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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Der Tuchmacherstreik in Uottbus

Nachts und am Sonntag gearbeitet worden sei. Die anderthalbstündige Mittags¬
pause lehnte er mit der Begrttudung ab, daß er als Pächter Raum und Kraft
für die Zeit von 6 bis 12 und von 1 bis 7 Uhr zu bezahlen habe, also den
Verlust der halben Stunde nicht zu ertragen vermöchte. Die Art, wie er die
Arbeiter abfertigte, brachte auch die Hoffnung zum Schwinden, daß wenigstens
eine bessere Behandlung zu erwarten sein würde. Dies führte zu einer Ver¬
bitterung der Leute und schließlich zu einem Prozeß, worin einer der Streik-
ftthrer zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt wurde, andrerseits sich aber
auch Gelegenheit fand, den Fabrikanten wegen Übertretung der Gewerbeord-
nung zur Rechenschaft zu ziehen. Trotz alledem kam bei dieser Fabrik bald
eine Einigung zu stände, und es ereignete sich das Merkwürdige, daß sie und
überhaupt die außerhalb des Rings stehenden Fabriken in Thätigkeit blieben,
während die zur Vereinigung gehörigen Betriebe stehen blieben, obwohl in
ihnen großenteils die Forderungen der Arbeiter schon längst erfüllt waren.

Die Flut des Streiks nahm nun ihre Richtung nach den Fabriken der
Vereinigung. Die Arbeiter begnügten sich nicht damit, ihre Forderungen zur
Erwägung vorzulegen, sondern gaben ihren Wünschen von vornherein durch
die Drohung, die Arbeit niederzulegen, den gehörigen Nachdruck, und um diese
Drohung zu veranschaulichen, hörten alle Arbeiter mit dem Augenblick auf zu
arbeiten, wo eine Deputation an den Fabrikanten abgesandt worden war;
feiernd erwartete man den Bescheid. In der Fabrik, die sich zuerst von den
Fabriken des Rings mit ihren Leuten auseinanderzusetzen hatte, legten sämt¬
liche Arbeiter mit Ausnahme eines einzigen die Arbeit nieder, als ihre Wünsche
nicht sofort erfüllt wurden. Doch kam es noch im Laufe des Bormittags zu
einer Einigung, und man glaubte, daß die Gefahr beseitigt sei: da verlangten
die Ausständigen, daß der eine treugebliebne Manu entlassen werden sollte.
Als das der Fabrikant ablehnte, war der Streik fertig. In einer andern
Fabrik erklärte der eine ihrer Besitzer, er wäre in Abwesenheit seines Geschäfts¬
teilhabers nicht berechtigt, ans die Anträge zu verfügen, die Arbeiter möchten sich
bis zu dessen bevorstehender Rückkehr gedulden. Darauf wurde geantwortet,
daß man nicht warten könne. Die Arbeiter verließen die Fabrik, kamen jedoch
aus unbekannten Gründen am andern Tage wieder.

Es hat keinen Zweck, die Ausdehnung des Streiks im einzelnen weiter
zu verfolgen. Jeden Tag sah man zu ungewohnter Stunde große Züge von
Arbeitern die Straßen füllen, die meisten siegesgewiß, einige aber auch mit
bedenklichen Gesichtern. Anfangs scheinen sie auch nicht völlig über ihre Wünsche
im klaren gewesen zu sein, denn sie sollen an einigen Stellen Lohnforderungen
erhoben haben, deren Genehmigung ihnen eine Herabsetzung ihrer bisherigen
Löhne gebracht haben würde. Genug, bald standen sechzehn Fabriken still,
ihre Zugänge wurden wie gewöhnlich bewacht, um Zuzug abzuhalten und treu¬
lose Genossen aufzuschreiben.


Der Tuchmacherstreik in Uottbus

Nachts und am Sonntag gearbeitet worden sei. Die anderthalbstündige Mittags¬
pause lehnte er mit der Begrttudung ab, daß er als Pächter Raum und Kraft
für die Zeit von 6 bis 12 und von 1 bis 7 Uhr zu bezahlen habe, also den
Verlust der halben Stunde nicht zu ertragen vermöchte. Die Art, wie er die
Arbeiter abfertigte, brachte auch die Hoffnung zum Schwinden, daß wenigstens
eine bessere Behandlung zu erwarten sein würde. Dies führte zu einer Ver¬
bitterung der Leute und schließlich zu einem Prozeß, worin einer der Streik-
ftthrer zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt wurde, andrerseits sich aber
auch Gelegenheit fand, den Fabrikanten wegen Übertretung der Gewerbeord-
nung zur Rechenschaft zu ziehen. Trotz alledem kam bei dieser Fabrik bald
eine Einigung zu stände, und es ereignete sich das Merkwürdige, daß sie und
überhaupt die außerhalb des Rings stehenden Fabriken in Thätigkeit blieben,
während die zur Vereinigung gehörigen Betriebe stehen blieben, obwohl in
ihnen großenteils die Forderungen der Arbeiter schon längst erfüllt waren.

Die Flut des Streiks nahm nun ihre Richtung nach den Fabriken der
Vereinigung. Die Arbeiter begnügten sich nicht damit, ihre Forderungen zur
Erwägung vorzulegen, sondern gaben ihren Wünschen von vornherein durch
die Drohung, die Arbeit niederzulegen, den gehörigen Nachdruck, und um diese
Drohung zu veranschaulichen, hörten alle Arbeiter mit dem Augenblick auf zu
arbeiten, wo eine Deputation an den Fabrikanten abgesandt worden war;
feiernd erwartete man den Bescheid. In der Fabrik, die sich zuerst von den
Fabriken des Rings mit ihren Leuten auseinanderzusetzen hatte, legten sämt¬
liche Arbeiter mit Ausnahme eines einzigen die Arbeit nieder, als ihre Wünsche
nicht sofort erfüllt wurden. Doch kam es noch im Laufe des Bormittags zu
einer Einigung, und man glaubte, daß die Gefahr beseitigt sei: da verlangten
die Ausständigen, daß der eine treugebliebne Manu entlassen werden sollte.
Als das der Fabrikant ablehnte, war der Streik fertig. In einer andern
Fabrik erklärte der eine ihrer Besitzer, er wäre in Abwesenheit seines Geschäfts¬
teilhabers nicht berechtigt, ans die Anträge zu verfügen, die Arbeiter möchten sich
bis zu dessen bevorstehender Rückkehr gedulden. Darauf wurde geantwortet,
daß man nicht warten könne. Die Arbeiter verließen die Fabrik, kamen jedoch
aus unbekannten Gründen am andern Tage wieder.

Es hat keinen Zweck, die Ausdehnung des Streiks im einzelnen weiter
zu verfolgen. Jeden Tag sah man zu ungewohnter Stunde große Züge von
Arbeitern die Straßen füllen, die meisten siegesgewiß, einige aber auch mit
bedenklichen Gesichtern. Anfangs scheinen sie auch nicht völlig über ihre Wünsche
im klaren gewesen zu sein, denn sie sollen an einigen Stellen Lohnforderungen
erhoben haben, deren Genehmigung ihnen eine Herabsetzung ihrer bisherigen
Löhne gebracht haben würde. Genug, bald standen sechzehn Fabriken still,
ihre Zugänge wurden wie gewöhnlich bewacht, um Zuzug abzuhalten und treu¬
lose Genossen aufzuschreiben.


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[0259] Der Tuchmacherstreik in Uottbus Nachts und am Sonntag gearbeitet worden sei. Die anderthalbstündige Mittags¬ pause lehnte er mit der Begrttudung ab, daß er als Pächter Raum und Kraft für die Zeit von 6 bis 12 und von 1 bis 7 Uhr zu bezahlen habe, also den Verlust der halben Stunde nicht zu ertragen vermöchte. Die Art, wie er die Arbeiter abfertigte, brachte auch die Hoffnung zum Schwinden, daß wenigstens eine bessere Behandlung zu erwarten sein würde. Dies führte zu einer Ver¬ bitterung der Leute und schließlich zu einem Prozeß, worin einer der Streik- ftthrer zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt wurde, andrerseits sich aber auch Gelegenheit fand, den Fabrikanten wegen Übertretung der Gewerbeord- nung zur Rechenschaft zu ziehen. Trotz alledem kam bei dieser Fabrik bald eine Einigung zu stände, und es ereignete sich das Merkwürdige, daß sie und überhaupt die außerhalb des Rings stehenden Fabriken in Thätigkeit blieben, während die zur Vereinigung gehörigen Betriebe stehen blieben, obwohl in ihnen großenteils die Forderungen der Arbeiter schon längst erfüllt waren. Die Flut des Streiks nahm nun ihre Richtung nach den Fabriken der Vereinigung. Die Arbeiter begnügten sich nicht damit, ihre Forderungen zur Erwägung vorzulegen, sondern gaben ihren Wünschen von vornherein durch die Drohung, die Arbeit niederzulegen, den gehörigen Nachdruck, und um diese Drohung zu veranschaulichen, hörten alle Arbeiter mit dem Augenblick auf zu arbeiten, wo eine Deputation an den Fabrikanten abgesandt worden war; feiernd erwartete man den Bescheid. In der Fabrik, die sich zuerst von den Fabriken des Rings mit ihren Leuten auseinanderzusetzen hatte, legten sämt¬ liche Arbeiter mit Ausnahme eines einzigen die Arbeit nieder, als ihre Wünsche nicht sofort erfüllt wurden. Doch kam es noch im Laufe des Bormittags zu einer Einigung, und man glaubte, daß die Gefahr beseitigt sei: da verlangten die Ausständigen, daß der eine treugebliebne Manu entlassen werden sollte. Als das der Fabrikant ablehnte, war der Streik fertig. In einer andern Fabrik erklärte der eine ihrer Besitzer, er wäre in Abwesenheit seines Geschäfts¬ teilhabers nicht berechtigt, ans die Anträge zu verfügen, die Arbeiter möchten sich bis zu dessen bevorstehender Rückkehr gedulden. Darauf wurde geantwortet, daß man nicht warten könne. Die Arbeiter verließen die Fabrik, kamen jedoch aus unbekannten Gründen am andern Tage wieder. Es hat keinen Zweck, die Ausdehnung des Streiks im einzelnen weiter zu verfolgen. Jeden Tag sah man zu ungewohnter Stunde große Züge von Arbeitern die Straßen füllen, die meisten siegesgewiß, einige aber auch mit bedenklichen Gesichtern. Anfangs scheinen sie auch nicht völlig über ihre Wünsche im klaren gewesen zu sein, denn sie sollen an einigen Stellen Lohnforderungen erhoben haben, deren Genehmigung ihnen eine Herabsetzung ihrer bisherigen Löhne gebracht haben würde. Genug, bald standen sechzehn Fabriken still, ihre Zugänge wurden wie gewöhnlich bewacht, um Zuzug abzuhalten und treu¬ lose Genossen aufzuschreiben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/259>, abgerufen am 17.06.2024.