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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Das deutsche Reich und die Kurie

Für den unversöhnlichen Kampf gegen die weltliche Macht, für die un¬
ausgesetzte Schürung des Hasses gegen die Andersgläubigen, für die unab¬
lässigen Störungen des Weltfriedens dnrch die Diener Christi -- für alles
das bestehen aber auch noch andre Gründe. Es ist eine in katholischen Kreisen
wohlbekannte alte Erfahrung, daß der Peterspfennig nur dann reichlich und
stetig fließt, wenn die katholischen Gemüter durch beunruhigende Vorstellungen
von der Vergewaltigung des Papstes, von der Bedrängnis der Kirche, von
Gefahren, die dein wahren Glauben drohen, geängstigt, gequält und mürbe
gemacht werden. Dagegen träufelt die fromme Spende nur spärlich, wenn das
katholische Volk an eine gute Ordnung der Dinge glaubt. Solche Seelenruhe
darf nicht eintreten. Für eine unausgesetzte Beunruhigung ist man in der
Kirche und in Vereinen, in der Predigt und in Missionen, im Parlament und in
der Presse unablässig bemüht. Insbesondre sind es die Orden, die die Aufgabe
der Hechte im Karpfenteich erfüllen sollen; die Thätigkeit der seit 1872 aus¬
geschlossenen Orden wird schmerzlich vermißt. Wenn aber auf dem Katholiken¬
tage zu München über die unverdiente Vernachlässigung der den Vorfahren als
so heilkräftig bekannten Wallfahrt nach Loreto bitter Klage geführt worden
ist, wenn man dort von der Heiligsprechung des holländischen Jesuiten Canisius
einen großen Fortschritt in Sachen des katholischen Glaubens erwarten zu
dürfen vermeint hat, so darf man füglich annehmen, daß das Monopol der
Wallfahrtsorte in Frankreich: Lourdes, La Salette, Parad-le-Mvnial, Mont-
Saint-Michel, Mont-Sion usw. anderwärts mit scheelen Augen betrachtet und
eine Abwechslung in dem Gebrauche seelischer Modebäder für angemessen er¬
achtet wird; den Jesuiten aber dürfte die Heiligsprechung des seligen Canisius
teuer genug zu stehen kommen. Für solche Dinge aber, die doch Deutschland
herzlich wenig angehen, hat man sich auf dem Katholikentage in München sehr
begeistert.

Aber auch noch andre finanzielle Sorgen hat die Kurie. Sie muß be¬
fürchten, daß das Kapital, das der katholischen Sache dienstbar bleiben soll,
immer weiter in die Hände von Andersgläubigen gerät. Die ingrimmige Ab¬
neigung gegen Mischheirateu erfährt dabei eine besondre Beleuchtung; man
schließt aber die Angen, wenn die Erziehung der Kinder im katholischen Glauben
zugesichert wird. Von diesem Standpunkte aus müssen wir uns z. B. auch
gewisse Versuche, das Kapital zu kcithvlisireu, insbesondre auch die eigentüm¬
liche Haltung der katholischen Presse in Frankreich in der antisemitischen Frage
erklären. Die Kurie muß ernsthaft die Sorge erwägen, was denn daraus
werden soll, wenn auf der einen Seite immer mehr katholisches Kapital in
semitische Hände übergeht, ans der andern Seite durch die Propaganda, ob¬
wohl man sich auffallend mit reichen Ausländern beschäftigt, die Verluste nicht
ausgeglichen werden. Die Kurie kann aber aus diesem Grunde auch nicht mit
den Sozialisten gemeinschaftliche Sache machen; die Zerstörung eines Steuer-


Das deutsche Reich und die Kurie

Für den unversöhnlichen Kampf gegen die weltliche Macht, für die un¬
ausgesetzte Schürung des Hasses gegen die Andersgläubigen, für die unab¬
lässigen Störungen des Weltfriedens dnrch die Diener Christi — für alles
das bestehen aber auch noch andre Gründe. Es ist eine in katholischen Kreisen
wohlbekannte alte Erfahrung, daß der Peterspfennig nur dann reichlich und
stetig fließt, wenn die katholischen Gemüter durch beunruhigende Vorstellungen
von der Vergewaltigung des Papstes, von der Bedrängnis der Kirche, von
Gefahren, die dein wahren Glauben drohen, geängstigt, gequält und mürbe
gemacht werden. Dagegen träufelt die fromme Spende nur spärlich, wenn das
katholische Volk an eine gute Ordnung der Dinge glaubt. Solche Seelenruhe
darf nicht eintreten. Für eine unausgesetzte Beunruhigung ist man in der
Kirche und in Vereinen, in der Predigt und in Missionen, im Parlament und in
der Presse unablässig bemüht. Insbesondre sind es die Orden, die die Aufgabe
der Hechte im Karpfenteich erfüllen sollen; die Thätigkeit der seit 1872 aus¬
geschlossenen Orden wird schmerzlich vermißt. Wenn aber auf dem Katholiken¬
tage zu München über die unverdiente Vernachlässigung der den Vorfahren als
so heilkräftig bekannten Wallfahrt nach Loreto bitter Klage geführt worden
ist, wenn man dort von der Heiligsprechung des holländischen Jesuiten Canisius
einen großen Fortschritt in Sachen des katholischen Glaubens erwarten zu
dürfen vermeint hat, so darf man füglich annehmen, daß das Monopol der
Wallfahrtsorte in Frankreich: Lourdes, La Salette, Parad-le-Mvnial, Mont-
Saint-Michel, Mont-Sion usw. anderwärts mit scheelen Augen betrachtet und
eine Abwechslung in dem Gebrauche seelischer Modebäder für angemessen er¬
achtet wird; den Jesuiten aber dürfte die Heiligsprechung des seligen Canisius
teuer genug zu stehen kommen. Für solche Dinge aber, die doch Deutschland
herzlich wenig angehen, hat man sich auf dem Katholikentage in München sehr
begeistert.

Aber auch noch andre finanzielle Sorgen hat die Kurie. Sie muß be¬
fürchten, daß das Kapital, das der katholischen Sache dienstbar bleiben soll,
immer weiter in die Hände von Andersgläubigen gerät. Die ingrimmige Ab¬
neigung gegen Mischheirateu erfährt dabei eine besondre Beleuchtung; man
schließt aber die Angen, wenn die Erziehung der Kinder im katholischen Glauben
zugesichert wird. Von diesem Standpunkte aus müssen wir uns z. B. auch
gewisse Versuche, das Kapital zu kcithvlisireu, insbesondre auch die eigentüm¬
liche Haltung der katholischen Presse in Frankreich in der antisemitischen Frage
erklären. Die Kurie muß ernsthaft die Sorge erwägen, was denn daraus
werden soll, wenn auf der einen Seite immer mehr katholisches Kapital in
semitische Hände übergeht, ans der andern Seite durch die Propaganda, ob¬
wohl man sich auffallend mit reichen Ausländern beschäftigt, die Verluste nicht
ausgeglichen werden. Die Kurie kann aber aus diesem Grunde auch nicht mit
den Sozialisten gemeinschaftliche Sache machen; die Zerstörung eines Steuer-


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[0356] Das deutsche Reich und die Kurie Für den unversöhnlichen Kampf gegen die weltliche Macht, für die un¬ ausgesetzte Schürung des Hasses gegen die Andersgläubigen, für die unab¬ lässigen Störungen des Weltfriedens dnrch die Diener Christi — für alles das bestehen aber auch noch andre Gründe. Es ist eine in katholischen Kreisen wohlbekannte alte Erfahrung, daß der Peterspfennig nur dann reichlich und stetig fließt, wenn die katholischen Gemüter durch beunruhigende Vorstellungen von der Vergewaltigung des Papstes, von der Bedrängnis der Kirche, von Gefahren, die dein wahren Glauben drohen, geängstigt, gequält und mürbe gemacht werden. Dagegen träufelt die fromme Spende nur spärlich, wenn das katholische Volk an eine gute Ordnung der Dinge glaubt. Solche Seelenruhe darf nicht eintreten. Für eine unausgesetzte Beunruhigung ist man in der Kirche und in Vereinen, in der Predigt und in Missionen, im Parlament und in der Presse unablässig bemüht. Insbesondre sind es die Orden, die die Aufgabe der Hechte im Karpfenteich erfüllen sollen; die Thätigkeit der seit 1872 aus¬ geschlossenen Orden wird schmerzlich vermißt. Wenn aber auf dem Katholiken¬ tage zu München über die unverdiente Vernachlässigung der den Vorfahren als so heilkräftig bekannten Wallfahrt nach Loreto bitter Klage geführt worden ist, wenn man dort von der Heiligsprechung des holländischen Jesuiten Canisius einen großen Fortschritt in Sachen des katholischen Glaubens erwarten zu dürfen vermeint hat, so darf man füglich annehmen, daß das Monopol der Wallfahrtsorte in Frankreich: Lourdes, La Salette, Parad-le-Mvnial, Mont- Saint-Michel, Mont-Sion usw. anderwärts mit scheelen Augen betrachtet und eine Abwechslung in dem Gebrauche seelischer Modebäder für angemessen er¬ achtet wird; den Jesuiten aber dürfte die Heiligsprechung des seligen Canisius teuer genug zu stehen kommen. Für solche Dinge aber, die doch Deutschland herzlich wenig angehen, hat man sich auf dem Katholikentage in München sehr begeistert. Aber auch noch andre finanzielle Sorgen hat die Kurie. Sie muß be¬ fürchten, daß das Kapital, das der katholischen Sache dienstbar bleiben soll, immer weiter in die Hände von Andersgläubigen gerät. Die ingrimmige Ab¬ neigung gegen Mischheirateu erfährt dabei eine besondre Beleuchtung; man schließt aber die Angen, wenn die Erziehung der Kinder im katholischen Glauben zugesichert wird. Von diesem Standpunkte aus müssen wir uns z. B. auch gewisse Versuche, das Kapital zu kcithvlisireu, insbesondre auch die eigentüm¬ liche Haltung der katholischen Presse in Frankreich in der antisemitischen Frage erklären. Die Kurie muß ernsthaft die Sorge erwägen, was denn daraus werden soll, wenn auf der einen Seite immer mehr katholisches Kapital in semitische Hände übergeht, ans der andern Seite durch die Propaganda, ob¬ wohl man sich auffallend mit reichen Ausländern beschäftigt, die Verluste nicht ausgeglichen werden. Die Kurie kann aber aus diesem Grunde auch nicht mit den Sozialisten gemeinschaftliche Sache machen; die Zerstörung eines Steuer-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/356>, abgerufen am 17.06.2024.