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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Die Lrfolge der genossenschaftlichen Selbstverwaltung

ihre Amtsthätigkeit im Jahre 1895, worin den Lehrlingen in der Industrie wie
im Handwerk eine ganz besondre Aufmerksamkeit zugewendet worden ist. Wir
gehen auf diese Auskunftsquelle etwas näher ein.

Der einleitende Vorlagebericht des Zentralgewerbeinspektors an den Handels¬
minister beklagt, daß man aus den Einzelberichten zu der nichts weniger als
erfreulichen Erkenntnis gelange, daß sich die Lehrlingsverhältnisse im Klein¬
gewerbe noch immer nicht gebessert Hütten, obgleich sich "alle Berichterstatter
übereinstimmend in der Anschauung begegneten, daß gerade auf diesem Gebiete
die Genossenschaften eine erfolgreiche Thätigkeit entwickeln könnten." Er macht
dabei mit Recht auf die Schwierigkeiten aufmerksam, die der bessernden Ein¬
wirkung der staatlichen Aufsichtsbeamten im Kleingewerbe aus der großen
Zahl der zu beaufsichtigenden Betriebe erwachse. Die Zahl der Revisionen
bleibe im Vergleich zu der Zahl der Betriebe immer viel zu klein, und nament¬
lich seien die so notwendigen Nachrevisionen so gut wie ausgeschlossen. Die
Berichte der einzelnen Gewerbeinspektoren lauten noch viel trüber. Es ist
aus ihnen, wie sie vorliegen, nicht zu erkennen, daß die Berichterstatter auch
nur zum größern Teil, geschweige denn übereinstimmend die Ansicht hätten,
die Genossenschaften würden mit der Zeit in der Lehrlingserziehung eine
erfolgreiche Thätigkeit entwickeln. Gehen wir auf diese Berichte im einzelnen
ein, so findet der Gewerbeinspektor für Wien zwar eine erhebliche Besserung
in den Großbetrieben, aber auf der andern Seite spricht er sich aufs
bestimmteste dahin aus, daß die meisten Handwerksgenossenschaften seines
Aufsichtsbezirks gar nicht in der Lage seien, die ihnen gesetzlich anvertraute
Fürsorge für ein geordnetes Lehrlingswesen durchzuführen. Der "genossen¬
schaftliche Apparat" sei dazu viel zu "unbedeutend," und die "ganze Or¬
ganisation," namentlich in den großen Genossenschaften, nicht genügend den
örtlichen Verhältnissen angepaßt, "um auch nur halbwegs diese schwierige Aus¬
gab erfüllen zu können." Dazu komme noch, daß in den letzten Jahren Par-
teiungen und Spaltungen im Schoße vieler Genossenschaften eingerissen seien,
die ein erfolgreiches Wirken schon von vornherein vereitelten. Dadurch werde
es begreiflich, daß sich bei den meisten Besuchen kleiner Betriebe Anstünde in
Bezug auf das Lehrlingswesen ergäben, so z. B., daß die Zahl der Lehrlinge
zu groß sei, daß die Probezeit übermäßig lange, bis zu zwei Jahren, aus¬
gedehnt und nur teilweise oder gar nicht in die Lehrzeit eingerechnet werde,
daß willkürliche Verlängerungen der Lehrzeit vorkämen, daß Entlassungen ohne
gesetzlichen Grund stattfünden, daß der Schulbesuch nur unregelmäßig ser
oder ganz fehle, daß der Lehrling nicht im Gewerbe, sondern zu häuslichen
Verrichtungen verwendet werde usw. Auch.der Gewerbeinspektor für Wiener-
Neustadt bezeichnet die Fürsorge für die technische Ausbildung der Lehrlinge
nur in den Fabriken als genügend. Leider sei hier aber die Zahl der eigent¬
lichen Lehrlinge nur greing. In der Regel würden sie einem ältern tüchtigen


Die Lrfolge der genossenschaftlichen Selbstverwaltung

ihre Amtsthätigkeit im Jahre 1895, worin den Lehrlingen in der Industrie wie
im Handwerk eine ganz besondre Aufmerksamkeit zugewendet worden ist. Wir
gehen auf diese Auskunftsquelle etwas näher ein.

Der einleitende Vorlagebericht des Zentralgewerbeinspektors an den Handels¬
minister beklagt, daß man aus den Einzelberichten zu der nichts weniger als
erfreulichen Erkenntnis gelange, daß sich die Lehrlingsverhältnisse im Klein¬
gewerbe noch immer nicht gebessert Hütten, obgleich sich „alle Berichterstatter
übereinstimmend in der Anschauung begegneten, daß gerade auf diesem Gebiete
die Genossenschaften eine erfolgreiche Thätigkeit entwickeln könnten." Er macht
dabei mit Recht auf die Schwierigkeiten aufmerksam, die der bessernden Ein¬
wirkung der staatlichen Aufsichtsbeamten im Kleingewerbe aus der großen
Zahl der zu beaufsichtigenden Betriebe erwachse. Die Zahl der Revisionen
bleibe im Vergleich zu der Zahl der Betriebe immer viel zu klein, und nament¬
lich seien die so notwendigen Nachrevisionen so gut wie ausgeschlossen. Die
Berichte der einzelnen Gewerbeinspektoren lauten noch viel trüber. Es ist
aus ihnen, wie sie vorliegen, nicht zu erkennen, daß die Berichterstatter auch
nur zum größern Teil, geschweige denn übereinstimmend die Ansicht hätten,
die Genossenschaften würden mit der Zeit in der Lehrlingserziehung eine
erfolgreiche Thätigkeit entwickeln. Gehen wir auf diese Berichte im einzelnen
ein, so findet der Gewerbeinspektor für Wien zwar eine erhebliche Besserung
in den Großbetrieben, aber auf der andern Seite spricht er sich aufs
bestimmteste dahin aus, daß die meisten Handwerksgenossenschaften seines
Aufsichtsbezirks gar nicht in der Lage seien, die ihnen gesetzlich anvertraute
Fürsorge für ein geordnetes Lehrlingswesen durchzuführen. Der „genossen¬
schaftliche Apparat" sei dazu viel zu „unbedeutend," und die „ganze Or¬
ganisation," namentlich in den großen Genossenschaften, nicht genügend den
örtlichen Verhältnissen angepaßt, „um auch nur halbwegs diese schwierige Aus¬
gab erfüllen zu können." Dazu komme noch, daß in den letzten Jahren Par-
teiungen und Spaltungen im Schoße vieler Genossenschaften eingerissen seien,
die ein erfolgreiches Wirken schon von vornherein vereitelten. Dadurch werde
es begreiflich, daß sich bei den meisten Besuchen kleiner Betriebe Anstünde in
Bezug auf das Lehrlingswesen ergäben, so z. B., daß die Zahl der Lehrlinge
zu groß sei, daß die Probezeit übermäßig lange, bis zu zwei Jahren, aus¬
gedehnt und nur teilweise oder gar nicht in die Lehrzeit eingerechnet werde,
daß willkürliche Verlängerungen der Lehrzeit vorkämen, daß Entlassungen ohne
gesetzlichen Grund stattfünden, daß der Schulbesuch nur unregelmäßig ser
oder ganz fehle, daß der Lehrling nicht im Gewerbe, sondern zu häuslichen
Verrichtungen verwendet werde usw. Auch.der Gewerbeinspektor für Wiener-
Neustadt bezeichnet die Fürsorge für die technische Ausbildung der Lehrlinge
nur in den Fabriken als genügend. Leider sei hier aber die Zahl der eigent¬
lichen Lehrlinge nur greing. In der Regel würden sie einem ältern tüchtigen


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[0368] Die Lrfolge der genossenschaftlichen Selbstverwaltung ihre Amtsthätigkeit im Jahre 1895, worin den Lehrlingen in der Industrie wie im Handwerk eine ganz besondre Aufmerksamkeit zugewendet worden ist. Wir gehen auf diese Auskunftsquelle etwas näher ein. Der einleitende Vorlagebericht des Zentralgewerbeinspektors an den Handels¬ minister beklagt, daß man aus den Einzelberichten zu der nichts weniger als erfreulichen Erkenntnis gelange, daß sich die Lehrlingsverhältnisse im Klein¬ gewerbe noch immer nicht gebessert Hütten, obgleich sich „alle Berichterstatter übereinstimmend in der Anschauung begegneten, daß gerade auf diesem Gebiete die Genossenschaften eine erfolgreiche Thätigkeit entwickeln könnten." Er macht dabei mit Recht auf die Schwierigkeiten aufmerksam, die der bessernden Ein¬ wirkung der staatlichen Aufsichtsbeamten im Kleingewerbe aus der großen Zahl der zu beaufsichtigenden Betriebe erwachse. Die Zahl der Revisionen bleibe im Vergleich zu der Zahl der Betriebe immer viel zu klein, und nament¬ lich seien die so notwendigen Nachrevisionen so gut wie ausgeschlossen. Die Berichte der einzelnen Gewerbeinspektoren lauten noch viel trüber. Es ist aus ihnen, wie sie vorliegen, nicht zu erkennen, daß die Berichterstatter auch nur zum größern Teil, geschweige denn übereinstimmend die Ansicht hätten, die Genossenschaften würden mit der Zeit in der Lehrlingserziehung eine erfolgreiche Thätigkeit entwickeln. Gehen wir auf diese Berichte im einzelnen ein, so findet der Gewerbeinspektor für Wien zwar eine erhebliche Besserung in den Großbetrieben, aber auf der andern Seite spricht er sich aufs bestimmteste dahin aus, daß die meisten Handwerksgenossenschaften seines Aufsichtsbezirks gar nicht in der Lage seien, die ihnen gesetzlich anvertraute Fürsorge für ein geordnetes Lehrlingswesen durchzuführen. Der „genossen¬ schaftliche Apparat" sei dazu viel zu „unbedeutend," und die „ganze Or¬ ganisation," namentlich in den großen Genossenschaften, nicht genügend den örtlichen Verhältnissen angepaßt, „um auch nur halbwegs diese schwierige Aus¬ gab erfüllen zu können." Dazu komme noch, daß in den letzten Jahren Par- teiungen und Spaltungen im Schoße vieler Genossenschaften eingerissen seien, die ein erfolgreiches Wirken schon von vornherein vereitelten. Dadurch werde es begreiflich, daß sich bei den meisten Besuchen kleiner Betriebe Anstünde in Bezug auf das Lehrlingswesen ergäben, so z. B., daß die Zahl der Lehrlinge zu groß sei, daß die Probezeit übermäßig lange, bis zu zwei Jahren, aus¬ gedehnt und nur teilweise oder gar nicht in die Lehrzeit eingerechnet werde, daß willkürliche Verlängerungen der Lehrzeit vorkämen, daß Entlassungen ohne gesetzlichen Grund stattfünden, daß der Schulbesuch nur unregelmäßig ser oder ganz fehle, daß der Lehrling nicht im Gewerbe, sondern zu häuslichen Verrichtungen verwendet werde usw. Auch.der Gewerbeinspektor für Wiener- Neustadt bezeichnet die Fürsorge für die technische Ausbildung der Lehrlinge nur in den Fabriken als genügend. Leider sei hier aber die Zahl der eigent¬ lichen Lehrlinge nur greing. In der Regel würden sie einem ältern tüchtigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/368>, abgerufen am 17.06.2024.