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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Brasilien

reichen Mitbewerb des Rübenzuckers. Endlich sei noch der Kautschuk angeführt
und auf die Bedeutung der Viehzucht hingewiesen, ohne daß damit die Quellen,
aus denen die Bevölkerung Nahrung und Gewinn ziehen kann, annähernd
erschöpft wären.

Die Bevölkerung Brasiliens wird auf vierzehn Millionen Köpfe geschätzt,
darunter zwei Millionen Indianer und Neger. Die Dichtigkeit wechselt in
den verschiednen Landesteilen; während man in der Provinz Rio Grande do
Suk, die von 1803 bis 1872 von 36 700 auf 430000 Seelen anwuchs, vier
Bewohner auf den Quadratkilometer rechnet, kommt im Durchschnitt auf die¬
selbe Fläche im ganzen Reiche nur ein Bewohner. Hält man dagegen die
entsprechenden Zahlen in Belgien (185) und in Dentschlcind (79), so wird man
es berechtigt finden, wenn wir Brasilien sür ein außerordentlich wichtiges Land
zukünftiger Besiedlung halten.

Die deutsche Bevölkerung ist nicht sehr groß, aber doch groß genug, daß
wir an sie große Hoffnungen knüpfen dürfen. Von sämtlichen deutschen Aus¬
wandrern (von 1871 bis 1889 1784871 Personen) gehen bekanntlich 95 Pro¬
zent nach Nordamerika und nur zwei Prozent nach dem Süden. Im ganzen
leben jetzt annähernd 200000 Deutsche in Brasilien, die mit den Franzosen
und Italienern zusammen den thätigen Teil der Bevölkerung gegenüber den
trägen Brasilianern bilden. Es darf freilich nicht außer acht gelassen werden,
daß das Anwachsen der italienischen Einwcmdrung namentlich für die Deutschen
in den südbrasilianischeu Provinzen Santa Katharina und Rio Grande do Sui
eine große Gefahr birgt. Diese Einwcmdrung wird von der Negierung
geradezu begünstigt, um ein Gegengewicht gegen das dort solidarische
Deutschtum zu schaffen, indem man einzelne italienische Kolonien zwischen die
deutschen einschickt und so die Verschmelzung der deutschen Anstedlungen, die
nach der Befürchtung der Brasilianer einmal zu einer Abtrennung des Südens
sühren könnte, zu verhindern sucht. Gelingt dieser Plan (und das ist nicht
unmöglich, da die romanische Einwcmdrung der Jahre 1875 bis 1885 größer
war als die gesamte deutsche der Jahre 1824 bis 1883), so ist die Hoffnung
dahin, daß in diesen beiden Provinzen ein auch im politischen Leben des
Landes mächtiges deutsches Wirtschaftsgebiet geschaffen werden könnte.")



*) Diese Borgänge werden erläutert durch folgende Aufstellung, in der nur die Nationen
berücksichtigt sind, die die größte Zahl der Einwandrer stellten. Von ihnen waren:
PortugiesenItalienerSpanierDeutsche
1883112861069823431690
1884368369335761240
18357611109088152119
1387137851424526961987
1839152403492086621803
189217 7975499320468902
Brasilien

reichen Mitbewerb des Rübenzuckers. Endlich sei noch der Kautschuk angeführt
und auf die Bedeutung der Viehzucht hingewiesen, ohne daß damit die Quellen,
aus denen die Bevölkerung Nahrung und Gewinn ziehen kann, annähernd
erschöpft wären.

Die Bevölkerung Brasiliens wird auf vierzehn Millionen Köpfe geschätzt,
darunter zwei Millionen Indianer und Neger. Die Dichtigkeit wechselt in
den verschiednen Landesteilen; während man in der Provinz Rio Grande do
Suk, die von 1803 bis 1872 von 36 700 auf 430000 Seelen anwuchs, vier
Bewohner auf den Quadratkilometer rechnet, kommt im Durchschnitt auf die¬
selbe Fläche im ganzen Reiche nur ein Bewohner. Hält man dagegen die
entsprechenden Zahlen in Belgien (185) und in Dentschlcind (79), so wird man
es berechtigt finden, wenn wir Brasilien sür ein außerordentlich wichtiges Land
zukünftiger Besiedlung halten.

Die deutsche Bevölkerung ist nicht sehr groß, aber doch groß genug, daß
wir an sie große Hoffnungen knüpfen dürfen. Von sämtlichen deutschen Aus¬
wandrern (von 1871 bis 1889 1784871 Personen) gehen bekanntlich 95 Pro¬
zent nach Nordamerika und nur zwei Prozent nach dem Süden. Im ganzen
leben jetzt annähernd 200000 Deutsche in Brasilien, die mit den Franzosen
und Italienern zusammen den thätigen Teil der Bevölkerung gegenüber den
trägen Brasilianern bilden. Es darf freilich nicht außer acht gelassen werden,
daß das Anwachsen der italienischen Einwcmdrung namentlich für die Deutschen
in den südbrasilianischeu Provinzen Santa Katharina und Rio Grande do Sui
eine große Gefahr birgt. Diese Einwcmdrung wird von der Negierung
geradezu begünstigt, um ein Gegengewicht gegen das dort solidarische
Deutschtum zu schaffen, indem man einzelne italienische Kolonien zwischen die
deutschen einschickt und so die Verschmelzung der deutschen Anstedlungen, die
nach der Befürchtung der Brasilianer einmal zu einer Abtrennung des Südens
sühren könnte, zu verhindern sucht. Gelingt dieser Plan (und das ist nicht
unmöglich, da die romanische Einwcmdrung der Jahre 1875 bis 1885 größer
war als die gesamte deutsche der Jahre 1824 bis 1883), so ist die Hoffnung
dahin, daß in diesen beiden Provinzen ein auch im politischen Leben des
Landes mächtiges deutsches Wirtschaftsgebiet geschaffen werden könnte.")



*) Diese Borgänge werden erläutert durch folgende Aufstellung, in der nur die Nationen
berücksichtigt sind, die die größte Zahl der Einwandrer stellten. Von ihnen waren:
PortugiesenItalienerSpanierDeutsche
1883112861069823431690
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[0416] Brasilien reichen Mitbewerb des Rübenzuckers. Endlich sei noch der Kautschuk angeführt und auf die Bedeutung der Viehzucht hingewiesen, ohne daß damit die Quellen, aus denen die Bevölkerung Nahrung und Gewinn ziehen kann, annähernd erschöpft wären. Die Bevölkerung Brasiliens wird auf vierzehn Millionen Köpfe geschätzt, darunter zwei Millionen Indianer und Neger. Die Dichtigkeit wechselt in den verschiednen Landesteilen; während man in der Provinz Rio Grande do Suk, die von 1803 bis 1872 von 36 700 auf 430000 Seelen anwuchs, vier Bewohner auf den Quadratkilometer rechnet, kommt im Durchschnitt auf die¬ selbe Fläche im ganzen Reiche nur ein Bewohner. Hält man dagegen die entsprechenden Zahlen in Belgien (185) und in Dentschlcind (79), so wird man es berechtigt finden, wenn wir Brasilien sür ein außerordentlich wichtiges Land zukünftiger Besiedlung halten. Die deutsche Bevölkerung ist nicht sehr groß, aber doch groß genug, daß wir an sie große Hoffnungen knüpfen dürfen. Von sämtlichen deutschen Aus¬ wandrern (von 1871 bis 1889 1784871 Personen) gehen bekanntlich 95 Pro¬ zent nach Nordamerika und nur zwei Prozent nach dem Süden. Im ganzen leben jetzt annähernd 200000 Deutsche in Brasilien, die mit den Franzosen und Italienern zusammen den thätigen Teil der Bevölkerung gegenüber den trägen Brasilianern bilden. Es darf freilich nicht außer acht gelassen werden, daß das Anwachsen der italienischen Einwcmdrung namentlich für die Deutschen in den südbrasilianischeu Provinzen Santa Katharina und Rio Grande do Sui eine große Gefahr birgt. Diese Einwcmdrung wird von der Negierung geradezu begünstigt, um ein Gegengewicht gegen das dort solidarische Deutschtum zu schaffen, indem man einzelne italienische Kolonien zwischen die deutschen einschickt und so die Verschmelzung der deutschen Anstedlungen, die nach der Befürchtung der Brasilianer einmal zu einer Abtrennung des Südens sühren könnte, zu verhindern sucht. Gelingt dieser Plan (und das ist nicht unmöglich, da die romanische Einwcmdrung der Jahre 1875 bis 1885 größer war als die gesamte deutsche der Jahre 1824 bis 1883), so ist die Hoffnung dahin, daß in diesen beiden Provinzen ein auch im politischen Leben des Landes mächtiges deutsches Wirtschaftsgebiet geschaffen werden könnte.") *) Diese Borgänge werden erläutert durch folgende Aufstellung, in der nur die Nationen berücksichtigt sind, die die größte Zahl der Einwandrer stellten. Von ihnen waren: PortugiesenItalienerSpanierDeutsche 1883112861069823431690 1884368369335761240 18357611109088152119 1387137851424526961987 1839152403492086621803 189217 7975499320468902

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/416>, abgerufen am 16.06.2024.