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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Sie Pflicht der Gesellschaft

für ein vermeintliches Zuviel bisweilen -- den Staat verantwortlich macht.
Klar ist, daß diese Arbeiterschutzbestrebungen nicht bloß eine soziale und ma¬
terielle, sondern auch eine persönliche und ideelle Seite haben; sie ermöglichen
das persönliche Leben. Für die große Mehrzahl der Menschen, nicht bloß für
die Arbeiter im engern Sinne liegt der Schwerpunkt des Lebens in der Fa¬
milie und wird dort wohl ewig liegen. Die Sorge für Weib und Kind, die
gemeinschaftliche Erholung mit ihnen füllt das Leben der meisten Menschen
aus, und so eng der damit gegebne Kreis erscheint, er schließt doch die ganze
Welt der menschlichen Empfindungen in sich. Pflicht der Gesellschaft ist es
daher, nach Kräften dafür zu sorgen, daß jeder Mensch in die Lage kommt,
eine Familie zu haben, und ihm den Frieden im Schoße seiner Familie zu
sichern, wozu ein gewisses, durch äußere Umstände herbeizuführendes Behagen
unerläßlich ist. Es handelt sich hier -- alle Redereien gegen die unvernünftig
geschlossenen Proletarierehen ändern daran nichts -- um ein Menschenrecht,
das aber zugleich einen bestimmten Schutz der Persönlichkeit einschließt. Nicht
bloß die Gemüts-, auch die geistigen Bedürfnisse der meisten Menschen gehen
nicht weit über den Rahmen ihrer Familie hinaus; sür die eigentlichen Ar¬
beiter zumal, aber doch auch sür viele Angehörige weiterer im Erwerbsleben
stehender Kreise ist das geistige Vermögen, von seiner Anwendung bei der Arbeit
abgesehen, nur das Mittel zur Erholung, und dem Geiste ausreichende und ge¬
sunde Nahrung zu verschaffen, gehört gewissermaßen auch zum Arbeiterschutz
und zu den Pflichten der Gesellschaft. Daher die gegenwärtigen Bestrebungen
zur Hebung der Volksunterhaltung. Gelingt es, dem Arbeiter die Familie zu
erhalten, in der er sür seine Gemütsbedürfnisfe Befriedigung und Gelegenheit,
sich zu einem sittlichen Wesen auszubilden, findet, ihm ein Heim zu schaffen,
in dem er sich behaglich fühlt, und ihm die Erholung zu gewähren, die er als
denkendes Wesen beanspruchen kann, so ist die Pflicht der Gesellschaft in dieser
Hinsicht vollständig erfüllt. Ich weiß sehr wohl, daß man hier die Auffüh¬
rung der "öffentlichen Rechte" des Arbeiters vermissen wird, aber die wären
an die Staatsidee anzuknüpfen, sie gehen mich hier wenig an; ich weiß ferner,
daß von gewisser Seite auf Familie und Heim kein Wert gelegt, diese als zu
überwindende gesellschaftliche Formen hingestellt werden, aber ich glaube, daß
ihre Beseitigung eine Vergewaltigung der Persönlichkeit in sich schließen würde,
daß der Mensch nichts weniger als ein AZo^ ?ro^rtxov ist; endlich wird man
auch das geistige Vermögen als Erholungsmittel nicht gelten lassen wollen
und mit dem Standpunkt der Bildung kommen, die in einem sozialen Staate
durch zweckentsprechende Maßregeln über das ganze Volk zu verbreiten sei --
ich muß gestehen, daß ich an die allein seligmachende Bildung nicht glaube
und der Ansicht bin, daß es völlig genügt, wenn der Standpunkt der wahren
Erholung, der guten Unterhaltung festgehalten wird. Auch für die große Masse
der Gebildeten unsrer Tage ist die Bildung ja weiter nichts als Vorbildung


Sie Pflicht der Gesellschaft

für ein vermeintliches Zuviel bisweilen — den Staat verantwortlich macht.
Klar ist, daß diese Arbeiterschutzbestrebungen nicht bloß eine soziale und ma¬
terielle, sondern auch eine persönliche und ideelle Seite haben; sie ermöglichen
das persönliche Leben. Für die große Mehrzahl der Menschen, nicht bloß für
die Arbeiter im engern Sinne liegt der Schwerpunkt des Lebens in der Fa¬
milie und wird dort wohl ewig liegen. Die Sorge für Weib und Kind, die
gemeinschaftliche Erholung mit ihnen füllt das Leben der meisten Menschen
aus, und so eng der damit gegebne Kreis erscheint, er schließt doch die ganze
Welt der menschlichen Empfindungen in sich. Pflicht der Gesellschaft ist es
daher, nach Kräften dafür zu sorgen, daß jeder Mensch in die Lage kommt,
eine Familie zu haben, und ihm den Frieden im Schoße seiner Familie zu
sichern, wozu ein gewisses, durch äußere Umstände herbeizuführendes Behagen
unerläßlich ist. Es handelt sich hier — alle Redereien gegen die unvernünftig
geschlossenen Proletarierehen ändern daran nichts — um ein Menschenrecht,
das aber zugleich einen bestimmten Schutz der Persönlichkeit einschließt. Nicht
bloß die Gemüts-, auch die geistigen Bedürfnisse der meisten Menschen gehen
nicht weit über den Rahmen ihrer Familie hinaus; sür die eigentlichen Ar¬
beiter zumal, aber doch auch sür viele Angehörige weiterer im Erwerbsleben
stehender Kreise ist das geistige Vermögen, von seiner Anwendung bei der Arbeit
abgesehen, nur das Mittel zur Erholung, und dem Geiste ausreichende und ge¬
sunde Nahrung zu verschaffen, gehört gewissermaßen auch zum Arbeiterschutz
und zu den Pflichten der Gesellschaft. Daher die gegenwärtigen Bestrebungen
zur Hebung der Volksunterhaltung. Gelingt es, dem Arbeiter die Familie zu
erhalten, in der er sür seine Gemütsbedürfnisfe Befriedigung und Gelegenheit,
sich zu einem sittlichen Wesen auszubilden, findet, ihm ein Heim zu schaffen,
in dem er sich behaglich fühlt, und ihm die Erholung zu gewähren, die er als
denkendes Wesen beanspruchen kann, so ist die Pflicht der Gesellschaft in dieser
Hinsicht vollständig erfüllt. Ich weiß sehr wohl, daß man hier die Auffüh¬
rung der „öffentlichen Rechte" des Arbeiters vermissen wird, aber die wären
an die Staatsidee anzuknüpfen, sie gehen mich hier wenig an; ich weiß ferner,
daß von gewisser Seite auf Familie und Heim kein Wert gelegt, diese als zu
überwindende gesellschaftliche Formen hingestellt werden, aber ich glaube, daß
ihre Beseitigung eine Vergewaltigung der Persönlichkeit in sich schließen würde,
daß der Mensch nichts weniger als ein AZo^ ?ro^rtxov ist; endlich wird man
auch das geistige Vermögen als Erholungsmittel nicht gelten lassen wollen
und mit dem Standpunkt der Bildung kommen, die in einem sozialen Staate
durch zweckentsprechende Maßregeln über das ganze Volk zu verbreiten sei —
ich muß gestehen, daß ich an die allein seligmachende Bildung nicht glaube
und der Ansicht bin, daß es völlig genügt, wenn der Standpunkt der wahren
Erholung, der guten Unterhaltung festgehalten wird. Auch für die große Masse
der Gebildeten unsrer Tage ist die Bildung ja weiter nichts als Vorbildung


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[0214] Sie Pflicht der Gesellschaft für ein vermeintliches Zuviel bisweilen — den Staat verantwortlich macht. Klar ist, daß diese Arbeiterschutzbestrebungen nicht bloß eine soziale und ma¬ terielle, sondern auch eine persönliche und ideelle Seite haben; sie ermöglichen das persönliche Leben. Für die große Mehrzahl der Menschen, nicht bloß für die Arbeiter im engern Sinne liegt der Schwerpunkt des Lebens in der Fa¬ milie und wird dort wohl ewig liegen. Die Sorge für Weib und Kind, die gemeinschaftliche Erholung mit ihnen füllt das Leben der meisten Menschen aus, und so eng der damit gegebne Kreis erscheint, er schließt doch die ganze Welt der menschlichen Empfindungen in sich. Pflicht der Gesellschaft ist es daher, nach Kräften dafür zu sorgen, daß jeder Mensch in die Lage kommt, eine Familie zu haben, und ihm den Frieden im Schoße seiner Familie zu sichern, wozu ein gewisses, durch äußere Umstände herbeizuführendes Behagen unerläßlich ist. Es handelt sich hier — alle Redereien gegen die unvernünftig geschlossenen Proletarierehen ändern daran nichts — um ein Menschenrecht, das aber zugleich einen bestimmten Schutz der Persönlichkeit einschließt. Nicht bloß die Gemüts-, auch die geistigen Bedürfnisse der meisten Menschen gehen nicht weit über den Rahmen ihrer Familie hinaus; sür die eigentlichen Ar¬ beiter zumal, aber doch auch sür viele Angehörige weiterer im Erwerbsleben stehender Kreise ist das geistige Vermögen, von seiner Anwendung bei der Arbeit abgesehen, nur das Mittel zur Erholung, und dem Geiste ausreichende und ge¬ sunde Nahrung zu verschaffen, gehört gewissermaßen auch zum Arbeiterschutz und zu den Pflichten der Gesellschaft. Daher die gegenwärtigen Bestrebungen zur Hebung der Volksunterhaltung. Gelingt es, dem Arbeiter die Familie zu erhalten, in der er sür seine Gemütsbedürfnisfe Befriedigung und Gelegenheit, sich zu einem sittlichen Wesen auszubilden, findet, ihm ein Heim zu schaffen, in dem er sich behaglich fühlt, und ihm die Erholung zu gewähren, die er als denkendes Wesen beanspruchen kann, so ist die Pflicht der Gesellschaft in dieser Hinsicht vollständig erfüllt. Ich weiß sehr wohl, daß man hier die Auffüh¬ rung der „öffentlichen Rechte" des Arbeiters vermissen wird, aber die wären an die Staatsidee anzuknüpfen, sie gehen mich hier wenig an; ich weiß ferner, daß von gewisser Seite auf Familie und Heim kein Wert gelegt, diese als zu überwindende gesellschaftliche Formen hingestellt werden, aber ich glaube, daß ihre Beseitigung eine Vergewaltigung der Persönlichkeit in sich schließen würde, daß der Mensch nichts weniger als ein AZo^ ?ro^rtxov ist; endlich wird man auch das geistige Vermögen als Erholungsmittel nicht gelten lassen wollen und mit dem Standpunkt der Bildung kommen, die in einem sozialen Staate durch zweckentsprechende Maßregeln über das ganze Volk zu verbreiten sei — ich muß gestehen, daß ich an die allein seligmachende Bildung nicht glaube und der Ansicht bin, daß es völlig genügt, wenn der Standpunkt der wahren Erholung, der guten Unterhaltung festgehalten wird. Auch für die große Masse der Gebildeten unsrer Tage ist die Bildung ja weiter nichts als Vorbildung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/214>, abgerufen am 06.06.2024.