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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Das deutsche Reich und die Kurie

kräftigen, dienstfertigen Kapitals kann nicht in den Absichten der Kurie liegen;
die Kirche braucht Kapital, aber sie kann nur auf katholisches Kapital rechnen,
während der Staat das Eigentum überhaupt schützen will. Auch in diesem
Punkte haben Staat und Kurie keineswegs gemeinschaftliche Interessen, und
die katholische Kirche erweist sich auch in dieser Richtung nicht als befähigt
und geeignet zu einer Bundesgenossenschaft mit dem Staate, so sehr sie auch
realpolitisch denkt. Die Kirche bedarf des staatlichen Schutzes weit mehr, als
der Staat der kirchlichen Bundesgenossenschaft.

Noch in einem andern Punkte sind die Bestrebungen der Kurie nicht
so weitzielend, wie man gewöhnlich annimmt. Es mag noch ein frommer
Wunsch unverbesserlicher Schwärmer sein, daß der ganze Unterricht der Mensch¬
heit der Kirche untergeordnet bleiben möge; an die Verwirklichung solcher
Träume mögen wohl noch manche glauben. Es sind aber weit näher liegende,
sachliche Gründe, die die katholische Kirche bestimmen, an der Leitung der
Schulen ungebührlichen Anteil zu beanspruchen. Es droht die Gefahr, daß
es bald nicht mehr möglich sein wird, die für den Dienst der Kirche in der
Seelsorge, in Klöstern und Anstalten, besonders aber in deu Missionen nötige
Anzahl von Novizen und von dienenden Brüdern aus den vom Staate ge¬
leiteten oder nach Bekenntnissen nicht getrennten Schulen zu werben. In
Deutschland, wo die Überschüsse der Geburten über die Sterbefälle so groß
sind, wo für die Seelsorge durch staatliche Pfründen gesorgt ist, steht diese
Gefahr noch in der Ferne; in dem kinderarmer Frankreich dagegen, wo die
Pfarrgütcr unbedeutend sind, ist die Lage weit ernster. Dort ist man auch schon
gar nicht mehr heilet; mau hat schon dankbar Ersatz an Laienbrüdern für An¬
stalten und Missionen aus Belgien und Irland, aus der Schweiz, aus Elsaß-
Lothringen, ja sogar aus Baiern, aus der Rheinprovinz und Westfalen usw.
angenommen. Das Verlangen nach Trennung der Bekenntnisse in den Schulen
spielt in Frankreich und in Belgien, wo die Andersgläubigen nur verschwin¬
dende Minderheiten bilden, keine Rolle. Anders in Deutschland; hier fordert
man die Trennung der Schulen nach Bekenntnissen als ein gutes Recht, und
man trägt sich mit Wünschen, daß auch die Hochschulen in allen Fakultäten
nach den Auffassungen der Hörer über die Frage des Abendmahls getrennt
werden möchten. Nun ist zwar in Deutschland nicht zu befürchten, daß die
weltliche Macht den Unterricht und die Lehrerschaft der katholischen Kirche
überliefern werde; die Kirche wird aber, den Vorgängen in Frankreich und in
Belgien folgend, im Namen der Freiheit das Unterrichtsmonvpol des Staats
bekämpfen und das Recht zur Gründung "freier Schulen" beanspruchen. Dieses
Schlagwort ist recht geeignet, auch friedliebende Leute irre zu führen, die der
H'ahne der Freiheit zugeschworen haben, und die es deshalb für eine Ehren¬
sache halten, für die Freiheit in jeder Farbe und Gestalt einzutreten, und sollte
auch, wie in diesem Falle, die Freiheit den Feinden der Freiheit allein Nutzen


Das deutsche Reich und die Kurie

kräftigen, dienstfertigen Kapitals kann nicht in den Absichten der Kurie liegen;
die Kirche braucht Kapital, aber sie kann nur auf katholisches Kapital rechnen,
während der Staat das Eigentum überhaupt schützen will. Auch in diesem
Punkte haben Staat und Kurie keineswegs gemeinschaftliche Interessen, und
die katholische Kirche erweist sich auch in dieser Richtung nicht als befähigt
und geeignet zu einer Bundesgenossenschaft mit dem Staate, so sehr sie auch
realpolitisch denkt. Die Kirche bedarf des staatlichen Schutzes weit mehr, als
der Staat der kirchlichen Bundesgenossenschaft.

Noch in einem andern Punkte sind die Bestrebungen der Kurie nicht
so weitzielend, wie man gewöhnlich annimmt. Es mag noch ein frommer
Wunsch unverbesserlicher Schwärmer sein, daß der ganze Unterricht der Mensch¬
heit der Kirche untergeordnet bleiben möge; an die Verwirklichung solcher
Träume mögen wohl noch manche glauben. Es sind aber weit näher liegende,
sachliche Gründe, die die katholische Kirche bestimmen, an der Leitung der
Schulen ungebührlichen Anteil zu beanspruchen. Es droht die Gefahr, daß
es bald nicht mehr möglich sein wird, die für den Dienst der Kirche in der
Seelsorge, in Klöstern und Anstalten, besonders aber in deu Missionen nötige
Anzahl von Novizen und von dienenden Brüdern aus den vom Staate ge¬
leiteten oder nach Bekenntnissen nicht getrennten Schulen zu werben. In
Deutschland, wo die Überschüsse der Geburten über die Sterbefälle so groß
sind, wo für die Seelsorge durch staatliche Pfründen gesorgt ist, steht diese
Gefahr noch in der Ferne; in dem kinderarmer Frankreich dagegen, wo die
Pfarrgütcr unbedeutend sind, ist die Lage weit ernster. Dort ist man auch schon
gar nicht mehr heilet; mau hat schon dankbar Ersatz an Laienbrüdern für An¬
stalten und Missionen aus Belgien und Irland, aus der Schweiz, aus Elsaß-
Lothringen, ja sogar aus Baiern, aus der Rheinprovinz und Westfalen usw.
angenommen. Das Verlangen nach Trennung der Bekenntnisse in den Schulen
spielt in Frankreich und in Belgien, wo die Andersgläubigen nur verschwin¬
dende Minderheiten bilden, keine Rolle. Anders in Deutschland; hier fordert
man die Trennung der Schulen nach Bekenntnissen als ein gutes Recht, und
man trägt sich mit Wünschen, daß auch die Hochschulen in allen Fakultäten
nach den Auffassungen der Hörer über die Frage des Abendmahls getrennt
werden möchten. Nun ist zwar in Deutschland nicht zu befürchten, daß die
weltliche Macht den Unterricht und die Lehrerschaft der katholischen Kirche
überliefern werde; die Kirche wird aber, den Vorgängen in Frankreich und in
Belgien folgend, im Namen der Freiheit das Unterrichtsmonvpol des Staats
bekämpfen und das Recht zur Gründung „freier Schulen" beanspruchen. Dieses
Schlagwort ist recht geeignet, auch friedliebende Leute irre zu führen, die der
H'ahne der Freiheit zugeschworen haben, und die es deshalb für eine Ehren¬
sache halten, für die Freiheit in jeder Farbe und Gestalt einzutreten, und sollte
auch, wie in diesem Falle, die Freiheit den Feinden der Freiheit allein Nutzen


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[0357] Das deutsche Reich und die Kurie kräftigen, dienstfertigen Kapitals kann nicht in den Absichten der Kurie liegen; die Kirche braucht Kapital, aber sie kann nur auf katholisches Kapital rechnen, während der Staat das Eigentum überhaupt schützen will. Auch in diesem Punkte haben Staat und Kurie keineswegs gemeinschaftliche Interessen, und die katholische Kirche erweist sich auch in dieser Richtung nicht als befähigt und geeignet zu einer Bundesgenossenschaft mit dem Staate, so sehr sie auch realpolitisch denkt. Die Kirche bedarf des staatlichen Schutzes weit mehr, als der Staat der kirchlichen Bundesgenossenschaft. Noch in einem andern Punkte sind die Bestrebungen der Kurie nicht so weitzielend, wie man gewöhnlich annimmt. Es mag noch ein frommer Wunsch unverbesserlicher Schwärmer sein, daß der ganze Unterricht der Mensch¬ heit der Kirche untergeordnet bleiben möge; an die Verwirklichung solcher Träume mögen wohl noch manche glauben. Es sind aber weit näher liegende, sachliche Gründe, die die katholische Kirche bestimmen, an der Leitung der Schulen ungebührlichen Anteil zu beanspruchen. Es droht die Gefahr, daß es bald nicht mehr möglich sein wird, die für den Dienst der Kirche in der Seelsorge, in Klöstern und Anstalten, besonders aber in deu Missionen nötige Anzahl von Novizen und von dienenden Brüdern aus den vom Staate ge¬ leiteten oder nach Bekenntnissen nicht getrennten Schulen zu werben. In Deutschland, wo die Überschüsse der Geburten über die Sterbefälle so groß sind, wo für die Seelsorge durch staatliche Pfründen gesorgt ist, steht diese Gefahr noch in der Ferne; in dem kinderarmer Frankreich dagegen, wo die Pfarrgütcr unbedeutend sind, ist die Lage weit ernster. Dort ist man auch schon gar nicht mehr heilet; mau hat schon dankbar Ersatz an Laienbrüdern für An¬ stalten und Missionen aus Belgien und Irland, aus der Schweiz, aus Elsaß- Lothringen, ja sogar aus Baiern, aus der Rheinprovinz und Westfalen usw. angenommen. Das Verlangen nach Trennung der Bekenntnisse in den Schulen spielt in Frankreich und in Belgien, wo die Andersgläubigen nur verschwin¬ dende Minderheiten bilden, keine Rolle. Anders in Deutschland; hier fordert man die Trennung der Schulen nach Bekenntnissen als ein gutes Recht, und man trägt sich mit Wünschen, daß auch die Hochschulen in allen Fakultäten nach den Auffassungen der Hörer über die Frage des Abendmahls getrennt werden möchten. Nun ist zwar in Deutschland nicht zu befürchten, daß die weltliche Macht den Unterricht und die Lehrerschaft der katholischen Kirche überliefern werde; die Kirche wird aber, den Vorgängen in Frankreich und in Belgien folgend, im Namen der Freiheit das Unterrichtsmonvpol des Staats bekämpfen und das Recht zur Gründung „freier Schulen" beanspruchen. Dieses Schlagwort ist recht geeignet, auch friedliebende Leute irre zu führen, die der H'ahne der Freiheit zugeschworen haben, und die es deshalb für eine Ehren¬ sache halten, für die Freiheit in jeder Farbe und Gestalt einzutreten, und sollte auch, wie in diesem Falle, die Freiheit den Feinden der Freiheit allein Nutzen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/357>, abgerufen am 17.06.2024.