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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Mandlungen des Ich im Zeitenstrome

zu einer glänzenden Ovation für den Fürstbischof, wobei sich besonders der
katholische Adel Schlesiens hervorthat, der ihn in einer langen Reihe von
Kutschen auf den Bahnhof begleitete. Es ist mir damals nicht klar geworden,
was die Ovation zu bedeuten hatte: ob sie Förster die Beistimmung zu seiner
nicht unbekannten Gesinnung ausdrücken, oder im Gegenteil das Konzil feiern
und ihm oppositionelle Gelüste austreiben sollte, oder ob sie bloß die Wir¬
kung eines dunkeln Dranges war, der durch die bevorstehenden großen Ereig¬
nisse erzeugten Gemütsbewegung Ausdruck zu geben, oder endlich nur ein feier¬
licher Abschied von dem bejahrten Bischof, dem ja doch während einer längern
Abwesenheit etwas menschliches begegnen konnte. Da der Schnellzug in Liegnitz
ein paar Minuten hielt, verfügten wir dortigen Geistlichen samt den hervor¬
ragendsten Gemeindegliedern uns zur Begrüßung unsers Oberhirten auf den
Bahnhof. Er war sehr freundlich gegen mich, erinndigte sich nach dem Be¬
finden meiner Mutter und trug mir Grüße an sie auf. (Unsre alte Wirtin
hatte sich mit einem meiner Amtsbruder überworfen und uns verlassen. Ich
hatte darauf meine Mutter gebeten, unsre Wirtschaft zu leiten, und als der
neue Pfarrer einzog, der dritte Kaplan fortkam, der zweite sich beim Pfarrer
in Kost gab, wirtschaftete ich mit der Mutter allein weiter.) Ich sah dem
Scheidenden mit heftiger Bewegung nach und hielt am Tage der Eröffnung
des Konzils, am 8. Dezember, eine Frühpredigt, die großen Anstoß erregte.
Noch schlimmer fiel eine Predigt über Matthäus 13 im Februar 1870 beim
Hauptgottesdienste aus. Ich fühlte und merkte es Wohl, daß der Feuerstrom,
der sich aus meinem Herzen ergoß, weit entfernt davon, zu zünden, meine Zu¬
hörerschaft zu Eis erstarren machte. Bei Tisch erzählte mir meine Mutter
unter Thränen, nach dem Gottesdienst sei eine Anzahl Damen bei ihr erschienen,
um ihr ihr Beileid über das Unglück ihres Sohnes auszusprechen und zu ver¬
sichern, daß, was auch immer geschehen möge, sie ihr die Freundschaft bewahren
nud sie in etwaiger Not nicht verlassen würden. Das betrübte und ängstigte
mich nun zwar, konnte mich aber um so weniger in meiner Überzeugung irre
machen, als ich wußte, daß gerade die achtungswürdigsten, gescheitesten und
tüchtigsten unter den Geistlichen der Hauptsache nach meiner Meinung waren.
Konfrater Haßler in Striegau, jetzt Stadtpfarrer in Basel, besuchte mich öfters
und versicherte, daß mir nicht bloß die übrigen dortigen Hilfsgcistlichen, sondern
auch der kirchlicherseits hochangesehene ErzPriester Welz beipflichteten, und
Kapläne, die mit den Schweidnitzer Jesuiten verkehrten, erzählten mir von den
liberalen Ansichten eines der dortigen Patres, der behaupte, daß viele seiner
Ordensbrüder derselben Richtung huldigten. Viel verdankte ich auch den Ein¬
drücken, die ich im Sommer 1869 in Franzensbad empfing, wohin mich der
Dresdner Ohrenarzt Schmalz -- kurz der Ohrenschmalz genannt -- geschickt
hatte. Meine Schwerhörigkeit wurde dort natürlich nicht gehoben, aber sie
war noch nicht so arg, daß sie mich gehindert hätte, viel Interessantes zu


Mandlungen des Ich im Zeitenstrome

zu einer glänzenden Ovation für den Fürstbischof, wobei sich besonders der
katholische Adel Schlesiens hervorthat, der ihn in einer langen Reihe von
Kutschen auf den Bahnhof begleitete. Es ist mir damals nicht klar geworden,
was die Ovation zu bedeuten hatte: ob sie Förster die Beistimmung zu seiner
nicht unbekannten Gesinnung ausdrücken, oder im Gegenteil das Konzil feiern
und ihm oppositionelle Gelüste austreiben sollte, oder ob sie bloß die Wir¬
kung eines dunkeln Dranges war, der durch die bevorstehenden großen Ereig¬
nisse erzeugten Gemütsbewegung Ausdruck zu geben, oder endlich nur ein feier¬
licher Abschied von dem bejahrten Bischof, dem ja doch während einer längern
Abwesenheit etwas menschliches begegnen konnte. Da der Schnellzug in Liegnitz
ein paar Minuten hielt, verfügten wir dortigen Geistlichen samt den hervor¬
ragendsten Gemeindegliedern uns zur Begrüßung unsers Oberhirten auf den
Bahnhof. Er war sehr freundlich gegen mich, erinndigte sich nach dem Be¬
finden meiner Mutter und trug mir Grüße an sie auf. (Unsre alte Wirtin
hatte sich mit einem meiner Amtsbruder überworfen und uns verlassen. Ich
hatte darauf meine Mutter gebeten, unsre Wirtschaft zu leiten, und als der
neue Pfarrer einzog, der dritte Kaplan fortkam, der zweite sich beim Pfarrer
in Kost gab, wirtschaftete ich mit der Mutter allein weiter.) Ich sah dem
Scheidenden mit heftiger Bewegung nach und hielt am Tage der Eröffnung
des Konzils, am 8. Dezember, eine Frühpredigt, die großen Anstoß erregte.
Noch schlimmer fiel eine Predigt über Matthäus 13 im Februar 1870 beim
Hauptgottesdienste aus. Ich fühlte und merkte es Wohl, daß der Feuerstrom,
der sich aus meinem Herzen ergoß, weit entfernt davon, zu zünden, meine Zu¬
hörerschaft zu Eis erstarren machte. Bei Tisch erzählte mir meine Mutter
unter Thränen, nach dem Gottesdienst sei eine Anzahl Damen bei ihr erschienen,
um ihr ihr Beileid über das Unglück ihres Sohnes auszusprechen und zu ver¬
sichern, daß, was auch immer geschehen möge, sie ihr die Freundschaft bewahren
nud sie in etwaiger Not nicht verlassen würden. Das betrübte und ängstigte
mich nun zwar, konnte mich aber um so weniger in meiner Überzeugung irre
machen, als ich wußte, daß gerade die achtungswürdigsten, gescheitesten und
tüchtigsten unter den Geistlichen der Hauptsache nach meiner Meinung waren.
Konfrater Haßler in Striegau, jetzt Stadtpfarrer in Basel, besuchte mich öfters
und versicherte, daß mir nicht bloß die übrigen dortigen Hilfsgcistlichen, sondern
auch der kirchlicherseits hochangesehene ErzPriester Welz beipflichteten, und
Kapläne, die mit den Schweidnitzer Jesuiten verkehrten, erzählten mir von den
liberalen Ansichten eines der dortigen Patres, der behaupte, daß viele seiner
Ordensbrüder derselben Richtung huldigten. Viel verdankte ich auch den Ein¬
drücken, die ich im Sommer 1869 in Franzensbad empfing, wohin mich der
Dresdner Ohrenarzt Schmalz — kurz der Ohrenschmalz genannt — geschickt
hatte. Meine Schwerhörigkeit wurde dort natürlich nicht gehoben, aber sie
war noch nicht so arg, daß sie mich gehindert hätte, viel Interessantes zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/432>, abgerufen am 16.06.2024.