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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Der Tuchmacherstreik in Äottbus

Jetzt trat die Fabrikantenkommission wieder in Thätigkeit und stellte die
Entlassung sämtlicher in den Betrieben des Rings beschäftigten Arbeiter in
Aussicht, wenn die Arbeit nicht innerhalb einer bestimmten Zeit wieder auf¬
genommen würde. Hierauf legten mit Ausnahme von etwa tausend Leuten,
die sich teils von vornherein nicht an der Streitbewegung beteiligt hatten, teils
sich aber auch nach und nach wieder an ihrem Platze einfanden, alle übrigen
die Arbeit endgiltig nieder, ohne die vertragsmäßige Kündigungszeit einzu¬
halten. Das geschah am 22. Februar. Die Fabrikanten konnten diesmal die
Androhung einer allgemeinen Kündigung mit dem Hinweis auf das geschlossene
Zusammenwirken der gesamten Arbeiterschaft rechtfertigen. Sie hatten den
klaren Beweis dafür in den Händen. Es mögen nur zwei Vorkommnisse er¬
wähnt werden, die erkennen lassen, 'wie fest das Band war, das die Arbeiter¬
schaft umschloß. Ein Färbereibesitzer hatte, als er von dem Streik überrascht
wurde, eilig noch einiges Garn zu färben und wandte sich in seiner Verlegen¬
heit an einen Berufsgenossen, dessen Betrieb ungestört geblieben war. Aber
dieser mußte ihm erklären, er könne ihm nicht helfen, da sich seine Arbeiter
weigerten, die Arbeit zu übernehmen. Ferner hatten einige Fabrikanten, deren
Arbeit nicht von ihren eignen Webstühlen bewältigt werden konnte, an andre
weniger beschäftigte Berufsgenossen Ketten zum Weben gegen Lohn abgegeben,
und von der Vereinigung war ihnen auch gestattet worden, daß diese Lohn¬
webstühle, die sich in verschiednen Städten, zum Beispiel in Aachen befanden,
vorläufig noch im Gange blieben. Da erhielten sie die Nachricht, daß es sich
auch die dortigen Weber nicht hatten versagen können, ihr Einverständnis mit
ihren Kottbuser Genossen zu bekunden, indem sie sich geweigert hatten, ihre
Arbeit weiter zu verrichten. Die Fabrikanten sahen sich also einer weit ver¬
zweigten und vorzüglich organisirten Macht gegenüber, und ihr gemeinsames
Vorgehen wurde diesmal anders beurteilt als im Jahre 1895. So feierten
denn nach und nach alle Betriebe. In den mächtigen Gebäuden mit ihren
himmelragenden Schornsteinen wurde es ganz still. Eine Zeit lang sah man
noch die treugebliebnen Arbeiter darin hernmhcmtiren, aufräumen und reinigen,
dann beobachtete man, wie sie ungewohnte Gartenarbeit verrichteten, endlich
war auch das vorbei. Melancholisch saßen nun die Pförtner in ihren Häuschen,
und zu bestimmten Stunden ging wohl noch die bewaffnete Macht vor den
Fabrikeingängen auf und nieder.

Es ist eine alte Weisheit, daß sich die menschliche Arbeit nur dann zum
sittlichen Beruf erhebt, wenn in ihr das persönliche Streben des Menschen
Befriedigung findet. Die Zeiten, wo die Arbeit selbst einen größern Teil
der Menschheit geistigen Gewinn bot, scheinen nnn freilich vorüber zu sein.
Die meisten Menschen müssen es sich um des lieben täglichen Brotes willen
gefallen lassen, daß ihr Beruf sie mehr oder weniger zur Schablone macht,
von der man nicht mehr verlangt als immer wieder dasselbe Bild; es sind


Der Tuchmacherstreik in Äottbus

Jetzt trat die Fabrikantenkommission wieder in Thätigkeit und stellte die
Entlassung sämtlicher in den Betrieben des Rings beschäftigten Arbeiter in
Aussicht, wenn die Arbeit nicht innerhalb einer bestimmten Zeit wieder auf¬
genommen würde. Hierauf legten mit Ausnahme von etwa tausend Leuten,
die sich teils von vornherein nicht an der Streitbewegung beteiligt hatten, teils
sich aber auch nach und nach wieder an ihrem Platze einfanden, alle übrigen
die Arbeit endgiltig nieder, ohne die vertragsmäßige Kündigungszeit einzu¬
halten. Das geschah am 22. Februar. Die Fabrikanten konnten diesmal die
Androhung einer allgemeinen Kündigung mit dem Hinweis auf das geschlossene
Zusammenwirken der gesamten Arbeiterschaft rechtfertigen. Sie hatten den
klaren Beweis dafür in den Händen. Es mögen nur zwei Vorkommnisse er¬
wähnt werden, die erkennen lassen, 'wie fest das Band war, das die Arbeiter¬
schaft umschloß. Ein Färbereibesitzer hatte, als er von dem Streik überrascht
wurde, eilig noch einiges Garn zu färben und wandte sich in seiner Verlegen¬
heit an einen Berufsgenossen, dessen Betrieb ungestört geblieben war. Aber
dieser mußte ihm erklären, er könne ihm nicht helfen, da sich seine Arbeiter
weigerten, die Arbeit zu übernehmen. Ferner hatten einige Fabrikanten, deren
Arbeit nicht von ihren eignen Webstühlen bewältigt werden konnte, an andre
weniger beschäftigte Berufsgenossen Ketten zum Weben gegen Lohn abgegeben,
und von der Vereinigung war ihnen auch gestattet worden, daß diese Lohn¬
webstühle, die sich in verschiednen Städten, zum Beispiel in Aachen befanden,
vorläufig noch im Gange blieben. Da erhielten sie die Nachricht, daß es sich
auch die dortigen Weber nicht hatten versagen können, ihr Einverständnis mit
ihren Kottbuser Genossen zu bekunden, indem sie sich geweigert hatten, ihre
Arbeit weiter zu verrichten. Die Fabrikanten sahen sich also einer weit ver¬
zweigten und vorzüglich organisirten Macht gegenüber, und ihr gemeinsames
Vorgehen wurde diesmal anders beurteilt als im Jahre 1895. So feierten
denn nach und nach alle Betriebe. In den mächtigen Gebäuden mit ihren
himmelragenden Schornsteinen wurde es ganz still. Eine Zeit lang sah man
noch die treugebliebnen Arbeiter darin hernmhcmtiren, aufräumen und reinigen,
dann beobachtete man, wie sie ungewohnte Gartenarbeit verrichteten, endlich
war auch das vorbei. Melancholisch saßen nun die Pförtner in ihren Häuschen,
und zu bestimmten Stunden ging wohl noch die bewaffnete Macht vor den
Fabrikeingängen auf und nieder.

Es ist eine alte Weisheit, daß sich die menschliche Arbeit nur dann zum
sittlichen Beruf erhebt, wenn in ihr das persönliche Streben des Menschen
Befriedigung findet. Die Zeiten, wo die Arbeit selbst einen größern Teil
der Menschheit geistigen Gewinn bot, scheinen nnn freilich vorüber zu sein.
Die meisten Menschen müssen es sich um des lieben täglichen Brotes willen
gefallen lassen, daß ihr Beruf sie mehr oder weniger zur Schablone macht,
von der man nicht mehr verlangt als immer wieder dasselbe Bild; es sind


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[0260] Der Tuchmacherstreik in Äottbus Jetzt trat die Fabrikantenkommission wieder in Thätigkeit und stellte die Entlassung sämtlicher in den Betrieben des Rings beschäftigten Arbeiter in Aussicht, wenn die Arbeit nicht innerhalb einer bestimmten Zeit wieder auf¬ genommen würde. Hierauf legten mit Ausnahme von etwa tausend Leuten, die sich teils von vornherein nicht an der Streitbewegung beteiligt hatten, teils sich aber auch nach und nach wieder an ihrem Platze einfanden, alle übrigen die Arbeit endgiltig nieder, ohne die vertragsmäßige Kündigungszeit einzu¬ halten. Das geschah am 22. Februar. Die Fabrikanten konnten diesmal die Androhung einer allgemeinen Kündigung mit dem Hinweis auf das geschlossene Zusammenwirken der gesamten Arbeiterschaft rechtfertigen. Sie hatten den klaren Beweis dafür in den Händen. Es mögen nur zwei Vorkommnisse er¬ wähnt werden, die erkennen lassen, 'wie fest das Band war, das die Arbeiter¬ schaft umschloß. Ein Färbereibesitzer hatte, als er von dem Streik überrascht wurde, eilig noch einiges Garn zu färben und wandte sich in seiner Verlegen¬ heit an einen Berufsgenossen, dessen Betrieb ungestört geblieben war. Aber dieser mußte ihm erklären, er könne ihm nicht helfen, da sich seine Arbeiter weigerten, die Arbeit zu übernehmen. Ferner hatten einige Fabrikanten, deren Arbeit nicht von ihren eignen Webstühlen bewältigt werden konnte, an andre weniger beschäftigte Berufsgenossen Ketten zum Weben gegen Lohn abgegeben, und von der Vereinigung war ihnen auch gestattet worden, daß diese Lohn¬ webstühle, die sich in verschiednen Städten, zum Beispiel in Aachen befanden, vorläufig noch im Gange blieben. Da erhielten sie die Nachricht, daß es sich auch die dortigen Weber nicht hatten versagen können, ihr Einverständnis mit ihren Kottbuser Genossen zu bekunden, indem sie sich geweigert hatten, ihre Arbeit weiter zu verrichten. Die Fabrikanten sahen sich also einer weit ver¬ zweigten und vorzüglich organisirten Macht gegenüber, und ihr gemeinsames Vorgehen wurde diesmal anders beurteilt als im Jahre 1895. So feierten denn nach und nach alle Betriebe. In den mächtigen Gebäuden mit ihren himmelragenden Schornsteinen wurde es ganz still. Eine Zeit lang sah man noch die treugebliebnen Arbeiter darin hernmhcmtiren, aufräumen und reinigen, dann beobachtete man, wie sie ungewohnte Gartenarbeit verrichteten, endlich war auch das vorbei. Melancholisch saßen nun die Pförtner in ihren Häuschen, und zu bestimmten Stunden ging wohl noch die bewaffnete Macht vor den Fabrikeingängen auf und nieder. Es ist eine alte Weisheit, daß sich die menschliche Arbeit nur dann zum sittlichen Beruf erhebt, wenn in ihr das persönliche Streben des Menschen Befriedigung findet. Die Zeiten, wo die Arbeit selbst einen größern Teil der Menschheit geistigen Gewinn bot, scheinen nnn freilich vorüber zu sein. Die meisten Menschen müssen es sich um des lieben täglichen Brotes willen gefallen lassen, daß ihr Beruf sie mehr oder weniger zur Schablone macht, von der man nicht mehr verlangt als immer wieder dasselbe Bild; es sind

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/260>, abgerufen am 17.06.2024.