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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Adolf wilbrcmdt

traf, den die moderne Bildung dem Adel der gebundnen Rede überhaupt ent¬
gegensetzt. Zwischen den Anschauungen Gustav Freytags und denen Dührings
lst ein gewaltiger Abstand, aber wenn der erste sagt, daß die Schönheit des
Verses lediglich der Schönheit der Kindessormen gleiche, und der andre offen¬
bart, daß es Zeit sei, dem ganzen kindischen Spiel der Poesie ein Ende zu
machen, so steht man bald, wo der Treffpunkt dieser Anschauungen liegt.

"Arria und Messalina" wurde der "große Erfolg" Wilbrandts. Die An¬
lage dieser Tragödie war so tief ernst, das farbenstrotzende Sittenbild Roms
aus dem ersten Jahrhundert christlicher Zeitrechnung so getreu, daß, trotz der
naheliegenden Nutzanwendung auf die eignen Tage, auch dieses Drama als aka¬
demisch Hütte verschrieen werden können. Daß es nicht geschah, kam dem Dichter
doch nicht eigentlich zu gute. Wilbrcmdt hatte in den Gestalten der Arria und
Messalina die beiden äußersten Pole der Weiblichkeit, in Arria die Matrone
in der schönsten Bedeutung des Wortes und in Messalina die Hetäre, die erste
"n ganzen Stolz ihrer Frauen- und Mutterwürde, die andre im mänadischer
Sinnenrausch einander gegenübergestellt. Und seine eigentlich tragische Erfindung
war die, daß nun Markus, der Sohn der Arria, dem dämonischen Zauber der
üppigen Kaiserin verfällt und erliegt und sich nur durch freiwilligen Tod dieser
Verstrickung entwinden kann. Mit Recht sagt Wilbrcmdt: "Was will die Tra¬
gödie? Ihren Helden dnrch den Untergang von einem Übel befreien, das so
übermächtig, so unerträglich ist, daß ihn der Tod beglückt. Diesen tragischen,
tötlichen, letzten Rausch des Glücks, der die höchste Kraft der Menschenseele
entfesselt, wie können wir ihn mit dem Helden suhlen, wenn wir nicht den
Feind, der die Möglichkeit seines Daseins aufhebt, in seiner ganzen vernich¬
tenden Gewalt gesehen, empfunden und begriffen haben?" Und gewiß ist, daß,
je gewaltiger der Glntstrom des Lebens die Erscheinung Messalinas durch¬
leuchtet, es um so verstündlicher wird, daß diese Frau auch in der Brust eines
reinen Menschen eine wilde Flamme entzünden kann. Wäre es dem Dichter
gelungen, Teilnahme und Spannung auf Gestalt und Schicksal des Markus
zu konzentriren, so würde die von ihm beabsichtigte reine Wirkung vollständig er¬
reicht sein. Aber sein Mißgeschick wollte, daß die Gestalt der Messalina ins
Übermächtige wuchs, daß die Zeitstimmung in dem phantasievollen Drama nur
eine Hetärentragödie sah und empfand. Wohl war es ein schnödes Bonmot
eines geistvollen Künstlers, daß Wilbrandt zur Arria leider kein lebendiges
Modell, zur Messalina mir zu viele gefunden habe. Dennoch ist es unleugbar,
daß in der Darstellung die Tragödie auf eine Glorisizirung des wilden Lebens¬
dranges und Sinnenrausches hinauslief, daß die moderne Lebensstimmung der
herben Sittlichkeit der Arria ohne Sympathie gegenüberstand und zu dem Opfer¬
tode des Markus ungläubig lächelte. Was "Arria und Messalina" über
das Schicksal "akademischer" Trauerspiele hinaushob, war nicht die ideale
Gesinnung des Hauses der Arria, sondern die virtuose Wiedergabe des un-


Grenzlwten II 1896 4
Adolf wilbrcmdt

traf, den die moderne Bildung dem Adel der gebundnen Rede überhaupt ent¬
gegensetzt. Zwischen den Anschauungen Gustav Freytags und denen Dührings
lst ein gewaltiger Abstand, aber wenn der erste sagt, daß die Schönheit des
Verses lediglich der Schönheit der Kindessormen gleiche, und der andre offen¬
bart, daß es Zeit sei, dem ganzen kindischen Spiel der Poesie ein Ende zu
machen, so steht man bald, wo der Treffpunkt dieser Anschauungen liegt.

„Arria und Messalina" wurde der „große Erfolg" Wilbrandts. Die An¬
lage dieser Tragödie war so tief ernst, das farbenstrotzende Sittenbild Roms
aus dem ersten Jahrhundert christlicher Zeitrechnung so getreu, daß, trotz der
naheliegenden Nutzanwendung auf die eignen Tage, auch dieses Drama als aka¬
demisch Hütte verschrieen werden können. Daß es nicht geschah, kam dem Dichter
doch nicht eigentlich zu gute. Wilbrcmdt hatte in den Gestalten der Arria und
Messalina die beiden äußersten Pole der Weiblichkeit, in Arria die Matrone
in der schönsten Bedeutung des Wortes und in Messalina die Hetäre, die erste
"n ganzen Stolz ihrer Frauen- und Mutterwürde, die andre im mänadischer
Sinnenrausch einander gegenübergestellt. Und seine eigentlich tragische Erfindung
war die, daß nun Markus, der Sohn der Arria, dem dämonischen Zauber der
üppigen Kaiserin verfällt und erliegt und sich nur durch freiwilligen Tod dieser
Verstrickung entwinden kann. Mit Recht sagt Wilbrcmdt: „Was will die Tra¬
gödie? Ihren Helden dnrch den Untergang von einem Übel befreien, das so
übermächtig, so unerträglich ist, daß ihn der Tod beglückt. Diesen tragischen,
tötlichen, letzten Rausch des Glücks, der die höchste Kraft der Menschenseele
entfesselt, wie können wir ihn mit dem Helden suhlen, wenn wir nicht den
Feind, der die Möglichkeit seines Daseins aufhebt, in seiner ganzen vernich¬
tenden Gewalt gesehen, empfunden und begriffen haben?" Und gewiß ist, daß,
je gewaltiger der Glntstrom des Lebens die Erscheinung Messalinas durch¬
leuchtet, es um so verstündlicher wird, daß diese Frau auch in der Brust eines
reinen Menschen eine wilde Flamme entzünden kann. Wäre es dem Dichter
gelungen, Teilnahme und Spannung auf Gestalt und Schicksal des Markus
zu konzentriren, so würde die von ihm beabsichtigte reine Wirkung vollständig er¬
reicht sein. Aber sein Mißgeschick wollte, daß die Gestalt der Messalina ins
Übermächtige wuchs, daß die Zeitstimmung in dem phantasievollen Drama nur
eine Hetärentragödie sah und empfand. Wohl war es ein schnödes Bonmot
eines geistvollen Künstlers, daß Wilbrandt zur Arria leider kein lebendiges
Modell, zur Messalina mir zu viele gefunden habe. Dennoch ist es unleugbar,
daß in der Darstellung die Tragödie auf eine Glorisizirung des wilden Lebens¬
dranges und Sinnenrausches hinauslief, daß die moderne Lebensstimmung der
herben Sittlichkeit der Arria ohne Sympathie gegenüberstand und zu dem Opfer¬
tode des Markus ungläubig lächelte. Was „Arria und Messalina" über
das Schicksal „akademischer" Trauerspiele hinaushob, war nicht die ideale
Gesinnung des Hauses der Arria, sondern die virtuose Wiedergabe des un-


Grenzlwten II 1896 4
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[0033] Adolf wilbrcmdt traf, den die moderne Bildung dem Adel der gebundnen Rede überhaupt ent¬ gegensetzt. Zwischen den Anschauungen Gustav Freytags und denen Dührings lst ein gewaltiger Abstand, aber wenn der erste sagt, daß die Schönheit des Verses lediglich der Schönheit der Kindessormen gleiche, und der andre offen¬ bart, daß es Zeit sei, dem ganzen kindischen Spiel der Poesie ein Ende zu machen, so steht man bald, wo der Treffpunkt dieser Anschauungen liegt. „Arria und Messalina" wurde der „große Erfolg" Wilbrandts. Die An¬ lage dieser Tragödie war so tief ernst, das farbenstrotzende Sittenbild Roms aus dem ersten Jahrhundert christlicher Zeitrechnung so getreu, daß, trotz der naheliegenden Nutzanwendung auf die eignen Tage, auch dieses Drama als aka¬ demisch Hütte verschrieen werden können. Daß es nicht geschah, kam dem Dichter doch nicht eigentlich zu gute. Wilbrcmdt hatte in den Gestalten der Arria und Messalina die beiden äußersten Pole der Weiblichkeit, in Arria die Matrone in der schönsten Bedeutung des Wortes und in Messalina die Hetäre, die erste "n ganzen Stolz ihrer Frauen- und Mutterwürde, die andre im mänadischer Sinnenrausch einander gegenübergestellt. Und seine eigentlich tragische Erfindung war die, daß nun Markus, der Sohn der Arria, dem dämonischen Zauber der üppigen Kaiserin verfällt und erliegt und sich nur durch freiwilligen Tod dieser Verstrickung entwinden kann. Mit Recht sagt Wilbrcmdt: „Was will die Tra¬ gödie? Ihren Helden dnrch den Untergang von einem Übel befreien, das so übermächtig, so unerträglich ist, daß ihn der Tod beglückt. Diesen tragischen, tötlichen, letzten Rausch des Glücks, der die höchste Kraft der Menschenseele entfesselt, wie können wir ihn mit dem Helden suhlen, wenn wir nicht den Feind, der die Möglichkeit seines Daseins aufhebt, in seiner ganzen vernich¬ tenden Gewalt gesehen, empfunden und begriffen haben?" Und gewiß ist, daß, je gewaltiger der Glntstrom des Lebens die Erscheinung Messalinas durch¬ leuchtet, es um so verstündlicher wird, daß diese Frau auch in der Brust eines reinen Menschen eine wilde Flamme entzünden kann. Wäre es dem Dichter gelungen, Teilnahme und Spannung auf Gestalt und Schicksal des Markus zu konzentriren, so würde die von ihm beabsichtigte reine Wirkung vollständig er¬ reicht sein. Aber sein Mißgeschick wollte, daß die Gestalt der Messalina ins Übermächtige wuchs, daß die Zeitstimmung in dem phantasievollen Drama nur eine Hetärentragödie sah und empfand. Wohl war es ein schnödes Bonmot eines geistvollen Künstlers, daß Wilbrandt zur Arria leider kein lebendiges Modell, zur Messalina mir zu viele gefunden habe. Dennoch ist es unleugbar, daß in der Darstellung die Tragödie auf eine Glorisizirung des wilden Lebens¬ dranges und Sinnenrausches hinauslief, daß die moderne Lebensstimmung der herben Sittlichkeit der Arria ohne Sympathie gegenüberstand und zu dem Opfer¬ tode des Markus ungläubig lächelte. Was „Arria und Messalina" über das Schicksal „akademischer" Trauerspiele hinaushob, war nicht die ideale Gesinnung des Hauses der Arria, sondern die virtuose Wiedergabe des un- Grenzlwten II 1896 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/33>, abgerufen am 13.05.2024.