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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

selbst entrinnen will, und das würde den Bischöfen jener Zeit als feige Fahnen¬
flucht und Verrat nicht allein ausgelegt worden, sondern erschienen sein. Der
Schrecken über das um Horizont auftauchende Unfehlbarkeitsdogma war bei
den aufrichtigen und frommen Katholiken, selbst ultramontanster Richtung, nur
die Betschwestern und einige dumme Fanatiker ausgenommen, ganz allgemein.
Es wäre ein großes Unglück, wenn diese Lehre zum Dogma erhoben würde,
sagte einer der Führer der Liegnitzer Katholiken, ein durch Verstand, uneigen¬
nützigen Eifer, edeln Charakter und aufrichtige Frömmigkeit hervorragender
Mann. In den großen Zeitungen der Provinz polemisirten Baltzer, Reinkens,
Elvenich und Weber gegen die infallibilistischeu Hausblntter. Ich war damals
gerade auf Augustin verfallen. Aus ihm ersah ich, daß die Kirchenverfassung
des fünften Jahrhunderts nichts weniger als monarchisch gewesen ist, und bei
dem Gedanken, daß sich der Papst nun auch noch das Prädikat der Unfehl¬
barkeit beilegen und seine Anmaßung auf die Tradition stützen wolle, stand
mir der Verstand still. Später nahm ich dann den Augustin noch einmal
vor und verarbeitete meine Lesefrüchte für den Deutschen Merkur, in dem sie
1875 von Ur. 36 an unter dem Titel: "Was weiß der heilige Augustinus
vom Primate des römischen Bischofs?" erschienen. Es war die erste größere
Arbeit, die ich habe drucken lassen, anonym, wie alles vor 1884 herausgegebne.
Eine Vorbemerkung dazu lautet: "In den Jahren 1868 und 1869, als die
Gemüter durch die Erwartung des bevorstehenden Konzils aufgeregt waren,
las ich gerade in den Schriften des heiligen Augustinus, nicht zu einem speziellen
Zwecke, sondern meiner Gewohnheit nach zu meiner persönlichen Belehrung.
Ich war bis dahin ein aufrichtiger Verehrer des Papsttums gewesen und hatte
eben deswegen die gefährliche Bahn, die dasselbe, von blinden Anbetern ge¬
trieben, einzuschlagen im Begriff stand, mit großer Besorgnis beobachtet.
Zudem hatte mir die Lektüre Cypriens, besonders seines Werkes of uniwts
kLolssiaö, einen andern Begriff von Kircheneinheit und Kirchenverfassung vor
Augen gestellt, als ihn unsre theologischen Lehrbücher mit kluger Benutzung
abgerissener Vätersiellen zu entwickeln Pflegen. Da erregte es denn meine Auf¬
merksamkeit, daß ich bei Augustinus den Primat des römischen Bischofs nirgends
erwähnt fand. Die Aufmerksamkeit wurde zum Erstaunen, als mir Stellen
begegneten, die die Annahme eines Lehrprimats auf das bestimmteste aus¬
schließen. Durch eine Erklärung gegen Syllabus und Unfehlbarkeit in Konflikt
mit der geistlichen Behörde gebracht, arbeitete ich eine Ncchtfertigungsschrift
aus, in die ich anch die bei Lesung des heiligen Augustinus gemachten Er¬
fahrungen aufnahm, an deren Herausgabe ich aber durch die Umstände ge¬
hindert wurde. Während nun der Inhalt dieser Rechtfertigungsschrift größten¬
teils veraltet und von den Ereignissen überholt ist, halte ich doch das über
Augustinus gesagte auch heute noch sür zeitgemäß" u. s. w.

Die Abreise Försters zum Konzil Anfang Dezember 1869 gestaltete sich


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

selbst entrinnen will, und das würde den Bischöfen jener Zeit als feige Fahnen¬
flucht und Verrat nicht allein ausgelegt worden, sondern erschienen sein. Der
Schrecken über das um Horizont auftauchende Unfehlbarkeitsdogma war bei
den aufrichtigen und frommen Katholiken, selbst ultramontanster Richtung, nur
die Betschwestern und einige dumme Fanatiker ausgenommen, ganz allgemein.
Es wäre ein großes Unglück, wenn diese Lehre zum Dogma erhoben würde,
sagte einer der Führer der Liegnitzer Katholiken, ein durch Verstand, uneigen¬
nützigen Eifer, edeln Charakter und aufrichtige Frömmigkeit hervorragender
Mann. In den großen Zeitungen der Provinz polemisirten Baltzer, Reinkens,
Elvenich und Weber gegen die infallibilistischeu Hausblntter. Ich war damals
gerade auf Augustin verfallen. Aus ihm ersah ich, daß die Kirchenverfassung
des fünften Jahrhunderts nichts weniger als monarchisch gewesen ist, und bei
dem Gedanken, daß sich der Papst nun auch noch das Prädikat der Unfehl¬
barkeit beilegen und seine Anmaßung auf die Tradition stützen wolle, stand
mir der Verstand still. Später nahm ich dann den Augustin noch einmal
vor und verarbeitete meine Lesefrüchte für den Deutschen Merkur, in dem sie
1875 von Ur. 36 an unter dem Titel: „Was weiß der heilige Augustinus
vom Primate des römischen Bischofs?" erschienen. Es war die erste größere
Arbeit, die ich habe drucken lassen, anonym, wie alles vor 1884 herausgegebne.
Eine Vorbemerkung dazu lautet: „In den Jahren 1868 und 1869, als die
Gemüter durch die Erwartung des bevorstehenden Konzils aufgeregt waren,
las ich gerade in den Schriften des heiligen Augustinus, nicht zu einem speziellen
Zwecke, sondern meiner Gewohnheit nach zu meiner persönlichen Belehrung.
Ich war bis dahin ein aufrichtiger Verehrer des Papsttums gewesen und hatte
eben deswegen die gefährliche Bahn, die dasselbe, von blinden Anbetern ge¬
trieben, einzuschlagen im Begriff stand, mit großer Besorgnis beobachtet.
Zudem hatte mir die Lektüre Cypriens, besonders seines Werkes of uniwts
kLolssiaö, einen andern Begriff von Kircheneinheit und Kirchenverfassung vor
Augen gestellt, als ihn unsre theologischen Lehrbücher mit kluger Benutzung
abgerissener Vätersiellen zu entwickeln Pflegen. Da erregte es denn meine Auf¬
merksamkeit, daß ich bei Augustinus den Primat des römischen Bischofs nirgends
erwähnt fand. Die Aufmerksamkeit wurde zum Erstaunen, als mir Stellen
begegneten, die die Annahme eines Lehrprimats auf das bestimmteste aus¬
schließen. Durch eine Erklärung gegen Syllabus und Unfehlbarkeit in Konflikt
mit der geistlichen Behörde gebracht, arbeitete ich eine Ncchtfertigungsschrift
aus, in die ich anch die bei Lesung des heiligen Augustinus gemachten Er¬
fahrungen aufnahm, an deren Herausgabe ich aber durch die Umstände ge¬
hindert wurde. Während nun der Inhalt dieser Rechtfertigungsschrift größten¬
teils veraltet und von den Ereignissen überholt ist, halte ich doch das über
Augustinus gesagte auch heute noch sür zeitgemäß" u. s. w.

Die Abreise Försters zum Konzil Anfang Dezember 1869 gestaltete sich


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[0431] Wandlungen des Ich im Zeitenstrome selbst entrinnen will, und das würde den Bischöfen jener Zeit als feige Fahnen¬ flucht und Verrat nicht allein ausgelegt worden, sondern erschienen sein. Der Schrecken über das um Horizont auftauchende Unfehlbarkeitsdogma war bei den aufrichtigen und frommen Katholiken, selbst ultramontanster Richtung, nur die Betschwestern und einige dumme Fanatiker ausgenommen, ganz allgemein. Es wäre ein großes Unglück, wenn diese Lehre zum Dogma erhoben würde, sagte einer der Führer der Liegnitzer Katholiken, ein durch Verstand, uneigen¬ nützigen Eifer, edeln Charakter und aufrichtige Frömmigkeit hervorragender Mann. In den großen Zeitungen der Provinz polemisirten Baltzer, Reinkens, Elvenich und Weber gegen die infallibilistischeu Hausblntter. Ich war damals gerade auf Augustin verfallen. Aus ihm ersah ich, daß die Kirchenverfassung des fünften Jahrhunderts nichts weniger als monarchisch gewesen ist, und bei dem Gedanken, daß sich der Papst nun auch noch das Prädikat der Unfehl¬ barkeit beilegen und seine Anmaßung auf die Tradition stützen wolle, stand mir der Verstand still. Später nahm ich dann den Augustin noch einmal vor und verarbeitete meine Lesefrüchte für den Deutschen Merkur, in dem sie 1875 von Ur. 36 an unter dem Titel: „Was weiß der heilige Augustinus vom Primate des römischen Bischofs?" erschienen. Es war die erste größere Arbeit, die ich habe drucken lassen, anonym, wie alles vor 1884 herausgegebne. Eine Vorbemerkung dazu lautet: „In den Jahren 1868 und 1869, als die Gemüter durch die Erwartung des bevorstehenden Konzils aufgeregt waren, las ich gerade in den Schriften des heiligen Augustinus, nicht zu einem speziellen Zwecke, sondern meiner Gewohnheit nach zu meiner persönlichen Belehrung. Ich war bis dahin ein aufrichtiger Verehrer des Papsttums gewesen und hatte eben deswegen die gefährliche Bahn, die dasselbe, von blinden Anbetern ge¬ trieben, einzuschlagen im Begriff stand, mit großer Besorgnis beobachtet. Zudem hatte mir die Lektüre Cypriens, besonders seines Werkes of uniwts kLolssiaö, einen andern Begriff von Kircheneinheit und Kirchenverfassung vor Augen gestellt, als ihn unsre theologischen Lehrbücher mit kluger Benutzung abgerissener Vätersiellen zu entwickeln Pflegen. Da erregte es denn meine Auf¬ merksamkeit, daß ich bei Augustinus den Primat des römischen Bischofs nirgends erwähnt fand. Die Aufmerksamkeit wurde zum Erstaunen, als mir Stellen begegneten, die die Annahme eines Lehrprimats auf das bestimmteste aus¬ schließen. Durch eine Erklärung gegen Syllabus und Unfehlbarkeit in Konflikt mit der geistlichen Behörde gebracht, arbeitete ich eine Ncchtfertigungsschrift aus, in die ich anch die bei Lesung des heiligen Augustinus gemachten Er¬ fahrungen aufnahm, an deren Herausgabe ich aber durch die Umstände ge¬ hindert wurde. Während nun der Inhalt dieser Rechtfertigungsschrift größten¬ teils veraltet und von den Ereignissen überholt ist, halte ich doch das über Augustinus gesagte auch heute noch sür zeitgemäß" u. s. w. Die Abreise Försters zum Konzil Anfang Dezember 1869 gestaltete sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/431>, abgerufen am 16.06.2024.