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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Der Tuchmach erstreik in Aottbus

in der ganzen Welt Anerkennung und Ehre finde. Wieviel könnten bürgerliche
Kreise von ihnen lernen, muß man sich dabei sagen! Inzwischen war es mit
ihnen rückwärts gegangen, die Ersparnisse waren aufgezehrt, und es waren auch
Schulden gemacht worden. Die Hausbesitzer sollen zahlreiche Mieter haben
stunden müssen, und ähnlich mag es auch Kaufleuten, Bäckern und Fleischern
ergangen sein. Seltsame Geldstücke sind da wieder in Umlauf gekommen, alte
Thaler, an denen wohl eine schöne Erinnerung haftete, und die seit langer Zeit
sorgsam aufbewahrt worden waren, oder die die Frau wohl als Brosche ge¬
tragen hatte. Besonders anerkennenswert ist es, daß sich die Leute nicht, ver¬
führt durch Langeweile und um die am Herzen nagende Sorge zu vergessen,
auf die leichte Seite gelegt haben. Muß man daher auch den Streik als eine
große Thorheit bezeichnen, die leichtsinnig begonnen und starrköpfig festgehalten
wurde, an dem Verhalten der Arbeiter selbst während des Streiks war nichts
auszusetzen.

Die Fabrikanten sind natürlich ebenfalls schwer von dem Streik mit¬
genommen worden. Sie haben eine "Saison" größtenteils verloren und sind der
Gefahr kaum entgangen, auch noch eine zweite zu verlieren. Und selbst wenn ihre
bisherigen Abnehmer treu zu ihnen halten, sind ihnen doch durch das Stillstehen
der Maschinen große Verluste erwachsen, die sie nicht so bald wieder einbringen
werden. Manchen ihrer Kunden werden sie für immer verloren haben, denn
einmal Verlorner Boden ist schwer wiederzugewinnen. Noch lange Zeit werden
sie an diesen Streik denken, und immer mit bittern Gefühlen. Und in diesem
Bodensatz von bittern Erinnerungen wird die schlimmste Folge des Streiks
bestehen. Die Fabrikanten haben gute Löhne gezahlt, weil sie tüchtige und
zuverlässige Arbeiter hatten, sie sind jetzt dahin belehrt worden, daß alle Bande,
die durch ein jahrelanges Zusammensein und durch mancherlei Wohlthaten ge¬
knüpft waren, auf den Wink von irgend einer Seite her rücksichtslos zerrissen
werden. Das Verhältnis zwischen Fabrikanten und Arbeitern wird kälter
werden statt wärmer, wie man es doch wünschen muß. Die vereinigten
Fabrikanten haben in diesem Streik, um zu zeigen, daß ihnen die Treue
etwas wert sei, gegen tausend Personen erhalten, indem sie ihnen zuerst ihren
gewöhnlichen Lohn und nachher Beträge zahlten, die ungefähr den höchsten
Streikgeldern entsprochen haben sollen, und sie haben daran festgehalten,
obwohl sie wußten, daß sie dadurch mittelbar dem Streik neues Blut zu¬
führten. Es konnte auf diese Weise eine ganze Familie streiken, bis etwa
auf ein Familienglied, und das eine war imstande, mit dem Gelde des Fabri¬
kanten die übrigen notdürftig über Wasser zu halten. In Zukunft sollen
aber die Arbeiter ohne vertragsmäßige Kündigungsfrist angenommen werden,
da sie ja von ihnen selbst nicht beobachtet wird. So wird auch die Treue
nichts mehr gelten. Ferner hatten die Fabrikanten verschiedne Leute be¬
schäftigt, die kaum noch etwas leisten konnten, die entweder schon das Gnaden-


Grcnzbaten II 1896 33
Der Tuchmach erstreik in Aottbus

in der ganzen Welt Anerkennung und Ehre finde. Wieviel könnten bürgerliche
Kreise von ihnen lernen, muß man sich dabei sagen! Inzwischen war es mit
ihnen rückwärts gegangen, die Ersparnisse waren aufgezehrt, und es waren auch
Schulden gemacht worden. Die Hausbesitzer sollen zahlreiche Mieter haben
stunden müssen, und ähnlich mag es auch Kaufleuten, Bäckern und Fleischern
ergangen sein. Seltsame Geldstücke sind da wieder in Umlauf gekommen, alte
Thaler, an denen wohl eine schöne Erinnerung haftete, und die seit langer Zeit
sorgsam aufbewahrt worden waren, oder die die Frau wohl als Brosche ge¬
tragen hatte. Besonders anerkennenswert ist es, daß sich die Leute nicht, ver¬
führt durch Langeweile und um die am Herzen nagende Sorge zu vergessen,
auf die leichte Seite gelegt haben. Muß man daher auch den Streik als eine
große Thorheit bezeichnen, die leichtsinnig begonnen und starrköpfig festgehalten
wurde, an dem Verhalten der Arbeiter selbst während des Streiks war nichts
auszusetzen.

Die Fabrikanten sind natürlich ebenfalls schwer von dem Streik mit¬
genommen worden. Sie haben eine „Saison" größtenteils verloren und sind der
Gefahr kaum entgangen, auch noch eine zweite zu verlieren. Und selbst wenn ihre
bisherigen Abnehmer treu zu ihnen halten, sind ihnen doch durch das Stillstehen
der Maschinen große Verluste erwachsen, die sie nicht so bald wieder einbringen
werden. Manchen ihrer Kunden werden sie für immer verloren haben, denn
einmal Verlorner Boden ist schwer wiederzugewinnen. Noch lange Zeit werden
sie an diesen Streik denken, und immer mit bittern Gefühlen. Und in diesem
Bodensatz von bittern Erinnerungen wird die schlimmste Folge des Streiks
bestehen. Die Fabrikanten haben gute Löhne gezahlt, weil sie tüchtige und
zuverlässige Arbeiter hatten, sie sind jetzt dahin belehrt worden, daß alle Bande,
die durch ein jahrelanges Zusammensein und durch mancherlei Wohlthaten ge¬
knüpft waren, auf den Wink von irgend einer Seite her rücksichtslos zerrissen
werden. Das Verhältnis zwischen Fabrikanten und Arbeitern wird kälter
werden statt wärmer, wie man es doch wünschen muß. Die vereinigten
Fabrikanten haben in diesem Streik, um zu zeigen, daß ihnen die Treue
etwas wert sei, gegen tausend Personen erhalten, indem sie ihnen zuerst ihren
gewöhnlichen Lohn und nachher Beträge zahlten, die ungefähr den höchsten
Streikgeldern entsprochen haben sollen, und sie haben daran festgehalten,
obwohl sie wußten, daß sie dadurch mittelbar dem Streik neues Blut zu¬
führten. Es konnte auf diese Weise eine ganze Familie streiken, bis etwa
auf ein Familienglied, und das eine war imstande, mit dem Gelde des Fabri¬
kanten die übrigen notdürftig über Wasser zu halten. In Zukunft sollen
aber die Arbeiter ohne vertragsmäßige Kündigungsfrist angenommen werden,
da sie ja von ihnen selbst nicht beobachtet wird. So wird auch die Treue
nichts mehr gelten. Ferner hatten die Fabrikanten verschiedne Leute be¬
schäftigt, die kaum noch etwas leisten konnten, die entweder schon das Gnaden-


Grcnzbaten II 1896 33
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[0265] Der Tuchmach erstreik in Aottbus in der ganzen Welt Anerkennung und Ehre finde. Wieviel könnten bürgerliche Kreise von ihnen lernen, muß man sich dabei sagen! Inzwischen war es mit ihnen rückwärts gegangen, die Ersparnisse waren aufgezehrt, und es waren auch Schulden gemacht worden. Die Hausbesitzer sollen zahlreiche Mieter haben stunden müssen, und ähnlich mag es auch Kaufleuten, Bäckern und Fleischern ergangen sein. Seltsame Geldstücke sind da wieder in Umlauf gekommen, alte Thaler, an denen wohl eine schöne Erinnerung haftete, und die seit langer Zeit sorgsam aufbewahrt worden waren, oder die die Frau wohl als Brosche ge¬ tragen hatte. Besonders anerkennenswert ist es, daß sich die Leute nicht, ver¬ führt durch Langeweile und um die am Herzen nagende Sorge zu vergessen, auf die leichte Seite gelegt haben. Muß man daher auch den Streik als eine große Thorheit bezeichnen, die leichtsinnig begonnen und starrköpfig festgehalten wurde, an dem Verhalten der Arbeiter selbst während des Streiks war nichts auszusetzen. Die Fabrikanten sind natürlich ebenfalls schwer von dem Streik mit¬ genommen worden. Sie haben eine „Saison" größtenteils verloren und sind der Gefahr kaum entgangen, auch noch eine zweite zu verlieren. Und selbst wenn ihre bisherigen Abnehmer treu zu ihnen halten, sind ihnen doch durch das Stillstehen der Maschinen große Verluste erwachsen, die sie nicht so bald wieder einbringen werden. Manchen ihrer Kunden werden sie für immer verloren haben, denn einmal Verlorner Boden ist schwer wiederzugewinnen. Noch lange Zeit werden sie an diesen Streik denken, und immer mit bittern Gefühlen. Und in diesem Bodensatz von bittern Erinnerungen wird die schlimmste Folge des Streiks bestehen. Die Fabrikanten haben gute Löhne gezahlt, weil sie tüchtige und zuverlässige Arbeiter hatten, sie sind jetzt dahin belehrt worden, daß alle Bande, die durch ein jahrelanges Zusammensein und durch mancherlei Wohlthaten ge¬ knüpft waren, auf den Wink von irgend einer Seite her rücksichtslos zerrissen werden. Das Verhältnis zwischen Fabrikanten und Arbeitern wird kälter werden statt wärmer, wie man es doch wünschen muß. Die vereinigten Fabrikanten haben in diesem Streik, um zu zeigen, daß ihnen die Treue etwas wert sei, gegen tausend Personen erhalten, indem sie ihnen zuerst ihren gewöhnlichen Lohn und nachher Beträge zahlten, die ungefähr den höchsten Streikgeldern entsprochen haben sollen, und sie haben daran festgehalten, obwohl sie wußten, daß sie dadurch mittelbar dem Streik neues Blut zu¬ führten. Es konnte auf diese Weise eine ganze Familie streiken, bis etwa auf ein Familienglied, und das eine war imstande, mit dem Gelde des Fabri¬ kanten die übrigen notdürftig über Wasser zu halten. In Zukunft sollen aber die Arbeiter ohne vertragsmäßige Kündigungsfrist angenommen werden, da sie ja von ihnen selbst nicht beobachtet wird. So wird auch die Treue nichts mehr gelten. Ferner hatten die Fabrikanten verschiedne Leute be¬ schäftigt, die kaum noch etwas leisten konnten, die entweder schon das Gnaden- Grcnzbaten II 1896 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/265>, abgerufen am 17.06.2024.