erweist, der der Liebe des besten Mädchens wert ist. Von Schritt zu Schritt
merkt Attilia, daß ihre Neigung zu Severo wächst, am Ende ist sie es, die
vor dem Ziel die Umkehr fordert und sich dem Fischer verlobt. Wie es zu
dieser Entscheidung kommt, zeigt sich, daß Severo Todi nicht ganz so uneigen¬
nützig gewesen ist, als es bei Beginn des seltsamen Abenteuers schien. Er hat
nämlich, ehe er Attilia den Vorschlag der Wanderung zu deu Vriganteu
machte, Pilade Lanfrcmchi selbst an Bord eines nach Valparaiso gehenden
Dampfers gerudert und darauf gerechnet, daß Attilia, wenn sie Pilade nicht
mehr vorfände, lieber ihn, Severo, zum Manne nehmen, als mit Schimpf
und Spott bedeckt nach Torretta heimkehren würde. Glückselig, daß ihm sein
Plan so über alles Erwarten gelungen ist, geleitet der Pfiffige die bezähmte
Widerspenstige nach Torretta. An frischer Gegenständlichkeit steht diese Novelle
den tragischen Geschichten des Bandes nicht nach, und sie giebt uns zugleich
die tröstliche Gewißheit, daß das sizilianische Dorfleben nicht völlig in Mord
und Selbstmord und düstern Gewaltsamkeiten aufgeht.

Auf deutscheu Boden zurück, aber aus der Gegenwart in vergangne Tage
(ins sechste, zwölfte und siebzehnte Jahrhundert n. Chr.) versetzen uns die drei
Erzählungen, die Wilhelm Jansen als Chiemgaunovellen (Weimar, Emil
Felder, 1895) vereinigt hat. In der phantasievollen, skizzenhaften Manier,
die ein breites Licht ans einen Vorgang, eine Psychologische Wandlung fallen


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[0226] Neue Novellen weisen, wird dadurch i» die Arme dieser Assuntci Dotti getrieben und würde um ihretwillen sein Weib Benedetta (dieselbe Frau, der zuliebe er den Eiser- suchtsmord ans seine Seele geladen hat) vergiften, wenn ihn nicht sein jüngerer Bruder Camillo, der bis dahin mit abgöttischer Verehrung zu ihm aufgeschaut hat, richtete, d. h. nach einer furchtbaren Szene zwischen beiden Brüdern, gleich¬ falls erschösse. Eine Ausnahme in diese» düstern Vorgängen bildet nur die Novelle „Die Gattensucherin," die sogar einen leichten Anflug von Humor hat. Freilich setzt auch diese Geschichte damit ein, daß der Verlobte der schönen Attilia Gianelli aus Torretta, Pilade Lnnfranchi, bei einem Streite, der mit dem Messer zum Austrag gebracht wird, sein Messer etwas zu tief in die Brust eines seiner Trinkkumpane senkt, sodaß dieser das Aufstehen vergißt, und Pilade gewärtig sein muß, wegen Totschlags zum Bagno verurteilt zu werden. Da ihm der Sinn darnach gar nicht steht, so geht er „nach altem Väterbranch lieber in die Berge,",d. h. unter die Brigcinten. Attilia fährt fort, sich als seine Braut zu betrachten und alle andern Bewerber, zu denen die stattlichsten Burschen des Dorfes gehören, mit Hohn abzuweisen. Unter diesen Bewerbern befindet sich auch der Fischer Severo Todi, der eines Tages der trotzigen Schönen den Vorschlag macht, sie zu Lanfrcmchi zu geleiten, der wahrschein¬ lich bei der Bande des Leone verweile. Attilia geht auf diesen Vorschlag ein und tritt mit Severo die eigentümliche Wanderung in das Innere der Insel an, auf der sich in lebendig geschilderten Abenteuern Severo als der Mann erweist, der der Liebe des besten Mädchens wert ist. Von Schritt zu Schritt merkt Attilia, daß ihre Neigung zu Severo wächst, am Ende ist sie es, die vor dem Ziel die Umkehr fordert und sich dem Fischer verlobt. Wie es zu dieser Entscheidung kommt, zeigt sich, daß Severo Todi nicht ganz so uneigen¬ nützig gewesen ist, als es bei Beginn des seltsamen Abenteuers schien. Er hat nämlich, ehe er Attilia den Vorschlag der Wanderung zu deu Vriganteu machte, Pilade Lanfrcmchi selbst an Bord eines nach Valparaiso gehenden Dampfers gerudert und darauf gerechnet, daß Attilia, wenn sie Pilade nicht mehr vorfände, lieber ihn, Severo, zum Manne nehmen, als mit Schimpf und Spott bedeckt nach Torretta heimkehren würde. Glückselig, daß ihm sein Plan so über alles Erwarten gelungen ist, geleitet der Pfiffige die bezähmte Widerspenstige nach Torretta. An frischer Gegenständlichkeit steht diese Novelle den tragischen Geschichten des Bandes nicht nach, und sie giebt uns zugleich die tröstliche Gewißheit, daß das sizilianische Dorfleben nicht völlig in Mord und Selbstmord und düstern Gewaltsamkeiten aufgeht. Auf deutscheu Boden zurück, aber aus der Gegenwart in vergangne Tage (ins sechste, zwölfte und siebzehnte Jahrhundert n. Chr.) versetzen uns die drei Erzählungen, die Wilhelm Jansen als Chiemgaunovellen (Weimar, Emil Felder, 1895) vereinigt hat. In der phantasievollen, skizzenhaften Manier, die ein breites Licht ans einen Vorgang, eine Psychologische Wandlung fallen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/226>, abgerufen am 25.05.2024.