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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen aus der Franzosenzeit

seiner oaxavits oräiiuürv durchaus zuwider. Er hat ihn niemals gut behandelt,
und Reinhard seinerseits trat dem Kaiser mit einer an einem Diplomaten un¬
gewöhnlichen Befangenheit und Ungeschicktheit gegenüber. Nicht anders be¬
urteilten ihn seine Freunde und Gönner, die ihn in das politische Leben ein¬
führten: sispes und Talleyrand. Sie blieben ihm stets aufrichtig zugethan,
aber sie wußten, daß er nicht für eine leitende Stellung paßte, wenn er auch
vorübergehend Ministerialdirektor, sogar Minister des Auswärtigen gewesen ist.
Es fehlte ihm das sichre Auftreten und der schnelle persönliche Entschluß. So
erschien er denn auch zum Gesandten nicht recht geeignet. Eine Sendung nach
Toskana 1798 und 1799 war ganz erfolglos, auch auf seinem Posten in
Bern erwarb er sich nicht die Zufriedenheit des ersten Konsuls. So suchte
man ihn allmählich aus dem höher" diplomatischen Dienst hinweg in solche
Stellen zu bringen, die einen tüchtigen, zuverlässigen Agenten forderten, nicht
mehr. 1802 war er wieder in Hamburg, 1805 bis 1807 in Jassh, endlich
seit 1808 in Kassel. Hier hatte er die schwierige, viel Geduld und viel Takt
erfordernde Aufgabe, den unberechenbaren Jerome zu beobachten und den Kaiser
über alles zu unterrichten, was im Königreich Westfalen vorging. Seine Be¬
richte waren ausgezeichnet, der Kaiser war mit ihm zufrieden. Reinhard blieb
bis zur Vertreibung Jeromes nach dem Rückzug der großen Armee aus Ru߬
land. Auch unter der Bevölkerung Kassels erwarb er sich Freunde und stiftete
manches Gute, und alles in allem genommen, ist das die Zeit seines Lebens
und der Platz, wo uns der Mann noch am besten gefällt, den das freigewählte
neue Vaterland nun doch unvermeidlich in äußere und innere Konflikte mit
dem Lande seiner Geburt brachte.

Wie hart hat man doch bis auf den heutigen Tag über den unglücklichen
Forster geurteilt, auf dessen Kopf in Deutschland ein Preis gesetzt wurde, als
er nach Frankreich ging! Und hier lebt nun ein andrer Überläufer in hohen
Ehren, der des neuen Herrn Interessen so oft wahrnimmt zum Schaden seines
einstigen Vaterlandes, und der sich auf diese Art von Gewissenhaftigkeit in
Briefen, Tagebuchaufzeichnungen und Gedichten noch etwas zu gute thut, und
jetzt bekommt er eine Biographie mit zwei Porträts, während man bei Forster
noch immer darüber streitet, ob er, politisch angesehen, eigentlich ein Schuft
gewesen sei oder nicht. Aber was führte denn Reinhard zu diesem, man darf
sagen, unverdienten äußern Glück? Seine Jugendgeschichte ist wirklich merk¬
würdig wie ein Roman. Der Pfarrerssohn von Schvrndorf gehörte dem
Schillerschen Freundeskreise an, er war nur wenig Jahre jünger als sein be¬
rühmter Landsmann. Er schwärmte für Werther und vollends für Rousseau
und für das vermeintliche Paradies auf Otaheiti (Forsters Reisebericht war
gerade erschienen), und dann wurde ihm seine Heimat zu eng, und er nahm
Urlaub und suchte sich eine Hauslehrerstelle bei Vevey, gerade da, wo einst
Se. Preux Heloise unterrichtet haben sollte. Von dort ging er bald nach


Erinnerungen aus der Franzosenzeit

seiner oaxavits oräiiuürv durchaus zuwider. Er hat ihn niemals gut behandelt,
und Reinhard seinerseits trat dem Kaiser mit einer an einem Diplomaten un¬
gewöhnlichen Befangenheit und Ungeschicktheit gegenüber. Nicht anders be¬
urteilten ihn seine Freunde und Gönner, die ihn in das politische Leben ein¬
führten: sispes und Talleyrand. Sie blieben ihm stets aufrichtig zugethan,
aber sie wußten, daß er nicht für eine leitende Stellung paßte, wenn er auch
vorübergehend Ministerialdirektor, sogar Minister des Auswärtigen gewesen ist.
Es fehlte ihm das sichre Auftreten und der schnelle persönliche Entschluß. So
erschien er denn auch zum Gesandten nicht recht geeignet. Eine Sendung nach
Toskana 1798 und 1799 war ganz erfolglos, auch auf seinem Posten in
Bern erwarb er sich nicht die Zufriedenheit des ersten Konsuls. So suchte
man ihn allmählich aus dem höher« diplomatischen Dienst hinweg in solche
Stellen zu bringen, die einen tüchtigen, zuverlässigen Agenten forderten, nicht
mehr. 1802 war er wieder in Hamburg, 1805 bis 1807 in Jassh, endlich
seit 1808 in Kassel. Hier hatte er die schwierige, viel Geduld und viel Takt
erfordernde Aufgabe, den unberechenbaren Jerome zu beobachten und den Kaiser
über alles zu unterrichten, was im Königreich Westfalen vorging. Seine Be¬
richte waren ausgezeichnet, der Kaiser war mit ihm zufrieden. Reinhard blieb
bis zur Vertreibung Jeromes nach dem Rückzug der großen Armee aus Ru߬
land. Auch unter der Bevölkerung Kassels erwarb er sich Freunde und stiftete
manches Gute, und alles in allem genommen, ist das die Zeit seines Lebens
und der Platz, wo uns der Mann noch am besten gefällt, den das freigewählte
neue Vaterland nun doch unvermeidlich in äußere und innere Konflikte mit
dem Lande seiner Geburt brachte.

Wie hart hat man doch bis auf den heutigen Tag über den unglücklichen
Forster geurteilt, auf dessen Kopf in Deutschland ein Preis gesetzt wurde, als
er nach Frankreich ging! Und hier lebt nun ein andrer Überläufer in hohen
Ehren, der des neuen Herrn Interessen so oft wahrnimmt zum Schaden seines
einstigen Vaterlandes, und der sich auf diese Art von Gewissenhaftigkeit in
Briefen, Tagebuchaufzeichnungen und Gedichten noch etwas zu gute thut, und
jetzt bekommt er eine Biographie mit zwei Porträts, während man bei Forster
noch immer darüber streitet, ob er, politisch angesehen, eigentlich ein Schuft
gewesen sei oder nicht. Aber was führte denn Reinhard zu diesem, man darf
sagen, unverdienten äußern Glück? Seine Jugendgeschichte ist wirklich merk¬
würdig wie ein Roman. Der Pfarrerssohn von Schvrndorf gehörte dem
Schillerschen Freundeskreise an, er war nur wenig Jahre jünger als sein be¬
rühmter Landsmann. Er schwärmte für Werther und vollends für Rousseau
und für das vermeintliche Paradies auf Otaheiti (Forsters Reisebericht war
gerade erschienen), und dann wurde ihm seine Heimat zu eng, und er nahm
Urlaub und suchte sich eine Hauslehrerstelle bei Vevey, gerade da, wo einst
Se. Preux Heloise unterrichtet haben sollte. Von dort ging er bald nach


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[0130] Erinnerungen aus der Franzosenzeit seiner oaxavits oräiiuürv durchaus zuwider. Er hat ihn niemals gut behandelt, und Reinhard seinerseits trat dem Kaiser mit einer an einem Diplomaten un¬ gewöhnlichen Befangenheit und Ungeschicktheit gegenüber. Nicht anders be¬ urteilten ihn seine Freunde und Gönner, die ihn in das politische Leben ein¬ führten: sispes und Talleyrand. Sie blieben ihm stets aufrichtig zugethan, aber sie wußten, daß er nicht für eine leitende Stellung paßte, wenn er auch vorübergehend Ministerialdirektor, sogar Minister des Auswärtigen gewesen ist. Es fehlte ihm das sichre Auftreten und der schnelle persönliche Entschluß. So erschien er denn auch zum Gesandten nicht recht geeignet. Eine Sendung nach Toskana 1798 und 1799 war ganz erfolglos, auch auf seinem Posten in Bern erwarb er sich nicht die Zufriedenheit des ersten Konsuls. So suchte man ihn allmählich aus dem höher« diplomatischen Dienst hinweg in solche Stellen zu bringen, die einen tüchtigen, zuverlässigen Agenten forderten, nicht mehr. 1802 war er wieder in Hamburg, 1805 bis 1807 in Jassh, endlich seit 1808 in Kassel. Hier hatte er die schwierige, viel Geduld und viel Takt erfordernde Aufgabe, den unberechenbaren Jerome zu beobachten und den Kaiser über alles zu unterrichten, was im Königreich Westfalen vorging. Seine Be¬ richte waren ausgezeichnet, der Kaiser war mit ihm zufrieden. Reinhard blieb bis zur Vertreibung Jeromes nach dem Rückzug der großen Armee aus Ru߬ land. Auch unter der Bevölkerung Kassels erwarb er sich Freunde und stiftete manches Gute, und alles in allem genommen, ist das die Zeit seines Lebens und der Platz, wo uns der Mann noch am besten gefällt, den das freigewählte neue Vaterland nun doch unvermeidlich in äußere und innere Konflikte mit dem Lande seiner Geburt brachte. Wie hart hat man doch bis auf den heutigen Tag über den unglücklichen Forster geurteilt, auf dessen Kopf in Deutschland ein Preis gesetzt wurde, als er nach Frankreich ging! Und hier lebt nun ein andrer Überläufer in hohen Ehren, der des neuen Herrn Interessen so oft wahrnimmt zum Schaden seines einstigen Vaterlandes, und der sich auf diese Art von Gewissenhaftigkeit in Briefen, Tagebuchaufzeichnungen und Gedichten noch etwas zu gute thut, und jetzt bekommt er eine Biographie mit zwei Porträts, während man bei Forster noch immer darüber streitet, ob er, politisch angesehen, eigentlich ein Schuft gewesen sei oder nicht. Aber was führte denn Reinhard zu diesem, man darf sagen, unverdienten äußern Glück? Seine Jugendgeschichte ist wirklich merk¬ würdig wie ein Roman. Der Pfarrerssohn von Schvrndorf gehörte dem Schillerschen Freundeskreise an, er war nur wenig Jahre jünger als sein be¬ rühmter Landsmann. Er schwärmte für Werther und vollends für Rousseau und für das vermeintliche Paradies auf Otaheiti (Forsters Reisebericht war gerade erschienen), und dann wurde ihm seine Heimat zu eng, und er nahm Urlaub und suchte sich eine Hauslehrerstelle bei Vevey, gerade da, wo einst Se. Preux Heloise unterrichtet haben sollte. Von dort ging er bald nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/130>, abgerufen am 06.06.2024.