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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Aufstand in Hamburg

Doppelt traurig sind die Hamburger Vorgänge dadurch geworden, daß
sich die National-Sozialen haben verleiten lassen, diese Gelegenheit zur Reklame
ausnutzen zu wollen. Das lose Band, das diese wunderliche Gruppe ver¬
schiedenartigster Charaktere einige Wochen verknüpfte, wird nun wohl bald
gelöst sein. Je eher, je besser für die guten Leute darunter. Ihnen mag die
gelinde Scham über die Rolle, die ihnen die Sozialdemokratie mit der höhnenden
Überlegenheit der Macht dabei zuwies, die verdiente Strafe des Fürwitzes sein,
die andern werden wohl bald genug mit den sozialdemokratischen Volks¬
beglückern um die Palme der Virtuosität in jener Agitationstaktik ringen, die
in den Hamburger Vorgängen so ausgiebig bethätigt worden zu sein scheint.
Dahin mußte es kommen, wenn die grundsätzliche Einseitigkeit an Stelle der
Nächstenliebe, der Gerechtigkeit und Wahrheit sogar von Vertretern der Wissen¬
schaft und der Kirche auf den Thron gehoben wurde, und die klärende,
schlichtende, versöhnende Rolle der Wissenschaft und der Religion im sozialen
Leben in ihr Gegenteil verwandelt wurde.

Aber die "sozialdemokratische Mache," ja schon der Glaube an sie hat eine
im besondern Sinne praktisch verhängnisvolle Wirkung. Sie macht sich bei den
Arbeitgebern natürlich geltend. Lagen die Dinge bei dem Aufstande der Hafen¬
arbeiter, und dann nicht nur bei diesem, so, wie es die Hamburger Vorgänge
es leider wahrscheinlich gemacht haben, so ist die immer schroffere, rücksichts¬
losere Stellung der Arbeitgeber in Ausstaudsfüllen, ja überhaupt sozialen
Reformen gegenüber, nur zu menschlich natürlich. Daß sie solchen "sozial-
demokratischen Machern" nicht die Herrschaft über ihre Arbeiter, über Gedeihe"
oder Niederlage in ihrem Wirtschaftsbctriebe gefügig überlassen wollen, das ist
ihr gutes Recht. Aber auch hier verdirbt die verhängnisvolle Einseitigkeit in
der Regel alles. Wenn sich die Arbeitgeber verbinden zum Kampfe gegen
solche Ausstünde, wer kann ihnen das verdenken? Aber wenn sie, wie das
in der Regel geschieht, dabei auch ihrerseits die Nächstenliebe, die Gerechtigkeit
und Wahrheit mit manchesterlichem Hohn als alberne Sentimentalität beiseite
schieben, wenn sie durch die bekannte Praxis der schwarzen Listen jeden, auch
den jähzornigsten, rohesten, ungebildetsten Unternehmer zum allmächtigen Richter
in eigner Sache machen, dann sinken sie herab auf den sittlichen Standpunkt
jener sozialdemokratischen Macher, und damit ist dem sozialen Frieden ganz
gewiß am wenigsten gedient.

Wie ist da zu helsen? Daß mau zwei Raufbolde sich ab und zu braun
und blau schlagen läßt, damit sie Frieden halten, solange der Rücken schmerzt,
das kann doch für den deutschen Kulturstaat und sein wirtschaftliches Leben
schwerlich das probate Rezept sein, auch wenn durch sogenannte Organisation
beider Seiten die Sache zur Masseuprügelei vielleicht mit etwas größern Inter¬
vallen wird. Im Interessenkampf ist der unparteiische Richter nun einmal
nicht zu entbehren, auch in Ausstcmdssällen. Wir wiffen, wie eng begrenzt


Der Aufstand in Hamburg

Doppelt traurig sind die Hamburger Vorgänge dadurch geworden, daß
sich die National-Sozialen haben verleiten lassen, diese Gelegenheit zur Reklame
ausnutzen zu wollen. Das lose Band, das diese wunderliche Gruppe ver¬
schiedenartigster Charaktere einige Wochen verknüpfte, wird nun wohl bald
gelöst sein. Je eher, je besser für die guten Leute darunter. Ihnen mag die
gelinde Scham über die Rolle, die ihnen die Sozialdemokratie mit der höhnenden
Überlegenheit der Macht dabei zuwies, die verdiente Strafe des Fürwitzes sein,
die andern werden wohl bald genug mit den sozialdemokratischen Volks¬
beglückern um die Palme der Virtuosität in jener Agitationstaktik ringen, die
in den Hamburger Vorgängen so ausgiebig bethätigt worden zu sein scheint.
Dahin mußte es kommen, wenn die grundsätzliche Einseitigkeit an Stelle der
Nächstenliebe, der Gerechtigkeit und Wahrheit sogar von Vertretern der Wissen¬
schaft und der Kirche auf den Thron gehoben wurde, und die klärende,
schlichtende, versöhnende Rolle der Wissenschaft und der Religion im sozialen
Leben in ihr Gegenteil verwandelt wurde.

Aber die „sozialdemokratische Mache," ja schon der Glaube an sie hat eine
im besondern Sinne praktisch verhängnisvolle Wirkung. Sie macht sich bei den
Arbeitgebern natürlich geltend. Lagen die Dinge bei dem Aufstande der Hafen¬
arbeiter, und dann nicht nur bei diesem, so, wie es die Hamburger Vorgänge
es leider wahrscheinlich gemacht haben, so ist die immer schroffere, rücksichts¬
losere Stellung der Arbeitgeber in Ausstaudsfüllen, ja überhaupt sozialen
Reformen gegenüber, nur zu menschlich natürlich. Daß sie solchen „sozial-
demokratischen Machern" nicht die Herrschaft über ihre Arbeiter, über Gedeihe»
oder Niederlage in ihrem Wirtschaftsbctriebe gefügig überlassen wollen, das ist
ihr gutes Recht. Aber auch hier verdirbt die verhängnisvolle Einseitigkeit in
der Regel alles. Wenn sich die Arbeitgeber verbinden zum Kampfe gegen
solche Ausstünde, wer kann ihnen das verdenken? Aber wenn sie, wie das
in der Regel geschieht, dabei auch ihrerseits die Nächstenliebe, die Gerechtigkeit
und Wahrheit mit manchesterlichem Hohn als alberne Sentimentalität beiseite
schieben, wenn sie durch die bekannte Praxis der schwarzen Listen jeden, auch
den jähzornigsten, rohesten, ungebildetsten Unternehmer zum allmächtigen Richter
in eigner Sache machen, dann sinken sie herab auf den sittlichen Standpunkt
jener sozialdemokratischen Macher, und damit ist dem sozialen Frieden ganz
gewiß am wenigsten gedient.

Wie ist da zu helsen? Daß mau zwei Raufbolde sich ab und zu braun
und blau schlagen läßt, damit sie Frieden halten, solange der Rücken schmerzt,
das kann doch für den deutschen Kulturstaat und sein wirtschaftliches Leben
schwerlich das probate Rezept sein, auch wenn durch sogenannte Organisation
beider Seiten die Sache zur Masseuprügelei vielleicht mit etwas größern Inter¬
vallen wird. Im Interessenkampf ist der unparteiische Richter nun einmal
nicht zu entbehren, auch in Ausstcmdssällen. Wir wiffen, wie eng begrenzt


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[0054] Der Aufstand in Hamburg Doppelt traurig sind die Hamburger Vorgänge dadurch geworden, daß sich die National-Sozialen haben verleiten lassen, diese Gelegenheit zur Reklame ausnutzen zu wollen. Das lose Band, das diese wunderliche Gruppe ver¬ schiedenartigster Charaktere einige Wochen verknüpfte, wird nun wohl bald gelöst sein. Je eher, je besser für die guten Leute darunter. Ihnen mag die gelinde Scham über die Rolle, die ihnen die Sozialdemokratie mit der höhnenden Überlegenheit der Macht dabei zuwies, die verdiente Strafe des Fürwitzes sein, die andern werden wohl bald genug mit den sozialdemokratischen Volks¬ beglückern um die Palme der Virtuosität in jener Agitationstaktik ringen, die in den Hamburger Vorgängen so ausgiebig bethätigt worden zu sein scheint. Dahin mußte es kommen, wenn die grundsätzliche Einseitigkeit an Stelle der Nächstenliebe, der Gerechtigkeit und Wahrheit sogar von Vertretern der Wissen¬ schaft und der Kirche auf den Thron gehoben wurde, und die klärende, schlichtende, versöhnende Rolle der Wissenschaft und der Religion im sozialen Leben in ihr Gegenteil verwandelt wurde. Aber die „sozialdemokratische Mache," ja schon der Glaube an sie hat eine im besondern Sinne praktisch verhängnisvolle Wirkung. Sie macht sich bei den Arbeitgebern natürlich geltend. Lagen die Dinge bei dem Aufstande der Hafen¬ arbeiter, und dann nicht nur bei diesem, so, wie es die Hamburger Vorgänge es leider wahrscheinlich gemacht haben, so ist die immer schroffere, rücksichts¬ losere Stellung der Arbeitgeber in Ausstaudsfüllen, ja überhaupt sozialen Reformen gegenüber, nur zu menschlich natürlich. Daß sie solchen „sozial- demokratischen Machern" nicht die Herrschaft über ihre Arbeiter, über Gedeihe» oder Niederlage in ihrem Wirtschaftsbctriebe gefügig überlassen wollen, das ist ihr gutes Recht. Aber auch hier verdirbt die verhängnisvolle Einseitigkeit in der Regel alles. Wenn sich die Arbeitgeber verbinden zum Kampfe gegen solche Ausstünde, wer kann ihnen das verdenken? Aber wenn sie, wie das in der Regel geschieht, dabei auch ihrerseits die Nächstenliebe, die Gerechtigkeit und Wahrheit mit manchesterlichem Hohn als alberne Sentimentalität beiseite schieben, wenn sie durch die bekannte Praxis der schwarzen Listen jeden, auch den jähzornigsten, rohesten, ungebildetsten Unternehmer zum allmächtigen Richter in eigner Sache machen, dann sinken sie herab auf den sittlichen Standpunkt jener sozialdemokratischen Macher, und damit ist dem sozialen Frieden ganz gewiß am wenigsten gedient. Wie ist da zu helsen? Daß mau zwei Raufbolde sich ab und zu braun und blau schlagen läßt, damit sie Frieden halten, solange der Rücken schmerzt, das kann doch für den deutschen Kulturstaat und sein wirtschaftliches Leben schwerlich das probate Rezept sein, auch wenn durch sogenannte Organisation beider Seiten die Sache zur Masseuprügelei vielleicht mit etwas größern Inter¬ vallen wird. Im Interessenkampf ist der unparteiische Richter nun einmal nicht zu entbehren, auch in Ausstcmdssällen. Wir wiffen, wie eng begrenzt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/54>, abgerufen am 14.06.2024.