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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Der Tuchmacherstreik in Kottbus

immer nur wenige Menschen, unter deren Händen das Dasein fort und sort
schöne lebendige Blumen hervorbringt. Am wenigsten wird sich von der Fabrik¬
arbeit sagen lassen, daß in ihr ein persönliches Streben gekrönt wäre, obwohl
es übertrieben Ware, wenn man ganz allgemein behaupten wollte, der Fabrik¬
arbeiter stehe seinem Werk ohne alle Freude, ja in geheimem Zorn gegenüber.
Auch er freut sich seiner Arbeit, ist sich seiner Geschicklichkeit mit Stolz be¬
wußt, und überdies liegt ja zwischen dem einfachen Handlanger und zum Beispiel
dem geübten Weber ein weiter Raum. Es ist aber wahr, daß jede Vervoll¬
kommnung der Maschine, jeder Triumph des menschlichen Geistes die Arbeit
leerer und ärmer macht. Die Maschine arbeitet allmählich nicht nur, sie denkt
auch sür den Menschen und versagt ihm dafür den geistigen Gewinn, der einst
ein Teil seines Lohnes war. Findet also der Fabrikarbeiter in der Arbeit
selbst nicht mehr seine Befriedigung, so muß er sie in dem Erfolg seiner Arbeit
suchen, in dem klingenden Lohn, den sie ihm bringt. In der Arbeit selbst
Gewinn zu suchen, das scheinen die Arbeiter mehr und mehr aufzugeben.
Wenige haben noch Lust, einen Beruf zu wühlen, der sie jahrelang zum
Schüler macht, sie ziehen eine Thätigkeit vor, in der sie schnell zum Meister
werden, und worin der neunzehnjährige Sohn so viel zu leisten und zu ver¬
dienen vermag wie sein Vater, der in seinem Berufe grau geworden ist. Um
so eifriger ist dafür ihr Streben, ihre äußere Lage zu verbessern, mehr freie
Zeit und mehr Geld zu gewinnen, um der freien Zeit froh zu werden.

Wie steht es nun um die äußere Lage der Tucharbeiter in Kottbus? Er¬
öffnet sich uns da wieder der Blick in menschlichen Jammer, wie vor kurzem,
als die Verhältnisse der Berliner Konfektionsarbeiter vor der Öffentlichkeit blo߬
gelegt wurden? Ich glaube uicht. Was verlangen die Streitenden, um ihre
Lebenslage zu verbessern?

Sie verlangen zunächst die elfstündige Arbeitszeit. Die Erfüllung dieser
Forderung kann aber nur einem Teil der Arbeiter etwas neues bringen, da
die elfstündige Arbeitszeit in den Fabriken des Rings, die etwa neun Zehntel
aller Kottbuser Tucharbeiter beschäftigen, größtenteils schon eingeführt war.
Sie ist jetzt, was gleich gesagt werden soll, überall angenommen worden.
Ferner verlangen die Arbeiter eine anderthalbstündige Mittagspause, und wir
können es ihnen nachfühlen, wenn sie Wert darauf legen, ihr Mittagsmahl in
Ruhe genießen zu können; aber auch diese Forderung ist schon in einer Anzahl
von Fabriken erfüllt gewesen. Allerdings nur in den Sommermonaten, im
Winter dauerte die Mittagspause nur eine Stunde, weil man von dem wich¬
tigen Tageslicht so wenig wie möglich verlieren wollte. Da die Fabrikanten
jetzt das Versprechen gegeben haben, überall die anderthalbstündige Pause ein¬
zuführen, so können die Streitenden hiermit einen Erfolg verzeichnen. Endlich
wünschen sie Lohnerhöhungen für die Stundenarbeiter, deren Lohn nicht nach
ihren Leistungen, sondern nach der von ihnen angewandten Arbeitszeit bemessen


Der Tuchmacherstreik in Kottbus

immer nur wenige Menschen, unter deren Händen das Dasein fort und sort
schöne lebendige Blumen hervorbringt. Am wenigsten wird sich von der Fabrik¬
arbeit sagen lassen, daß in ihr ein persönliches Streben gekrönt wäre, obwohl
es übertrieben Ware, wenn man ganz allgemein behaupten wollte, der Fabrik¬
arbeiter stehe seinem Werk ohne alle Freude, ja in geheimem Zorn gegenüber.
Auch er freut sich seiner Arbeit, ist sich seiner Geschicklichkeit mit Stolz be¬
wußt, und überdies liegt ja zwischen dem einfachen Handlanger und zum Beispiel
dem geübten Weber ein weiter Raum. Es ist aber wahr, daß jede Vervoll¬
kommnung der Maschine, jeder Triumph des menschlichen Geistes die Arbeit
leerer und ärmer macht. Die Maschine arbeitet allmählich nicht nur, sie denkt
auch sür den Menschen und versagt ihm dafür den geistigen Gewinn, der einst
ein Teil seines Lohnes war. Findet also der Fabrikarbeiter in der Arbeit
selbst nicht mehr seine Befriedigung, so muß er sie in dem Erfolg seiner Arbeit
suchen, in dem klingenden Lohn, den sie ihm bringt. In der Arbeit selbst
Gewinn zu suchen, das scheinen die Arbeiter mehr und mehr aufzugeben.
Wenige haben noch Lust, einen Beruf zu wühlen, der sie jahrelang zum
Schüler macht, sie ziehen eine Thätigkeit vor, in der sie schnell zum Meister
werden, und worin der neunzehnjährige Sohn so viel zu leisten und zu ver¬
dienen vermag wie sein Vater, der in seinem Berufe grau geworden ist. Um
so eifriger ist dafür ihr Streben, ihre äußere Lage zu verbessern, mehr freie
Zeit und mehr Geld zu gewinnen, um der freien Zeit froh zu werden.

Wie steht es nun um die äußere Lage der Tucharbeiter in Kottbus? Er¬
öffnet sich uns da wieder der Blick in menschlichen Jammer, wie vor kurzem,
als die Verhältnisse der Berliner Konfektionsarbeiter vor der Öffentlichkeit blo߬
gelegt wurden? Ich glaube uicht. Was verlangen die Streitenden, um ihre
Lebenslage zu verbessern?

Sie verlangen zunächst die elfstündige Arbeitszeit. Die Erfüllung dieser
Forderung kann aber nur einem Teil der Arbeiter etwas neues bringen, da
die elfstündige Arbeitszeit in den Fabriken des Rings, die etwa neun Zehntel
aller Kottbuser Tucharbeiter beschäftigen, größtenteils schon eingeführt war.
Sie ist jetzt, was gleich gesagt werden soll, überall angenommen worden.
Ferner verlangen die Arbeiter eine anderthalbstündige Mittagspause, und wir
können es ihnen nachfühlen, wenn sie Wert darauf legen, ihr Mittagsmahl in
Ruhe genießen zu können; aber auch diese Forderung ist schon in einer Anzahl
von Fabriken erfüllt gewesen. Allerdings nur in den Sommermonaten, im
Winter dauerte die Mittagspause nur eine Stunde, weil man von dem wich¬
tigen Tageslicht so wenig wie möglich verlieren wollte. Da die Fabrikanten
jetzt das Versprechen gegeben haben, überall die anderthalbstündige Pause ein¬
zuführen, so können die Streitenden hiermit einen Erfolg verzeichnen. Endlich
wünschen sie Lohnerhöhungen für die Stundenarbeiter, deren Lohn nicht nach
ihren Leistungen, sondern nach der von ihnen angewandten Arbeitszeit bemessen


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[0261] Der Tuchmacherstreik in Kottbus immer nur wenige Menschen, unter deren Händen das Dasein fort und sort schöne lebendige Blumen hervorbringt. Am wenigsten wird sich von der Fabrik¬ arbeit sagen lassen, daß in ihr ein persönliches Streben gekrönt wäre, obwohl es übertrieben Ware, wenn man ganz allgemein behaupten wollte, der Fabrik¬ arbeiter stehe seinem Werk ohne alle Freude, ja in geheimem Zorn gegenüber. Auch er freut sich seiner Arbeit, ist sich seiner Geschicklichkeit mit Stolz be¬ wußt, und überdies liegt ja zwischen dem einfachen Handlanger und zum Beispiel dem geübten Weber ein weiter Raum. Es ist aber wahr, daß jede Vervoll¬ kommnung der Maschine, jeder Triumph des menschlichen Geistes die Arbeit leerer und ärmer macht. Die Maschine arbeitet allmählich nicht nur, sie denkt auch sür den Menschen und versagt ihm dafür den geistigen Gewinn, der einst ein Teil seines Lohnes war. Findet also der Fabrikarbeiter in der Arbeit selbst nicht mehr seine Befriedigung, so muß er sie in dem Erfolg seiner Arbeit suchen, in dem klingenden Lohn, den sie ihm bringt. In der Arbeit selbst Gewinn zu suchen, das scheinen die Arbeiter mehr und mehr aufzugeben. Wenige haben noch Lust, einen Beruf zu wühlen, der sie jahrelang zum Schüler macht, sie ziehen eine Thätigkeit vor, in der sie schnell zum Meister werden, und worin der neunzehnjährige Sohn so viel zu leisten und zu ver¬ dienen vermag wie sein Vater, der in seinem Berufe grau geworden ist. Um so eifriger ist dafür ihr Streben, ihre äußere Lage zu verbessern, mehr freie Zeit und mehr Geld zu gewinnen, um der freien Zeit froh zu werden. Wie steht es nun um die äußere Lage der Tucharbeiter in Kottbus? Er¬ öffnet sich uns da wieder der Blick in menschlichen Jammer, wie vor kurzem, als die Verhältnisse der Berliner Konfektionsarbeiter vor der Öffentlichkeit blo߬ gelegt wurden? Ich glaube uicht. Was verlangen die Streitenden, um ihre Lebenslage zu verbessern? Sie verlangen zunächst die elfstündige Arbeitszeit. Die Erfüllung dieser Forderung kann aber nur einem Teil der Arbeiter etwas neues bringen, da die elfstündige Arbeitszeit in den Fabriken des Rings, die etwa neun Zehntel aller Kottbuser Tucharbeiter beschäftigen, größtenteils schon eingeführt war. Sie ist jetzt, was gleich gesagt werden soll, überall angenommen worden. Ferner verlangen die Arbeiter eine anderthalbstündige Mittagspause, und wir können es ihnen nachfühlen, wenn sie Wert darauf legen, ihr Mittagsmahl in Ruhe genießen zu können; aber auch diese Forderung ist schon in einer Anzahl von Fabriken erfüllt gewesen. Allerdings nur in den Sommermonaten, im Winter dauerte die Mittagspause nur eine Stunde, weil man von dem wich¬ tigen Tageslicht so wenig wie möglich verlieren wollte. Da die Fabrikanten jetzt das Versprechen gegeben haben, überall die anderthalbstündige Pause ein¬ zuführen, so können die Streitenden hiermit einen Erfolg verzeichnen. Endlich wünschen sie Lohnerhöhungen für die Stundenarbeiter, deren Lohn nicht nach ihren Leistungen, sondern nach der von ihnen angewandten Arbeitszeit bemessen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/261>, abgerufen am 17.06.2024.