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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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In vielen armen Familien soll der Sohn -- oft nur einer unter mehreren,
weil es nicht weiter reicht -- das Haus vorwärts bringen, sein Ansehen, sein
Glück erhöhen. Auf ihn wird alles gewandt, was den andern Kindern ent¬
zogen werden muß. Wenn er unter großen Opfern seiner Geschwister endlich
selbständig geworden ist, so fängt sein eignes Leben erst an. Ein Universitäts¬
studium giebt äußerst selten einen hinlänglichen Ertrag, wovon den andern
Familienmitgliedern noch etwas zu gute kommen könnte. Sollte es aber der
Fall sein, und es ist ein guter Sohn oder Bruder, den dies Glück trifft, so
ist es für die Geschwister doch meist schon zu spät geworden, um das noch zu
nutzen. Ihr Weg ist inzwischen gemacht, aber ans der tiefern Stufe. Sie
sind nun von ihrem Bruder gesellschaftlich geschieden. Was haben sie von der
Ehre, einen so vornehmen Bruder zu haben? Wie wunderlich kommt sich ein
solcher Bruder und andern, die es beobachten können, schon vor, wenn er nur
bei den Seinen zu Besuch ist, z. B. als Student in den Ferien! Es nimmt
sich manchmal wirklich aus wie eine Komödie. Also der Emporgestiegne hat
nun für sich zu sorgen, denn er will sich demnächst seinen eignen Hausstand
gründen und kann das doch nicht mehr in den bescheidnen Ansprüchen seiner
frühern Gewöhnung. Daß er aber für seine Person soviel erreicht Hütte, daß er
soviel erwerben oder einnehmen könnte, um seine Angehörigen daran teilnehmen
zu lassen -- wie der reiche Onkel in Amerika, der seine ganze Familie nach¬
kommen läßt --, das kommt wohl in Romanen vor, vielleicht beschäftigte es
auch noch einst die Phantasie des Knaben, als er unter den Entbehrungen
seiner Angehörigen seinem höhern Berufe entgegenwuchs, aber im wirklichen
Leben geschieht es kaum. Der Lebensweg hat nur einen einzigen aus der
Familie nach oben geführt. Und die andern? Der Bauer, der gutstehende
Geschäftsmann wird sich freuen, wenn sein Bruder Pastor oder Gymnasial¬
lehrer ist; es war eben genug in der Familie vorhanden, um den Aufwand
ohne Schaden für die andern zu bestreikn. Aber der Arbeiter oder der arme
Flickschneider oder Schuster haben von der Ehre ihres vornehmen Bruders
nichts, als die bittere Erinnerung an das, um was sie selbst zu kurz gekommen
zu sein meinen.

Und wie vielen ältern Töchtern aus etwas besser gestellten Familien be¬
gegnet man im Leben, die sich kümmerlich durchdringen müssen und dann wohl
erklärend sagen: "Ja, bei uns zu Hause wurde alles an die Brüder gehängt,
da blieb für uns Mädchen nichts übrig." Ist das etwa schön?

Nun findet vielleicht einer oder der andre unsrer Leser in seiner Erinnerung
einen Fall, wo ein zu Glück gekommner Bruder auch seine Geschwister, oder
wo ein einziger Sohn seine Mutter versorgt hat. Allerdings glaube ich, daß
das viel eher vorkommen wird, wenn der betreffende durch ein glücklich be-
triebnes Gewerbe oder als Kaufmann zu schnellem Wohlstande gelangt ist, als
durch die Universitätslaufbahn. Und in dem Falle ist doch auch von feiten


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In vielen armen Familien soll der Sohn — oft nur einer unter mehreren,
weil es nicht weiter reicht — das Haus vorwärts bringen, sein Ansehen, sein
Glück erhöhen. Auf ihn wird alles gewandt, was den andern Kindern ent¬
zogen werden muß. Wenn er unter großen Opfern seiner Geschwister endlich
selbständig geworden ist, so fängt sein eignes Leben erst an. Ein Universitäts¬
studium giebt äußerst selten einen hinlänglichen Ertrag, wovon den andern
Familienmitgliedern noch etwas zu gute kommen könnte. Sollte es aber der
Fall sein, und es ist ein guter Sohn oder Bruder, den dies Glück trifft, so
ist es für die Geschwister doch meist schon zu spät geworden, um das noch zu
nutzen. Ihr Weg ist inzwischen gemacht, aber ans der tiefern Stufe. Sie
sind nun von ihrem Bruder gesellschaftlich geschieden. Was haben sie von der
Ehre, einen so vornehmen Bruder zu haben? Wie wunderlich kommt sich ein
solcher Bruder und andern, die es beobachten können, schon vor, wenn er nur
bei den Seinen zu Besuch ist, z. B. als Student in den Ferien! Es nimmt
sich manchmal wirklich aus wie eine Komödie. Also der Emporgestiegne hat
nun für sich zu sorgen, denn er will sich demnächst seinen eignen Hausstand
gründen und kann das doch nicht mehr in den bescheidnen Ansprüchen seiner
frühern Gewöhnung. Daß er aber für seine Person soviel erreicht Hütte, daß er
soviel erwerben oder einnehmen könnte, um seine Angehörigen daran teilnehmen
zu lassen — wie der reiche Onkel in Amerika, der seine ganze Familie nach¬
kommen läßt —, das kommt wohl in Romanen vor, vielleicht beschäftigte es
auch noch einst die Phantasie des Knaben, als er unter den Entbehrungen
seiner Angehörigen seinem höhern Berufe entgegenwuchs, aber im wirklichen
Leben geschieht es kaum. Der Lebensweg hat nur einen einzigen aus der
Familie nach oben geführt. Und die andern? Der Bauer, der gutstehende
Geschäftsmann wird sich freuen, wenn sein Bruder Pastor oder Gymnasial¬
lehrer ist; es war eben genug in der Familie vorhanden, um den Aufwand
ohne Schaden für die andern zu bestreikn. Aber der Arbeiter oder der arme
Flickschneider oder Schuster haben von der Ehre ihres vornehmen Bruders
nichts, als die bittere Erinnerung an das, um was sie selbst zu kurz gekommen
zu sein meinen.

Und wie vielen ältern Töchtern aus etwas besser gestellten Familien be¬
gegnet man im Leben, die sich kümmerlich durchdringen müssen und dann wohl
erklärend sagen: „Ja, bei uns zu Hause wurde alles an die Brüder gehängt,
da blieb für uns Mädchen nichts übrig." Ist das etwa schön?

Nun findet vielleicht einer oder der andre unsrer Leser in seiner Erinnerung
einen Fall, wo ein zu Glück gekommner Bruder auch seine Geschwister, oder
wo ein einziger Sohn seine Mutter versorgt hat. Allerdings glaube ich, daß
das viel eher vorkommen wird, wenn der betreffende durch ein glücklich be-
triebnes Gewerbe oder als Kaufmann zu schnellem Wohlstande gelangt ist, als
durch die Universitätslaufbahn. Und in dem Falle ist doch auch von feiten


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[0512] von unten nach oben In vielen armen Familien soll der Sohn — oft nur einer unter mehreren, weil es nicht weiter reicht — das Haus vorwärts bringen, sein Ansehen, sein Glück erhöhen. Auf ihn wird alles gewandt, was den andern Kindern ent¬ zogen werden muß. Wenn er unter großen Opfern seiner Geschwister endlich selbständig geworden ist, so fängt sein eignes Leben erst an. Ein Universitäts¬ studium giebt äußerst selten einen hinlänglichen Ertrag, wovon den andern Familienmitgliedern noch etwas zu gute kommen könnte. Sollte es aber der Fall sein, und es ist ein guter Sohn oder Bruder, den dies Glück trifft, so ist es für die Geschwister doch meist schon zu spät geworden, um das noch zu nutzen. Ihr Weg ist inzwischen gemacht, aber ans der tiefern Stufe. Sie sind nun von ihrem Bruder gesellschaftlich geschieden. Was haben sie von der Ehre, einen so vornehmen Bruder zu haben? Wie wunderlich kommt sich ein solcher Bruder und andern, die es beobachten können, schon vor, wenn er nur bei den Seinen zu Besuch ist, z. B. als Student in den Ferien! Es nimmt sich manchmal wirklich aus wie eine Komödie. Also der Emporgestiegne hat nun für sich zu sorgen, denn er will sich demnächst seinen eignen Hausstand gründen und kann das doch nicht mehr in den bescheidnen Ansprüchen seiner frühern Gewöhnung. Daß er aber für seine Person soviel erreicht Hütte, daß er soviel erwerben oder einnehmen könnte, um seine Angehörigen daran teilnehmen zu lassen — wie der reiche Onkel in Amerika, der seine ganze Familie nach¬ kommen läßt —, das kommt wohl in Romanen vor, vielleicht beschäftigte es auch noch einst die Phantasie des Knaben, als er unter den Entbehrungen seiner Angehörigen seinem höhern Berufe entgegenwuchs, aber im wirklichen Leben geschieht es kaum. Der Lebensweg hat nur einen einzigen aus der Familie nach oben geführt. Und die andern? Der Bauer, der gutstehende Geschäftsmann wird sich freuen, wenn sein Bruder Pastor oder Gymnasial¬ lehrer ist; es war eben genug in der Familie vorhanden, um den Aufwand ohne Schaden für die andern zu bestreikn. Aber der Arbeiter oder der arme Flickschneider oder Schuster haben von der Ehre ihres vornehmen Bruders nichts, als die bittere Erinnerung an das, um was sie selbst zu kurz gekommen zu sein meinen. Und wie vielen ältern Töchtern aus etwas besser gestellten Familien be¬ gegnet man im Leben, die sich kümmerlich durchdringen müssen und dann wohl erklärend sagen: „Ja, bei uns zu Hause wurde alles an die Brüder gehängt, da blieb für uns Mädchen nichts übrig." Ist das etwa schön? Nun findet vielleicht einer oder der andre unsrer Leser in seiner Erinnerung einen Fall, wo ein zu Glück gekommner Bruder auch seine Geschwister, oder wo ein einziger Sohn seine Mutter versorgt hat. Allerdings glaube ich, daß das viel eher vorkommen wird, wenn der betreffende durch ein glücklich be- triebnes Gewerbe oder als Kaufmann zu schnellem Wohlstande gelangt ist, als durch die Universitätslaufbahn. Und in dem Falle ist doch auch von feiten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/512>, abgerufen am 16.06.2024.