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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen aus der Franzosenzeit

Bordeaux und wurde zufällig befreundet mit einigen der bedeutendern spätern
Girondisten, und als er dann 1791 nach Paris kam, war es für ihn bereits
entschieden, daß er nicht wieder nach Württemberg zurückkehren würde. Zwar
gehörte er von vornherein zu den gemäßigten Anhängern der Revolution, die
er gründlich kennen lernen sollte. Denn fast hätte sein Leben auf der Guillotine
geendet. Er war schon verhaftet, und nnr Robespierres plötzlicher Tod rettete
ihn. Nicht also in schwärmerischer Begeisterung, wie Forster, sondern in
kühlem Nachdenken wurde er zum Bürger der Republik und dann, als die
junge Freiheit Napoleon zum Opfer fiel, zum Unterthanen des Kaiserreichs.
Leicht ist ihm der Entschluß nicht geworden. Er hatte eine deutsche Frau,
Christine Reimarus, die Enkelin des Frcigmentisten. Mit ihrer und mit seiner
eignen Familie und mit einem großen deutschen Freundeskreise lebte er in
engem Zusammenhange. Von Art und Gemüt sah er sich auch immer als
einen Deutschen an, aber dem Vaterlande, zu dem ihn sein freier Wille hin¬
geführt hatte, und an das ihn nun die Pflicht des Amtes gebunden hielt, diente
er um so strenger und gewissenhafter. Daraus entstand ein Zwiespalt, der sein
inneres Wesen bestimmte, und der sich auch äußerlich zeigte. Namentlich seinen
deutschen Bekannten erschien er ernst und gemessen, fast mißtrauisch. Die Fran¬
zosen sahen ihn aber auch nicht als den Ihrigen an. Auszeichnungen und
Ehren warf man ihm zwar hin als Entschädigung für vielfache Zurücksetzung,
aber er bekam eigentlich nichts aus vollen Händen und mit freundlicher Geber-
mieue. Glücklich war er nicht. Dennoch erschien er in den kleinen deutschen
Verhältnissen seiner verschiednen Freundeskreise als der vornehme und vielfach
beneidete Mann. Er hatte, abgesehen von seinem Amte, mannichfaltige Inter¬
essen. Als echter Schwabe dichtete er sein Leben lang Oden und Distichen.
Er verkehrte gern mit Gelehrten und Schriftstellern. Schon ehe er nach Kassel
kam, war er zu Goethe in Beziehung getreten, mit dem er bis an dessen Tod
befreundet blieb. Goethes Herz gewann ihm namentlich das Interesse, das
er an dessen Farbenlehre nahm. Durch ihn wurde auch Boisserve zu Goethe
geführt, und unter Goethes Korrespondenten nimmt nun Reinhard einen immer
größern Platz ein. Hier in diesem geistigen Verkehr konnte er sich ganz als
Deutschen fühlen, und das entschädigte ihn für vieles, was ihm das Leben
unerfreuliches und schweres brachte. Er sprach es oft aus, daß ihm das das
Liebste an seinem Leben wäre.

Aber dabei blieb ihm das tiefere Verständnis des unter der französischen
Herrschaft allmählich erwachenden nationalen deutschen Geistes versagt, und er,
der Diplomat, sah nicht, daß unter seinen Augen dieser deutsche Geist heimlich
se"ri genug geworden war, die fremden Ketten zu brechen. So kamen ihm
denn auch die deutschen Befreiungskampfe völlig überraschend. Nach der
Restauration wurde er Gesandter am Bundestage in Frankfurt. Später wurde
er nach Dresden versetzt, von wo er 1832, gerade als Goethe starb, abberufen


Erinnerungen aus der Franzosenzeit

Bordeaux und wurde zufällig befreundet mit einigen der bedeutendern spätern
Girondisten, und als er dann 1791 nach Paris kam, war es für ihn bereits
entschieden, daß er nicht wieder nach Württemberg zurückkehren würde. Zwar
gehörte er von vornherein zu den gemäßigten Anhängern der Revolution, die
er gründlich kennen lernen sollte. Denn fast hätte sein Leben auf der Guillotine
geendet. Er war schon verhaftet, und nnr Robespierres plötzlicher Tod rettete
ihn. Nicht also in schwärmerischer Begeisterung, wie Forster, sondern in
kühlem Nachdenken wurde er zum Bürger der Republik und dann, als die
junge Freiheit Napoleon zum Opfer fiel, zum Unterthanen des Kaiserreichs.
Leicht ist ihm der Entschluß nicht geworden. Er hatte eine deutsche Frau,
Christine Reimarus, die Enkelin des Frcigmentisten. Mit ihrer und mit seiner
eignen Familie und mit einem großen deutschen Freundeskreise lebte er in
engem Zusammenhange. Von Art und Gemüt sah er sich auch immer als
einen Deutschen an, aber dem Vaterlande, zu dem ihn sein freier Wille hin¬
geführt hatte, und an das ihn nun die Pflicht des Amtes gebunden hielt, diente
er um so strenger und gewissenhafter. Daraus entstand ein Zwiespalt, der sein
inneres Wesen bestimmte, und der sich auch äußerlich zeigte. Namentlich seinen
deutschen Bekannten erschien er ernst und gemessen, fast mißtrauisch. Die Fran¬
zosen sahen ihn aber auch nicht als den Ihrigen an. Auszeichnungen und
Ehren warf man ihm zwar hin als Entschädigung für vielfache Zurücksetzung,
aber er bekam eigentlich nichts aus vollen Händen und mit freundlicher Geber-
mieue. Glücklich war er nicht. Dennoch erschien er in den kleinen deutschen
Verhältnissen seiner verschiednen Freundeskreise als der vornehme und vielfach
beneidete Mann. Er hatte, abgesehen von seinem Amte, mannichfaltige Inter¬
essen. Als echter Schwabe dichtete er sein Leben lang Oden und Distichen.
Er verkehrte gern mit Gelehrten und Schriftstellern. Schon ehe er nach Kassel
kam, war er zu Goethe in Beziehung getreten, mit dem er bis an dessen Tod
befreundet blieb. Goethes Herz gewann ihm namentlich das Interesse, das
er an dessen Farbenlehre nahm. Durch ihn wurde auch Boisserve zu Goethe
geführt, und unter Goethes Korrespondenten nimmt nun Reinhard einen immer
größern Platz ein. Hier in diesem geistigen Verkehr konnte er sich ganz als
Deutschen fühlen, und das entschädigte ihn für vieles, was ihm das Leben
unerfreuliches und schweres brachte. Er sprach es oft aus, daß ihm das das
Liebste an seinem Leben wäre.

Aber dabei blieb ihm das tiefere Verständnis des unter der französischen
Herrschaft allmählich erwachenden nationalen deutschen Geistes versagt, und er,
der Diplomat, sah nicht, daß unter seinen Augen dieser deutsche Geist heimlich
se"ri genug geworden war, die fremden Ketten zu brechen. So kamen ihm
denn auch die deutschen Befreiungskampfe völlig überraschend. Nach der
Restauration wurde er Gesandter am Bundestage in Frankfurt. Später wurde
er nach Dresden versetzt, von wo er 1832, gerade als Goethe starb, abberufen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/131>, abgerufen am 06.06.2024.