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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Ist die jetzige preußische Regierung national?

nächsten achtzig Jahren nicht größtenteils verloren gehen, so muß der Kampf
mit dem Polentum rücksichtslos aufgenommen und die Einwanderung polnischer
Arbeiter unbedingt verboten werden. Gleichzeitig muß eine kräftige Besiedlung
des Ostens durch Deutsche aus dem übrigen Deutschland ohne Schonung von
Geld begonnen werden. Wir geben jährlich Hunderte von Millionen aus,
um ein starkes Heer gegen etwaige äußere Feinde zur Verfügung zu haben;
was sollen da zehn Millionen jährlich bedeuten, wenn es gilt, zu verhindern,
daß uus im eignen Lande ein gefährlicher Gegner entstehe! Das Nationalitäts¬
prinzip bewegt die Gegenwart und wird auf der Tagesordnung der Zukunft
stehen. Und die Frage der Errichtung eines polnischen Staats wird bei der
nächsten ernstlichen Verwicklung, die wir haben, zur Entscheidung gebracht
werden. Wehe uns, wenn ein anfangs siegreicher Gegner die Fahne des
Polentums aufrollt, oder wir schließlich unterliegen, und wenn das Polentum
so wie bisher in Deutschland Fortschritte gemacht hat! Und wenn jeder Ko¬
lonist der Regierung zehntausend Mark kostete, so wäre dies für die Stärkung
des Deutschtums kein zu hoher Preis. An Ansiedlern würde es sicher nicht
fehlen. Unser Unteroffizierstand könnte ein ausgezeichnetes Material dazu
liefern. siedelte man jährlich nur tausend Unteroffiziere an, verwendete man
dabei jährlich zehn Millionen Mark unter Verzicht auf Rückgewühr, und führte
mau für diese Ansiedlerstellen die Grundsätze der Unverschuldbarkeit, der Un¬
teilbarkeit und der Unvereinbarkeit streng durch, so würde sich nach und nach
im Osten ein Bauernstand bilden, der in nationaler und volkswirtschaftlicher
Beziehung nichts zu wünschen übrig ließe. Aber freilich, Geld würde es kosten.
Große Ziele erfordern eben große Opfer. Durch eine Besiedlung dagegen von
Privatwirtschaftlichem Gesichtspunkte aus, wie sie bisher geschehen ist, wird
man nie etwas nachhaltiges erreichen.

Durch kräftigere Besiedlung würde übrigens auch die Moral einiger¬
maßen vor einer Niederlage bewahrt werden. Das internationale Großkapital
nämlich hat das größte Interesse gezeigt, daß die Handelsverträge angenommen
würden. Himmel und Erde hat es deshalb in Bewegung gesetzt. Die Handels¬
verträge werden den Untergang eines großen Teils unsrer ländlichen Grund¬
besitzer herbeiführen. Dieselben Kapitalisten aber, die den Abschluß der Han¬
delsverträge betrieben haben, schicken sich schon jetzt an, ihres Vorteils wegen
die im Preise tief gesunkenen und noch tiefer sinkenden Landgüter an sich zu
reißen. Sie beabsichtigen, entweder sie mit Hilfe der Rentengutsgesetze zu
zerschlagen oder mit ihnen ü> In. Imusss auf den Termin des Ablaufs der
Handelsverträge zu spekuliren. Sie nehmen an, daß dann dnrch ihren Einfluß
und um den Rest der jetzigen Grundbesitzer vor dem Untergange zu bewahren,
die Getreidezölle erhöht werden und infolgedessen die Preise der Landgüter
wieder steigen werden. Es ist unmoralisch, daß die, die den Ruin unsers
jetzigen Grundbesitzerstandes veranlaßt haben, diesen Ruin benutzen, Vorteil


Ist die jetzige preußische Regierung national?

nächsten achtzig Jahren nicht größtenteils verloren gehen, so muß der Kampf
mit dem Polentum rücksichtslos aufgenommen und die Einwanderung polnischer
Arbeiter unbedingt verboten werden. Gleichzeitig muß eine kräftige Besiedlung
des Ostens durch Deutsche aus dem übrigen Deutschland ohne Schonung von
Geld begonnen werden. Wir geben jährlich Hunderte von Millionen aus,
um ein starkes Heer gegen etwaige äußere Feinde zur Verfügung zu haben;
was sollen da zehn Millionen jährlich bedeuten, wenn es gilt, zu verhindern,
daß uus im eignen Lande ein gefährlicher Gegner entstehe! Das Nationalitäts¬
prinzip bewegt die Gegenwart und wird auf der Tagesordnung der Zukunft
stehen. Und die Frage der Errichtung eines polnischen Staats wird bei der
nächsten ernstlichen Verwicklung, die wir haben, zur Entscheidung gebracht
werden. Wehe uns, wenn ein anfangs siegreicher Gegner die Fahne des
Polentums aufrollt, oder wir schließlich unterliegen, und wenn das Polentum
so wie bisher in Deutschland Fortschritte gemacht hat! Und wenn jeder Ko¬
lonist der Regierung zehntausend Mark kostete, so wäre dies für die Stärkung
des Deutschtums kein zu hoher Preis. An Ansiedlern würde es sicher nicht
fehlen. Unser Unteroffizierstand könnte ein ausgezeichnetes Material dazu
liefern. siedelte man jährlich nur tausend Unteroffiziere an, verwendete man
dabei jährlich zehn Millionen Mark unter Verzicht auf Rückgewühr, und führte
mau für diese Ansiedlerstellen die Grundsätze der Unverschuldbarkeit, der Un¬
teilbarkeit und der Unvereinbarkeit streng durch, so würde sich nach und nach
im Osten ein Bauernstand bilden, der in nationaler und volkswirtschaftlicher
Beziehung nichts zu wünschen übrig ließe. Aber freilich, Geld würde es kosten.
Große Ziele erfordern eben große Opfer. Durch eine Besiedlung dagegen von
Privatwirtschaftlichem Gesichtspunkte aus, wie sie bisher geschehen ist, wird
man nie etwas nachhaltiges erreichen.

Durch kräftigere Besiedlung würde übrigens auch die Moral einiger¬
maßen vor einer Niederlage bewahrt werden. Das internationale Großkapital
nämlich hat das größte Interesse gezeigt, daß die Handelsverträge angenommen
würden. Himmel und Erde hat es deshalb in Bewegung gesetzt. Die Handels¬
verträge werden den Untergang eines großen Teils unsrer ländlichen Grund¬
besitzer herbeiführen. Dieselben Kapitalisten aber, die den Abschluß der Han¬
delsverträge betrieben haben, schicken sich schon jetzt an, ihres Vorteils wegen
die im Preise tief gesunkenen und noch tiefer sinkenden Landgüter an sich zu
reißen. Sie beabsichtigen, entweder sie mit Hilfe der Rentengutsgesetze zu
zerschlagen oder mit ihnen ü> In. Imusss auf den Termin des Ablaufs der
Handelsverträge zu spekuliren. Sie nehmen an, daß dann dnrch ihren Einfluß
und um den Rest der jetzigen Grundbesitzer vor dem Untergange zu bewahren,
die Getreidezölle erhöht werden und infolgedessen die Preise der Landgüter
wieder steigen werden. Es ist unmoralisch, daß die, die den Ruin unsers
jetzigen Grundbesitzerstandes veranlaßt haben, diesen Ruin benutzen, Vorteil


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[0407] Ist die jetzige preußische Regierung national? nächsten achtzig Jahren nicht größtenteils verloren gehen, so muß der Kampf mit dem Polentum rücksichtslos aufgenommen und die Einwanderung polnischer Arbeiter unbedingt verboten werden. Gleichzeitig muß eine kräftige Besiedlung des Ostens durch Deutsche aus dem übrigen Deutschland ohne Schonung von Geld begonnen werden. Wir geben jährlich Hunderte von Millionen aus, um ein starkes Heer gegen etwaige äußere Feinde zur Verfügung zu haben; was sollen da zehn Millionen jährlich bedeuten, wenn es gilt, zu verhindern, daß uus im eignen Lande ein gefährlicher Gegner entstehe! Das Nationalitäts¬ prinzip bewegt die Gegenwart und wird auf der Tagesordnung der Zukunft stehen. Und die Frage der Errichtung eines polnischen Staats wird bei der nächsten ernstlichen Verwicklung, die wir haben, zur Entscheidung gebracht werden. Wehe uns, wenn ein anfangs siegreicher Gegner die Fahne des Polentums aufrollt, oder wir schließlich unterliegen, und wenn das Polentum so wie bisher in Deutschland Fortschritte gemacht hat! Und wenn jeder Ko¬ lonist der Regierung zehntausend Mark kostete, so wäre dies für die Stärkung des Deutschtums kein zu hoher Preis. An Ansiedlern würde es sicher nicht fehlen. Unser Unteroffizierstand könnte ein ausgezeichnetes Material dazu liefern. siedelte man jährlich nur tausend Unteroffiziere an, verwendete man dabei jährlich zehn Millionen Mark unter Verzicht auf Rückgewühr, und führte mau für diese Ansiedlerstellen die Grundsätze der Unverschuldbarkeit, der Un¬ teilbarkeit und der Unvereinbarkeit streng durch, so würde sich nach und nach im Osten ein Bauernstand bilden, der in nationaler und volkswirtschaftlicher Beziehung nichts zu wünschen übrig ließe. Aber freilich, Geld würde es kosten. Große Ziele erfordern eben große Opfer. Durch eine Besiedlung dagegen von Privatwirtschaftlichem Gesichtspunkte aus, wie sie bisher geschehen ist, wird man nie etwas nachhaltiges erreichen. Durch kräftigere Besiedlung würde übrigens auch die Moral einiger¬ maßen vor einer Niederlage bewahrt werden. Das internationale Großkapital nämlich hat das größte Interesse gezeigt, daß die Handelsverträge angenommen würden. Himmel und Erde hat es deshalb in Bewegung gesetzt. Die Handels¬ verträge werden den Untergang eines großen Teils unsrer ländlichen Grund¬ besitzer herbeiführen. Dieselben Kapitalisten aber, die den Abschluß der Han¬ delsverträge betrieben haben, schicken sich schon jetzt an, ihres Vorteils wegen die im Preise tief gesunkenen und noch tiefer sinkenden Landgüter an sich zu reißen. Sie beabsichtigen, entweder sie mit Hilfe der Rentengutsgesetze zu zerschlagen oder mit ihnen ü> In. Imusss auf den Termin des Ablaufs der Handelsverträge zu spekuliren. Sie nehmen an, daß dann dnrch ihren Einfluß und um den Rest der jetzigen Grundbesitzer vor dem Untergange zu bewahren, die Getreidezölle erhöht werden und infolgedessen die Preise der Landgüter wieder steigen werden. Es ist unmoralisch, daß die, die den Ruin unsers jetzigen Grundbesitzerstandes veranlaßt haben, diesen Ruin benutzen, Vorteil

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/407>, abgerufen am 25.05.2024.