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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Beitrag eines deutschen Kolonisten zur Lösung der sozialen Frage

dasselbe Unternehmen, aber auf breiterer Grundlage, für tüchtige Proletarier
aller Berufsklassen, für alle Deutschen, die sich dazu berufen fühlen, Pioniere
deutscher Sitte und deutscher Arbeitsamkeit, Ausdauer und Ehrlichkeit zu sein,
zugänglich machen. Pensionirten Beamten und Militärs könnte man zu
ihrer Pension einen kleinen Landbesitz in den Kolonien anweisen, den sie selbst
oder ihre Söhne in Besitz nehmen könnten, und der, falls er innerhalb einer
bestimmten Zeitgrenze nicht in Besitz genommen wäre, dem Staate wieder zu¬
fiele. Sollten die Führer der Proletarier nicht einmal selbst einen Versuch
wagen wollen, ihre blassen Theorien mit einigen ihrer Anhänger in einer
deutschen Kolonie auf eigner Scholle in die Wirklichkeit zu übersetzen? Gelänge
es ihnen, so könnte man vergangnes verzeihen, denn "Erfolg macht ehrlich"
(Uonö8tA "zjMöäam soglm-g. SUVVKSLUS taeit). Auch Heimstätten für entlassene
Verbrecher könnten auf diese Weise beschafft werden, sodaß der Entlassene ein
neues Leben in einer neuen Welt beginnen könnte.

Die Kosten für eine solche Unternehmung würden durch die Freigebigkeit
der Deutschen in der ganzen Welt leichter beschafft werden können, als die,
wenn auch gut gemeinten, aber für den beabsichtigten Zweck recht unfrucht¬
baren Sammlungen für "Abschaffung der Sklaverei," denn daß die Sklaverei
in Afrika nach wie vor blüht, steht doch wohl fest.

Ein solches Vorgehen des Reichs würde zur Folge haben, daß die Pro¬
letarier einsahen, daß die Behörden, die Mitbürger, die Volksvertretung, kurz
alle Faktoren der Gesellschaft ihren Wünschen nicht verneinend gegenüberstehen,
sondern daß die ganze Gesellschaft Anteil nimmt an den Leiden, die ein Haupt¬
glied der Gesellschaft befallen haben, daß die Gesellschaft ihnen wohlwill; und
das Reich würde ein Kapital nutzbringend angelegt und eine Gefahr beseitigt
haben, die die Gesundheit der heutigen Gesellschaft und die Ruhe des Reichs
bedroht. Mit Belehrung nach Art Stöckers, Richters oder des Evangelisch¬
sozialen Kongresses wird niemand überzeugt, geschweige denn der Sozialis¬
mus beseitigt, wenn mit der Belehrung nicht materielle Hilfe Hand in
Hand geht.

Eine materielle Hilfe kann aber nicht ein Einzelner, eine in ihren Mitteln
beschränkte Gesellschaft, sondern die kann nur der Staat gewähren. Die
"Arbeitgeber," die ländlichen wie die industriellen, fordern und erhalten ja
fortwährend Staatshilfe in Gestalt von Schutzzöllen u. s. w., die die Preise
ihrer Erzeugnisse in die Höhe treiben oder auf einer bestimmten Stufe erhalten
sollen. Warum nicht auch dem Arbeiter eine Hilfe gewähren, die er so nötig
braucht, um ein menschenwürdiges Dasein zu führen?

Wenn ich zu Anfang dieses Aufsatzes mein Leben als Kolonist, allerdings
nicht als Kolonist in einer deutschen Kolonie, kurz schilderte, so wollte ich
zeigen, wie sich das Leben der neuen Ansiedler, die sich dann unter dem Schutze
des Reichs anbauen würden, etwa gestalten würde, unter einem Schutze, dessen


Beitrag eines deutschen Kolonisten zur Lösung der sozialen Frage

dasselbe Unternehmen, aber auf breiterer Grundlage, für tüchtige Proletarier
aller Berufsklassen, für alle Deutschen, die sich dazu berufen fühlen, Pioniere
deutscher Sitte und deutscher Arbeitsamkeit, Ausdauer und Ehrlichkeit zu sein,
zugänglich machen. Pensionirten Beamten und Militärs könnte man zu
ihrer Pension einen kleinen Landbesitz in den Kolonien anweisen, den sie selbst
oder ihre Söhne in Besitz nehmen könnten, und der, falls er innerhalb einer
bestimmten Zeitgrenze nicht in Besitz genommen wäre, dem Staate wieder zu¬
fiele. Sollten die Führer der Proletarier nicht einmal selbst einen Versuch
wagen wollen, ihre blassen Theorien mit einigen ihrer Anhänger in einer
deutschen Kolonie auf eigner Scholle in die Wirklichkeit zu übersetzen? Gelänge
es ihnen, so könnte man vergangnes verzeihen, denn „Erfolg macht ehrlich"
(Uonö8tA «zjMöäam soglm-g. SUVVKSLUS taeit). Auch Heimstätten für entlassene
Verbrecher könnten auf diese Weise beschafft werden, sodaß der Entlassene ein
neues Leben in einer neuen Welt beginnen könnte.

Die Kosten für eine solche Unternehmung würden durch die Freigebigkeit
der Deutschen in der ganzen Welt leichter beschafft werden können, als die,
wenn auch gut gemeinten, aber für den beabsichtigten Zweck recht unfrucht¬
baren Sammlungen für „Abschaffung der Sklaverei," denn daß die Sklaverei
in Afrika nach wie vor blüht, steht doch wohl fest.

Ein solches Vorgehen des Reichs würde zur Folge haben, daß die Pro¬
letarier einsahen, daß die Behörden, die Mitbürger, die Volksvertretung, kurz
alle Faktoren der Gesellschaft ihren Wünschen nicht verneinend gegenüberstehen,
sondern daß die ganze Gesellschaft Anteil nimmt an den Leiden, die ein Haupt¬
glied der Gesellschaft befallen haben, daß die Gesellschaft ihnen wohlwill; und
das Reich würde ein Kapital nutzbringend angelegt und eine Gefahr beseitigt
haben, die die Gesundheit der heutigen Gesellschaft und die Ruhe des Reichs
bedroht. Mit Belehrung nach Art Stöckers, Richters oder des Evangelisch¬
sozialen Kongresses wird niemand überzeugt, geschweige denn der Sozialis¬
mus beseitigt, wenn mit der Belehrung nicht materielle Hilfe Hand in
Hand geht.

Eine materielle Hilfe kann aber nicht ein Einzelner, eine in ihren Mitteln
beschränkte Gesellschaft, sondern die kann nur der Staat gewähren. Die
„Arbeitgeber," die ländlichen wie die industriellen, fordern und erhalten ja
fortwährend Staatshilfe in Gestalt von Schutzzöllen u. s. w., die die Preise
ihrer Erzeugnisse in die Höhe treiben oder auf einer bestimmten Stufe erhalten
sollen. Warum nicht auch dem Arbeiter eine Hilfe gewähren, die er so nötig
braucht, um ein menschenwürdiges Dasein zu führen?

Wenn ich zu Anfang dieses Aufsatzes mein Leben als Kolonist, allerdings
nicht als Kolonist in einer deutschen Kolonie, kurz schilderte, so wollte ich
zeigen, wie sich das Leben der neuen Ansiedler, die sich dann unter dem Schutze
des Reichs anbauen würden, etwa gestalten würde, unter einem Schutze, dessen


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[0262] Beitrag eines deutschen Kolonisten zur Lösung der sozialen Frage dasselbe Unternehmen, aber auf breiterer Grundlage, für tüchtige Proletarier aller Berufsklassen, für alle Deutschen, die sich dazu berufen fühlen, Pioniere deutscher Sitte und deutscher Arbeitsamkeit, Ausdauer und Ehrlichkeit zu sein, zugänglich machen. Pensionirten Beamten und Militärs könnte man zu ihrer Pension einen kleinen Landbesitz in den Kolonien anweisen, den sie selbst oder ihre Söhne in Besitz nehmen könnten, und der, falls er innerhalb einer bestimmten Zeitgrenze nicht in Besitz genommen wäre, dem Staate wieder zu¬ fiele. Sollten die Führer der Proletarier nicht einmal selbst einen Versuch wagen wollen, ihre blassen Theorien mit einigen ihrer Anhänger in einer deutschen Kolonie auf eigner Scholle in die Wirklichkeit zu übersetzen? Gelänge es ihnen, so könnte man vergangnes verzeihen, denn „Erfolg macht ehrlich" (Uonö8tA «zjMöäam soglm-g. SUVVKSLUS taeit). Auch Heimstätten für entlassene Verbrecher könnten auf diese Weise beschafft werden, sodaß der Entlassene ein neues Leben in einer neuen Welt beginnen könnte. Die Kosten für eine solche Unternehmung würden durch die Freigebigkeit der Deutschen in der ganzen Welt leichter beschafft werden können, als die, wenn auch gut gemeinten, aber für den beabsichtigten Zweck recht unfrucht¬ baren Sammlungen für „Abschaffung der Sklaverei," denn daß die Sklaverei in Afrika nach wie vor blüht, steht doch wohl fest. Ein solches Vorgehen des Reichs würde zur Folge haben, daß die Pro¬ letarier einsahen, daß die Behörden, die Mitbürger, die Volksvertretung, kurz alle Faktoren der Gesellschaft ihren Wünschen nicht verneinend gegenüberstehen, sondern daß die ganze Gesellschaft Anteil nimmt an den Leiden, die ein Haupt¬ glied der Gesellschaft befallen haben, daß die Gesellschaft ihnen wohlwill; und das Reich würde ein Kapital nutzbringend angelegt und eine Gefahr beseitigt haben, die die Gesundheit der heutigen Gesellschaft und die Ruhe des Reichs bedroht. Mit Belehrung nach Art Stöckers, Richters oder des Evangelisch¬ sozialen Kongresses wird niemand überzeugt, geschweige denn der Sozialis¬ mus beseitigt, wenn mit der Belehrung nicht materielle Hilfe Hand in Hand geht. Eine materielle Hilfe kann aber nicht ein Einzelner, eine in ihren Mitteln beschränkte Gesellschaft, sondern die kann nur der Staat gewähren. Die „Arbeitgeber," die ländlichen wie die industriellen, fordern und erhalten ja fortwährend Staatshilfe in Gestalt von Schutzzöllen u. s. w., die die Preise ihrer Erzeugnisse in die Höhe treiben oder auf einer bestimmten Stufe erhalten sollen. Warum nicht auch dem Arbeiter eine Hilfe gewähren, die er so nötig braucht, um ein menschenwürdiges Dasein zu führen? Wenn ich zu Anfang dieses Aufsatzes mein Leben als Kolonist, allerdings nicht als Kolonist in einer deutschen Kolonie, kurz schilderte, so wollte ich zeigen, wie sich das Leben der neuen Ansiedler, die sich dann unter dem Schutze des Reichs anbauen würden, etwa gestalten würde, unter einem Schutze, dessen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/262>, abgerufen am 16.06.2024.