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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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seiner Familie für seine Laufbahn kein so großer Aufwand gemacht worden,
als wenn er studirte. Die Art des Aufsteigens war auch angemessener, ver¬
nünftiger. Denn der Gedanke war auf wirtschaftliche Verbesserung, anstatt auf
ehrenvolle Stellung gerichtet. Das Universitätsstudium ist lange nicht mehr in
dem Sinne wirtschaftlich rentabel. Und sollte es in einem einzelnen Falle zu
besonderm äußeren Glücke führen, und sollte sich in diesem wieder der gute
Sohn oder Bruder als solcher bewähren, so wird man doch, wenn man weiter
nachdenken will, auf einen einzigen derartigen Fall viele andre Fülle finden,
die der eben gegebnen Schilderung, wie der Regel das Beispiel, entsprechen,
Fälle also, wo der emporsteigende Sohn seinen Weg sür sich allein geht. Auf
diesem wollen wir ihn nun begleiten.

Auf unsern Universitäten besteht die leidige Ordnung, daß dem armen
Studenten das Honorar für die Vorlesungen gestundet wird. Muß er viel¬
leicht im schlimmsten Falle alles andre bar bezahlen, hier findet er sicher
Kredit. Seine geistige Ausbildung kostet ihn einstweilen nichts. Dafür geht
er dann aber auch mit einem für seine Verhältnisse recht beträchtlichen Schulden¬
kapital belastet ins Leben und soll es abtragen, sobald ihm das seine Ein¬
nahmen möglich machen. Aber gewöhnlich hat der ehemalige Student auch
noch andre Schulden. Dazu kommen ferner die Forderungen, die der Weg
zum selbständige" Berufe auf seinen verschiednen Abschnitten an das Privat¬
vermögen des Einzelnen stellt, und wo solches nicht vorhanden ist, giebt es
wieder neue Schulden. An der Stelle eines günstigen Erfolges des also Empor-
gestiegnen haben wir dann schließlich ein Ergebnis, worüber der Anzeigenteil
einzelner Zeitungen fast täglich Zeugnis giebt. Ein Kandidat der Theologie,
der vor dem ersten oder zweiten Examen steht, bittet edle Menschenfreunde --
Ein Pfarrvikar, der seine erste Pfarre antreten soll, aber noch verschiedne Ver¬
pflichtungen zu begleiche" hat, bittet usw. -- Ein Pfarrer, der ohne seine
Schuld in Schuldennot geraten ist, bittet nnter Hinweis auf eine Lebens-
versicherungspoliee usw. Oder einer bittet für den andern; immer sind es Theo¬
logen oder Lehrer, und vielleicht jedesmal, wenn man den einzelnen Fall kennte,
würde man scheu dürfen: Wäre es dem betreffenden nicht besser gewesen, er
hätte seinen Lebensweg nach seinen eignen Mitteln und näher dem Berufe
seiner Eltern gewählt, anstatt ihn auf fremde Mildthätigkeit zu gründen? Das
Brot der Gnade essen müssen demütigt entweder, oder es verbittert, aber es
bildet keinen Charakter und läßt freie Bildung sicherlich nicht aufkommen.

Allerdings lernen wir ja von Kindesbeinen an, daß Geld nicht glücklich
mache, und um geistigen Gewinnes willen sollen wir Äußerliches freudig ent¬
behren. Aber der Weg, von dem wir hier zu reden haben, wird ja nicht aus
geistigem Hunger eingeschlagen; er kann nur als das Ergebnis einer Speku¬
lation gelten. Ja, wenn nun wenigstens der geistige Gewinn das materielle
Mißlingen noch aufwiegen könnte! Aber es gehört zu den vielen Täuschungen,


Grenzboten II 1S96 s;4
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seiner Familie für seine Laufbahn kein so großer Aufwand gemacht worden,
als wenn er studirte. Die Art des Aufsteigens war auch angemessener, ver¬
nünftiger. Denn der Gedanke war auf wirtschaftliche Verbesserung, anstatt auf
ehrenvolle Stellung gerichtet. Das Universitätsstudium ist lange nicht mehr in
dem Sinne wirtschaftlich rentabel. Und sollte es in einem einzelnen Falle zu
besonderm äußeren Glücke führen, und sollte sich in diesem wieder der gute
Sohn oder Bruder als solcher bewähren, so wird man doch, wenn man weiter
nachdenken will, auf einen einzigen derartigen Fall viele andre Fülle finden,
die der eben gegebnen Schilderung, wie der Regel das Beispiel, entsprechen,
Fälle also, wo der emporsteigende Sohn seinen Weg sür sich allein geht. Auf
diesem wollen wir ihn nun begleiten.

Auf unsern Universitäten besteht die leidige Ordnung, daß dem armen
Studenten das Honorar für die Vorlesungen gestundet wird. Muß er viel¬
leicht im schlimmsten Falle alles andre bar bezahlen, hier findet er sicher
Kredit. Seine geistige Ausbildung kostet ihn einstweilen nichts. Dafür geht
er dann aber auch mit einem für seine Verhältnisse recht beträchtlichen Schulden¬
kapital belastet ins Leben und soll es abtragen, sobald ihm das seine Ein¬
nahmen möglich machen. Aber gewöhnlich hat der ehemalige Student auch
noch andre Schulden. Dazu kommen ferner die Forderungen, die der Weg
zum selbständige« Berufe auf seinen verschiednen Abschnitten an das Privat¬
vermögen des Einzelnen stellt, und wo solches nicht vorhanden ist, giebt es
wieder neue Schulden. An der Stelle eines günstigen Erfolges des also Empor-
gestiegnen haben wir dann schließlich ein Ergebnis, worüber der Anzeigenteil
einzelner Zeitungen fast täglich Zeugnis giebt. Ein Kandidat der Theologie,
der vor dem ersten oder zweiten Examen steht, bittet edle Menschenfreunde —
Ein Pfarrvikar, der seine erste Pfarre antreten soll, aber noch verschiedne Ver¬
pflichtungen zu begleiche» hat, bittet usw. — Ein Pfarrer, der ohne seine
Schuld in Schuldennot geraten ist, bittet nnter Hinweis auf eine Lebens-
versicherungspoliee usw. Oder einer bittet für den andern; immer sind es Theo¬
logen oder Lehrer, und vielleicht jedesmal, wenn man den einzelnen Fall kennte,
würde man scheu dürfen: Wäre es dem betreffenden nicht besser gewesen, er
hätte seinen Lebensweg nach seinen eignen Mitteln und näher dem Berufe
seiner Eltern gewählt, anstatt ihn auf fremde Mildthätigkeit zu gründen? Das
Brot der Gnade essen müssen demütigt entweder, oder es verbittert, aber es
bildet keinen Charakter und läßt freie Bildung sicherlich nicht aufkommen.

Allerdings lernen wir ja von Kindesbeinen an, daß Geld nicht glücklich
mache, und um geistigen Gewinnes willen sollen wir Äußerliches freudig ent¬
behren. Aber der Weg, von dem wir hier zu reden haben, wird ja nicht aus
geistigem Hunger eingeschlagen; er kann nur als das Ergebnis einer Speku¬
lation gelten. Ja, wenn nun wenigstens der geistige Gewinn das materielle
Mißlingen noch aufwiegen könnte! Aber es gehört zu den vielen Täuschungen,


Grenzboten II 1S96 s;4
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[0513] von unten nach oben seiner Familie für seine Laufbahn kein so großer Aufwand gemacht worden, als wenn er studirte. Die Art des Aufsteigens war auch angemessener, ver¬ nünftiger. Denn der Gedanke war auf wirtschaftliche Verbesserung, anstatt auf ehrenvolle Stellung gerichtet. Das Universitätsstudium ist lange nicht mehr in dem Sinne wirtschaftlich rentabel. Und sollte es in einem einzelnen Falle zu besonderm äußeren Glücke führen, und sollte sich in diesem wieder der gute Sohn oder Bruder als solcher bewähren, so wird man doch, wenn man weiter nachdenken will, auf einen einzigen derartigen Fall viele andre Fülle finden, die der eben gegebnen Schilderung, wie der Regel das Beispiel, entsprechen, Fälle also, wo der emporsteigende Sohn seinen Weg sür sich allein geht. Auf diesem wollen wir ihn nun begleiten. Auf unsern Universitäten besteht die leidige Ordnung, daß dem armen Studenten das Honorar für die Vorlesungen gestundet wird. Muß er viel¬ leicht im schlimmsten Falle alles andre bar bezahlen, hier findet er sicher Kredit. Seine geistige Ausbildung kostet ihn einstweilen nichts. Dafür geht er dann aber auch mit einem für seine Verhältnisse recht beträchtlichen Schulden¬ kapital belastet ins Leben und soll es abtragen, sobald ihm das seine Ein¬ nahmen möglich machen. Aber gewöhnlich hat der ehemalige Student auch noch andre Schulden. Dazu kommen ferner die Forderungen, die der Weg zum selbständige« Berufe auf seinen verschiednen Abschnitten an das Privat¬ vermögen des Einzelnen stellt, und wo solches nicht vorhanden ist, giebt es wieder neue Schulden. An der Stelle eines günstigen Erfolges des also Empor- gestiegnen haben wir dann schließlich ein Ergebnis, worüber der Anzeigenteil einzelner Zeitungen fast täglich Zeugnis giebt. Ein Kandidat der Theologie, der vor dem ersten oder zweiten Examen steht, bittet edle Menschenfreunde — Ein Pfarrvikar, der seine erste Pfarre antreten soll, aber noch verschiedne Ver¬ pflichtungen zu begleiche» hat, bittet usw. — Ein Pfarrer, der ohne seine Schuld in Schuldennot geraten ist, bittet nnter Hinweis auf eine Lebens- versicherungspoliee usw. Oder einer bittet für den andern; immer sind es Theo¬ logen oder Lehrer, und vielleicht jedesmal, wenn man den einzelnen Fall kennte, würde man scheu dürfen: Wäre es dem betreffenden nicht besser gewesen, er hätte seinen Lebensweg nach seinen eignen Mitteln und näher dem Berufe seiner Eltern gewählt, anstatt ihn auf fremde Mildthätigkeit zu gründen? Das Brot der Gnade essen müssen demütigt entweder, oder es verbittert, aber es bildet keinen Charakter und läßt freie Bildung sicherlich nicht aufkommen. Allerdings lernen wir ja von Kindesbeinen an, daß Geld nicht glücklich mache, und um geistigen Gewinnes willen sollen wir Äußerliches freudig ent¬ behren. Aber der Weg, von dem wir hier zu reden haben, wird ja nicht aus geistigem Hunger eingeschlagen; er kann nur als das Ergebnis einer Speku¬ lation gelten. Ja, wenn nun wenigstens der geistige Gewinn das materielle Mißlingen noch aufwiegen könnte! Aber es gehört zu den vielen Täuschungen, Grenzboten II 1S96 s;4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/513>, abgerufen am 16.06.2024.