Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Kommt Fiedler

manche bittere Stunde zu bereiten, ist ja schon schlimm genug. Schlimmer
ist, daß er von diesem Mißtrauen, das andre gegen ihn hegen, oft selbst an¬
gesteckt wird. Denn der Leichtsinn und der "Künstlerstolz," die er dem all¬
gemeinen "Vorurteil" entgegenstellt, sind in der Regel nur Maske. Im
Innersten muß er den Leuten Recht geben und sich immer sagen, daß er doch
einen verzweifelt gefährlichen Weg geht, selbst wenn das, was er sein Talent
nennt, das, was ihn zu dem gewagten Schritt bewogen hat, nicht ein Hirn¬
gespinst sein sollte. Und wirklich, kann er es denn wissen, ob er Talent hat,
ehe er noch das geleistet hat, was trotz alles Talents doch nur der ange¬
strengteste Fleiß in Verbindung mit noch allen möglichen Umständen zu leisten
imstande ist? Kann er es denn wissen, selbst wenn er endlich etwas geleistet
hat, was er für gut halten muß auch bei der strengsten Selbstprüfung, solange
es noch andre nicht für gut halten? Er weiß ja von so vielen seiner Kollegen,
die sich einbilden, oder wenigstens andern die Einbildung beibringen möchten,
daß sie Meister seien, während sie doch offenbar nur Stümper sind. Also
Anerkennung, Erfolg! Und solange diese fehlen, das niederdrückende Bewußt¬
sein, daß alles, was er auch leisten mag, nicht den Wert einer Stecknadel hat,
und daß er selbst in den Augen der Welt und in seinen eignen nicht viel
besseres ist als ein elender Hungerleider und Tagedieb.

Ja giebt es nicht sogar solche, denen selbst der Erfolg, der Beifall, den sie
bei andern finden, nicht über diesen Zweifel am eignen Talent hinweghelfen
kann? Nun, sie gehen wenigstens nicht an üußerm Mangel zu Grunde, wie
die armen Erfolglosen, die Verläumder, wie man sie spöttisch nennt. Aber
die Welt hat kein Mitleid mit ihnen. Warum setzen sie sich leichtsinnig der
Gefahr aus? Wer zwingt sie dazu? Niemand. Aber wenn keiner den Mut
oder den Leichtsinn hätte, sich in diese Gefahr zu begeben, so Hütte die Mensch¬
heit auch keine Kunst, nicht einmal einen Dilettantismus, denn dieser ist ja
nur ein Schmarotzergewächs, das seine Nahrung aus dem großen sciftstrotzendcn
Baume der Kunst zieht. Die Errungenschaften der Kultur kosten Menschen¬
opfer so gut wie die Kriege mit den Waffen. Ehrt nicht nur die Überlebenden,
beklagt auch die Gefallenen!

Man kann sich wohl vorstellen, was es für einen solchen Ausgestoßenen,
der sich in dem heißen Kampf ums Dasein abarbeitet, bedeutet, einen zu finden,
der sich seine Not zu .Herzen nimmt, nicht nur die äußere, sondern auch die
innere Not, der erkennt, was er will, ihn ermutigt, sein Selbstvertrauen be¬
festigt, seine Bestrebungen nach allen Richtungen hin fördert, mit einem Worte:
einen Freund.

Fiedlers tiefes Verständnis für die Individualität des Menschen, diese
höchste ihm eingeborne Begabung, sie war es, durch die er vor allem in seinem
Verkehr mit Künstlern eine so segensreiche Wirkung ausübte. Denn in der
Individualität wurzelt ja das Schaffen des Künstlers. Jeder Maler malt


Kommt Fiedler

manche bittere Stunde zu bereiten, ist ja schon schlimm genug. Schlimmer
ist, daß er von diesem Mißtrauen, das andre gegen ihn hegen, oft selbst an¬
gesteckt wird. Denn der Leichtsinn und der „Künstlerstolz," die er dem all¬
gemeinen „Vorurteil" entgegenstellt, sind in der Regel nur Maske. Im
Innersten muß er den Leuten Recht geben und sich immer sagen, daß er doch
einen verzweifelt gefährlichen Weg geht, selbst wenn das, was er sein Talent
nennt, das, was ihn zu dem gewagten Schritt bewogen hat, nicht ein Hirn¬
gespinst sein sollte. Und wirklich, kann er es denn wissen, ob er Talent hat,
ehe er noch das geleistet hat, was trotz alles Talents doch nur der ange¬
strengteste Fleiß in Verbindung mit noch allen möglichen Umständen zu leisten
imstande ist? Kann er es denn wissen, selbst wenn er endlich etwas geleistet
hat, was er für gut halten muß auch bei der strengsten Selbstprüfung, solange
es noch andre nicht für gut halten? Er weiß ja von so vielen seiner Kollegen,
die sich einbilden, oder wenigstens andern die Einbildung beibringen möchten,
daß sie Meister seien, während sie doch offenbar nur Stümper sind. Also
Anerkennung, Erfolg! Und solange diese fehlen, das niederdrückende Bewußt¬
sein, daß alles, was er auch leisten mag, nicht den Wert einer Stecknadel hat,
und daß er selbst in den Augen der Welt und in seinen eignen nicht viel
besseres ist als ein elender Hungerleider und Tagedieb.

Ja giebt es nicht sogar solche, denen selbst der Erfolg, der Beifall, den sie
bei andern finden, nicht über diesen Zweifel am eignen Talent hinweghelfen
kann? Nun, sie gehen wenigstens nicht an üußerm Mangel zu Grunde, wie
die armen Erfolglosen, die Verläumder, wie man sie spöttisch nennt. Aber
die Welt hat kein Mitleid mit ihnen. Warum setzen sie sich leichtsinnig der
Gefahr aus? Wer zwingt sie dazu? Niemand. Aber wenn keiner den Mut
oder den Leichtsinn hätte, sich in diese Gefahr zu begeben, so Hütte die Mensch¬
heit auch keine Kunst, nicht einmal einen Dilettantismus, denn dieser ist ja
nur ein Schmarotzergewächs, das seine Nahrung aus dem großen sciftstrotzendcn
Baume der Kunst zieht. Die Errungenschaften der Kultur kosten Menschen¬
opfer so gut wie die Kriege mit den Waffen. Ehrt nicht nur die Überlebenden,
beklagt auch die Gefallenen!

Man kann sich wohl vorstellen, was es für einen solchen Ausgestoßenen,
der sich in dem heißen Kampf ums Dasein abarbeitet, bedeutet, einen zu finden,
der sich seine Not zu .Herzen nimmt, nicht nur die äußere, sondern auch die
innere Not, der erkennt, was er will, ihn ermutigt, sein Selbstvertrauen be¬
festigt, seine Bestrebungen nach allen Richtungen hin fördert, mit einem Worte:
einen Freund.

Fiedlers tiefes Verständnis für die Individualität des Menschen, diese
höchste ihm eingeborne Begabung, sie war es, durch die er vor allem in seinem
Verkehr mit Künstlern eine so segensreiche Wirkung ausübte. Denn in der
Individualität wurzelt ja das Schaffen des Künstlers. Jeder Maler malt


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0282" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220608"/>
          <fw type="header" place="top"> Kommt Fiedler</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1163" prev="#ID_1162"> manche bittere Stunde zu bereiten, ist ja schon schlimm genug. Schlimmer<lb/>
ist, daß er von diesem Mißtrauen, das andre gegen ihn hegen, oft selbst an¬<lb/>
gesteckt wird. Denn der Leichtsinn und der &#x201E;Künstlerstolz," die er dem all¬<lb/>
gemeinen &#x201E;Vorurteil" entgegenstellt, sind in der Regel nur Maske. Im<lb/>
Innersten muß er den Leuten Recht geben und sich immer sagen, daß er doch<lb/>
einen verzweifelt gefährlichen Weg geht, selbst wenn das, was er sein Talent<lb/>
nennt, das, was ihn zu dem gewagten Schritt bewogen hat, nicht ein Hirn¬<lb/>
gespinst sein sollte. Und wirklich, kann er es denn wissen, ob er Talent hat,<lb/>
ehe er noch das geleistet hat, was trotz alles Talents doch nur der ange¬<lb/>
strengteste Fleiß in Verbindung mit noch allen möglichen Umständen zu leisten<lb/>
imstande ist? Kann er es denn wissen, selbst wenn er endlich etwas geleistet<lb/>
hat, was er für gut halten muß auch bei der strengsten Selbstprüfung, solange<lb/>
es noch andre nicht für gut halten? Er weiß ja von so vielen seiner Kollegen,<lb/>
die sich einbilden, oder wenigstens andern die Einbildung beibringen möchten,<lb/>
daß sie Meister seien, während sie doch offenbar nur Stümper sind. Also<lb/>
Anerkennung, Erfolg! Und solange diese fehlen, das niederdrückende Bewußt¬<lb/>
sein, daß alles, was er auch leisten mag, nicht den Wert einer Stecknadel hat,<lb/>
und daß er selbst in den Augen der Welt und in seinen eignen nicht viel<lb/>
besseres ist als ein elender Hungerleider und Tagedieb.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1164"> Ja giebt es nicht sogar solche, denen selbst der Erfolg, der Beifall, den sie<lb/>
bei andern finden, nicht über diesen Zweifel am eignen Talent hinweghelfen<lb/>
kann? Nun, sie gehen wenigstens nicht an üußerm Mangel zu Grunde, wie<lb/>
die armen Erfolglosen, die Verläumder, wie man sie spöttisch nennt. Aber<lb/>
die Welt hat kein Mitleid mit ihnen. Warum setzen sie sich leichtsinnig der<lb/>
Gefahr aus? Wer zwingt sie dazu? Niemand. Aber wenn keiner den Mut<lb/>
oder den Leichtsinn hätte, sich in diese Gefahr zu begeben, so Hütte die Mensch¬<lb/>
heit auch keine Kunst, nicht einmal einen Dilettantismus, denn dieser ist ja<lb/>
nur ein Schmarotzergewächs, das seine Nahrung aus dem großen sciftstrotzendcn<lb/>
Baume der Kunst zieht. Die Errungenschaften der Kultur kosten Menschen¬<lb/>
opfer so gut wie die Kriege mit den Waffen. Ehrt nicht nur die Überlebenden,<lb/>
beklagt auch die Gefallenen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1165"> Man kann sich wohl vorstellen, was es für einen solchen Ausgestoßenen,<lb/>
der sich in dem heißen Kampf ums Dasein abarbeitet, bedeutet, einen zu finden,<lb/>
der sich seine Not zu .Herzen nimmt, nicht nur die äußere, sondern auch die<lb/>
innere Not, der erkennt, was er will, ihn ermutigt, sein Selbstvertrauen be¬<lb/>
festigt, seine Bestrebungen nach allen Richtungen hin fördert, mit einem Worte:<lb/>
einen Freund.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1166" next="#ID_1167"> Fiedlers tiefes Verständnis für die Individualität des Menschen, diese<lb/>
höchste ihm eingeborne Begabung, sie war es, durch die er vor allem in seinem<lb/>
Verkehr mit Künstlern eine so segensreiche Wirkung ausübte. Denn in der<lb/>
Individualität wurzelt ja das Schaffen des Künstlers.  Jeder Maler malt</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0282] Kommt Fiedler manche bittere Stunde zu bereiten, ist ja schon schlimm genug. Schlimmer ist, daß er von diesem Mißtrauen, das andre gegen ihn hegen, oft selbst an¬ gesteckt wird. Denn der Leichtsinn und der „Künstlerstolz," die er dem all¬ gemeinen „Vorurteil" entgegenstellt, sind in der Regel nur Maske. Im Innersten muß er den Leuten Recht geben und sich immer sagen, daß er doch einen verzweifelt gefährlichen Weg geht, selbst wenn das, was er sein Talent nennt, das, was ihn zu dem gewagten Schritt bewogen hat, nicht ein Hirn¬ gespinst sein sollte. Und wirklich, kann er es denn wissen, ob er Talent hat, ehe er noch das geleistet hat, was trotz alles Talents doch nur der ange¬ strengteste Fleiß in Verbindung mit noch allen möglichen Umständen zu leisten imstande ist? Kann er es denn wissen, selbst wenn er endlich etwas geleistet hat, was er für gut halten muß auch bei der strengsten Selbstprüfung, solange es noch andre nicht für gut halten? Er weiß ja von so vielen seiner Kollegen, die sich einbilden, oder wenigstens andern die Einbildung beibringen möchten, daß sie Meister seien, während sie doch offenbar nur Stümper sind. Also Anerkennung, Erfolg! Und solange diese fehlen, das niederdrückende Bewußt¬ sein, daß alles, was er auch leisten mag, nicht den Wert einer Stecknadel hat, und daß er selbst in den Augen der Welt und in seinen eignen nicht viel besseres ist als ein elender Hungerleider und Tagedieb. Ja giebt es nicht sogar solche, denen selbst der Erfolg, der Beifall, den sie bei andern finden, nicht über diesen Zweifel am eignen Talent hinweghelfen kann? Nun, sie gehen wenigstens nicht an üußerm Mangel zu Grunde, wie die armen Erfolglosen, die Verläumder, wie man sie spöttisch nennt. Aber die Welt hat kein Mitleid mit ihnen. Warum setzen sie sich leichtsinnig der Gefahr aus? Wer zwingt sie dazu? Niemand. Aber wenn keiner den Mut oder den Leichtsinn hätte, sich in diese Gefahr zu begeben, so Hütte die Mensch¬ heit auch keine Kunst, nicht einmal einen Dilettantismus, denn dieser ist ja nur ein Schmarotzergewächs, das seine Nahrung aus dem großen sciftstrotzendcn Baume der Kunst zieht. Die Errungenschaften der Kultur kosten Menschen¬ opfer so gut wie die Kriege mit den Waffen. Ehrt nicht nur die Überlebenden, beklagt auch die Gefallenen! Man kann sich wohl vorstellen, was es für einen solchen Ausgestoßenen, der sich in dem heißen Kampf ums Dasein abarbeitet, bedeutet, einen zu finden, der sich seine Not zu .Herzen nimmt, nicht nur die äußere, sondern auch die innere Not, der erkennt, was er will, ihn ermutigt, sein Selbstvertrauen be¬ festigt, seine Bestrebungen nach allen Richtungen hin fördert, mit einem Worte: einen Freund. Fiedlers tiefes Verständnis für die Individualität des Menschen, diese höchste ihm eingeborne Begabung, sie war es, durch die er vor allem in seinem Verkehr mit Künstlern eine so segensreiche Wirkung ausübte. Denn in der Individualität wurzelt ja das Schaffen des Künstlers. Jeder Maler malt

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/282
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/282>, abgerufen am 16.06.2024.