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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Der Tuchmacherstreik in Aottbus

stand Versprochen hätten. Die Lohnerhöhungen sind also, wie gesagt ist, im
Verlaufe des Streiks allmählich in die Ecke geraten, sie verloren, wie sich aus
den Reden der letzten Versammlungen ergiebt, für die Streikführer alle Wichtig¬
keit, und ihretwegen hätte man sicher nicht so lange ausgehalten. Zuletzt drehte
sich alles nur um die Frage, deren Veantwortrng besonders für die Führer
der einzelnen Fabriken von Wichtigkeit war: Werden alle Ausständigen wieder
nach Beilegung des Streiks angenommen werden, oder muß sich eine Anzahl
darauf gefaßt machen, daß ihnen die Aufnahme versagt bleibt? Die Fabrikanten
erklärten, daß sie die ihnen gefährlich gewordnen Personen, etwa fünfzig an
der Zahl, unter keiner Bedingung wieder bei sich beschäftige" würden. Auch
darein haben sich die Arbeiter schließlich gefunden.

Überblicken wir nun noch die Folgen des Streiks Die Arbeiter haben
große Opfer gebracht, an Lohn wird ihnen während der acht Wochen des
Streiks fast eine Million entgangen sein, und wenn sie auch wirklich ein paar
Hunderttausende dafür an Unterstützung erhalten haben, so ist doch dadurch ihr
Schaden nicht viel kleiner geworden, denn der größte Teil der gespendeten
Summen lastet nun als eine Schuld ans ihrem Haupte, die sie sich wieder
absparen müssen. Dabei sind die Unterstützungen nur einem Teil von ihnen
zugefallen, die Arbeiter aus den Dörfern sollen gleich abgeschoben und auf
Landarbeit verwiesen worden sein. Zuerst haben sie gehofft, daß sich von ganz
Deutschland her segenbringende Wolken über Kottbus sammeln würden, dann
hieß es, selbst die Engländer wollten ihre Geldsäcke ausschütten, und auch von
der Schweiz werde ein Goldregen kommen. Auch als die Streikgelder immer
geringer wurden, ließen sie sich ihre Hoffnung nicht nehmen; die wunderlichsten
Gerüchte tauchten auf und wurden geglaubt, z. B. daß Geld genug dawäre,
aber die Reichs dank könnte die großen Scheine nicht wechseln oder verlange
zu hohe Provisionen. Und selbst als sich diese Hoffnungen als Seifenblasen
erwiesen, hielten die Arbeiter noch den Kopf hoch. Sie richteten sich ein, wie
es eben ging, sie haben sicherlich gedarbt und vielleicht im geheimen gehungert,
aber sie ließen es sich nicht merken. Fehlte der Tabak, so rauchte mau das
Pfeifchen kalt, und verlor anch das Wirtshaus an Reiz, so lachte draußen die
Sonne, und es war für die Fabrikarbeiter, die ihre meiste Zeit in geschlossenen
Räumen zuzubringen gewohnt sind, reizvoll und angenehm, Tag für Tag in
der Frühlingsluft herumzugehen, zwischen sprossenden Feldern, am Ufer der
Spree zu sitzen und sich das Gesicht in der Sonne braunen zu lassen. Es
liegt etwas rührendes in ihrem stillen Aushalten und in ihrer Unterwerfung
unter ihre Autoritäten. Es war ihnen gesagt worden, man müsse jetzt für ein
"Prinzip" kämpfen, und sie kämpften dafür, vielfach gegen ihre Überzeugung;
es war ihnen gesagt worden, daß der Einzelne der Gesamtheit Opfer bringen
müßte, und sie brachten diese Opfer und fühlten sich dabei innerlich durch das
Bewußtsein erhoben, daß ihre Zuversicht, ihr Dulden und ihr festes Ausharren


Der Tuchmacherstreik in Aottbus

stand Versprochen hätten. Die Lohnerhöhungen sind also, wie gesagt ist, im
Verlaufe des Streiks allmählich in die Ecke geraten, sie verloren, wie sich aus
den Reden der letzten Versammlungen ergiebt, für die Streikführer alle Wichtig¬
keit, und ihretwegen hätte man sicher nicht so lange ausgehalten. Zuletzt drehte
sich alles nur um die Frage, deren Veantwortrng besonders für die Führer
der einzelnen Fabriken von Wichtigkeit war: Werden alle Ausständigen wieder
nach Beilegung des Streiks angenommen werden, oder muß sich eine Anzahl
darauf gefaßt machen, daß ihnen die Aufnahme versagt bleibt? Die Fabrikanten
erklärten, daß sie die ihnen gefährlich gewordnen Personen, etwa fünfzig an
der Zahl, unter keiner Bedingung wieder bei sich beschäftige» würden. Auch
darein haben sich die Arbeiter schließlich gefunden.

Überblicken wir nun noch die Folgen des Streiks Die Arbeiter haben
große Opfer gebracht, an Lohn wird ihnen während der acht Wochen des
Streiks fast eine Million entgangen sein, und wenn sie auch wirklich ein paar
Hunderttausende dafür an Unterstützung erhalten haben, so ist doch dadurch ihr
Schaden nicht viel kleiner geworden, denn der größte Teil der gespendeten
Summen lastet nun als eine Schuld ans ihrem Haupte, die sie sich wieder
absparen müssen. Dabei sind die Unterstützungen nur einem Teil von ihnen
zugefallen, die Arbeiter aus den Dörfern sollen gleich abgeschoben und auf
Landarbeit verwiesen worden sein. Zuerst haben sie gehofft, daß sich von ganz
Deutschland her segenbringende Wolken über Kottbus sammeln würden, dann
hieß es, selbst die Engländer wollten ihre Geldsäcke ausschütten, und auch von
der Schweiz werde ein Goldregen kommen. Auch als die Streikgelder immer
geringer wurden, ließen sie sich ihre Hoffnung nicht nehmen; die wunderlichsten
Gerüchte tauchten auf und wurden geglaubt, z. B. daß Geld genug dawäre,
aber die Reichs dank könnte die großen Scheine nicht wechseln oder verlange
zu hohe Provisionen. Und selbst als sich diese Hoffnungen als Seifenblasen
erwiesen, hielten die Arbeiter noch den Kopf hoch. Sie richteten sich ein, wie
es eben ging, sie haben sicherlich gedarbt und vielleicht im geheimen gehungert,
aber sie ließen es sich nicht merken. Fehlte der Tabak, so rauchte mau das
Pfeifchen kalt, und verlor anch das Wirtshaus an Reiz, so lachte draußen die
Sonne, und es war für die Fabrikarbeiter, die ihre meiste Zeit in geschlossenen
Räumen zuzubringen gewohnt sind, reizvoll und angenehm, Tag für Tag in
der Frühlingsluft herumzugehen, zwischen sprossenden Feldern, am Ufer der
Spree zu sitzen und sich das Gesicht in der Sonne braunen zu lassen. Es
liegt etwas rührendes in ihrem stillen Aushalten und in ihrer Unterwerfung
unter ihre Autoritäten. Es war ihnen gesagt worden, man müsse jetzt für ein
„Prinzip" kämpfen, und sie kämpften dafür, vielfach gegen ihre Überzeugung;
es war ihnen gesagt worden, daß der Einzelne der Gesamtheit Opfer bringen
müßte, und sie brachten diese Opfer und fühlten sich dabei innerlich durch das
Bewußtsein erhoben, daß ihre Zuversicht, ihr Dulden und ihr festes Ausharren


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[0264] Der Tuchmacherstreik in Aottbus stand Versprochen hätten. Die Lohnerhöhungen sind also, wie gesagt ist, im Verlaufe des Streiks allmählich in die Ecke geraten, sie verloren, wie sich aus den Reden der letzten Versammlungen ergiebt, für die Streikführer alle Wichtig¬ keit, und ihretwegen hätte man sicher nicht so lange ausgehalten. Zuletzt drehte sich alles nur um die Frage, deren Veantwortrng besonders für die Führer der einzelnen Fabriken von Wichtigkeit war: Werden alle Ausständigen wieder nach Beilegung des Streiks angenommen werden, oder muß sich eine Anzahl darauf gefaßt machen, daß ihnen die Aufnahme versagt bleibt? Die Fabrikanten erklärten, daß sie die ihnen gefährlich gewordnen Personen, etwa fünfzig an der Zahl, unter keiner Bedingung wieder bei sich beschäftige» würden. Auch darein haben sich die Arbeiter schließlich gefunden. Überblicken wir nun noch die Folgen des Streiks Die Arbeiter haben große Opfer gebracht, an Lohn wird ihnen während der acht Wochen des Streiks fast eine Million entgangen sein, und wenn sie auch wirklich ein paar Hunderttausende dafür an Unterstützung erhalten haben, so ist doch dadurch ihr Schaden nicht viel kleiner geworden, denn der größte Teil der gespendeten Summen lastet nun als eine Schuld ans ihrem Haupte, die sie sich wieder absparen müssen. Dabei sind die Unterstützungen nur einem Teil von ihnen zugefallen, die Arbeiter aus den Dörfern sollen gleich abgeschoben und auf Landarbeit verwiesen worden sein. Zuerst haben sie gehofft, daß sich von ganz Deutschland her segenbringende Wolken über Kottbus sammeln würden, dann hieß es, selbst die Engländer wollten ihre Geldsäcke ausschütten, und auch von der Schweiz werde ein Goldregen kommen. Auch als die Streikgelder immer geringer wurden, ließen sie sich ihre Hoffnung nicht nehmen; die wunderlichsten Gerüchte tauchten auf und wurden geglaubt, z. B. daß Geld genug dawäre, aber die Reichs dank könnte die großen Scheine nicht wechseln oder verlange zu hohe Provisionen. Und selbst als sich diese Hoffnungen als Seifenblasen erwiesen, hielten die Arbeiter noch den Kopf hoch. Sie richteten sich ein, wie es eben ging, sie haben sicherlich gedarbt und vielleicht im geheimen gehungert, aber sie ließen es sich nicht merken. Fehlte der Tabak, so rauchte mau das Pfeifchen kalt, und verlor anch das Wirtshaus an Reiz, so lachte draußen die Sonne, und es war für die Fabrikarbeiter, die ihre meiste Zeit in geschlossenen Räumen zuzubringen gewohnt sind, reizvoll und angenehm, Tag für Tag in der Frühlingsluft herumzugehen, zwischen sprossenden Feldern, am Ufer der Spree zu sitzen und sich das Gesicht in der Sonne braunen zu lassen. Es liegt etwas rührendes in ihrem stillen Aushalten und in ihrer Unterwerfung unter ihre Autoritäten. Es war ihnen gesagt worden, man müsse jetzt für ein „Prinzip" kämpfen, und sie kämpften dafür, vielfach gegen ihre Überzeugung; es war ihnen gesagt worden, daß der Einzelne der Gesamtheit Opfer bringen müßte, und sie brachten diese Opfer und fühlten sich dabei innerlich durch das Bewußtsein erhoben, daß ihre Zuversicht, ihr Dulden und ihr festes Ausharren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/264>, abgerufen am 17.06.2024.