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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Der Tuchmacherstreik in Kottbus

die Unterlagen zu dieser Statistik der königlichen Gewerbeinspektion zur Ver¬
fügung gestellt waren, kann mau annehmen, daß sie mit voller Sorgfalt aus¬
gearbeitet worden ist.

Diese Löhne sind für die Kottbuser Verhältnisse zweifellos auskömmlich
zu nennen. Bedenkt man uoch, daß in vielen Familien Mann, Frau und
Kinder arbeiteten, wobei sich die Frau zuweilen durch ein Dienstmädchen oder
eine Wartefrau im Hause vertreten ließ, so wird man jedenfalls zugeben, daß
vou einer Notlage der Weber nicht geredet werden konnte. Sie haben auch
nach den Zeitungsberichten ihre Forderungen ohne großen Kummer allmählich
in der Versenkung verschwinden lassen, und nie haben sie sich als notleidende
Menschen geberdet. Im Gegenteil: geht man durch die Straßen, wo sie zu
Hause sind, so freut mau sich an ihren hübschen, freundlich gehaltenen Woh¬
nungen, die schon äußerlich einen gewissen Wohlstand bekunden, und vertieft
man sich in die Veröffentlichungen der Gastwirte, so erkennt man, daß es ihnen
nicht an Gelegenheit zu mannichfacher Erholung gefehlt hat; und daß sie diese
Gelegenheit auch nicht ungenutzt haben vorübergehen lassen, ist kein Geheimnis.
Auch die stark verminderten Einnahmen der Fleischer während des Streiks be¬
zeugen, daß sie sich nicht mit einer ungesunden und unzureichenden Nahrung zu
begnügen gehabt haben, sie sind gute Abnehmer aller Geschäftsleute gewesen und
auch als regelmäßige Zahler geschätzt worden. Die Fabrikarbeiterinnen haben
auf gute, aufkündige Kleidung gehalten, manche trägt auch eine goldne Uhr,
ohne sich, wie es einmal hieß, des Lebensunterhalts wegen preisgeben zu
müssen. Der Verdienst reichte eben auch zu diesem kleinen Luxus hin, wie
er dazu ausreichte, daß sich die meisten Arbeiterfamilien, ohne Gewissens¬
bisse zu fühlen, nach der sauern Arbeitswoche eine Erholung gönnen und
sich am Sonntag nach ihrem Geschmack vergnügen konnten. Daß die Ver¬
hältnisse nicht bei allen gleich waren, daß sich der eine versagen mußte, was
dem andern ein leichtes war, daß Krankheiten, viele Kinder und Familien¬
sorgen, wie sie nirgends ausbleiben, manchen auch das Leben verbittert und
das Brot knapp gemacht haben, ist wohl selbstverständlich. Die hiesigen Spar¬
kassen sollen, wenn man zusammenrechnet, was während des Streiks weniger
eingezahlt und mehr ausgezahlt worden ist als sonst, einen Ausfall vou 70000
bis 80000 Mark gehabt haben. Doch mag das bloßes Gerücht fein. Jedenfalls
ist der Streik nicht durch die Notlage der Weber verursacht worden, er ist
nur dadurch möglich gewesen und darum so hartnäckig festgehalten worden,
weil sich die Kottbuser Tucharbeiter einer Lage erfreuten, in der sie auch einen
Lohnausfall für einige Wochen ertragen konnten. Freilich, daß die Betriebe
so lauge stillstehe" würden und der Ring der Fabrikanten so fest geschmiedet
wäre, das haben sie nicht erwartet, sie hofften vielmehr, daß sich die kleinen
Fabrikanten von den großen trennen und bald unterwerfen würden, und das
wäre vielleicht auch geschehen, wenn die größern nicht den kleinern ihren Bei-


Der Tuchmacherstreik in Kottbus

die Unterlagen zu dieser Statistik der königlichen Gewerbeinspektion zur Ver¬
fügung gestellt waren, kann mau annehmen, daß sie mit voller Sorgfalt aus¬
gearbeitet worden ist.

Diese Löhne sind für die Kottbuser Verhältnisse zweifellos auskömmlich
zu nennen. Bedenkt man uoch, daß in vielen Familien Mann, Frau und
Kinder arbeiteten, wobei sich die Frau zuweilen durch ein Dienstmädchen oder
eine Wartefrau im Hause vertreten ließ, so wird man jedenfalls zugeben, daß
vou einer Notlage der Weber nicht geredet werden konnte. Sie haben auch
nach den Zeitungsberichten ihre Forderungen ohne großen Kummer allmählich
in der Versenkung verschwinden lassen, und nie haben sie sich als notleidende
Menschen geberdet. Im Gegenteil: geht man durch die Straßen, wo sie zu
Hause sind, so freut mau sich an ihren hübschen, freundlich gehaltenen Woh¬
nungen, die schon äußerlich einen gewissen Wohlstand bekunden, und vertieft
man sich in die Veröffentlichungen der Gastwirte, so erkennt man, daß es ihnen
nicht an Gelegenheit zu mannichfacher Erholung gefehlt hat; und daß sie diese
Gelegenheit auch nicht ungenutzt haben vorübergehen lassen, ist kein Geheimnis.
Auch die stark verminderten Einnahmen der Fleischer während des Streiks be¬
zeugen, daß sie sich nicht mit einer ungesunden und unzureichenden Nahrung zu
begnügen gehabt haben, sie sind gute Abnehmer aller Geschäftsleute gewesen und
auch als regelmäßige Zahler geschätzt worden. Die Fabrikarbeiterinnen haben
auf gute, aufkündige Kleidung gehalten, manche trägt auch eine goldne Uhr,
ohne sich, wie es einmal hieß, des Lebensunterhalts wegen preisgeben zu
müssen. Der Verdienst reichte eben auch zu diesem kleinen Luxus hin, wie
er dazu ausreichte, daß sich die meisten Arbeiterfamilien, ohne Gewissens¬
bisse zu fühlen, nach der sauern Arbeitswoche eine Erholung gönnen und
sich am Sonntag nach ihrem Geschmack vergnügen konnten. Daß die Ver¬
hältnisse nicht bei allen gleich waren, daß sich der eine versagen mußte, was
dem andern ein leichtes war, daß Krankheiten, viele Kinder und Familien¬
sorgen, wie sie nirgends ausbleiben, manchen auch das Leben verbittert und
das Brot knapp gemacht haben, ist wohl selbstverständlich. Die hiesigen Spar¬
kassen sollen, wenn man zusammenrechnet, was während des Streiks weniger
eingezahlt und mehr ausgezahlt worden ist als sonst, einen Ausfall vou 70000
bis 80000 Mark gehabt haben. Doch mag das bloßes Gerücht fein. Jedenfalls
ist der Streik nicht durch die Notlage der Weber verursacht worden, er ist
nur dadurch möglich gewesen und darum so hartnäckig festgehalten worden,
weil sich die Kottbuser Tucharbeiter einer Lage erfreuten, in der sie auch einen
Lohnausfall für einige Wochen ertragen konnten. Freilich, daß die Betriebe
so lauge stillstehe» würden und der Ring der Fabrikanten so fest geschmiedet
wäre, das haben sie nicht erwartet, sie hofften vielmehr, daß sich die kleinen
Fabrikanten von den großen trennen und bald unterwerfen würden, und das
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[0263] Der Tuchmacherstreik in Kottbus die Unterlagen zu dieser Statistik der königlichen Gewerbeinspektion zur Ver¬ fügung gestellt waren, kann mau annehmen, daß sie mit voller Sorgfalt aus¬ gearbeitet worden ist. Diese Löhne sind für die Kottbuser Verhältnisse zweifellos auskömmlich zu nennen. Bedenkt man uoch, daß in vielen Familien Mann, Frau und Kinder arbeiteten, wobei sich die Frau zuweilen durch ein Dienstmädchen oder eine Wartefrau im Hause vertreten ließ, so wird man jedenfalls zugeben, daß vou einer Notlage der Weber nicht geredet werden konnte. Sie haben auch nach den Zeitungsberichten ihre Forderungen ohne großen Kummer allmählich in der Versenkung verschwinden lassen, und nie haben sie sich als notleidende Menschen geberdet. Im Gegenteil: geht man durch die Straßen, wo sie zu Hause sind, so freut mau sich an ihren hübschen, freundlich gehaltenen Woh¬ nungen, die schon äußerlich einen gewissen Wohlstand bekunden, und vertieft man sich in die Veröffentlichungen der Gastwirte, so erkennt man, daß es ihnen nicht an Gelegenheit zu mannichfacher Erholung gefehlt hat; und daß sie diese Gelegenheit auch nicht ungenutzt haben vorübergehen lassen, ist kein Geheimnis. Auch die stark verminderten Einnahmen der Fleischer während des Streiks be¬ zeugen, daß sie sich nicht mit einer ungesunden und unzureichenden Nahrung zu begnügen gehabt haben, sie sind gute Abnehmer aller Geschäftsleute gewesen und auch als regelmäßige Zahler geschätzt worden. Die Fabrikarbeiterinnen haben auf gute, aufkündige Kleidung gehalten, manche trägt auch eine goldne Uhr, ohne sich, wie es einmal hieß, des Lebensunterhalts wegen preisgeben zu müssen. Der Verdienst reichte eben auch zu diesem kleinen Luxus hin, wie er dazu ausreichte, daß sich die meisten Arbeiterfamilien, ohne Gewissens¬ bisse zu fühlen, nach der sauern Arbeitswoche eine Erholung gönnen und sich am Sonntag nach ihrem Geschmack vergnügen konnten. Daß die Ver¬ hältnisse nicht bei allen gleich waren, daß sich der eine versagen mußte, was dem andern ein leichtes war, daß Krankheiten, viele Kinder und Familien¬ sorgen, wie sie nirgends ausbleiben, manchen auch das Leben verbittert und das Brot knapp gemacht haben, ist wohl selbstverständlich. Die hiesigen Spar¬ kassen sollen, wenn man zusammenrechnet, was während des Streiks weniger eingezahlt und mehr ausgezahlt worden ist als sonst, einen Ausfall vou 70000 bis 80000 Mark gehabt haben. Doch mag das bloßes Gerücht fein. Jedenfalls ist der Streik nicht durch die Notlage der Weber verursacht worden, er ist nur dadurch möglich gewesen und darum so hartnäckig festgehalten worden, weil sich die Kottbuser Tucharbeiter einer Lage erfreuten, in der sie auch einen Lohnausfall für einige Wochen ertragen konnten. Freilich, daß die Betriebe so lauge stillstehe» würden und der Ring der Fabrikanten so fest geschmiedet wäre, das haben sie nicht erwartet, sie hofften vielmehr, daß sich die kleinen Fabrikanten von den großen trennen und bald unterwerfen würden, und das wäre vielleicht auch geschehen, wenn die größern nicht den kleinern ihren Bei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/263>, abgerufen am 17.06.2024.