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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Das deutsche Reich und die Rurie

herrschen. Die katholischen Volksvereine, die jetzt allenthalben in Deutschland
gebildet werden, um einen der letzten Wünsche Windthorsts zu erfüllen, sind dem
gleichen Programm untergeordnet. Die Kurie kann für eine ferne Zukunft
Pläne fassen; sie hat alle Aussicht, Staaten, Nationalitäten, Dynastien und
Regierungen zu überleben. Die Kurie kann ihre Zeit abwarten.

Das sind freilich weitzielende Vorsätze, aber wir ersehen daraus, daß
der Staat, der sich mit der Kurie zur Wendung der sozialen Gefahren
tierbände, einen Sprung ins Dunkle unternehmen würde. Einstweilen aber
leben ja die Staaten noch, und sie haben eine baldige Verwirklichung dieser
Pläne nicht zu befürchten. Wir können uns daher in der Betrachtung der
Dinge auf die nächsten Ziele der Kurie beschränken.

Die erste und dringlichste Sorge der Kurie ist die Wiederherstellung des
Kirchenstaats. Dieser Wunsch beherrscht ihr ganzes Verhalten. Als Napoleon
-- damals erster Konsul -- mit der Kurie über den Abschluß der Konkordate
für Frankreich und für Italien verhandelte, da schrieb am 13. Mai 1801 der
römische Unterhändler, Ubbo Bernier, an den Kardinal Consalvi, es sei vor
allen Dingen zu bedenken, daß der Besitz des Kirchenstaats nur durch eine
Verbindung Roms mit Frankreich dauernd gesichert werden könne; das sei der
Grund, warum Rom Anschluß an Frankreich wünsche und erstrebe, das sei die
große Hauptsache; der Nest (die Konkordate selbst) -- ig rssts n'est risn!
Seitdem die Hegemonie in Europa von Frankreich auf das wiederhergestellte
deutsche Reich übergegangen ist, seitdem der neue deutsche Kaiser ohne Zuthun
Roms, ohne kirchliche Weihe von den Verbündeten Fürsten und den siegreichen
Heerführern in Versailles ausgerufen worden ist, seitdem, wie dereinst zu Zeiten
des Kaisers Galba, das ängstlich gehütete römische Staatsgeheimnis enthüllt
worden ist, daß man einen Kaiser auch außerhalb Roms und ohne Rom machen
könne, seitdem ist der mittelalterliche Zauber Roms gebrochen. Die Kurie kann
weder von der französischen Republik Hilfe hoffen, noch von dem wunschlosen
deutschen Reiche, das die erste Zumutung, nach alter Überlieferung die Schirm-
vogtei über den Kirchenstaat auszuüben, kühl abgelehnt hat. Von andern
katholischen Mächten oder von andersgläubigen Mächten ist auch nichts zu
erwarten. Es ist auch uicht zu verkennen, daß, seitdem der Papst nicht mehr
weltlicher Landesherr ist, die Kurie sich über die sonst üblichen, der <Z0lung.8
Mutwm entsprechenden Rücksichten gegenüber den Regierungen vielfach hinweg¬
setzt. Das Gefühl der Solidarität des Papstes mit den weltlichen Brüdern
und Vettern ist im Schwinden. Die Kurie trägt kein Bedenken, den Re¬
gierungen parlamentarische Verlegenheiten zu bereiten und bei jeder Gelegenheit
zu zeigen, wie sehr sie durch die Beherrschung der Massen der Staatsgewalt
überhaupt gefährlich werden könne. Durch Erregung von Furcht sucht die
Kurie die Staaten zu Zugeständnissen zu zwingen, und nicht immer ohne
Erfolg.


Das deutsche Reich und die Rurie

herrschen. Die katholischen Volksvereine, die jetzt allenthalben in Deutschland
gebildet werden, um einen der letzten Wünsche Windthorsts zu erfüllen, sind dem
gleichen Programm untergeordnet. Die Kurie kann für eine ferne Zukunft
Pläne fassen; sie hat alle Aussicht, Staaten, Nationalitäten, Dynastien und
Regierungen zu überleben. Die Kurie kann ihre Zeit abwarten.

Das sind freilich weitzielende Vorsätze, aber wir ersehen daraus, daß
der Staat, der sich mit der Kurie zur Wendung der sozialen Gefahren
tierbände, einen Sprung ins Dunkle unternehmen würde. Einstweilen aber
leben ja die Staaten noch, und sie haben eine baldige Verwirklichung dieser
Pläne nicht zu befürchten. Wir können uns daher in der Betrachtung der
Dinge auf die nächsten Ziele der Kurie beschränken.

Die erste und dringlichste Sorge der Kurie ist die Wiederherstellung des
Kirchenstaats. Dieser Wunsch beherrscht ihr ganzes Verhalten. Als Napoleon
— damals erster Konsul — mit der Kurie über den Abschluß der Konkordate
für Frankreich und für Italien verhandelte, da schrieb am 13. Mai 1801 der
römische Unterhändler, Ubbo Bernier, an den Kardinal Consalvi, es sei vor
allen Dingen zu bedenken, daß der Besitz des Kirchenstaats nur durch eine
Verbindung Roms mit Frankreich dauernd gesichert werden könne; das sei der
Grund, warum Rom Anschluß an Frankreich wünsche und erstrebe, das sei die
große Hauptsache; der Nest (die Konkordate selbst) — ig rssts n'est risn!
Seitdem die Hegemonie in Europa von Frankreich auf das wiederhergestellte
deutsche Reich übergegangen ist, seitdem der neue deutsche Kaiser ohne Zuthun
Roms, ohne kirchliche Weihe von den Verbündeten Fürsten und den siegreichen
Heerführern in Versailles ausgerufen worden ist, seitdem, wie dereinst zu Zeiten
des Kaisers Galba, das ängstlich gehütete römische Staatsgeheimnis enthüllt
worden ist, daß man einen Kaiser auch außerhalb Roms und ohne Rom machen
könne, seitdem ist der mittelalterliche Zauber Roms gebrochen. Die Kurie kann
weder von der französischen Republik Hilfe hoffen, noch von dem wunschlosen
deutschen Reiche, das die erste Zumutung, nach alter Überlieferung die Schirm-
vogtei über den Kirchenstaat auszuüben, kühl abgelehnt hat. Von andern
katholischen Mächten oder von andersgläubigen Mächten ist auch nichts zu
erwarten. Es ist auch uicht zu verkennen, daß, seitdem der Papst nicht mehr
weltlicher Landesherr ist, die Kurie sich über die sonst üblichen, der <Z0lung.8
Mutwm entsprechenden Rücksichten gegenüber den Regierungen vielfach hinweg¬
setzt. Das Gefühl der Solidarität des Papstes mit den weltlichen Brüdern
und Vettern ist im Schwinden. Die Kurie trägt kein Bedenken, den Re¬
gierungen parlamentarische Verlegenheiten zu bereiten und bei jeder Gelegenheit
zu zeigen, wie sehr sie durch die Beherrschung der Massen der Staatsgewalt
überhaupt gefährlich werden könne. Durch Erregung von Furcht sucht die
Kurie die Staaten zu Zugeständnissen zu zwingen, und nicht immer ohne
Erfolg.


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[0355] Das deutsche Reich und die Rurie herrschen. Die katholischen Volksvereine, die jetzt allenthalben in Deutschland gebildet werden, um einen der letzten Wünsche Windthorsts zu erfüllen, sind dem gleichen Programm untergeordnet. Die Kurie kann für eine ferne Zukunft Pläne fassen; sie hat alle Aussicht, Staaten, Nationalitäten, Dynastien und Regierungen zu überleben. Die Kurie kann ihre Zeit abwarten. Das sind freilich weitzielende Vorsätze, aber wir ersehen daraus, daß der Staat, der sich mit der Kurie zur Wendung der sozialen Gefahren tierbände, einen Sprung ins Dunkle unternehmen würde. Einstweilen aber leben ja die Staaten noch, und sie haben eine baldige Verwirklichung dieser Pläne nicht zu befürchten. Wir können uns daher in der Betrachtung der Dinge auf die nächsten Ziele der Kurie beschränken. Die erste und dringlichste Sorge der Kurie ist die Wiederherstellung des Kirchenstaats. Dieser Wunsch beherrscht ihr ganzes Verhalten. Als Napoleon — damals erster Konsul — mit der Kurie über den Abschluß der Konkordate für Frankreich und für Italien verhandelte, da schrieb am 13. Mai 1801 der römische Unterhändler, Ubbo Bernier, an den Kardinal Consalvi, es sei vor allen Dingen zu bedenken, daß der Besitz des Kirchenstaats nur durch eine Verbindung Roms mit Frankreich dauernd gesichert werden könne; das sei der Grund, warum Rom Anschluß an Frankreich wünsche und erstrebe, das sei die große Hauptsache; der Nest (die Konkordate selbst) — ig rssts n'est risn! Seitdem die Hegemonie in Europa von Frankreich auf das wiederhergestellte deutsche Reich übergegangen ist, seitdem der neue deutsche Kaiser ohne Zuthun Roms, ohne kirchliche Weihe von den Verbündeten Fürsten und den siegreichen Heerführern in Versailles ausgerufen worden ist, seitdem, wie dereinst zu Zeiten des Kaisers Galba, das ängstlich gehütete römische Staatsgeheimnis enthüllt worden ist, daß man einen Kaiser auch außerhalb Roms und ohne Rom machen könne, seitdem ist der mittelalterliche Zauber Roms gebrochen. Die Kurie kann weder von der französischen Republik Hilfe hoffen, noch von dem wunschlosen deutschen Reiche, das die erste Zumutung, nach alter Überlieferung die Schirm- vogtei über den Kirchenstaat auszuüben, kühl abgelehnt hat. Von andern katholischen Mächten oder von andersgläubigen Mächten ist auch nichts zu erwarten. Es ist auch uicht zu verkennen, daß, seitdem der Papst nicht mehr weltlicher Landesherr ist, die Kurie sich über die sonst üblichen, der <Z0lung.8 Mutwm entsprechenden Rücksichten gegenüber den Regierungen vielfach hinweg¬ setzt. Das Gefühl der Solidarität des Papstes mit den weltlichen Brüdern und Vettern ist im Schwinden. Die Kurie trägt kein Bedenken, den Re¬ gierungen parlamentarische Verlegenheiten zu bereiten und bei jeder Gelegenheit zu zeigen, wie sehr sie durch die Beherrschung der Massen der Staatsgewalt überhaupt gefährlich werden könne. Durch Erregung von Furcht sucht die Kurie die Staaten zu Zugeständnissen zu zwingen, und nicht immer ohne Erfolg.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/355>, abgerufen am 17.06.2024.