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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Das deutsche Reich und die Rurie

Reich wird die Frage erwägen müssen, ob nicht der Verkehr mit Rom als An¬
gelegenheit des Reichs betrachtet und unmittelbar mit der Kurie unterhalten
werden soll, die ihren Nuntius beim Bundesrate zu beglaubigen hätte. Das
wäre die richtige Folgerung aus der geänderten Sachlage.

Daß die Kurie den neuen Glaubenssatz nicht sofort zur Verwirklichung
der ehrgeizigen Pläne der Aktionspartei verwenden werde, darüber konnte
bei Eröffnung des Kulturkampfes wohl kein Zweifel mehr bestehen. Gleich¬
wohl nahm man, die Gefahr überschätzend, den Kampf anf. Dabei unter¬
schätzte man, in einen weitern Fehler verfallend, die Machtmittel, die die
Kurie in diesem Streite ins Feld führen konnte. Und doch hatte ge¬
rade die Verfassungsurkunde des deutschen Reichs die Macht der Kurie
vervielfältigt, indem dem deutschen Reiche gleichsam als Morgengabe das all¬
gemeine unmittelbare Stimmrecht zugestanden worden war. Die Ultramon¬
tanen konnten auf dem Schlachtfelde sofort als festgefügte Partei auftrete".
Wie Richelieu von den Protestanten sagte -- ein Staat im Staate --, so
war das Zentrum im Reichstage sofort eine feindliche Macht geworden, wäh¬
rend sich die Parteien, die die Reichsleitung unterstützen sollten, erst bilden
mußten.

In diesem Punkte hatte die Kurie schon Erfahrungen gemacht und den
Nutzen längst erkannt, den sie aus den weltlichen Grundsätzen der Freiheit
ziehen konnte. Mit grimmigem Hohne hat einmal Louis Veuillot den Gegnern
zugerufen: "Die Zugeständnisse, die wir von euch verlangen, das sind die
Grundsätze der Freiheit; ihr müßt sie gewähren, denn das sind die Grund¬
sätze, zu denen ihr euch selbst bekennt; die unsern sind es freilich nicht!" Ähn¬
lich hat einmal Bischof Dupauloup mit brutaler Offenheit den Minister Guizot
hart angelassen: "Ihr Männer von 1789 habt die Revolution gemacht, ohne
uns, trotz uns, gegen uns -- und doch für uns! Denn so hat es unser
Herrgott gewollt -- ihr freilich hattet es anders verstanden!" So ist die Frei¬
heit in der That in den konstitutionellen Staaten zu einer großen Lüge ge¬
worden, da die Gegner der Freiheit diese selbst mit deren eignen Waffen zu
bekämpfen die Freiheit und das Recht gewinnen; die Vorkämpfer für das un¬
mittelbare Wahlrecht mögen sich an den Spruch erinnern: Lio vos non vobis!

Nicht durch die eignen innern Machtmittel, sondern durch die Vorteile,
die eine geschlossene, mit ihrem Programm fertige Partei beim Eintritt in die
Parlamentarische Bewegung vor allen Gegnern voraus hatte, hat damals das
Zentrum seine Stellung erworben und seitdem behauptet. Rom hatte die ver¬
wundbare Stelle am Neichskörper richtig erkannt und indem es den Angriff
gegen Preußen richtete, Bundesgenossen aller Art gewonnen. Preußen nahm
den Kampf sofort mutig an, umklammerte wie Arnold von Winkelried die feind¬
lichen Speere und drückte sie in die eigne Brust, ohne jedoch den Genossen eine
freie Gasse schaffen zu können. Weder Preußen noch das junge Reich war


Das deutsche Reich und die Rurie

Reich wird die Frage erwägen müssen, ob nicht der Verkehr mit Rom als An¬
gelegenheit des Reichs betrachtet und unmittelbar mit der Kurie unterhalten
werden soll, die ihren Nuntius beim Bundesrate zu beglaubigen hätte. Das
wäre die richtige Folgerung aus der geänderten Sachlage.

Daß die Kurie den neuen Glaubenssatz nicht sofort zur Verwirklichung
der ehrgeizigen Pläne der Aktionspartei verwenden werde, darüber konnte
bei Eröffnung des Kulturkampfes wohl kein Zweifel mehr bestehen. Gleich¬
wohl nahm man, die Gefahr überschätzend, den Kampf anf. Dabei unter¬
schätzte man, in einen weitern Fehler verfallend, die Machtmittel, die die
Kurie in diesem Streite ins Feld führen konnte. Und doch hatte ge¬
rade die Verfassungsurkunde des deutschen Reichs die Macht der Kurie
vervielfältigt, indem dem deutschen Reiche gleichsam als Morgengabe das all¬
gemeine unmittelbare Stimmrecht zugestanden worden war. Die Ultramon¬
tanen konnten auf dem Schlachtfelde sofort als festgefügte Partei auftrete».
Wie Richelieu von den Protestanten sagte — ein Staat im Staate —, so
war das Zentrum im Reichstage sofort eine feindliche Macht geworden, wäh¬
rend sich die Parteien, die die Reichsleitung unterstützen sollten, erst bilden
mußten.

In diesem Punkte hatte die Kurie schon Erfahrungen gemacht und den
Nutzen längst erkannt, den sie aus den weltlichen Grundsätzen der Freiheit
ziehen konnte. Mit grimmigem Hohne hat einmal Louis Veuillot den Gegnern
zugerufen: „Die Zugeständnisse, die wir von euch verlangen, das sind die
Grundsätze der Freiheit; ihr müßt sie gewähren, denn das sind die Grund¬
sätze, zu denen ihr euch selbst bekennt; die unsern sind es freilich nicht!" Ähn¬
lich hat einmal Bischof Dupauloup mit brutaler Offenheit den Minister Guizot
hart angelassen: „Ihr Männer von 1789 habt die Revolution gemacht, ohne
uns, trotz uns, gegen uns — und doch für uns! Denn so hat es unser
Herrgott gewollt — ihr freilich hattet es anders verstanden!" So ist die Frei¬
heit in der That in den konstitutionellen Staaten zu einer großen Lüge ge¬
worden, da die Gegner der Freiheit diese selbst mit deren eignen Waffen zu
bekämpfen die Freiheit und das Recht gewinnen; die Vorkämpfer für das un¬
mittelbare Wahlrecht mögen sich an den Spruch erinnern: Lio vos non vobis!

Nicht durch die eignen innern Machtmittel, sondern durch die Vorteile,
die eine geschlossene, mit ihrem Programm fertige Partei beim Eintritt in die
Parlamentarische Bewegung vor allen Gegnern voraus hatte, hat damals das
Zentrum seine Stellung erworben und seitdem behauptet. Rom hatte die ver¬
wundbare Stelle am Neichskörper richtig erkannt und indem es den Angriff
gegen Preußen richtete, Bundesgenossen aller Art gewonnen. Preußen nahm
den Kampf sofort mutig an, umklammerte wie Arnold von Winkelried die feind¬
lichen Speere und drückte sie in die eigne Brust, ohne jedoch den Genossen eine
freie Gasse schaffen zu können. Weder Preußen noch das junge Reich war


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[0352] Das deutsche Reich und die Rurie Reich wird die Frage erwägen müssen, ob nicht der Verkehr mit Rom als An¬ gelegenheit des Reichs betrachtet und unmittelbar mit der Kurie unterhalten werden soll, die ihren Nuntius beim Bundesrate zu beglaubigen hätte. Das wäre die richtige Folgerung aus der geänderten Sachlage. Daß die Kurie den neuen Glaubenssatz nicht sofort zur Verwirklichung der ehrgeizigen Pläne der Aktionspartei verwenden werde, darüber konnte bei Eröffnung des Kulturkampfes wohl kein Zweifel mehr bestehen. Gleich¬ wohl nahm man, die Gefahr überschätzend, den Kampf anf. Dabei unter¬ schätzte man, in einen weitern Fehler verfallend, die Machtmittel, die die Kurie in diesem Streite ins Feld führen konnte. Und doch hatte ge¬ rade die Verfassungsurkunde des deutschen Reichs die Macht der Kurie vervielfältigt, indem dem deutschen Reiche gleichsam als Morgengabe das all¬ gemeine unmittelbare Stimmrecht zugestanden worden war. Die Ultramon¬ tanen konnten auf dem Schlachtfelde sofort als festgefügte Partei auftrete». Wie Richelieu von den Protestanten sagte — ein Staat im Staate —, so war das Zentrum im Reichstage sofort eine feindliche Macht geworden, wäh¬ rend sich die Parteien, die die Reichsleitung unterstützen sollten, erst bilden mußten. In diesem Punkte hatte die Kurie schon Erfahrungen gemacht und den Nutzen längst erkannt, den sie aus den weltlichen Grundsätzen der Freiheit ziehen konnte. Mit grimmigem Hohne hat einmal Louis Veuillot den Gegnern zugerufen: „Die Zugeständnisse, die wir von euch verlangen, das sind die Grundsätze der Freiheit; ihr müßt sie gewähren, denn das sind die Grund¬ sätze, zu denen ihr euch selbst bekennt; die unsern sind es freilich nicht!" Ähn¬ lich hat einmal Bischof Dupauloup mit brutaler Offenheit den Minister Guizot hart angelassen: „Ihr Männer von 1789 habt die Revolution gemacht, ohne uns, trotz uns, gegen uns — und doch für uns! Denn so hat es unser Herrgott gewollt — ihr freilich hattet es anders verstanden!" So ist die Frei¬ heit in der That in den konstitutionellen Staaten zu einer großen Lüge ge¬ worden, da die Gegner der Freiheit diese selbst mit deren eignen Waffen zu bekämpfen die Freiheit und das Recht gewinnen; die Vorkämpfer für das un¬ mittelbare Wahlrecht mögen sich an den Spruch erinnern: Lio vos non vobis! Nicht durch die eignen innern Machtmittel, sondern durch die Vorteile, die eine geschlossene, mit ihrem Programm fertige Partei beim Eintritt in die Parlamentarische Bewegung vor allen Gegnern voraus hatte, hat damals das Zentrum seine Stellung erworben und seitdem behauptet. Rom hatte die ver¬ wundbare Stelle am Neichskörper richtig erkannt und indem es den Angriff gegen Preußen richtete, Bundesgenossen aller Art gewonnen. Preußen nahm den Kampf sofort mutig an, umklammerte wie Arnold von Winkelried die feind¬ lichen Speere und drückte sie in die eigne Brust, ohne jedoch den Genossen eine freie Gasse schaffen zu können. Weder Preußen noch das junge Reich war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/352>, abgerufen am 17.06.2024.