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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Die große Berliner Kunstausstellung

Zusammenkünften vereinigte, die geistreichen Plaudereien über die sich be¬
kämpfenden Künstlergesellschaften des Salons der Champs - Elysses und des
Salons des Marsfeldes satt bekommen hatte und überdies die Zeit sür Helgo¬
land, Norderuey. Misdroy und Tirol gekommen war, wurden die fran¬
zösischen Säle mit einemmale unheimlich leer. Man sah außer den durch¬
reisenden Fremden, die flüchtigen Fußes durch alle Süle eilen, meist nur einige
ernsthafte Kunstfreunde, die sich in die Reize der köstlichen Medaillen und
Plaketten von Chaplain, Victor Peter und Verrier vertieften, die gegenwärtig
zwar stark von der Laune des Tagesgeschmacks getragen werden, in Wirklichkeit
aber staunenswerte Kunstwerke der Kleinplastik sind. Sie stehen ihren ita¬
lienischen Vorbildern aus der Blütezeit der Renaissance nicht nach, übertreffen
sie sogar noch an Feinheit der Charakteristik im Porträt, um Umfang der Dar¬
stellungen und an der Technik in Bronzeguß.

Noch stärker wurde der Rückschlag gegen die anfängliche Begeisterung für
die Franzosen, als von Woche zu Woche die Listen der verkauften Kunstwerke
veröffentlicht wurden. Auf die Franzosen fiel davon nur ein kleiner Teil:
ein mystisches Bild von Gaston La Touche, das den verklärten Heiland, den
leiblichen Augen der Anwesenden unsichtbar, als Protektor von Werken der
christlichen Nächstenliebe (Sterbende trösten, Kranke pflegen, Hungrige speisen)
darstellt, wurde -- eine höchst seltsame Wahl! -- für das städtische Museum
in Magdeburg angekauft, ein schlüpfriges Bild und ein paar Werke der Klein¬
plastik gingen in die Hände von Kunsthändlern oder in Privatbesitz über.
Ein Geschäft haben die Franzosen also nicht gemacht; sie müssen sich eben mit
dem Ruhm oder vielmehr mit dem. schnell erzeugten und ebenso schnell wieder
verhallten Lärm begnügen. Es fragt sich nun, ob diese Erfahrung, die dieses
ungemein scharf rechnende Volk übrigens seit einiger Zeit auf allen auswärtigen
Ausstellungen macht, die Franzosen zu einer abermaligen Beschickung der Ber¬
liner Ausstellung ermutigen wird, Sollte es für das nächste Jahr noch ge¬
schehen, so hat die Ausstellung von 18ö5 der großen internationalen des
nächsten Jahres insofern einen wesentlichen Dienst geleistet, als sie den Schaden,
den die deutsche Kunst durch das erste geschlossene Auftreten der Franzosen
in Berlin erlitten hat, auf sich genommen hat. Man sagt zwar, daß sich der
Berliner nicht so leicht verblüffen lasse; aber in diesem Jahre ist ihm diese
Beschämung doch nicht erspart geblieben. Im nächsten Jahre wird er die
Franzosen mit kältern Blicken betrachten, und diese Abkühlung des Urteils
wird hoffentlich zu einer ruhigern und vernünftigem Würdigung der heimischen
Kunst beitragen, vorausgesetzt, daß die Ausstellungskommission nicht wieder
den Ausländern die besten Plätze und die besten Säle einräumt und den
Werken der deutscheu Künstler durch Zerstreuung in entlegne Kabinette jede
Möglichkeit einer imponirenden Gesamtwirkung nimmt.

Die Ausstellungskommission darf freilich auf die Vorwürfe, die ihr wie


Die große Berliner Kunstausstellung

Zusammenkünften vereinigte, die geistreichen Plaudereien über die sich be¬
kämpfenden Künstlergesellschaften des Salons der Champs - Elysses und des
Salons des Marsfeldes satt bekommen hatte und überdies die Zeit sür Helgo¬
land, Norderuey. Misdroy und Tirol gekommen war, wurden die fran¬
zösischen Säle mit einemmale unheimlich leer. Man sah außer den durch¬
reisenden Fremden, die flüchtigen Fußes durch alle Süle eilen, meist nur einige
ernsthafte Kunstfreunde, die sich in die Reize der köstlichen Medaillen und
Plaketten von Chaplain, Victor Peter und Verrier vertieften, die gegenwärtig
zwar stark von der Laune des Tagesgeschmacks getragen werden, in Wirklichkeit
aber staunenswerte Kunstwerke der Kleinplastik sind. Sie stehen ihren ita¬
lienischen Vorbildern aus der Blütezeit der Renaissance nicht nach, übertreffen
sie sogar noch an Feinheit der Charakteristik im Porträt, um Umfang der Dar¬
stellungen und an der Technik in Bronzeguß.

Noch stärker wurde der Rückschlag gegen die anfängliche Begeisterung für
die Franzosen, als von Woche zu Woche die Listen der verkauften Kunstwerke
veröffentlicht wurden. Auf die Franzosen fiel davon nur ein kleiner Teil:
ein mystisches Bild von Gaston La Touche, das den verklärten Heiland, den
leiblichen Augen der Anwesenden unsichtbar, als Protektor von Werken der
christlichen Nächstenliebe (Sterbende trösten, Kranke pflegen, Hungrige speisen)
darstellt, wurde — eine höchst seltsame Wahl! — für das städtische Museum
in Magdeburg angekauft, ein schlüpfriges Bild und ein paar Werke der Klein¬
plastik gingen in die Hände von Kunsthändlern oder in Privatbesitz über.
Ein Geschäft haben die Franzosen also nicht gemacht; sie müssen sich eben mit
dem Ruhm oder vielmehr mit dem. schnell erzeugten und ebenso schnell wieder
verhallten Lärm begnügen. Es fragt sich nun, ob diese Erfahrung, die dieses
ungemein scharf rechnende Volk übrigens seit einiger Zeit auf allen auswärtigen
Ausstellungen macht, die Franzosen zu einer abermaligen Beschickung der Ber¬
liner Ausstellung ermutigen wird, Sollte es für das nächste Jahr noch ge¬
schehen, so hat die Ausstellung von 18ö5 der großen internationalen des
nächsten Jahres insofern einen wesentlichen Dienst geleistet, als sie den Schaden,
den die deutsche Kunst durch das erste geschlossene Auftreten der Franzosen
in Berlin erlitten hat, auf sich genommen hat. Man sagt zwar, daß sich der
Berliner nicht so leicht verblüffen lasse; aber in diesem Jahre ist ihm diese
Beschämung doch nicht erspart geblieben. Im nächsten Jahre wird er die
Franzosen mit kältern Blicken betrachten, und diese Abkühlung des Urteils
wird hoffentlich zu einer ruhigern und vernünftigem Würdigung der heimischen
Kunst beitragen, vorausgesetzt, daß die Ausstellungskommission nicht wieder
den Ausländern die besten Plätze und die besten Säle einräumt und den
Werken der deutscheu Künstler durch Zerstreuung in entlegne Kabinette jede
Möglichkeit einer imponirenden Gesamtwirkung nimmt.

Die Ausstellungskommission darf freilich auf die Vorwürfe, die ihr wie


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[0440] Die große Berliner Kunstausstellung Zusammenkünften vereinigte, die geistreichen Plaudereien über die sich be¬ kämpfenden Künstlergesellschaften des Salons der Champs - Elysses und des Salons des Marsfeldes satt bekommen hatte und überdies die Zeit sür Helgo¬ land, Norderuey. Misdroy und Tirol gekommen war, wurden die fran¬ zösischen Säle mit einemmale unheimlich leer. Man sah außer den durch¬ reisenden Fremden, die flüchtigen Fußes durch alle Süle eilen, meist nur einige ernsthafte Kunstfreunde, die sich in die Reize der köstlichen Medaillen und Plaketten von Chaplain, Victor Peter und Verrier vertieften, die gegenwärtig zwar stark von der Laune des Tagesgeschmacks getragen werden, in Wirklichkeit aber staunenswerte Kunstwerke der Kleinplastik sind. Sie stehen ihren ita¬ lienischen Vorbildern aus der Blütezeit der Renaissance nicht nach, übertreffen sie sogar noch an Feinheit der Charakteristik im Porträt, um Umfang der Dar¬ stellungen und an der Technik in Bronzeguß. Noch stärker wurde der Rückschlag gegen die anfängliche Begeisterung für die Franzosen, als von Woche zu Woche die Listen der verkauften Kunstwerke veröffentlicht wurden. Auf die Franzosen fiel davon nur ein kleiner Teil: ein mystisches Bild von Gaston La Touche, das den verklärten Heiland, den leiblichen Augen der Anwesenden unsichtbar, als Protektor von Werken der christlichen Nächstenliebe (Sterbende trösten, Kranke pflegen, Hungrige speisen) darstellt, wurde — eine höchst seltsame Wahl! — für das städtische Museum in Magdeburg angekauft, ein schlüpfriges Bild und ein paar Werke der Klein¬ plastik gingen in die Hände von Kunsthändlern oder in Privatbesitz über. Ein Geschäft haben die Franzosen also nicht gemacht; sie müssen sich eben mit dem Ruhm oder vielmehr mit dem. schnell erzeugten und ebenso schnell wieder verhallten Lärm begnügen. Es fragt sich nun, ob diese Erfahrung, die dieses ungemein scharf rechnende Volk übrigens seit einiger Zeit auf allen auswärtigen Ausstellungen macht, die Franzosen zu einer abermaligen Beschickung der Ber¬ liner Ausstellung ermutigen wird, Sollte es für das nächste Jahr noch ge¬ schehen, so hat die Ausstellung von 18ö5 der großen internationalen des nächsten Jahres insofern einen wesentlichen Dienst geleistet, als sie den Schaden, den die deutsche Kunst durch das erste geschlossene Auftreten der Franzosen in Berlin erlitten hat, auf sich genommen hat. Man sagt zwar, daß sich der Berliner nicht so leicht verblüffen lasse; aber in diesem Jahre ist ihm diese Beschämung doch nicht erspart geblieben. Im nächsten Jahre wird er die Franzosen mit kältern Blicken betrachten, und diese Abkühlung des Urteils wird hoffentlich zu einer ruhigern und vernünftigem Würdigung der heimischen Kunst beitragen, vorausgesetzt, daß die Ausstellungskommission nicht wieder den Ausländern die besten Plätze und die besten Säle einräumt und den Werken der deutscheu Künstler durch Zerstreuung in entlegne Kabinette jede Möglichkeit einer imponirenden Gesamtwirkung nimmt. Die Ausstellungskommission darf freilich auf die Vorwürfe, die ihr wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/440>, abgerufen am 16.06.2024.