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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Das deutsche Reich und die Aurie

unter dem Vorsitze des hochwürdigen Herrn Dechanten. Die zu Anfang der
siebziger Jahre in Frankreich geschaffnen Osuvres waren ausschließlich der
Besserung der Lage der katholischen Arbeiter, der katholischen Soldaten, der
besitzlosen Katholiken jeder Gattung gewidmet, und die Vereinigung aller dieser
Osuvres zu einem großen katholischen Zwecke wurde ^ssus ouvrisr genannt,
zur Erinnerung an den Sohn des Zimmermanns. Als sich aber die Laien
eine ungebührliche sachliche Beteiligung und Zweckbestimmung anmaßten, da
wurden diese Unternehmungen den Einflüssen der weltlichen Glaubensbrüder
entzogen. Aus dem Königtum in Frankreich wurde damals nichts; die
o"moi'6s, cor>N'ö8, LMäieats, aWovigUons usw. für alle erdenklichen Zwecke ver¬
mehrten sich aber wie die Pilze und blieben ausschließlich katholisch. Die in
Frankreich gebildeten, nach Pfarreien organisirten Bauernvereine vermitteln nur
Darlehen für katholische Bauern. In Italien wagt man sich schon weiter;
der Bauer, der die Hilfe des Vereins anruft, muß sich auch über die regel¬
mäßige Erfüllung seiner Osterverpflichtungen ausweisen. In Belgien stehen sich
die Union. Ava0<zi'g.ti<zu6 otirLtivriuL und die Union e^tnolicius gegenüber; die
Bischöfe werden aber auf Befehl aus Rom jedes Zusammenwirken mit dem
Staate ablehnen. In Nordamerika ist die katholische Propaganda mit solcher
Dreistigkeit vorgegangen, und die Ausschließlichkeit des katholischen Bekennt¬
nisses ist so schroff als Grundsatz aufgestellt worden, daß sich bereits Gegen¬
vereine gebildet haben, die, gestützt auf die alte Monroedoktrin, den katholischen
Versuchen entgegentreten, eine kirchliche Nationalität im Bunde zu bilden.
Es scheint, daß die Zeitschriften, Programme, Jahresberichte, Flugblätter
und Hefte, die über die Thätigkeit dieser Vereine verbreitet werden, in den
politischen Kreisen Deutschlands zu wenig beachtet werden. Jeder unbefangne
Leser wird aus diesen Schriften den Eindruck gewinnen, daß es sich darum
handelt, in umfassender Weise die Katholiken zu einer internationalen, den
Andersgläubigen fremd gegenüberstehenden Gesellschaft unter dem Banner
Roms zu vereinigen. Rom aber erhebt den Anspruch, die sozialen Schäden
der Gegenwart durch die Kirche und innerhalb der Kirche zu heilen; die Anders¬
gläubigen mögen sehen, wie sie sich mit den sozialen Fragen abfinden. Mit
dem bekenntnislosen Staate aber will Rom keine Gemeinschaft haben, er müßte
sich denn der Kurie unterordnen. Wenn dann einmal die römische Kirche ihre
Schäflein vor den sozialen Schäden bewahrt und die katholische Gesellschaft
gerettet haben wird, dann sollen und werden -- so malt man sich die Zu¬
kunft -- die Andersgläubigen den Weg zum rechten Glauben wiederfinden;
denn sie werden dann die Überzeugung gewinne:?, daß der weltliche Staat, da
er keinen Einfluß auf die Gemüter übt, mit seiner Weisheit zu Ende ist und
sür die Wohlfahrt seiner Unterthanen zu sorgen wohl den Willen, aber nicht
die Macht hat. Dann wird der unfehlbare Papst, dessen Statthalter Kaiser
oder Könige sein mögen, über die im Glauben wieder geeignete Christenheit


Das deutsche Reich und die Aurie

unter dem Vorsitze des hochwürdigen Herrn Dechanten. Die zu Anfang der
siebziger Jahre in Frankreich geschaffnen Osuvres waren ausschließlich der
Besserung der Lage der katholischen Arbeiter, der katholischen Soldaten, der
besitzlosen Katholiken jeder Gattung gewidmet, und die Vereinigung aller dieser
Osuvres zu einem großen katholischen Zwecke wurde ^ssus ouvrisr genannt,
zur Erinnerung an den Sohn des Zimmermanns. Als sich aber die Laien
eine ungebührliche sachliche Beteiligung und Zweckbestimmung anmaßten, da
wurden diese Unternehmungen den Einflüssen der weltlichen Glaubensbrüder
entzogen. Aus dem Königtum in Frankreich wurde damals nichts; die
o«moi'6s, cor>N'ö8, LMäieats, aWovigUons usw. für alle erdenklichen Zwecke ver¬
mehrten sich aber wie die Pilze und blieben ausschließlich katholisch. Die in
Frankreich gebildeten, nach Pfarreien organisirten Bauernvereine vermitteln nur
Darlehen für katholische Bauern. In Italien wagt man sich schon weiter;
der Bauer, der die Hilfe des Vereins anruft, muß sich auch über die regel¬
mäßige Erfüllung seiner Osterverpflichtungen ausweisen. In Belgien stehen sich
die Union. Ava0<zi'g.ti<zu6 otirLtivriuL und die Union e^tnolicius gegenüber; die
Bischöfe werden aber auf Befehl aus Rom jedes Zusammenwirken mit dem
Staate ablehnen. In Nordamerika ist die katholische Propaganda mit solcher
Dreistigkeit vorgegangen, und die Ausschließlichkeit des katholischen Bekennt¬
nisses ist so schroff als Grundsatz aufgestellt worden, daß sich bereits Gegen¬
vereine gebildet haben, die, gestützt auf die alte Monroedoktrin, den katholischen
Versuchen entgegentreten, eine kirchliche Nationalität im Bunde zu bilden.
Es scheint, daß die Zeitschriften, Programme, Jahresberichte, Flugblätter
und Hefte, die über die Thätigkeit dieser Vereine verbreitet werden, in den
politischen Kreisen Deutschlands zu wenig beachtet werden. Jeder unbefangne
Leser wird aus diesen Schriften den Eindruck gewinnen, daß es sich darum
handelt, in umfassender Weise die Katholiken zu einer internationalen, den
Andersgläubigen fremd gegenüberstehenden Gesellschaft unter dem Banner
Roms zu vereinigen. Rom aber erhebt den Anspruch, die sozialen Schäden
der Gegenwart durch die Kirche und innerhalb der Kirche zu heilen; die Anders¬
gläubigen mögen sehen, wie sie sich mit den sozialen Fragen abfinden. Mit
dem bekenntnislosen Staate aber will Rom keine Gemeinschaft haben, er müßte
sich denn der Kurie unterordnen. Wenn dann einmal die römische Kirche ihre
Schäflein vor den sozialen Schäden bewahrt und die katholische Gesellschaft
gerettet haben wird, dann sollen und werden — so malt man sich die Zu¬
kunft — die Andersgläubigen den Weg zum rechten Glauben wiederfinden;
denn sie werden dann die Überzeugung gewinne:?, daß der weltliche Staat, da
er keinen Einfluß auf die Gemüter übt, mit seiner Weisheit zu Ende ist und
sür die Wohlfahrt seiner Unterthanen zu sorgen wohl den Willen, aber nicht
die Macht hat. Dann wird der unfehlbare Papst, dessen Statthalter Kaiser
oder Könige sein mögen, über die im Glauben wieder geeignete Christenheit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/354>, abgerufen am 17.06.2024.