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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Vels deutsche Reich und die Kurie

stark genug, die parlamentarischen Verlegenheiten zu überwinden, die das ent¬
schlossene, nachhaltige Vorgehen des Zentrums bereitete. Der Friede, zu dem
man sich schließlich bequemen mußte, war nicht ruhmreich. Nebenbei hat
jetzt die Kurie einen andern Vorteil erreicht, die Erweiterung der Spaltung,
die Verschärfung des Gegensatzes zwischen Nord und Süd, die Zerstörung
der ersten nationalen Begeisterung über die Schaffung des neuen deutsche"
Reichs. Jetzt kann die Kurie zum Himmel flehen, wie einst Tacitus, der,
die Erfüllung der römischen Geschicke ahnend, die Götter anrief, sie möchten,
da doch besseres nicht erreicht werden könne, unter den deutschen Völkern,
wenn auch uicht die Liebe zu Rom, so doch Uneinigkeit und Haß dauernd
erhalten.

Wenn nun Rom oder das Zentrum dem Reiche Bundesgenossenschaft gegen
die Sozialdemokratie oder einen Waffenstillstand anbietet, so ist zunächst nicht
daran zu denken, daß sich die römische Partei bei den Wahlen unthätig oder
gar freundschaftlich verhalten sollte; das wäre eine Abrüstung, und dann wäre
ja die Vundesgenossenschaft wertlos. Höchstens könnte eine Einstellung der
Feindseligkeiten im Reichstage erwartet werden. Das wäre ja ein wünschens¬
wertes Ergebnis. Aber worin würden die Leistungen des Zentrums sonst
bestehen? Die katholische Kirche hat weder die Macht, die den Lehren der
Sozialdemokraten bereits verfallenen Gegner zu bekehren, noch den Zauber oder
den Einfluß, durch den weitere Werbung von junger Mannschaft verhindert
werden könnte. Wenn schon die vom Reich eröffneten Aussichten auf die Zu¬
kunft, die Versicherung für Krankheit, Unfall, Alter und Erwerbsunfähigkeit,
den Zweck verfehlt haben, der Vereitwilligkeit des Staates Anerkennung zu
verschaffen, so werden die vou der Kirche eröffneten Aussichten auf eine Aus¬
gleichung der Unterschiede im Jenseits erst recht nicht verfangen. Mit den
Schalmeien der Seelenhirten läßt sich diese Bewegung nicht mehr meistern.
Überdies hat das Zentrum, insbesondre bei Stichwahlen, so bedenkliche Be¬
ziehungen zu den Gegnern der staatlichen Ordnung unterhalten, daß das Ver¬
trauen zu der Lauterkeit seiner Beweggründe notwendig erschüttert werdeu
mußte. Allzu oft hat man schon gedroht: "Und sollte die Oberwelt nicht
willfährig sein, so soll die Unterwelt aufgewiegelt werden!" Wie aber soll
die katholische Kirche vollends auf andersgläubige Arbeiter einwirken? Oder
hat sie die Zuversicht, daß sie eine katholische Lösung der Frage herbei¬
führen könne, der sich dann die Andersgläubigen würden anschließen müssen?
Fast scheint es so.

Betrachten wir uns einmal die Thätigkeit der katholischen Kirche auf dem
Gebiete der Sozialpolitik etwas näher. Man hat in Deutschland bezüglich der
Naiffeisenschen Darlehnskassen Erfahrungen gemacht, die lebhaft an die Versuche
erinnern, die 1867 in Baiern unternommen worden sind, um eine katholische
Hagelversicherung zu errichten, geordnet nach Bistümern und Ruralkapiteln


Grenzboten II 1396 44
Vels deutsche Reich und die Kurie

stark genug, die parlamentarischen Verlegenheiten zu überwinden, die das ent¬
schlossene, nachhaltige Vorgehen des Zentrums bereitete. Der Friede, zu dem
man sich schließlich bequemen mußte, war nicht ruhmreich. Nebenbei hat
jetzt die Kurie einen andern Vorteil erreicht, die Erweiterung der Spaltung,
die Verschärfung des Gegensatzes zwischen Nord und Süd, die Zerstörung
der ersten nationalen Begeisterung über die Schaffung des neuen deutsche»
Reichs. Jetzt kann die Kurie zum Himmel flehen, wie einst Tacitus, der,
die Erfüllung der römischen Geschicke ahnend, die Götter anrief, sie möchten,
da doch besseres nicht erreicht werden könne, unter den deutschen Völkern,
wenn auch uicht die Liebe zu Rom, so doch Uneinigkeit und Haß dauernd
erhalten.

Wenn nun Rom oder das Zentrum dem Reiche Bundesgenossenschaft gegen
die Sozialdemokratie oder einen Waffenstillstand anbietet, so ist zunächst nicht
daran zu denken, daß sich die römische Partei bei den Wahlen unthätig oder
gar freundschaftlich verhalten sollte; das wäre eine Abrüstung, und dann wäre
ja die Vundesgenossenschaft wertlos. Höchstens könnte eine Einstellung der
Feindseligkeiten im Reichstage erwartet werden. Das wäre ja ein wünschens¬
wertes Ergebnis. Aber worin würden die Leistungen des Zentrums sonst
bestehen? Die katholische Kirche hat weder die Macht, die den Lehren der
Sozialdemokraten bereits verfallenen Gegner zu bekehren, noch den Zauber oder
den Einfluß, durch den weitere Werbung von junger Mannschaft verhindert
werden könnte. Wenn schon die vom Reich eröffneten Aussichten auf die Zu¬
kunft, die Versicherung für Krankheit, Unfall, Alter und Erwerbsunfähigkeit,
den Zweck verfehlt haben, der Vereitwilligkeit des Staates Anerkennung zu
verschaffen, so werden die vou der Kirche eröffneten Aussichten auf eine Aus¬
gleichung der Unterschiede im Jenseits erst recht nicht verfangen. Mit den
Schalmeien der Seelenhirten läßt sich diese Bewegung nicht mehr meistern.
Überdies hat das Zentrum, insbesondre bei Stichwahlen, so bedenkliche Be¬
ziehungen zu den Gegnern der staatlichen Ordnung unterhalten, daß das Ver¬
trauen zu der Lauterkeit seiner Beweggründe notwendig erschüttert werdeu
mußte. Allzu oft hat man schon gedroht: „Und sollte die Oberwelt nicht
willfährig sein, so soll die Unterwelt aufgewiegelt werden!" Wie aber soll
die katholische Kirche vollends auf andersgläubige Arbeiter einwirken? Oder
hat sie die Zuversicht, daß sie eine katholische Lösung der Frage herbei¬
führen könne, der sich dann die Andersgläubigen würden anschließen müssen?
Fast scheint es so.

Betrachten wir uns einmal die Thätigkeit der katholischen Kirche auf dem
Gebiete der Sozialpolitik etwas näher. Man hat in Deutschland bezüglich der
Naiffeisenschen Darlehnskassen Erfahrungen gemacht, die lebhaft an die Versuche
erinnern, die 1867 in Baiern unternommen worden sind, um eine katholische
Hagelversicherung zu errichten, geordnet nach Bistümern und Ruralkapiteln


Grenzboten II 1396 44
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[0353] Vels deutsche Reich und die Kurie stark genug, die parlamentarischen Verlegenheiten zu überwinden, die das ent¬ schlossene, nachhaltige Vorgehen des Zentrums bereitete. Der Friede, zu dem man sich schließlich bequemen mußte, war nicht ruhmreich. Nebenbei hat jetzt die Kurie einen andern Vorteil erreicht, die Erweiterung der Spaltung, die Verschärfung des Gegensatzes zwischen Nord und Süd, die Zerstörung der ersten nationalen Begeisterung über die Schaffung des neuen deutsche» Reichs. Jetzt kann die Kurie zum Himmel flehen, wie einst Tacitus, der, die Erfüllung der römischen Geschicke ahnend, die Götter anrief, sie möchten, da doch besseres nicht erreicht werden könne, unter den deutschen Völkern, wenn auch uicht die Liebe zu Rom, so doch Uneinigkeit und Haß dauernd erhalten. Wenn nun Rom oder das Zentrum dem Reiche Bundesgenossenschaft gegen die Sozialdemokratie oder einen Waffenstillstand anbietet, so ist zunächst nicht daran zu denken, daß sich die römische Partei bei den Wahlen unthätig oder gar freundschaftlich verhalten sollte; das wäre eine Abrüstung, und dann wäre ja die Vundesgenossenschaft wertlos. Höchstens könnte eine Einstellung der Feindseligkeiten im Reichstage erwartet werden. Das wäre ja ein wünschens¬ wertes Ergebnis. Aber worin würden die Leistungen des Zentrums sonst bestehen? Die katholische Kirche hat weder die Macht, die den Lehren der Sozialdemokraten bereits verfallenen Gegner zu bekehren, noch den Zauber oder den Einfluß, durch den weitere Werbung von junger Mannschaft verhindert werden könnte. Wenn schon die vom Reich eröffneten Aussichten auf die Zu¬ kunft, die Versicherung für Krankheit, Unfall, Alter und Erwerbsunfähigkeit, den Zweck verfehlt haben, der Vereitwilligkeit des Staates Anerkennung zu verschaffen, so werden die vou der Kirche eröffneten Aussichten auf eine Aus¬ gleichung der Unterschiede im Jenseits erst recht nicht verfangen. Mit den Schalmeien der Seelenhirten läßt sich diese Bewegung nicht mehr meistern. Überdies hat das Zentrum, insbesondre bei Stichwahlen, so bedenkliche Be¬ ziehungen zu den Gegnern der staatlichen Ordnung unterhalten, daß das Ver¬ trauen zu der Lauterkeit seiner Beweggründe notwendig erschüttert werdeu mußte. Allzu oft hat man schon gedroht: „Und sollte die Oberwelt nicht willfährig sein, so soll die Unterwelt aufgewiegelt werden!" Wie aber soll die katholische Kirche vollends auf andersgläubige Arbeiter einwirken? Oder hat sie die Zuversicht, daß sie eine katholische Lösung der Frage herbei¬ führen könne, der sich dann die Andersgläubigen würden anschließen müssen? Fast scheint es so. Betrachten wir uns einmal die Thätigkeit der katholischen Kirche auf dem Gebiete der Sozialpolitik etwas näher. Man hat in Deutschland bezüglich der Naiffeisenschen Darlehnskassen Erfahrungen gemacht, die lebhaft an die Versuche erinnern, die 1867 in Baiern unternommen worden sind, um eine katholische Hagelversicherung zu errichten, geordnet nach Bistümern und Ruralkapiteln Grenzboten II 1396 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/353>, abgerufen am 17.06.2024.