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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Aber Bin entflieht auf Nimmerwiedersehen dem Hause, das ihm ein "unge¬
heures Schicksal" gebracht hat, und wie er durch die Nacht heimwandert, im
Nachsinnen seine Schuld ins Riesenhafte steigernd, wird ihm immer wonniger
zu Mute, er schwelgt in seinem Leide, und der Dichter verlaßt seinen Helden
mit Recht in dieser Situation;

Mit dieser heiter-ironischen Wendung schließt das Idyll, das in jedem einzelnen
Zuge lebendig, liebenswürdig, anspruchslos und doch gehaltvoll ist, ein Stück
Leben und doch poetisches Spiel.

Als aus anderen Geiste, aber auch aus echtem Dichtergeiste geboren, stellt
sich Der dumme Teufel oder die Geniesuche, komisches Epos in zwölf
Gesängen von Adolf Bartels (Dresden, V. W. Esche. 1896) dar. In der
Weise des subjektiven epischen Gedichts, wonach der Dichter ein Abenteuer oder
eine Reihe von Abenteuern energisch und anschaulich vorträgt, aber satirisch
dreinspricht, und auch in der Form, in der frei und übermütig behandelten
Oktave den von Ariosto und den italienischen burlesken Epikern gebahnten
Wegen folgend, giebt Bartels eine selbständige Erfindung und lebendige Bilder
aus der Gegenwart. Die Hölle wird von dem Andrang des kleinen Lumpen¬
packs, das man in Fässern heranrollt und quadratisch packt, fast überfüllt, des
Teufels Großmutter will von dieser demokratischen Hölle nichts wiffen, ver¬
langt, da man seit Napoleon nichts gescheites gesehen hat und die Hoffnung
auf den Gewinn Bismarcks auch zerronnen ist, so was wie ein Genie; Held,
Dichter oder Weiser ist ihr einerlei. Die besten Hoffnungen setzt die würdige
Dame, und auch ihr Sohn, der Satan selbst, noch immer auf Deutschland,
aber Mephistopheles hat Mut und Laune verloren, das deutsche Publikum ist
ihm fremd geworden. Da meldet sich im rechten Augenblick ein bebrillter
kleiner Teufel, der "dumme Teufel" der alten deutschen Schwcinke, der seit
dreihundert Jahren in der Hölle deutsche Litteratur studirt hat und die Deutschen
zu kennen glaubt, wie sie sich kaum selbst kennen, da er auch ihren dümmsten
Traum mitgeträumt hat. Satans Großmutter mutmaße zwar ganz richtig,
daß der dumme Teufel nicht der schlaueste sei, hält aber doch für möglich, daß
er eine Nase fürs Genie habe. Er wird also auf die Erde geschickt, in deu
Leib eines verkommnen, eben sterbenden Berliner Studenten Alexis Meier gesteckt,


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Aber Bin entflieht auf Nimmerwiedersehen dem Hause, das ihm ein „unge¬
heures Schicksal" gebracht hat, und wie er durch die Nacht heimwandert, im
Nachsinnen seine Schuld ins Riesenhafte steigernd, wird ihm immer wonniger
zu Mute, er schwelgt in seinem Leide, und der Dichter verlaßt seinen Helden
mit Recht in dieser Situation;

Mit dieser heiter-ironischen Wendung schließt das Idyll, das in jedem einzelnen
Zuge lebendig, liebenswürdig, anspruchslos und doch gehaltvoll ist, ein Stück
Leben und doch poetisches Spiel.

Als aus anderen Geiste, aber auch aus echtem Dichtergeiste geboren, stellt
sich Der dumme Teufel oder die Geniesuche, komisches Epos in zwölf
Gesängen von Adolf Bartels (Dresden, V. W. Esche. 1896) dar. In der
Weise des subjektiven epischen Gedichts, wonach der Dichter ein Abenteuer oder
eine Reihe von Abenteuern energisch und anschaulich vorträgt, aber satirisch
dreinspricht, und auch in der Form, in der frei und übermütig behandelten
Oktave den von Ariosto und den italienischen burlesken Epikern gebahnten
Wegen folgend, giebt Bartels eine selbständige Erfindung und lebendige Bilder
aus der Gegenwart. Die Hölle wird von dem Andrang des kleinen Lumpen¬
packs, das man in Fässern heranrollt und quadratisch packt, fast überfüllt, des
Teufels Großmutter will von dieser demokratischen Hölle nichts wiffen, ver¬
langt, da man seit Napoleon nichts gescheites gesehen hat und die Hoffnung
auf den Gewinn Bismarcks auch zerronnen ist, so was wie ein Genie; Held,
Dichter oder Weiser ist ihr einerlei. Die besten Hoffnungen setzt die würdige
Dame, und auch ihr Sohn, der Satan selbst, noch immer auf Deutschland,
aber Mephistopheles hat Mut und Laune verloren, das deutsche Publikum ist
ihm fremd geworden. Da meldet sich im rechten Augenblick ein bebrillter
kleiner Teufel, der „dumme Teufel" der alten deutschen Schwcinke, der seit
dreihundert Jahren in der Hölle deutsche Litteratur studirt hat und die Deutschen
zu kennen glaubt, wie sie sich kaum selbst kennen, da er auch ihren dümmsten
Traum mitgeträumt hat. Satans Großmutter mutmaße zwar ganz richtig,
daß der dumme Teufel nicht der schlaueste sei, hält aber doch für möglich, daß
er eine Nase fürs Genie habe. Er wird also auf die Erde geschickt, in deu
Leib eines verkommnen, eben sterbenden Berliner Studenten Alexis Meier gesteckt,


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[0380] Neue deutsche Lpik Aber Bin entflieht auf Nimmerwiedersehen dem Hause, das ihm ein „unge¬ heures Schicksal" gebracht hat, und wie er durch die Nacht heimwandert, im Nachsinnen seine Schuld ins Riesenhafte steigernd, wird ihm immer wonniger zu Mute, er schwelgt in seinem Leide, und der Dichter verlaßt seinen Helden mit Recht in dieser Situation; Mit dieser heiter-ironischen Wendung schließt das Idyll, das in jedem einzelnen Zuge lebendig, liebenswürdig, anspruchslos und doch gehaltvoll ist, ein Stück Leben und doch poetisches Spiel. Als aus anderen Geiste, aber auch aus echtem Dichtergeiste geboren, stellt sich Der dumme Teufel oder die Geniesuche, komisches Epos in zwölf Gesängen von Adolf Bartels (Dresden, V. W. Esche. 1896) dar. In der Weise des subjektiven epischen Gedichts, wonach der Dichter ein Abenteuer oder eine Reihe von Abenteuern energisch und anschaulich vorträgt, aber satirisch dreinspricht, und auch in der Form, in der frei und übermütig behandelten Oktave den von Ariosto und den italienischen burlesken Epikern gebahnten Wegen folgend, giebt Bartels eine selbständige Erfindung und lebendige Bilder aus der Gegenwart. Die Hölle wird von dem Andrang des kleinen Lumpen¬ packs, das man in Fässern heranrollt und quadratisch packt, fast überfüllt, des Teufels Großmutter will von dieser demokratischen Hölle nichts wiffen, ver¬ langt, da man seit Napoleon nichts gescheites gesehen hat und die Hoffnung auf den Gewinn Bismarcks auch zerronnen ist, so was wie ein Genie; Held, Dichter oder Weiser ist ihr einerlei. Die besten Hoffnungen setzt die würdige Dame, und auch ihr Sohn, der Satan selbst, noch immer auf Deutschland, aber Mephistopheles hat Mut und Laune verloren, das deutsche Publikum ist ihm fremd geworden. Da meldet sich im rechten Augenblick ein bebrillter kleiner Teufel, der „dumme Teufel" der alten deutschen Schwcinke, der seit dreihundert Jahren in der Hölle deutsche Litteratur studirt hat und die Deutschen zu kennen glaubt, wie sie sich kaum selbst kennen, da er auch ihren dümmsten Traum mitgeträumt hat. Satans Großmutter mutmaße zwar ganz richtig, daß der dumme Teufel nicht der schlaueste sei, hält aber doch für möglich, daß er eine Nase fürs Genie habe. Er wird also auf die Erde geschickt, in deu Leib eines verkommnen, eben sterbenden Berliner Studenten Alexis Meier gesteckt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/380>, abgerufen am 17.06.2024.