Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Pflicht der Gesellschaft

noch die verschiednen Arten menschlicher Thätigkeit ins Auge fassen, bei sie
immerhin eine etwas verschiedne Behandlung durch die Gesellschaft fordern.
Mau unterscheidet gewöhnlich produktive und unproduktive Stände, je nachdem
sie volkswirtschaftliche Werte erzeugen oder nicht. Schon der Handelsstand
gilt neuerdings als in bestimmtem Sinne unproduktiv, und noch vielmehr der
Beamten-, Lehr- und Wehrstand, vor allem die wissenschaftlichen und künst¬
lerischen Kreise. Man faßt aber, wenn man diese Unterscheidung Macht,
die Gesellschaft im ganzen nur als eine Lebensmittel verzehrende Genossen¬
schaft auf, und sie ist denn doch etwas mehr. Andrerseits besteht, wie ich
schon gelegentlich angedeutet habe, eine Anschauung, die die unmittelbar pro¬
duktiven Stände, die Arbeiter in engerm Sinne, doch immer mit Einschluß der
Arbeitgeber, unter die unproduktiven stellt, die Beamten- und Lehrthätigkeit,
das Kriegshandwerk und die wissenschaftlichen und künstlerischen Berufe, diese
aber nur, insofern sie zu Stellungen führen, für etwas höheres und edleres
hält als die reine Erwerbsthätigkeit. Von unserm Arbeitsstaudpuukt aus
müssen natürlich solche Unterscheidungen, soweit sie die Grundlage gesellschaft¬
licher Schätzungen abgeben sollen, wegfallen. Dennoch haben die Berufe, die
der Ordnung der Gesellschaft und ihrer Erhaltung dienen, vor allem aber die
wissenschaftlichen und künstlerischen, einen Vorzug vor dem reinen Erwerb,
wenn auch niemand auf Grund dieses Vorzugs besondre Ausprüche erheben
darf: der Erwerb sichert bloß den Lebensunterhalt, diesen zu gewinnen, kann
aber uicht die Aufgabe der Menschheit sein, da sie sich dann von der Gesamt¬
heit der niedriger beanlagten Geschöpfe nicht unterscheiden würde, die materielle
Existenz muß vielmehr die Grundlage einer geistigen abgeben; neben die Pro¬
duktion von wirtschaftlichen Werten tritt damit die von geistigen, von wissen¬
schaftlichen und künstlerischen, und die Menschen, die diese hervorbringen, er¬
scheinen in einem höhern Sinne produktiv. Wohlverstanden, nur die Thätig¬
keit steht höher, der Mensch befindet sich deswegen nicht in höherer Stellung
und darf nicht beanspruchen, als ein edleres Wesen betrachtet zu werden; Ar¬
beiter sind und bleiben wir alle. Gerade dieses soll nun aber auch anerkannt
werden. Die Gesellschaft hat sich nicht auf den reinen Nützlichkeitsstandpnnkt
zu stellen, sondern sich als Genossenschaft zur Ausbildung des Menschlichen
in allen Richtungen zu erklären. Das thut sie heute im allgemeinen noch
nicht, Kunst und Wissenschaft müssen sich meistens ihrem Nützlichkeitsprinzip
unterordnen und gelten nur insoweit, als sie der Unterhaltung und, die
Wissenschaft, der Erwerbstechnik dienen; ihre Vertreter, so hoch sie sich auch
in ihrem Dünkel über die Erwerbsstände erheben mögen, werden durchweg
nicht ihrer Thätigkeit wegen und als Persönlichkeiten, sondern nach den An¬
hängseln ihrer Titel usw. geschätzt. Daraus gehen viele Ungerechtigkeiten
gegen bedeutendere Persönlichkeiten hervor, die der Kunst und der Wissenschaft
leben, ohne äußere Zwecke zu verfolgen; ja man kann ruhig sagen, daß, je


Grenzboten II 1896 27
Die Pflicht der Gesellschaft

noch die verschiednen Arten menschlicher Thätigkeit ins Auge fassen, bei sie
immerhin eine etwas verschiedne Behandlung durch die Gesellschaft fordern.
Mau unterscheidet gewöhnlich produktive und unproduktive Stände, je nachdem
sie volkswirtschaftliche Werte erzeugen oder nicht. Schon der Handelsstand
gilt neuerdings als in bestimmtem Sinne unproduktiv, und noch vielmehr der
Beamten-, Lehr- und Wehrstand, vor allem die wissenschaftlichen und künst¬
lerischen Kreise. Man faßt aber, wenn man diese Unterscheidung Macht,
die Gesellschaft im ganzen nur als eine Lebensmittel verzehrende Genossen¬
schaft auf, und sie ist denn doch etwas mehr. Andrerseits besteht, wie ich
schon gelegentlich angedeutet habe, eine Anschauung, die die unmittelbar pro¬
duktiven Stände, die Arbeiter in engerm Sinne, doch immer mit Einschluß der
Arbeitgeber, unter die unproduktiven stellt, die Beamten- und Lehrthätigkeit,
das Kriegshandwerk und die wissenschaftlichen und künstlerischen Berufe, diese
aber nur, insofern sie zu Stellungen führen, für etwas höheres und edleres
hält als die reine Erwerbsthätigkeit. Von unserm Arbeitsstaudpuukt aus
müssen natürlich solche Unterscheidungen, soweit sie die Grundlage gesellschaft¬
licher Schätzungen abgeben sollen, wegfallen. Dennoch haben die Berufe, die
der Ordnung der Gesellschaft und ihrer Erhaltung dienen, vor allem aber die
wissenschaftlichen und künstlerischen, einen Vorzug vor dem reinen Erwerb,
wenn auch niemand auf Grund dieses Vorzugs besondre Ausprüche erheben
darf: der Erwerb sichert bloß den Lebensunterhalt, diesen zu gewinnen, kann
aber uicht die Aufgabe der Menschheit sein, da sie sich dann von der Gesamt¬
heit der niedriger beanlagten Geschöpfe nicht unterscheiden würde, die materielle
Existenz muß vielmehr die Grundlage einer geistigen abgeben; neben die Pro¬
duktion von wirtschaftlichen Werten tritt damit die von geistigen, von wissen¬
schaftlichen und künstlerischen, und die Menschen, die diese hervorbringen, er¬
scheinen in einem höhern Sinne produktiv. Wohlverstanden, nur die Thätig¬
keit steht höher, der Mensch befindet sich deswegen nicht in höherer Stellung
und darf nicht beanspruchen, als ein edleres Wesen betrachtet zu werden; Ar¬
beiter sind und bleiben wir alle. Gerade dieses soll nun aber auch anerkannt
werden. Die Gesellschaft hat sich nicht auf den reinen Nützlichkeitsstandpnnkt
zu stellen, sondern sich als Genossenschaft zur Ausbildung des Menschlichen
in allen Richtungen zu erklären. Das thut sie heute im allgemeinen noch
nicht, Kunst und Wissenschaft müssen sich meistens ihrem Nützlichkeitsprinzip
unterordnen und gelten nur insoweit, als sie der Unterhaltung und, die
Wissenschaft, der Erwerbstechnik dienen; ihre Vertreter, so hoch sie sich auch
in ihrem Dünkel über die Erwerbsstände erheben mögen, werden durchweg
nicht ihrer Thätigkeit wegen und als Persönlichkeiten, sondern nach den An¬
hängseln ihrer Titel usw. geschätzt. Daraus gehen viele Ungerechtigkeiten
gegen bedeutendere Persönlichkeiten hervor, die der Kunst und der Wissenschaft
leben, ohne äußere Zwecke zu verfolgen; ja man kann ruhig sagen, daß, je


Grenzboten II 1896 27
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0217" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222521"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Pflicht der Gesellschaft</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_586" prev="#ID_585" next="#ID_587"> noch die verschiednen Arten menschlicher Thätigkeit ins Auge fassen, bei sie<lb/>
immerhin eine etwas verschiedne Behandlung durch die Gesellschaft fordern.<lb/>
Mau unterscheidet gewöhnlich produktive und unproduktive Stände, je nachdem<lb/>
sie volkswirtschaftliche Werte erzeugen oder nicht. Schon der Handelsstand<lb/>
gilt neuerdings als in bestimmtem Sinne unproduktiv, und noch vielmehr der<lb/>
Beamten-, Lehr- und Wehrstand, vor allem die wissenschaftlichen und künst¬<lb/>
lerischen Kreise. Man faßt aber, wenn man diese Unterscheidung Macht,<lb/>
die Gesellschaft im ganzen nur als eine Lebensmittel verzehrende Genossen¬<lb/>
schaft auf, und sie ist denn doch etwas mehr. Andrerseits besteht, wie ich<lb/>
schon gelegentlich angedeutet habe, eine Anschauung, die die unmittelbar pro¬<lb/>
duktiven Stände, die Arbeiter in engerm Sinne, doch immer mit Einschluß der<lb/>
Arbeitgeber, unter die unproduktiven stellt, die Beamten- und Lehrthätigkeit,<lb/>
das Kriegshandwerk und die wissenschaftlichen und künstlerischen Berufe, diese<lb/>
aber nur, insofern sie zu Stellungen führen, für etwas höheres und edleres<lb/>
hält als die reine Erwerbsthätigkeit. Von unserm Arbeitsstaudpuukt aus<lb/>
müssen natürlich solche Unterscheidungen, soweit sie die Grundlage gesellschaft¬<lb/>
licher Schätzungen abgeben sollen, wegfallen. Dennoch haben die Berufe, die<lb/>
der Ordnung der Gesellschaft und ihrer Erhaltung dienen, vor allem aber die<lb/>
wissenschaftlichen und künstlerischen, einen Vorzug vor dem reinen Erwerb,<lb/>
wenn auch niemand auf Grund dieses Vorzugs besondre Ausprüche erheben<lb/>
darf: der Erwerb sichert bloß den Lebensunterhalt, diesen zu gewinnen, kann<lb/>
aber uicht die Aufgabe der Menschheit sein, da sie sich dann von der Gesamt¬<lb/>
heit der niedriger beanlagten Geschöpfe nicht unterscheiden würde, die materielle<lb/>
Existenz muß vielmehr die Grundlage einer geistigen abgeben; neben die Pro¬<lb/>
duktion von wirtschaftlichen Werten tritt damit die von geistigen, von wissen¬<lb/>
schaftlichen und künstlerischen, und die Menschen, die diese hervorbringen, er¬<lb/>
scheinen in einem höhern Sinne produktiv. Wohlverstanden, nur die Thätig¬<lb/>
keit steht höher, der Mensch befindet sich deswegen nicht in höherer Stellung<lb/>
und darf nicht beanspruchen, als ein edleres Wesen betrachtet zu werden; Ar¬<lb/>
beiter sind und bleiben wir alle. Gerade dieses soll nun aber auch anerkannt<lb/>
werden. Die Gesellschaft hat sich nicht auf den reinen Nützlichkeitsstandpnnkt<lb/>
zu stellen, sondern sich als Genossenschaft zur Ausbildung des Menschlichen<lb/>
in allen Richtungen zu erklären. Das thut sie heute im allgemeinen noch<lb/>
nicht, Kunst und Wissenschaft müssen sich meistens ihrem Nützlichkeitsprinzip<lb/>
unterordnen und gelten nur insoweit, als sie der Unterhaltung und, die<lb/>
Wissenschaft, der Erwerbstechnik dienen; ihre Vertreter, so hoch sie sich auch<lb/>
in ihrem Dünkel über die Erwerbsstände erheben mögen, werden durchweg<lb/>
nicht ihrer Thätigkeit wegen und als Persönlichkeiten, sondern nach den An¬<lb/>
hängseln ihrer Titel usw. geschätzt. Daraus gehen viele Ungerechtigkeiten<lb/>
gegen bedeutendere Persönlichkeiten hervor, die der Kunst und der Wissenschaft<lb/>
leben, ohne äußere Zwecke zu verfolgen; ja man kann ruhig sagen, daß, je</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1896 27</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0217] Die Pflicht der Gesellschaft noch die verschiednen Arten menschlicher Thätigkeit ins Auge fassen, bei sie immerhin eine etwas verschiedne Behandlung durch die Gesellschaft fordern. Mau unterscheidet gewöhnlich produktive und unproduktive Stände, je nachdem sie volkswirtschaftliche Werte erzeugen oder nicht. Schon der Handelsstand gilt neuerdings als in bestimmtem Sinne unproduktiv, und noch vielmehr der Beamten-, Lehr- und Wehrstand, vor allem die wissenschaftlichen und künst¬ lerischen Kreise. Man faßt aber, wenn man diese Unterscheidung Macht, die Gesellschaft im ganzen nur als eine Lebensmittel verzehrende Genossen¬ schaft auf, und sie ist denn doch etwas mehr. Andrerseits besteht, wie ich schon gelegentlich angedeutet habe, eine Anschauung, die die unmittelbar pro¬ duktiven Stände, die Arbeiter in engerm Sinne, doch immer mit Einschluß der Arbeitgeber, unter die unproduktiven stellt, die Beamten- und Lehrthätigkeit, das Kriegshandwerk und die wissenschaftlichen und künstlerischen Berufe, diese aber nur, insofern sie zu Stellungen führen, für etwas höheres und edleres hält als die reine Erwerbsthätigkeit. Von unserm Arbeitsstaudpuukt aus müssen natürlich solche Unterscheidungen, soweit sie die Grundlage gesellschaft¬ licher Schätzungen abgeben sollen, wegfallen. Dennoch haben die Berufe, die der Ordnung der Gesellschaft und ihrer Erhaltung dienen, vor allem aber die wissenschaftlichen und künstlerischen, einen Vorzug vor dem reinen Erwerb, wenn auch niemand auf Grund dieses Vorzugs besondre Ausprüche erheben darf: der Erwerb sichert bloß den Lebensunterhalt, diesen zu gewinnen, kann aber uicht die Aufgabe der Menschheit sein, da sie sich dann von der Gesamt¬ heit der niedriger beanlagten Geschöpfe nicht unterscheiden würde, die materielle Existenz muß vielmehr die Grundlage einer geistigen abgeben; neben die Pro¬ duktion von wirtschaftlichen Werten tritt damit die von geistigen, von wissen¬ schaftlichen und künstlerischen, und die Menschen, die diese hervorbringen, er¬ scheinen in einem höhern Sinne produktiv. Wohlverstanden, nur die Thätig¬ keit steht höher, der Mensch befindet sich deswegen nicht in höherer Stellung und darf nicht beanspruchen, als ein edleres Wesen betrachtet zu werden; Ar¬ beiter sind und bleiben wir alle. Gerade dieses soll nun aber auch anerkannt werden. Die Gesellschaft hat sich nicht auf den reinen Nützlichkeitsstandpnnkt zu stellen, sondern sich als Genossenschaft zur Ausbildung des Menschlichen in allen Richtungen zu erklären. Das thut sie heute im allgemeinen noch nicht, Kunst und Wissenschaft müssen sich meistens ihrem Nützlichkeitsprinzip unterordnen und gelten nur insoweit, als sie der Unterhaltung und, die Wissenschaft, der Erwerbstechnik dienen; ihre Vertreter, so hoch sie sich auch in ihrem Dünkel über die Erwerbsstände erheben mögen, werden durchweg nicht ihrer Thätigkeit wegen und als Persönlichkeiten, sondern nach den An¬ hängseln ihrer Titel usw. geschätzt. Daraus gehen viele Ungerechtigkeiten gegen bedeutendere Persönlichkeiten hervor, die der Kunst und der Wissenschaft leben, ohne äußere Zwecke zu verfolgen; ja man kann ruhig sagen, daß, je Grenzboten II 1896 27

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/217
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/217>, abgerufen am 26.05.2024.