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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Wohlthaten ich leider bisher noch habe entbehren müssen. Es würde ihnen
voraussichtlich noch besser gelingen als mir.

Während sich die große Volksvermehrung in Deutschland (wie man sagt,
vermehrt sich die Bevölkerung jährlich um mehr als eine halbe Million) bis
jetzt als ein Unglück erwiesen hat, würde sie, wenn gut ausgenutzt, Deutsch¬
lands Kolonien zu schneller Blüte bringen, würde den Sozialismus für Deutsch¬
land ungefährlich machen, das auf Kolonisation verwendete Kapital reichlich
verzinsen und dem deutschen Ausfuhrhandel einen großartigen Aufschwung geben.

Dürften wir hoffen, daß diese Möglichkeit recht bald geschaffen werde!




Unser Drrenwesen
2. Die ^rrenpflege

er erste Teil dieses Aufsatzes war den Grenzboten bereits zu¬
gegangen, als der Aachener Prozeß wieder einmal die allge¬
meine Aufmerksamkeit auf unser Jrrenwesen lenkte. Die Mi߬
stände, die durch die Gerichtsverhandlungen aufgedeckt worden
sind, haben solche Aufregung hervorgerufen, daß ich den be¬
absichtigten Gang meiner Ausführungen unterbrechen und zunächst bei der Be¬
trachtung dessen verweilen will, was uns die Mißwirtschaft der Alexianer lehrt.
Ich thue das um so lieber, als mir die zu so trauriger Berühmtheit gelangten
Ereignisse eine vorzügliche Handhabe geben, eine alte Forderung der Irren¬
ärzte eindringlicher zu wiederholen und mich zugleich über eine wichtige Seite
der ganzen Jrrenfrage ausführlicher zu verbreiten. Meine Erörterungen werden
so recht eigentlich die Fortsetzung des in dem ersten Aufsatze behandelten Gegen¬
standes bilden. Hatte ich dort die Behauptung verfochten, daß nnr der fach¬
männisch vorgebildete Arzt den Geisteszustand prüfen und beurteilen könne, so
will ich jetzt zu beweisen suchen, daß auch die Behandlung Geistesgestörter
einzig und allein dem Irrenärzte zusteht, und daß überall, wo sich Unberufne
die Jrrenpflege anmaßen, Mißstände die unausbleibliche Folge sind. Zu diese"
Unberufnen gehören aber in erster Linie Geistliche und geistliche Orden, und
eine besonders schlagende Probe geistlicher Laienpsychiatrie ist die Behandlung,
die den Geisteskranken in dem Kloster Mariabcrg zu teil wurde. Schon die
Versammlung deutscher Irrenärzte, die im Mai 1893 in Frankfurt a. M. tagte,
hatte die Forderung aufgestellt, daß Irrenanstalten nur von Ärzten geleitet


Wohlthaten ich leider bisher noch habe entbehren müssen. Es würde ihnen
voraussichtlich noch besser gelingen als mir.

Während sich die große Volksvermehrung in Deutschland (wie man sagt,
vermehrt sich die Bevölkerung jährlich um mehr als eine halbe Million) bis
jetzt als ein Unglück erwiesen hat, würde sie, wenn gut ausgenutzt, Deutsch¬
lands Kolonien zu schneller Blüte bringen, würde den Sozialismus für Deutsch¬
land ungefährlich machen, das auf Kolonisation verwendete Kapital reichlich
verzinsen und dem deutschen Ausfuhrhandel einen großartigen Aufschwung geben.

Dürften wir hoffen, daß diese Möglichkeit recht bald geschaffen werde!




Unser Drrenwesen
2. Die ^rrenpflege

er erste Teil dieses Aufsatzes war den Grenzboten bereits zu¬
gegangen, als der Aachener Prozeß wieder einmal die allge¬
meine Aufmerksamkeit auf unser Jrrenwesen lenkte. Die Mi߬
stände, die durch die Gerichtsverhandlungen aufgedeckt worden
sind, haben solche Aufregung hervorgerufen, daß ich den be¬
absichtigten Gang meiner Ausführungen unterbrechen und zunächst bei der Be¬
trachtung dessen verweilen will, was uns die Mißwirtschaft der Alexianer lehrt.
Ich thue das um so lieber, als mir die zu so trauriger Berühmtheit gelangten
Ereignisse eine vorzügliche Handhabe geben, eine alte Forderung der Irren¬
ärzte eindringlicher zu wiederholen und mich zugleich über eine wichtige Seite
der ganzen Jrrenfrage ausführlicher zu verbreiten. Meine Erörterungen werden
so recht eigentlich die Fortsetzung des in dem ersten Aufsatze behandelten Gegen¬
standes bilden. Hatte ich dort die Behauptung verfochten, daß nnr der fach¬
männisch vorgebildete Arzt den Geisteszustand prüfen und beurteilen könne, so
will ich jetzt zu beweisen suchen, daß auch die Behandlung Geistesgestörter
einzig und allein dem Irrenärzte zusteht, und daß überall, wo sich Unberufne
die Jrrenpflege anmaßen, Mißstände die unausbleibliche Folge sind. Zu diese»
Unberufnen gehören aber in erster Linie Geistliche und geistliche Orden, und
eine besonders schlagende Probe geistlicher Laienpsychiatrie ist die Behandlung,
die den Geisteskranken in dem Kloster Mariabcrg zu teil wurde. Schon die
Versammlung deutscher Irrenärzte, die im Mai 1893 in Frankfurt a. M. tagte,
hatte die Forderung aufgestellt, daß Irrenanstalten nur von Ärzten geleitet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/263>, abgerufen am 16.06.2024.