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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Das deutsche Reich und die Rurie

bringen, wie das in Belgien geschah. Es könnte sich aber auch ereignen, daß
sich die zahlreichen Gegner unsers höhern Unterrichtswesens gegen das Monopol
des Staats wenden, da in diesem allein die Widerstandskraft der Lehrkörper
gegen die berechtigten Anforderungen der Zeit liegt.

Die katholische Kirche ist durch ihr ganzes Programm, wie durch ihre
eignen Bedürfnisse genötigt, den Kampf mit der weltlichen Macht unausgesetzt
auf allen Punkten zu führen; und selbst wenn sich der Staat hie und da nach¬
giebig erweisen sollte, bleibt die Kirche schon ihrer Finanzen wegen zu fort¬
währender Beunruhigung der öffentlichen Meinung gezwungen. Zwischen Rom
und der weltlichen Macht giebt es keinen Frieden. Der Staat mag ruhig
zusehen, wie die Kurie durch das Übermaß der Wünsche immer mehr den
Charakter einer problematischen Natur gewinnt, da sie Wollen und Können
nicht mehr in Einklang bringt. Die Orgien der Selbstüberhebung, die die
Führer der Partei auf den Katholikentagen und in der Presse veranstalten,
können besonnene Leute nicht täuschen.

Alle Staaten leben auf gespanntem Fuße mit der Kurie. In Frankreich
z. B. hat weder das Königtum, noch das Kaisertum, noch die Republik einen
dauernden Frieden gesunden; alle Schwierigkeiten aber, die sich aus der Lage
der Dinge ergaben, sind überwunden worden durch die Kraft des nationalen
Bewußtseins. Um die Staatsform stritt man sich, um die Auslegung des Kon¬
kordats, um die Geltung der Organischen Artikel, aber schon längst nicht mehr
um die Gallikanischen Freiheiten, und nie ist es der Kurie eingefallen, auch
nur den Versuch zu machen, die Nation in ihrer Existenz zu bekämpfen. Das
deutsche Reich dagegen wird von Rom wegen seines vorwiegend protestantischen
Charakters nicht anerkannt, und Rom findet dabei Bundesgenossen in Deutsch¬
land selbst. Aus der Mischung politischer Fragen mit kirchlichen entsteht ja
die Gefühlspolitik, die die große Menge, die Wähler beherrscht; denn wie ge-
wisse Metalle erst durch Legirung mit andern die für den Verkehr nötige Härte
und Prügbarkeit gewinnen, so werden kirchliche Fragen erst durch Verschmelzung
mit politischen Fragen für die Wahlen und in den Vertretungen, für das
ganze Parteileben überhaupt verwertbar. Der altbairische Bauer geht nur
deshalb mit seinen Pfarrern durch Dick und Dünn, weil er Preußen, Pro¬
testanten, Nationalliberale. Freisinnige, Juden und Freimaurer für Spielarten
ein und derselben gegen die Selbständigkeit des Südens Herschwornen greuel¬
haften Bande hält. Die Neichsleitung kann zur Überwindung dieser Schwierig¬
keiten nur das Ziel verfolgen, das Nationalbewußtsein zu wecken und zu fördern.
Durch Hinweisungen auf die deutsche Vergangenheit kann dieses Ziel aller¬
dings nicht erreicht werden; damit ist es übel bestellt. Denn wenn die Schul¬
kinder rechts von einem Bache oder Höhenzuge geschichtliche Vorgänge zu be¬
dauern gelehrt werden, die links davon bejubelt werden müssen, so hält es
schwer, einheitliche Vorstellungen zu erwecken. Selbst der Zauber der Erinne-


Das deutsche Reich und die Rurie

bringen, wie das in Belgien geschah. Es könnte sich aber auch ereignen, daß
sich die zahlreichen Gegner unsers höhern Unterrichtswesens gegen das Monopol
des Staats wenden, da in diesem allein die Widerstandskraft der Lehrkörper
gegen die berechtigten Anforderungen der Zeit liegt.

Die katholische Kirche ist durch ihr ganzes Programm, wie durch ihre
eignen Bedürfnisse genötigt, den Kampf mit der weltlichen Macht unausgesetzt
auf allen Punkten zu führen; und selbst wenn sich der Staat hie und da nach¬
giebig erweisen sollte, bleibt die Kirche schon ihrer Finanzen wegen zu fort¬
währender Beunruhigung der öffentlichen Meinung gezwungen. Zwischen Rom
und der weltlichen Macht giebt es keinen Frieden. Der Staat mag ruhig
zusehen, wie die Kurie durch das Übermaß der Wünsche immer mehr den
Charakter einer problematischen Natur gewinnt, da sie Wollen und Können
nicht mehr in Einklang bringt. Die Orgien der Selbstüberhebung, die die
Führer der Partei auf den Katholikentagen und in der Presse veranstalten,
können besonnene Leute nicht täuschen.

Alle Staaten leben auf gespanntem Fuße mit der Kurie. In Frankreich
z. B. hat weder das Königtum, noch das Kaisertum, noch die Republik einen
dauernden Frieden gesunden; alle Schwierigkeiten aber, die sich aus der Lage
der Dinge ergaben, sind überwunden worden durch die Kraft des nationalen
Bewußtseins. Um die Staatsform stritt man sich, um die Auslegung des Kon¬
kordats, um die Geltung der Organischen Artikel, aber schon längst nicht mehr
um die Gallikanischen Freiheiten, und nie ist es der Kurie eingefallen, auch
nur den Versuch zu machen, die Nation in ihrer Existenz zu bekämpfen. Das
deutsche Reich dagegen wird von Rom wegen seines vorwiegend protestantischen
Charakters nicht anerkannt, und Rom findet dabei Bundesgenossen in Deutsch¬
land selbst. Aus der Mischung politischer Fragen mit kirchlichen entsteht ja
die Gefühlspolitik, die die große Menge, die Wähler beherrscht; denn wie ge-
wisse Metalle erst durch Legirung mit andern die für den Verkehr nötige Härte
und Prügbarkeit gewinnen, so werden kirchliche Fragen erst durch Verschmelzung
mit politischen Fragen für die Wahlen und in den Vertretungen, für das
ganze Parteileben überhaupt verwertbar. Der altbairische Bauer geht nur
deshalb mit seinen Pfarrern durch Dick und Dünn, weil er Preußen, Pro¬
testanten, Nationalliberale. Freisinnige, Juden und Freimaurer für Spielarten
ein und derselben gegen die Selbständigkeit des Südens Herschwornen greuel¬
haften Bande hält. Die Neichsleitung kann zur Überwindung dieser Schwierig¬
keiten nur das Ziel verfolgen, das Nationalbewußtsein zu wecken und zu fördern.
Durch Hinweisungen auf die deutsche Vergangenheit kann dieses Ziel aller¬
dings nicht erreicht werden; damit ist es übel bestellt. Denn wenn die Schul¬
kinder rechts von einem Bache oder Höhenzuge geschichtliche Vorgänge zu be¬
dauern gelehrt werden, die links davon bejubelt werden müssen, so hält es
schwer, einheitliche Vorstellungen zu erwecken. Selbst der Zauber der Erinne-


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[0358] Das deutsche Reich und die Rurie bringen, wie das in Belgien geschah. Es könnte sich aber auch ereignen, daß sich die zahlreichen Gegner unsers höhern Unterrichtswesens gegen das Monopol des Staats wenden, da in diesem allein die Widerstandskraft der Lehrkörper gegen die berechtigten Anforderungen der Zeit liegt. Die katholische Kirche ist durch ihr ganzes Programm, wie durch ihre eignen Bedürfnisse genötigt, den Kampf mit der weltlichen Macht unausgesetzt auf allen Punkten zu führen; und selbst wenn sich der Staat hie und da nach¬ giebig erweisen sollte, bleibt die Kirche schon ihrer Finanzen wegen zu fort¬ währender Beunruhigung der öffentlichen Meinung gezwungen. Zwischen Rom und der weltlichen Macht giebt es keinen Frieden. Der Staat mag ruhig zusehen, wie die Kurie durch das Übermaß der Wünsche immer mehr den Charakter einer problematischen Natur gewinnt, da sie Wollen und Können nicht mehr in Einklang bringt. Die Orgien der Selbstüberhebung, die die Führer der Partei auf den Katholikentagen und in der Presse veranstalten, können besonnene Leute nicht täuschen. Alle Staaten leben auf gespanntem Fuße mit der Kurie. In Frankreich z. B. hat weder das Königtum, noch das Kaisertum, noch die Republik einen dauernden Frieden gesunden; alle Schwierigkeiten aber, die sich aus der Lage der Dinge ergaben, sind überwunden worden durch die Kraft des nationalen Bewußtseins. Um die Staatsform stritt man sich, um die Auslegung des Kon¬ kordats, um die Geltung der Organischen Artikel, aber schon längst nicht mehr um die Gallikanischen Freiheiten, und nie ist es der Kurie eingefallen, auch nur den Versuch zu machen, die Nation in ihrer Existenz zu bekämpfen. Das deutsche Reich dagegen wird von Rom wegen seines vorwiegend protestantischen Charakters nicht anerkannt, und Rom findet dabei Bundesgenossen in Deutsch¬ land selbst. Aus der Mischung politischer Fragen mit kirchlichen entsteht ja die Gefühlspolitik, die die große Menge, die Wähler beherrscht; denn wie ge- wisse Metalle erst durch Legirung mit andern die für den Verkehr nötige Härte und Prügbarkeit gewinnen, so werden kirchliche Fragen erst durch Verschmelzung mit politischen Fragen für die Wahlen und in den Vertretungen, für das ganze Parteileben überhaupt verwertbar. Der altbairische Bauer geht nur deshalb mit seinen Pfarrern durch Dick und Dünn, weil er Preußen, Pro¬ testanten, Nationalliberale. Freisinnige, Juden und Freimaurer für Spielarten ein und derselben gegen die Selbständigkeit des Südens Herschwornen greuel¬ haften Bande hält. Die Neichsleitung kann zur Überwindung dieser Schwierig¬ keiten nur das Ziel verfolgen, das Nationalbewußtsein zu wecken und zu fördern. Durch Hinweisungen auf die deutsche Vergangenheit kann dieses Ziel aller¬ dings nicht erreicht werden; damit ist es übel bestellt. Denn wenn die Schul¬ kinder rechts von einem Bache oder Höhenzuge geschichtliche Vorgänge zu be¬ dauern gelehrt werden, die links davon bejubelt werden müssen, so hält es schwer, einheitliche Vorstellungen zu erwecken. Selbst der Zauber der Erinne-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/358>, abgerufen am 17.06.2024.