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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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hervor. Die kostspieligere Laufbahn beschränkt den Zuzug wenigstens auf solche,
deren Eltern entweder in einer Universitätsstadt wohnen und es deshalb leichter
haben oder sich schon eines gewissen Wohlstandes erfreuen. Wenn hieraus
auch noch keine größere Bildung zu folgen braucht, so folgt doch meistens
daraus eine etwas höhere äußere Lebcnsgewöhnung. Der Übergang ist darum
nicht so schroff, und die Ungleichung des Einzelnen an den höhern Stand
wird außerdem durch die allerlei Äußerlichkeiten mehr erzwingende gesellschaft¬
liche Stellung der Juristen und Ärzte mehr gefördert. Dagegen wird man
hier besondre Vorzüge, die dem spätern Berufe zu gute kämen, dem unver¬
mittelter, schnellen Emporsteigen aus geringem Stande nicht zuschreiben wollen.
Für den zukünftigen Richter ist es zum Verständnis seiner Aufgabe dein Volle
gegenüber nicht erforderlich, daß er aus ungelehrten Stande hervorgehe, ebenso
wenig für den künftigen Arzt. Dem Geistlichen kann es unter Umständen
zum Vorteil ausschlagen, jedenfalls wird es ihm unter allen Trägern eines
höhern Berufes noch am wenigsten nachteilig sein. Dem höhern Lehrstande
dagegen gereicht es ganz gewiß nicht zum Vorteil, wenn er sich vorzugsweise
aus den niedern Volksschichten ergänzt.

Erwägt man das alles, so sieht man, daß die Gesellschaft durch dieses
Emporsteigen einzelner nicht gewinnt. Wie nach dem bekannten Satze schnell
erworbner Reichtum nicht standhält, so bedarf auch die höhere Bildung zu
ihrer möglichst vollkommnen Ausgestaltung eines allmählichen Wachstums.
Das Gemeinwesen hat also kein Interesse daran, diesen Zug nach oben zu
befördern, und wir sollen ihn nicht als Zeichen einer gesunden Entwicklung
ansehen. Wie steht es nun mit dem Einzelnen, dem gleichwohl dieser Trieb
eingepflanzt scheint? Jeder drängt nach oben, und wenn es ihm möglich
gemacht wird, das noch schneller zu thun, nicht mehr stufenweise, welche Er¬
wägung könnte oder sollte ihn zurückhalten? Wie steht es nun um die Er¬
gebnisse vom Gesichtspunkte des Privatlebens aus, wenn wir auf das wirkliche
Leben sehen? Wie groß ist die Summe des persönlichen Glücks, des wirklichen
oder des vermeintlichen, das dem Einzelnen ans diesem Wege zu teil wird?
Wie groß die Summe des Gegenteils?

Diese Frage ist von einiger Bedeutung in einer Zeit, wo jeder nach oben
sieht, wo sich keiner mehr bescheiden mag, und wo, da doch nicht alle zum Ziel
kommen, für einen großen Teil der Menschen das Ende Enttäuschung und
Unzufriedenheit sein muß. Das Leben ist freilich viel zu mannichfaltig, als
daß wir auch nur eine Seite des Gegenstandes annähernd erschöpfen und jemand,
der diesen Gedanken von vornherein unzugänglich wäre, etwas einem Beweise
ähnliches geben könnten. Es sollen hier nur einzelne Züge hervorgehoben
werden. Die Grenzboten sind so oft für die untern Stunde und für den "Zug
nach oben" eingetreten, daß sie auch einmal Lesern, deuen der andre Stand¬
punkt zusagt, Gelegenheit geben dürfen, die Sache von obenher anzusehen.


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hervor. Die kostspieligere Laufbahn beschränkt den Zuzug wenigstens auf solche,
deren Eltern entweder in einer Universitätsstadt wohnen und es deshalb leichter
haben oder sich schon eines gewissen Wohlstandes erfreuen. Wenn hieraus
auch noch keine größere Bildung zu folgen braucht, so folgt doch meistens
daraus eine etwas höhere äußere Lebcnsgewöhnung. Der Übergang ist darum
nicht so schroff, und die Ungleichung des Einzelnen an den höhern Stand
wird außerdem durch die allerlei Äußerlichkeiten mehr erzwingende gesellschaft¬
liche Stellung der Juristen und Ärzte mehr gefördert. Dagegen wird man
hier besondre Vorzüge, die dem spätern Berufe zu gute kämen, dem unver¬
mittelter, schnellen Emporsteigen aus geringem Stande nicht zuschreiben wollen.
Für den zukünftigen Richter ist es zum Verständnis seiner Aufgabe dein Volle
gegenüber nicht erforderlich, daß er aus ungelehrten Stande hervorgehe, ebenso
wenig für den künftigen Arzt. Dem Geistlichen kann es unter Umständen
zum Vorteil ausschlagen, jedenfalls wird es ihm unter allen Trägern eines
höhern Berufes noch am wenigsten nachteilig sein. Dem höhern Lehrstande
dagegen gereicht es ganz gewiß nicht zum Vorteil, wenn er sich vorzugsweise
aus den niedern Volksschichten ergänzt.

Erwägt man das alles, so sieht man, daß die Gesellschaft durch dieses
Emporsteigen einzelner nicht gewinnt. Wie nach dem bekannten Satze schnell
erworbner Reichtum nicht standhält, so bedarf auch die höhere Bildung zu
ihrer möglichst vollkommnen Ausgestaltung eines allmählichen Wachstums.
Das Gemeinwesen hat also kein Interesse daran, diesen Zug nach oben zu
befördern, und wir sollen ihn nicht als Zeichen einer gesunden Entwicklung
ansehen. Wie steht es nun mit dem Einzelnen, dem gleichwohl dieser Trieb
eingepflanzt scheint? Jeder drängt nach oben, und wenn es ihm möglich
gemacht wird, das noch schneller zu thun, nicht mehr stufenweise, welche Er¬
wägung könnte oder sollte ihn zurückhalten? Wie steht es nun um die Er¬
gebnisse vom Gesichtspunkte des Privatlebens aus, wenn wir auf das wirkliche
Leben sehen? Wie groß ist die Summe des persönlichen Glücks, des wirklichen
oder des vermeintlichen, das dem Einzelnen ans diesem Wege zu teil wird?
Wie groß die Summe des Gegenteils?

Diese Frage ist von einiger Bedeutung in einer Zeit, wo jeder nach oben
sieht, wo sich keiner mehr bescheiden mag, und wo, da doch nicht alle zum Ziel
kommen, für einen großen Teil der Menschen das Ende Enttäuschung und
Unzufriedenheit sein muß. Das Leben ist freilich viel zu mannichfaltig, als
daß wir auch nur eine Seite des Gegenstandes annähernd erschöpfen und jemand,
der diesen Gedanken von vornherein unzugänglich wäre, etwas einem Beweise
ähnliches geben könnten. Es sollen hier nur einzelne Züge hervorgehoben
werden. Die Grenzboten sind so oft für die untern Stunde und für den „Zug
nach oben" eingetreten, daß sie auch einmal Lesern, deuen der andre Stand¬
punkt zusagt, Gelegenheit geben dürfen, die Sache von obenher anzusehen.


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[0511] von unten nach oben hervor. Die kostspieligere Laufbahn beschränkt den Zuzug wenigstens auf solche, deren Eltern entweder in einer Universitätsstadt wohnen und es deshalb leichter haben oder sich schon eines gewissen Wohlstandes erfreuen. Wenn hieraus auch noch keine größere Bildung zu folgen braucht, so folgt doch meistens daraus eine etwas höhere äußere Lebcnsgewöhnung. Der Übergang ist darum nicht so schroff, und die Ungleichung des Einzelnen an den höhern Stand wird außerdem durch die allerlei Äußerlichkeiten mehr erzwingende gesellschaft¬ liche Stellung der Juristen und Ärzte mehr gefördert. Dagegen wird man hier besondre Vorzüge, die dem spätern Berufe zu gute kämen, dem unver¬ mittelter, schnellen Emporsteigen aus geringem Stande nicht zuschreiben wollen. Für den zukünftigen Richter ist es zum Verständnis seiner Aufgabe dein Volle gegenüber nicht erforderlich, daß er aus ungelehrten Stande hervorgehe, ebenso wenig für den künftigen Arzt. Dem Geistlichen kann es unter Umständen zum Vorteil ausschlagen, jedenfalls wird es ihm unter allen Trägern eines höhern Berufes noch am wenigsten nachteilig sein. Dem höhern Lehrstande dagegen gereicht es ganz gewiß nicht zum Vorteil, wenn er sich vorzugsweise aus den niedern Volksschichten ergänzt. Erwägt man das alles, so sieht man, daß die Gesellschaft durch dieses Emporsteigen einzelner nicht gewinnt. Wie nach dem bekannten Satze schnell erworbner Reichtum nicht standhält, so bedarf auch die höhere Bildung zu ihrer möglichst vollkommnen Ausgestaltung eines allmählichen Wachstums. Das Gemeinwesen hat also kein Interesse daran, diesen Zug nach oben zu befördern, und wir sollen ihn nicht als Zeichen einer gesunden Entwicklung ansehen. Wie steht es nun mit dem Einzelnen, dem gleichwohl dieser Trieb eingepflanzt scheint? Jeder drängt nach oben, und wenn es ihm möglich gemacht wird, das noch schneller zu thun, nicht mehr stufenweise, welche Er¬ wägung könnte oder sollte ihn zurückhalten? Wie steht es nun um die Er¬ gebnisse vom Gesichtspunkte des Privatlebens aus, wenn wir auf das wirkliche Leben sehen? Wie groß ist die Summe des persönlichen Glücks, des wirklichen oder des vermeintlichen, das dem Einzelnen ans diesem Wege zu teil wird? Wie groß die Summe des Gegenteils? Diese Frage ist von einiger Bedeutung in einer Zeit, wo jeder nach oben sieht, wo sich keiner mehr bescheiden mag, und wo, da doch nicht alle zum Ziel kommen, für einen großen Teil der Menschen das Ende Enttäuschung und Unzufriedenheit sein muß. Das Leben ist freilich viel zu mannichfaltig, als daß wir auch nur eine Seite des Gegenstandes annähernd erschöpfen und jemand, der diesen Gedanken von vornherein unzugänglich wäre, etwas einem Beweise ähnliches geben könnten. Es sollen hier nur einzelne Züge hervorgehoben werden. Die Grenzboten sind so oft für die untern Stunde und für den „Zug nach oben" eingetreten, daß sie auch einmal Lesern, deuen der andre Stand¬ punkt zusagt, Gelegenheit geben dürfen, die Sache von obenher anzusehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/511>, abgerufen am 16.06.2024.