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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Adolf Wilbrandt

deren Sterben ihn so tief ergriffen hat, als Phöbe, die anmutig leichtherzige
Römerin, als die edle Persida, die sein Weib wird, als Nymphas, der Sohn
seiner Tochter Tryphenci, und nach Menschenaltern wieder als die Christin
Zenobia in sein Leben. Apelles muß jedes Erdenschicksal, jedes Menschenglück,
aber auch jedes Menschenleib erfahren. In Kämpfen verrinnen ihm die Jahre,
die Jahrzehnte, der standhafte Bekenner des alten Götterglaubens sieht sein
eignes Weib zu dem emporstrebenden Christentum übergehen, der neue Glaube
wird aus einem Verfolgten ein Verfolger, die Stürme der Zeit, denen er um¬
sonst seine klare Stirn und seine ungebrochne Kraft entgegensetzt, kosten ihm
zuerst seine Persida und dann den geliebten Enkel Nymphas. An der letzten
vergeblichen Erhebung der heidnisch gebliebner Palmyrer in den Tagen des
Julianus Apostata beteiligt sich auch der Meister, der seit langem in der Wüste
gelebt hat, das Jugendfeuer des Enkels reißt ihn wider bessere Einsicht mit
fort, er sieht Nymphas an seiner Seite fallen, in seinen Armen sterben. Er
aber muß fortleben, er entrinnt dem von den Christen in Brand gesteckten
Tempel und wandert fortan, wie Ahasver und wie dieser von der tiefsten
Sehnsucht nach Todesruhe verzehrt, über die weite Erde. Wieder rollt die
Zeit dahin, im letzten Auszüge kehrt er in die zertrümmerte, verkümmerte Vater¬
stadt zurück, findet die Ruinen seines Hauses und aller seiner Bauten, trifft
auf ein armseliges Geschlecht, das sich in die bösen Zeiten gefunden hat, sich
schickt und duckt und die Stunde genießt. Da fühlte er, daß des Daseins Lust
und Trieb in ihm vertrocknet ist, daß der Mensch nicht über den Gräbern
aller, die mit ihm gelebt haben, wandeln kann:


Nur der kann leben, der in andern lebt,
An andern wächst, mit andern sich erneut,
Ist das dahin, dann Erde, thu dich auf,
Treib neue Menschen an das Licht hervor,
Und uns, die Scheinlebendigen, verschlinge.

Apelles hat jetzt das Rätsel des Lebens erraten, daß des Menschen Ich eng
ist. daß es nur eine von tausend Formen fassen und entfalten, nnr eine Straße
gehen kann, er fleht um die Ruhe des Todes und geht ergeben, mit einem
letzten Segen für die Lebenden, denen die Erde blüht, in diese Ruhe ein.

Mit dem Reichtum innern Lebens, ergreifender Stimmung getränkt, zu
voller plastischer Gestalt gereift, gedankenvoll und nirgends abstrakt, sondern
in sinnlich poetischer Deutlichkeit, ebenso klar und formschön wie tief bedeutungs¬
voll steht der "Meister von Palmyra" vor uns, eine der glücklichsten und wert¬
vollsten Schöpfungen nicht nur Wilbrandts, sondern der gesamten nettesten
Litteratur. Die Bühnenschicksale des schönen Werkes sind ungleich gewesen,
auf alle Fälle gehört es zu den Dichtungen, die nach einem innern Gesetz das
Theater nicht wieder fahren und fallen läßt, bis sie dauernd für die Bretter
gewonnen sind.


Grenzboten II 1896 18
Adolf Wilbrandt

deren Sterben ihn so tief ergriffen hat, als Phöbe, die anmutig leichtherzige
Römerin, als die edle Persida, die sein Weib wird, als Nymphas, der Sohn
seiner Tochter Tryphenci, und nach Menschenaltern wieder als die Christin
Zenobia in sein Leben. Apelles muß jedes Erdenschicksal, jedes Menschenglück,
aber auch jedes Menschenleib erfahren. In Kämpfen verrinnen ihm die Jahre,
die Jahrzehnte, der standhafte Bekenner des alten Götterglaubens sieht sein
eignes Weib zu dem emporstrebenden Christentum übergehen, der neue Glaube
wird aus einem Verfolgten ein Verfolger, die Stürme der Zeit, denen er um¬
sonst seine klare Stirn und seine ungebrochne Kraft entgegensetzt, kosten ihm
zuerst seine Persida und dann den geliebten Enkel Nymphas. An der letzten
vergeblichen Erhebung der heidnisch gebliebner Palmyrer in den Tagen des
Julianus Apostata beteiligt sich auch der Meister, der seit langem in der Wüste
gelebt hat, das Jugendfeuer des Enkels reißt ihn wider bessere Einsicht mit
fort, er sieht Nymphas an seiner Seite fallen, in seinen Armen sterben. Er
aber muß fortleben, er entrinnt dem von den Christen in Brand gesteckten
Tempel und wandert fortan, wie Ahasver und wie dieser von der tiefsten
Sehnsucht nach Todesruhe verzehrt, über die weite Erde. Wieder rollt die
Zeit dahin, im letzten Auszüge kehrt er in die zertrümmerte, verkümmerte Vater¬
stadt zurück, findet die Ruinen seines Hauses und aller seiner Bauten, trifft
auf ein armseliges Geschlecht, das sich in die bösen Zeiten gefunden hat, sich
schickt und duckt und die Stunde genießt. Da fühlte er, daß des Daseins Lust
und Trieb in ihm vertrocknet ist, daß der Mensch nicht über den Gräbern
aller, die mit ihm gelebt haben, wandeln kann:


Nur der kann leben, der in andern lebt,
An andern wächst, mit andern sich erneut,
Ist das dahin, dann Erde, thu dich auf,
Treib neue Menschen an das Licht hervor,
Und uns, die Scheinlebendigen, verschlinge.

Apelles hat jetzt das Rätsel des Lebens erraten, daß des Menschen Ich eng
ist. daß es nur eine von tausend Formen fassen und entfalten, nnr eine Straße
gehen kann, er fleht um die Ruhe des Todes und geht ergeben, mit einem
letzten Segen für die Lebenden, denen die Erde blüht, in diese Ruhe ein.

Mit dem Reichtum innern Lebens, ergreifender Stimmung getränkt, zu
voller plastischer Gestalt gereift, gedankenvoll und nirgends abstrakt, sondern
in sinnlich poetischer Deutlichkeit, ebenso klar und formschön wie tief bedeutungs¬
voll steht der „Meister von Palmyra" vor uns, eine der glücklichsten und wert¬
vollsten Schöpfungen nicht nur Wilbrandts, sondern der gesamten nettesten
Litteratur. Die Bühnenschicksale des schönen Werkes sind ungleich gewesen,
auf alle Fälle gehört es zu den Dichtungen, die nach einem innern Gesetz das
Theater nicht wieder fahren und fallen läßt, bis sie dauernd für die Bretter
gewonnen sind.


Grenzboten II 1896 18
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[0145] Adolf Wilbrandt deren Sterben ihn so tief ergriffen hat, als Phöbe, die anmutig leichtherzige Römerin, als die edle Persida, die sein Weib wird, als Nymphas, der Sohn seiner Tochter Tryphenci, und nach Menschenaltern wieder als die Christin Zenobia in sein Leben. Apelles muß jedes Erdenschicksal, jedes Menschenglück, aber auch jedes Menschenleib erfahren. In Kämpfen verrinnen ihm die Jahre, die Jahrzehnte, der standhafte Bekenner des alten Götterglaubens sieht sein eignes Weib zu dem emporstrebenden Christentum übergehen, der neue Glaube wird aus einem Verfolgten ein Verfolger, die Stürme der Zeit, denen er um¬ sonst seine klare Stirn und seine ungebrochne Kraft entgegensetzt, kosten ihm zuerst seine Persida und dann den geliebten Enkel Nymphas. An der letzten vergeblichen Erhebung der heidnisch gebliebner Palmyrer in den Tagen des Julianus Apostata beteiligt sich auch der Meister, der seit langem in der Wüste gelebt hat, das Jugendfeuer des Enkels reißt ihn wider bessere Einsicht mit fort, er sieht Nymphas an seiner Seite fallen, in seinen Armen sterben. Er aber muß fortleben, er entrinnt dem von den Christen in Brand gesteckten Tempel und wandert fortan, wie Ahasver und wie dieser von der tiefsten Sehnsucht nach Todesruhe verzehrt, über die weite Erde. Wieder rollt die Zeit dahin, im letzten Auszüge kehrt er in die zertrümmerte, verkümmerte Vater¬ stadt zurück, findet die Ruinen seines Hauses und aller seiner Bauten, trifft auf ein armseliges Geschlecht, das sich in die bösen Zeiten gefunden hat, sich schickt und duckt und die Stunde genießt. Da fühlte er, daß des Daseins Lust und Trieb in ihm vertrocknet ist, daß der Mensch nicht über den Gräbern aller, die mit ihm gelebt haben, wandeln kann: Nur der kann leben, der in andern lebt, An andern wächst, mit andern sich erneut, Ist das dahin, dann Erde, thu dich auf, Treib neue Menschen an das Licht hervor, Und uns, die Scheinlebendigen, verschlinge. Apelles hat jetzt das Rätsel des Lebens erraten, daß des Menschen Ich eng ist. daß es nur eine von tausend Formen fassen und entfalten, nnr eine Straße gehen kann, er fleht um die Ruhe des Todes und geht ergeben, mit einem letzten Segen für die Lebenden, denen die Erde blüht, in diese Ruhe ein. Mit dem Reichtum innern Lebens, ergreifender Stimmung getränkt, zu voller plastischer Gestalt gereift, gedankenvoll und nirgends abstrakt, sondern in sinnlich poetischer Deutlichkeit, ebenso klar und formschön wie tief bedeutungs¬ voll steht der „Meister von Palmyra" vor uns, eine der glücklichsten und wert¬ vollsten Schöpfungen nicht nur Wilbrandts, sondern der gesamten nettesten Litteratur. Die Bühnenschicksale des schönen Werkes sind ungleich gewesen, auf alle Fälle gehört es zu den Dichtungen, die nach einem innern Gesetz das Theater nicht wieder fahren und fallen läßt, bis sie dauernd für die Bretter gewonnen sind. Grenzboten II 1896 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/145>, abgerufen am 06.06.2024.