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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Adolf wilbrandt

jenes Stoffes geführt hat. An und für sich zeigt der Roman den Zusammen¬
hang mit der Psyche und dem nußern Leben feines Dichters (wenn er wirk¬
lich aus einer poetischen Phantasie und gestaltenden Kraft stammt) leichter und
deutlicher auf als das Drama. Auch brauchen wir uns nur an Grillparzer
zu erinnern, um zu wissen, daß es Brücken von dem persönlichen Gefühl und
Erlebnis zur objektiven Schöpfung giebt, die sich erst dem Auge der Nach¬
lebenden darstellen. Dennoch füllt in der Dramcnreihc "Giordano Bruno"
(1874), "Kriemhild" (1877), "Robert Carr" (1880), "Markgraf Waldemar,"
mit Ausnahme des erstgenannten dreiaktigen Trauerspiels, das aus den Geistes¬
kämpfen und Stimmungen der ersten siebziger Jahre hervorgegangen ist, ein
Element theatralischer Objektivität auf. Es ist, als ob der Dichter von den
schönen Geboten, die er sich selbst schreibt: "Hast du einen Weg, so geh ihn;
willst du Freies und Gutes schaffen, so werde zuvor so frei und so gut, wie
du kannst; soll Großes aus dir hervorgehen, so komme Großes in dich. Und
dann lerne deine Kunst und wisse, daß du nicht auslernst!" zu Zeiten nur
das letzte vor Augen gehabt hätte. So ist ein Trauerspiel wie die "Kriem¬
hild" nur aus dem Verlangen des Dramatikers zu erklären, das dramatische
Element im Nibelungenliede so theatralisch knapp und gedrängt, so in ein-
einander verschränkt wie nur immer möglich zu verkörpern. Daß die tra¬
gische Gestalt in der großen epischen Überlieferung Kriemhild ist, hat auch
Hebbel gewußt, als er aus einem innersten Bedürfnis seiner Kraft und im
Zusammenhang mit feiner ganzen Weltanschauung die "Nibelungen" drama-
tisirte. Aber um Kriemhilds Wandlung von der zarten Jungfrau und dem
liebesfrohen jungen Weibe zur dämonischen Vernichterin ihres ganzen Ge¬
schlechts, ja ihres Volks darzustellen, bedürfte er einer Trilogie; elf Akte um¬
fassen bei Hebbel, was Wilbrandt in drei zusammenzupressen unternimmt. In
seiner "Kriemhild" ist das Äußerste an Konzentration geleistet, dessen wir uns
erinnern, schon im ersten Akt treten alle Gestalten der Tragödie bis zu König
Etzel und Markgraf Rüdiger auf, mit dem Morde Siegfrieds endet der erste
Akt, mit der Vermählung Kriemhilds an Etzel und dem unseligen Schwur
Markgraf Rüdigers der zweite, mit dem Einzug der Burgunder an Etzels
Hofstatt beginnt, mit Günthers, Hagens und Kriemhilds Tod schließt der
dritte. Wie die attischen Tragiker, die, wenn sie einen schon oft vor ihnen
behandelten Stoff neu verkörperte", durch el" andres Verhältnis der einzelnen
Gestalten zu einander und durch eigentümliche Belebung der Einzelheiten neu
zu wirken suchte", stellt Wilbrandt den Hunnenköuig Siegfried wie Kriemhild
in neuer Weise gegenüber, rückt die Liebe Giselhers zu der jungen Dietlinde
mehr in den Mittelpunkt der Handlung, motivirt selbst den Mord Siegfrieds
anders, indem Hagen in Günther die Besorgnis weckt, daß Brunhild (von der
man nur hört, die man nicht sieht) aus seinen in Siegfrieds Arme sinken
könne. Theatralisch mag diese Zusnmmendrängung sein, es fehlt auch Wik-


Adolf wilbrandt

jenes Stoffes geführt hat. An und für sich zeigt der Roman den Zusammen¬
hang mit der Psyche und dem nußern Leben feines Dichters (wenn er wirk¬
lich aus einer poetischen Phantasie und gestaltenden Kraft stammt) leichter und
deutlicher auf als das Drama. Auch brauchen wir uns nur an Grillparzer
zu erinnern, um zu wissen, daß es Brücken von dem persönlichen Gefühl und
Erlebnis zur objektiven Schöpfung giebt, die sich erst dem Auge der Nach¬
lebenden darstellen. Dennoch füllt in der Dramcnreihc „Giordano Bruno"
(1874), „Kriemhild" (1877), „Robert Carr" (1880), „Markgraf Waldemar,"
mit Ausnahme des erstgenannten dreiaktigen Trauerspiels, das aus den Geistes¬
kämpfen und Stimmungen der ersten siebziger Jahre hervorgegangen ist, ein
Element theatralischer Objektivität auf. Es ist, als ob der Dichter von den
schönen Geboten, die er sich selbst schreibt: „Hast du einen Weg, so geh ihn;
willst du Freies und Gutes schaffen, so werde zuvor so frei und so gut, wie
du kannst; soll Großes aus dir hervorgehen, so komme Großes in dich. Und
dann lerne deine Kunst und wisse, daß du nicht auslernst!" zu Zeiten nur
das letzte vor Augen gehabt hätte. So ist ein Trauerspiel wie die „Kriem¬
hild" nur aus dem Verlangen des Dramatikers zu erklären, das dramatische
Element im Nibelungenliede so theatralisch knapp und gedrängt, so in ein-
einander verschränkt wie nur immer möglich zu verkörpern. Daß die tra¬
gische Gestalt in der großen epischen Überlieferung Kriemhild ist, hat auch
Hebbel gewußt, als er aus einem innersten Bedürfnis seiner Kraft und im
Zusammenhang mit feiner ganzen Weltanschauung die „Nibelungen" drama-
tisirte. Aber um Kriemhilds Wandlung von der zarten Jungfrau und dem
liebesfrohen jungen Weibe zur dämonischen Vernichterin ihres ganzen Ge¬
schlechts, ja ihres Volks darzustellen, bedürfte er einer Trilogie; elf Akte um¬
fassen bei Hebbel, was Wilbrandt in drei zusammenzupressen unternimmt. In
seiner „Kriemhild" ist das Äußerste an Konzentration geleistet, dessen wir uns
erinnern, schon im ersten Akt treten alle Gestalten der Tragödie bis zu König
Etzel und Markgraf Rüdiger auf, mit dem Morde Siegfrieds endet der erste
Akt, mit der Vermählung Kriemhilds an Etzel und dem unseligen Schwur
Markgraf Rüdigers der zweite, mit dem Einzug der Burgunder an Etzels
Hofstatt beginnt, mit Günthers, Hagens und Kriemhilds Tod schließt der
dritte. Wie die attischen Tragiker, die, wenn sie einen schon oft vor ihnen
behandelten Stoff neu verkörperte«, durch el» andres Verhältnis der einzelnen
Gestalten zu einander und durch eigentümliche Belebung der Einzelheiten neu
zu wirken suchte», stellt Wilbrandt den Hunnenköuig Siegfried wie Kriemhild
in neuer Weise gegenüber, rückt die Liebe Giselhers zu der jungen Dietlinde
mehr in den Mittelpunkt der Handlung, motivirt selbst den Mord Siegfrieds
anders, indem Hagen in Günther die Besorgnis weckt, daß Brunhild (von der
man nur hört, die man nicht sieht) aus seinen in Siegfrieds Arme sinken
könne. Theatralisch mag diese Zusnmmendrängung sein, es fehlt auch Wik-


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[0140] Adolf wilbrandt jenes Stoffes geführt hat. An und für sich zeigt der Roman den Zusammen¬ hang mit der Psyche und dem nußern Leben feines Dichters (wenn er wirk¬ lich aus einer poetischen Phantasie und gestaltenden Kraft stammt) leichter und deutlicher auf als das Drama. Auch brauchen wir uns nur an Grillparzer zu erinnern, um zu wissen, daß es Brücken von dem persönlichen Gefühl und Erlebnis zur objektiven Schöpfung giebt, die sich erst dem Auge der Nach¬ lebenden darstellen. Dennoch füllt in der Dramcnreihc „Giordano Bruno" (1874), „Kriemhild" (1877), „Robert Carr" (1880), „Markgraf Waldemar," mit Ausnahme des erstgenannten dreiaktigen Trauerspiels, das aus den Geistes¬ kämpfen und Stimmungen der ersten siebziger Jahre hervorgegangen ist, ein Element theatralischer Objektivität auf. Es ist, als ob der Dichter von den schönen Geboten, die er sich selbst schreibt: „Hast du einen Weg, so geh ihn; willst du Freies und Gutes schaffen, so werde zuvor so frei und so gut, wie du kannst; soll Großes aus dir hervorgehen, so komme Großes in dich. Und dann lerne deine Kunst und wisse, daß du nicht auslernst!" zu Zeiten nur das letzte vor Augen gehabt hätte. So ist ein Trauerspiel wie die „Kriem¬ hild" nur aus dem Verlangen des Dramatikers zu erklären, das dramatische Element im Nibelungenliede so theatralisch knapp und gedrängt, so in ein- einander verschränkt wie nur immer möglich zu verkörpern. Daß die tra¬ gische Gestalt in der großen epischen Überlieferung Kriemhild ist, hat auch Hebbel gewußt, als er aus einem innersten Bedürfnis seiner Kraft und im Zusammenhang mit feiner ganzen Weltanschauung die „Nibelungen" drama- tisirte. Aber um Kriemhilds Wandlung von der zarten Jungfrau und dem liebesfrohen jungen Weibe zur dämonischen Vernichterin ihres ganzen Ge¬ schlechts, ja ihres Volks darzustellen, bedürfte er einer Trilogie; elf Akte um¬ fassen bei Hebbel, was Wilbrandt in drei zusammenzupressen unternimmt. In seiner „Kriemhild" ist das Äußerste an Konzentration geleistet, dessen wir uns erinnern, schon im ersten Akt treten alle Gestalten der Tragödie bis zu König Etzel und Markgraf Rüdiger auf, mit dem Morde Siegfrieds endet der erste Akt, mit der Vermählung Kriemhilds an Etzel und dem unseligen Schwur Markgraf Rüdigers der zweite, mit dem Einzug der Burgunder an Etzels Hofstatt beginnt, mit Günthers, Hagens und Kriemhilds Tod schließt der dritte. Wie die attischen Tragiker, die, wenn sie einen schon oft vor ihnen behandelten Stoff neu verkörperte«, durch el» andres Verhältnis der einzelnen Gestalten zu einander und durch eigentümliche Belebung der Einzelheiten neu zu wirken suchte», stellt Wilbrandt den Hunnenköuig Siegfried wie Kriemhild in neuer Weise gegenüber, rückt die Liebe Giselhers zu der jungen Dietlinde mehr in den Mittelpunkt der Handlung, motivirt selbst den Mord Siegfrieds anders, indem Hagen in Günther die Besorgnis weckt, daß Brunhild (von der man nur hört, die man nicht sieht) aus seinen in Siegfrieds Arme sinken könne. Theatralisch mag diese Zusnmmendrängung sein, es fehlt auch Wik-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/140>, abgerufen am 06.06.2024.