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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Uonrad Fiedler

Die erste Periode unsrer Freundschaft, wie ich mein Verhältnis zu ihm
schon damals nennen durfte, dauerte nicht lange. Schon nach ungefähr zwei
Monaten verließ ich Berlin, um nach kurzem Aufenthalt in Leipzig wieder
auf Reisen zu gehen. Als ich nach Ablauf eines Jahres nach Leipzig zurück¬
kehrte, fand ich Fiedler dort vor. Er hatte inzwischen sein erstes juristisches
Examen bestanden, war zum vovwr u. j. promovirt worden und schickte sich
eben an, in das Bureau eiues Nechtsanwcilts einzutreten, um die juristische
Praxis kennen zu lernen. Ich erinnere mich nicht, ob er dabei die bestimmte
Absicht hatte, später eine juristische Laufbahn einzuschlagen. Ins Auge gefaßt
hatten er und seine Familie diese Berufswahl jedenfalls, und Fiedler hatte
sich, in dem strengen Pflichtgefühl, das ihm eigen war, mit Eifer und Fleiß
der Vorbereitung für diese Lebensaufgabe gewidmet, aber wohl ohne schon fest
entschlossen ',u sein, sie ernstlich zu ergreifen. Nur wollte er, nachdem er
geprüft worden war, selbst erst prüfen, wie weit ihm die Laufbahn zusagen
würde.

Ich brachte dem Freunde, den ich alsbald nach meiner Rückkehr aufsuchte,
von meinem Ausflüge drei Neuigkeiten mit, zwei litterarische und eine, die ich
nicht gleich rubriziren kann. Die litterarischen Neuigkeiten, d.h. Neuigkeiten
für ihn, waren die Dichtungen Alfred de Müssets und die Philosophie Arthur
Schopenhauers. Müssets Name war natürlich in Deutschland bekannt, dafür
hatte schon die Heimische Muse gesorgt, die den Dichter als "der Alfred de Musset
der Gassenbub" bei uns eingeführt hatte, eine poetische Licenz, die der be¬
rühmte Satiriker dadurch wieder gutmachte, daß er in seiner Abhandlung
über die französische Litteratur deu Gassenbuben als den größten lebenden
Dichter der Franzosen bezeichnete. Das hinderte aber nicht, daß die Werke
Müssets noch sehr wenig gekannt und, meines Wissens, öffentlich noch gar nicht
besprochen worden waren. Die Philosophie Schopenhauers fing zu dieser Zeit
auch erst an. .über den Kreis einer kleinen Gemeinde hinaus Beachtung zu
finden. Diese beiden ihm neuen litterarischen Erscheinungen, die unnachahm¬
liche und noch nie dagewesene Leichtigkeit. Klarheit und Anmut, mit der beide,
der Dichter wie der Philosoph, die tiefsten lind schwierigsten Probleme des
menschlichen Denkens behandelt hatten, waren dazu angethan, den Freund ganz
anders zu interessiren als seine dermalige juristische Praxis. Er geriet in
einen wahren Enthusiasmus, und die unter diesem Einfluß angestellten Er¬
wägungen mochten ihn endgiltig bestimmen, nicht in die Verfolgung einer
juristischen Laufbahn seinen Lebenszweck zu setzen, sondern sich ganz dem Stu¬
dium der Philosophie und der Beschäftigung mit der Kunst, die ihn beide
schon längst mächtig angezogen hatten, zu widmen und sich einen dem ent¬
sprechenden Wirkungskreis zu schaffen. Nach Absvlvirung seines "praktischen
Jahres" ging er an die Ausführung dieses Vorredners und begab sich, um
unt dein Lesen zugleich das Sehen zu verbinden, auf Reisen, zunächst nach


Uonrad Fiedler

Die erste Periode unsrer Freundschaft, wie ich mein Verhältnis zu ihm
schon damals nennen durfte, dauerte nicht lange. Schon nach ungefähr zwei
Monaten verließ ich Berlin, um nach kurzem Aufenthalt in Leipzig wieder
auf Reisen zu gehen. Als ich nach Ablauf eines Jahres nach Leipzig zurück¬
kehrte, fand ich Fiedler dort vor. Er hatte inzwischen sein erstes juristisches
Examen bestanden, war zum vovwr u. j. promovirt worden und schickte sich
eben an, in das Bureau eiues Nechtsanwcilts einzutreten, um die juristische
Praxis kennen zu lernen. Ich erinnere mich nicht, ob er dabei die bestimmte
Absicht hatte, später eine juristische Laufbahn einzuschlagen. Ins Auge gefaßt
hatten er und seine Familie diese Berufswahl jedenfalls, und Fiedler hatte
sich, in dem strengen Pflichtgefühl, das ihm eigen war, mit Eifer und Fleiß
der Vorbereitung für diese Lebensaufgabe gewidmet, aber wohl ohne schon fest
entschlossen ',u sein, sie ernstlich zu ergreifen. Nur wollte er, nachdem er
geprüft worden war, selbst erst prüfen, wie weit ihm die Laufbahn zusagen
würde.

Ich brachte dem Freunde, den ich alsbald nach meiner Rückkehr aufsuchte,
von meinem Ausflüge drei Neuigkeiten mit, zwei litterarische und eine, die ich
nicht gleich rubriziren kann. Die litterarischen Neuigkeiten, d.h. Neuigkeiten
für ihn, waren die Dichtungen Alfred de Müssets und die Philosophie Arthur
Schopenhauers. Müssets Name war natürlich in Deutschland bekannt, dafür
hatte schon die Heimische Muse gesorgt, die den Dichter als „der Alfred de Musset
der Gassenbub" bei uns eingeführt hatte, eine poetische Licenz, die der be¬
rühmte Satiriker dadurch wieder gutmachte, daß er in seiner Abhandlung
über die französische Litteratur deu Gassenbuben als den größten lebenden
Dichter der Franzosen bezeichnete. Das hinderte aber nicht, daß die Werke
Müssets noch sehr wenig gekannt und, meines Wissens, öffentlich noch gar nicht
besprochen worden waren. Die Philosophie Schopenhauers fing zu dieser Zeit
auch erst an. .über den Kreis einer kleinen Gemeinde hinaus Beachtung zu
finden. Diese beiden ihm neuen litterarischen Erscheinungen, die unnachahm¬
liche und noch nie dagewesene Leichtigkeit. Klarheit und Anmut, mit der beide,
der Dichter wie der Philosoph, die tiefsten lind schwierigsten Probleme des
menschlichen Denkens behandelt hatten, waren dazu angethan, den Freund ganz
anders zu interessiren als seine dermalige juristische Praxis. Er geriet in
einen wahren Enthusiasmus, und die unter diesem Einfluß angestellten Er¬
wägungen mochten ihn endgiltig bestimmen, nicht in die Verfolgung einer
juristischen Laufbahn seinen Lebenszweck zu setzen, sondern sich ganz dem Stu¬
dium der Philosophie und der Beschäftigung mit der Kunst, die ihn beide
schon längst mächtig angezogen hatten, zu widmen und sich einen dem ent¬
sprechenden Wirkungskreis zu schaffen. Nach Absvlvirung seines „praktischen
Jahres" ging er an die Ausführung dieses Vorredners und begab sich, um
unt dein Lesen zugleich das Sehen zu verbinden, auf Reisen, zunächst nach


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[0279] Uonrad Fiedler Die erste Periode unsrer Freundschaft, wie ich mein Verhältnis zu ihm schon damals nennen durfte, dauerte nicht lange. Schon nach ungefähr zwei Monaten verließ ich Berlin, um nach kurzem Aufenthalt in Leipzig wieder auf Reisen zu gehen. Als ich nach Ablauf eines Jahres nach Leipzig zurück¬ kehrte, fand ich Fiedler dort vor. Er hatte inzwischen sein erstes juristisches Examen bestanden, war zum vovwr u. j. promovirt worden und schickte sich eben an, in das Bureau eiues Nechtsanwcilts einzutreten, um die juristische Praxis kennen zu lernen. Ich erinnere mich nicht, ob er dabei die bestimmte Absicht hatte, später eine juristische Laufbahn einzuschlagen. Ins Auge gefaßt hatten er und seine Familie diese Berufswahl jedenfalls, und Fiedler hatte sich, in dem strengen Pflichtgefühl, das ihm eigen war, mit Eifer und Fleiß der Vorbereitung für diese Lebensaufgabe gewidmet, aber wohl ohne schon fest entschlossen ',u sein, sie ernstlich zu ergreifen. Nur wollte er, nachdem er geprüft worden war, selbst erst prüfen, wie weit ihm die Laufbahn zusagen würde. Ich brachte dem Freunde, den ich alsbald nach meiner Rückkehr aufsuchte, von meinem Ausflüge drei Neuigkeiten mit, zwei litterarische und eine, die ich nicht gleich rubriziren kann. Die litterarischen Neuigkeiten, d.h. Neuigkeiten für ihn, waren die Dichtungen Alfred de Müssets und die Philosophie Arthur Schopenhauers. Müssets Name war natürlich in Deutschland bekannt, dafür hatte schon die Heimische Muse gesorgt, die den Dichter als „der Alfred de Musset der Gassenbub" bei uns eingeführt hatte, eine poetische Licenz, die der be¬ rühmte Satiriker dadurch wieder gutmachte, daß er in seiner Abhandlung über die französische Litteratur deu Gassenbuben als den größten lebenden Dichter der Franzosen bezeichnete. Das hinderte aber nicht, daß die Werke Müssets noch sehr wenig gekannt und, meines Wissens, öffentlich noch gar nicht besprochen worden waren. Die Philosophie Schopenhauers fing zu dieser Zeit auch erst an. .über den Kreis einer kleinen Gemeinde hinaus Beachtung zu finden. Diese beiden ihm neuen litterarischen Erscheinungen, die unnachahm¬ liche und noch nie dagewesene Leichtigkeit. Klarheit und Anmut, mit der beide, der Dichter wie der Philosoph, die tiefsten lind schwierigsten Probleme des menschlichen Denkens behandelt hatten, waren dazu angethan, den Freund ganz anders zu interessiren als seine dermalige juristische Praxis. Er geriet in einen wahren Enthusiasmus, und die unter diesem Einfluß angestellten Er¬ wägungen mochten ihn endgiltig bestimmen, nicht in die Verfolgung einer juristischen Laufbahn seinen Lebenszweck zu setzen, sondern sich ganz dem Stu¬ dium der Philosophie und der Beschäftigung mit der Kunst, die ihn beide schon längst mächtig angezogen hatten, zu widmen und sich einen dem ent¬ sprechenden Wirkungskreis zu schaffen. Nach Absvlvirung seines „praktischen Jahres" ging er an die Ausführung dieses Vorredners und begab sich, um unt dein Lesen zugleich das Sehen zu verbinden, auf Reisen, zunächst nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/279>, abgerufen am 16.06.2024.